Entscheidungsstichwort (Thema)

Normenkontrollverfahren. Antragsbefugnis. Naturschutzverband, anerkannter. Nachteil, Rechtsverletzung. Landschaftsschutzverordnung, Teilaufhebung, Befreiung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Aus Bundesrecht ergibt sich eine – erzwingbare – Pflicht der Naturschutzbehörden weder zur Festsetzung eines Landschaftsschutzgebietes noch zur Aufrechterhaltung einer solchen Festsetzung (im Anschluß an BVerwG, Urteil vom 24. Mai 1996 – BVerwG 4 A 16.95 – Buchholz 406.401 § 29 BNatSchG Nr. 10, S. 21).

2. Die Antragsbefugnis eines anerkannten Naturschutzverbandes, der sich im Verfahren nach § 47 VwGO gegen die Aufhebung einer Landschaftsschutzverordnung wendet, besteht nach Bundesrecht nur zur Wahrung der gesetzlich eingeräumten Beteiligungsbefugnisse.

Sie erweitert sich auch dann nicht, wenn geltend gemacht wird, eine nach Landesrecht anderenfalls bestehende Anfechtungsbefugnis (§§ 35, 36 HENatG) werde dadurch entzogen, daß statt einer Befreiung von Verboten der Verordnung diese teilweise aufgehoben werde.

 

Normenkette

GG Art. 19 Abs. 4; VwGO § 47 Abs. 2 S. 1; BNatSchG § 29 Abs. 1-2; HENatG § 35 Abs. 1 Nr. 2, § 36

 

Verfahrensgang

Hessischer VGH (Beschluss vom 14.04.1997; Aktenzeichen 6 N 2349/96)

 

Tenor

Die Beschwerde der Antragsteller gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluß des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 14. April 1997 wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens je zur Hälfte.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 40 000 DM festgesetzt.

 

Tatbestand

I.

Die Antragsteller, zwei anerkannte Naturschutzverbände nach § 29 Abs. 2 BNatSchG, begehren im Normenkontrollverfahren die Feststellung der Nichtigkeit einer Verordnung, mit der eine Teilfläche aus einem Landschaftsschutzgebiet herausgenommen worden ist. Auf der Teilfläche, auf der sich ehemals militärisch genutzte Gebäude befinden, soll u.a. eine Hotelanlage errichtet werden. Den Antragstellern ist bei der Vorbereitung der angegriffenen Verordnung Gelegenheit zur Äußerung gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG gegeben worden. Mit ihrem Normenkontrollantrag machen sie geltend, die Fläche müsse nach Aufgabe der militärischen Nutzung der Natur wieder zugeführt werden, die Entscheidung für eine intensive bauliche Nutzung sei rechtswidrig, die Aufhebung des Landschaftsschutzes jedenfalls abwägungsfehlerhaft. Bei Aufrechterhaltung des Landschaftsschutzes für die Teilfläche hätte, um das Bauvorhaben zu ermöglichen, eine Befreiung vom Landschaftsschutz erteilt werden müssen. In diesem Falle hätten sie nach § 36 in Verbindung mit § 35 Abs. 1 Nr. 2 HENatG eine Anfechtungsklage erheben und in deren Rahmen eine materiellrechtliche gerichtliche Überprüfung der Behördenentscheidung erreichen können. Die Behörde habe dies durch Aufhebung des Landschaftsschutzes umgangen. Deshalb müsse ihnen das Normenkontrollverfahren offenstehen. Das Normenkontrollgericht hat den Antrag als unzulässig abgelehnt. Mit der Beschwerde begehren die Antragsteller die Zulassung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde ist unbegründet. Die Frage, ob „hessische Naturschutzverbände in einem Normenkontrollverfahren ausnahmsweise dann als Verletzte im Sinne von § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO antragsbefugt (sind), wenn die Behörde rechtswidrig kein Verfahren gemäß § 35 Abs. 1 Ziff. 2 HENatG, sondern statt dessen ein Verfahren nach § 29 Abs. 1 Ziff. 1 BNatSchG durchführt und ihnen auf diese Weise ein Klagerecht genommen wird (Art. 19 Abs. 4 GG i.V.m. § 36 Abs. 1 HENatG)”, verleiht der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Sie läßt sich, soweit sie überhaupt einen Bezug zu revisiblem Recht aufweist, unschwer beantworten, ohne daß es der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf. Die Antragsteller beanstanden, daß der Antragsgegner die Voraussetzungen für die Errichtung einer Hotelanlage auf einer Teilfläche am Rande des Landschaftsschutzgebietes „Meißner-Kaufunger Wald” nicht durch die Erteilung einer naturschutzrechtlichen Befreiung, sondern durch die Herausnahme des Areals aus dem Geltungsbereich der Landschaftsschutzverordnung geschaffen hat. Es liegt indes auf der Hand, daß § 47 VwGO ihnen gegen diesen Akt der Normsetzung keine Rechtsschutzmöglichkeit eröffnet.

