Verfahrensgang
Hessischer VGH (Beschluss vom 15.03.2011; Aktenzeichen 11 A 2298/10) |
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 15. März 2011 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 6 438,19 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung eines Förderbescheids und die Rückforderung einer darin bewilligten Ausgleichszulage für die Förderung landwirtschaftlicher Betriebe in benachteiligten Gebieten. Das Verwaltungsgericht wies seine Klage ab, der Verwaltungsgerichtshof ließ die Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung zu. Zur Begründung der Berufung bezog sich der Kläger daraufhin “im Wesentlichen” auf seinen Schriftsatz zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung sowie auf den Zulassungsbeschluss des Verwaltungsgerichtshofs; Schriftsatz und Zulassungsbeschluss reiche er zu den Akten und mache sich deren Inhalt für das Berufungsverfahren zu eigen. Der Verwaltungsgerichtshof erachtete die Berufung für zulässig und hob durch Beschluss gemäß § 130a VwGO den Gerichtsbescheid und die Bescheide des Beklagten auf.
Rz. 2
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs bleibt ohne Erfolg. Die Rechtssache weist weder die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf (1.) noch liegt die nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO gerügte Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vor (2.).
Rz. 3
1. Der Beklagte hält die Frage für klärungsbedürftig:
“Kann die Regelung des § 124a Abs. 3 Satz 1 VwGO teleologisch darauf reduziert werden, dass ein eigener Berufungsantrag selbst dann nicht erforderlich ist, wenn der Berufungskläger im Rahmen seiner Berufungsbegründung ‘im Wesentlichen’ (so der Kläger in seinem Schriftsatz vom 7. Dezember 2010) Bezug auf seine Ausführungen in der Berufungszulassungsbegründung sowie vollinhaltlich auf den gerichtlichen Zulassungsbeschluss nimmt?”
Rz. 4
Diese Frage verleiht der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung, weil sie – soweit sie über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgeht – durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits hinreichend geklärt ist.
Rz. 5
Gemäß § 124a Abs. 3 Satz 1 bzw. Abs. 6 Satz 1 VwGO ist die vom Verwaltungsgericht bzw. vom Oberverwaltungsgericht zugelassene Berufung zu begründen. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe) enthalten (§ 124a Abs. 3 Satz 4, Abs. 6 Satz 3 VwGO).
Rz. 6
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu diesen Vorschriften ist geklärt, dass der Rechtsmittelführer nach Zulassung der Berufung in jedem Fall einen gesonderten Schriftsatz zur Berufungsbegründung einreichen muss; er soll damit eindeutig zu erkennen geben, dass er nach wie vor die Durchführung des Berufungsverfahrens erstrebt (vgl. Urteile vom 30. Juni 1998 – BVerwG 9 C 6.98 – BVerwGE 107, 117 ≪121≫ und vom 7. Januar 2008 – BVerwG 1 C 27.06 – Buchholz 310 § 124a VwGO Nr. 36 Rn. 11 f. m.w.N.). Hierfür ist zeitlich nach Zulassung der Berufung eine eindeutige, gegebenenfalls auslegungsfähige schriftliche Erklärung des Berufungsführers erforderlich, dass und mit welchen Anträgen er das Berufungsverfahren fortführt (vgl. Beschluss vom 19. Oktober 2009 – BVerwG 2 B 51.09 – juris Rn. 4). Soweit der Berufungsführer bereits im Zulassungsantrag erschöpfend vorgetragen hat, genügt es, wenn er darauf in einem innerhalb der Begründungsfrist eingehenden Schriftsatz Bezug nimmt (vgl. Urteil vom 7. Januar 2008 a.a.O. Rn. 12; Beschlüsse vom 2. Juli 2008 – BVerwG 10 B 3.08 – juris Rn. 3 und vom 19. Oktober 2009 – BVerwG 2 B 51.09 – juris Rn. 4). Gleiches gilt, wenn die Berufungsbegründung unter Bezugnahme oder Verweisung auf den Zulassungsantrag und den Zulassungsbeschluss erfolgt (vgl. Beschlüsse vom 23. September 1999 – BVerwG 9 B 372.99 – Buchholz 310 § 124a VwGO Nr. 12 und vom 1. Dezember 2000 – BVerwG 9 B 549.00 – Buchholz 310 § 133 VwGO ≪n.F.