Dahinstehen kann, ob die Annahme des Normenkontrollgerichts zutrifft, daß der bereits im Juni 1996 gestellte Normenkontrollantrag an § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO in der seit 1. Januar 1997 gültigen Fassung zu messen ist, der die Antragsbefugnis an das Erfordernis knüpft, daß der Antragsteller geltend macht, durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in seinen Rechten verletzt zu sein oder in absehbarer Zeit verletzt zu werden. Die Beschwerde legt insoweit nicht dar, welche eigenen Rechte der Antragsteller durch die Teilaufhebung der Schutzanordnung verletzt worden sein könnten. Sie räumt vielmehr selbst ein, daß der Antragsgegner das Beteiligungsrecht, das sich für anerkannte Naturschutzverbände aus § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BNatSchG ergibt, gewahrt hat. Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde indes auch für den Fall nicht auf, daß sich die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO a.F. bestimmen sollte, der auf einen durch die Rechtsvorschrift oder deren Anwendung erlittenen oder zu erwartenden Nachteil abstellt. Die Beschwerde legt nicht dar, woraus die Antragsteller einen solchen Nachteil sollten herleiten können. Sie stellt selbst nicht in Abrede, daß anerkannten Naturschutzverbänden nach geltendem Recht die Befugnis fehlt, die (Teil-)Aufhebung einer Schutzgebietsausweisung gerichtlich überprüfen zu lassen. Während das Bundesrecht ihnen über § 29 Abs. 1 BNatSchG hinaus überhaupt keine Rechtsschutzmöglichkeit eröffnet, räumt ihnen § 36 HENatG i.V.m. § 35 Abs. 1 Nr. 2 HENatG nach den Ausführungen des Normenkontrollgerichts ein Klagerecht nur für den Fall ein, daß von den Vorschriften einer Schutzverordnung eine Befreiung erteilt worden ist.

Die Befugnis anerkannter Naturschutzverbände, sich über den Kreis der in den §§ 35, 36 HENatG gewährten Klagerechte hinaus klageweise auch gegen die (Teil-)Aufhebung einer Schutzgebietsausweisung zu wenden, läßt sich nicht aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG herleiten. Diese Vorschrift eröffnet den Rechtsweg nur demjenigen, der durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt ist. Sie gewährt nicht selbst subjektive Rechte, sondern setzt anderweitig begründete materielle Rechte voraus (vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 27. April 1971 – 2 BvR 708/65 – BVerfGE 31, 33 ≪39≫, vom 8. Juli 1982 – 2 BvR 1187/80 – BVerfGE 61, 82 ≪110≫ und vom 9. Januar 1991 – 1 BvR 207/87 – BVerfGE 83, 182 ≪194≫). Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG garantiert als Prozeßgrundrecht einen Mindeststandard, der nicht unterschritten werden darf. Der einfache Gesetzgeber ist freilich nicht gehindert, hierüber hinauszugehen und Rechtsschutz gegen Maßnahmen der öffentlichen Verwaltung auch dann zu gewähren, wenn nicht zugleich auch die Verletzung eigener materieller Rechte geltend gemacht werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Oktober 1990 – BVerwG 4 C 7.88 – BVerwGE 87, 62). Von dieser Möglichkeit hat der hessische Landesgesetzgeber in § 36 HENatG zulässigerweise Gebrauch gemacht. Ob er berechtigt gewesen wäre, den Rechtsschutz auf weitere Maßnahmen zu erstrecken, kann dahinstehen. Dem korrespondiert jedenfalls kein aus der Verfassung oder dem einfachen Bundesrecht ableitbarer Anspruch. Wie aus § 29 Abs. 1 BNatSchG zu ersehen ist, hat der Bundesgesetzgeber sich vielmehr gegen die Einführung der Verbandsklage entschieden (vgl. BVerwG, Urteil vom 29. April 1993 – BVerwG 7 A 3.92 – BVerwGE 92, 263). Ein Klagerecht steht anerkannten Naturschutzverbänden nur nach Maßgabe der prozessualen Ermächtigung des § 36 HENatG zu, der eine abschließende Aufzählung enthält und aus bundesrechtlicher Sicht keiner erweiternden Auslegung zugänglich ist.

In dem erstrebten Revisionsverfahren wäre auch nicht klärungsfähig, ob einem anerkannten Naturschutzverband im Normenkontrollverfahren eine Antragsbefugnis zuerkannt werden könnte, wenn dies geboten erschiene, um zu verhindern, daß ein gesetzlich eingeräumtes Mitwirkungsrecht umgangen oder ein anderweitig zugebilligtes Klagerecht vereitelt wird (vgl. hierzu BVerwG, Urteil vom 22. März 1995 – BVerwG 11 A 1.95 – BVerwGE 98, 100 einerseits und Beschluß vom 14. August 1995 – BVerwG 4 NB 43.94 – Buchholz 406.401 § 29 BNatSchG Nr. 8 andererseits). Die Beschwerde sieht einen Umgehungstatbestand darin, daß der Antragsgegner die Fläche, die für schutzgebietsfremde Zwecke in Anspruch genommen werden soll, aus dem Geltungsbereich der Schutzgebietsausweisung herausgenommen hat, anstatt von der Möglichkeit der Erteilung einer Befreiung Gebrauch zu machen. Ob der eine oder der andere Verfahrensweg beschritten werden konnte oder mußte, richtet sich nach dem irrevisiblen Landesrecht. Ob in Fällen eines etwaigen Formenmißbrauchs ein Klagerecht nach §§ 35, 36 HENatG gegeben ist, obwohl die in diesen Vorschriften genannten Voraussetzungen formal nicht erfüllt sind, hat letztlich das zur Anwendung und Auslegung dieses Rechts berufene Normenkontrollgericht zu entscheiden. Denn auch insoweit betrifft dies nur eine Frage irrevisiblen Rechts.

Das Bundesrecht stellt keine weitergehende Rechtsschutzmöglichkeit zur Verfügung. Das ist schon deshalb systemgerecht, weil offensichtlich kein Regelungsbedürfnis besteht. § 12 Abs. 1 BNatSchG ermächtigt die Länder rahmenrechtlich u.a. dazu, Teile von Natur und Landschaft zum Landschaftsschutzgebiet zu erklären. Ob ein Naturraum, der die Voraussetzungen für eine Unterschutzstellung erfüllt, als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen wird, liegt im Normsetzungsermessen des zuständigen Verordnungsgebers. Eine erzwingbare Pflicht, Schutzanordnungen zu treffen, begründet das Bundesnaturschutzgesetz nicht (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Mai 1996 – BVerwG 4 A 16.95 – Buchholz 406.401 § 29 BNatSchG Nr. 10 = NVwZ 1997, 491 – NuR 1997, 38). Ist die zuständige Behörde um des Schutzes bestimmter Teile von Natur und Landschaft willen nicht gezwungen, ein Schutzgebiet auszuweisen, so ist es ihr unbenommen, eine von ihr vorgenommene Schutzgebietsfestsetzung nachträglich wiederaufzuheben oder zu beschränken, sofern sachliche Gründe dies rechtfertigen. Anerkannte Naturschutzverbände mögen nicht zuletzt im Rahmen des § 29 Abs. 1 Satz 1 BNatSchG die Möglichkeiten ausschöpfen, die ihnen zu Gebote stehen, um darauf hinzuwirken, daß der Schutz, den eine bestimmte Fläche als Teil eines Landschaftsschutzgebietes genießt, nicht geschmälert wird. Das Bundesrecht bietet ihnen indes keine Handhabe, eine Beseitigung oder eine Einschränkung des Gebietsschutzes zu verhindern. Gibt das materielle Recht hierfür nichts her, so erübrigen sich auch prozessuale Schutzvorkehrungen.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 und § 159 Satz 1 i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 3 und § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG i.V.m. § 5 ZPO analog. Der Senat orientiert sich hierbei an dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit – Fassung 1996 (NVwZ 1996, 563) –, wonach der Streitwert bei Verbandsklagen mindestens 20 000 DM beträgt (vgl. Nr. I 4).

 

Unterschriften

Gaentzsch, Berkemann, Halama

 

Fundstellen

DÖV 1998, 73

NuR 1998, 131

ZUR 1998, 160

BRS 1997, 725

BRS 1998, 725

UPR 1998, 65

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