≫ Nr. 60). § 124a Abs. 3 Satz 4 VwGO (ggf. i.V.m. § 124a Abs. 6 Satz 3 VwGO) verlangt mit dem Erfordernis eines “bestimmten Antrags” nicht, dass ein ausdrücklicher Berufungsantrag gestellt wird; dem Antragserfordernis wird regelmäßig entsprochen, wenn in dem einzureichenden Schriftsatz hinreichend deutlich zum Ausdruck kommt, dass, in welchem Umfang und weshalb der Berufungsführer an der Durchführung des zugelassenen Berufungsverfahrens festhalten will; es genügt, wenn das Ziel des Rechtsmittels aus der Tatsache seiner Einlegung allein oder in Verbindung mit den während der Rechtsmittelfrist abgegebenen Erklärungen im Wege der Auslegung erkennbar ist (vgl. Urteil vom 9. März 2005 – BVerwG 6 C 8.04 – juris Rn. 16 m.w.N. ≪insoweit nicht abgedruckt in Buchholz 442.066 § 50 TKG Nr. 2≫). Welche Mindestanforderungen in Anwendung der vorstehenden Grundsätze jeweils an die Berufungsbegründung zu stellen sind, hängt schließlich wesentlich von den Umständen des konkreten Einzelfalls ab (vgl. Beschlüsse vom 23. September 1999 – BVerwG 9 B 372.99 – Buchholz 310 § 124a VwGO Nr. 12 und vom 2. Juli 2008 – BVerwG 10 B 3.08 – juris Rn. 3).
Rz. 7
Soweit der Beklagte darüber hinaus geklärt wissen will, ob die gesetzlichen Anforderungen an die Berufungsbegründung auch dann erfüllt sind, wenn der Berufungsführer “im Rahmen seiner Berufungsbegründung ‘im Wesentlichen’ (so der Kläger in seinem Schriftsatz vom 7. Dezember 2010) Bezug auf seine Ausführungen in der Berufungszulassungsbegründung” nimmt, betrifft dies die von den konkreten Umständen geprägte Anwendung von § 124a Abs. 3 Satz 1 und 4 VwGO. Mangels einer über den Einzelfall hinaus klärungsfähigen Rechtsfrage kommt insoweit die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht in Betracht.
Rz. 8
2. Auch die Divergenzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) ist nicht begründet. Der angegriffene Beschluss weicht nicht von den Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. März 2005 – BVerwG 6 C 8.04 – und vom 19. Oktober 2009 – BVerwG 2 B 51.09 – ab.
Rz. 9
a) Der Beklagte ist der Auffassung, der angefochtene Beschluss weiche insofern von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. März 2005 ab, als dort (lediglich) ausgesprochen sei, dass es eines Berufungsantrags nicht bedürfe, wenn sich das Ziel des Klägers für das Berufungsverfahren hinreichend deutlich aus der Berufungsbegründung ergebe. Der Verwaltungsgerichtshof habe dagegen den (darüber hinausgehenden) Rechtssatz aufgestellt, dass es eines Berufungsantrags (auch) dann nicht bedürfe, wenn in der Berufungsbegründung – “im Wesentlichen” – Bezug auf die Berufungszulassungsbegründung genommen werde und sich das Ziel des Klägers im Berufungsverfahren unter Zuhilfenahme des Vortrags im Zulassungsverfahren ermitteln lasse.
Rz. 10
Darin liegt indes keine Abweichung von dem Urteil vom 9. März 2005. Dort hat das Bundesverwaltungsgericht – wie dargelegt und vom Beklagten zutreffend zitiert – entschieden, dass dem Erfordernis eines Berufungsantrags regelmäßig entsprochen werde, wenn in dem einzureichenden Schriftsatz hinreichend deutlich zum Ausdruck komme, dass, in welchem Umfang und weshalb der Berufungsführer an der Durchführung des zugelassenen Berufungsverfahrens festhalten wolle; es genüge, wenn das Ziel des Rechtsmittels aus der Tatsache seiner Einlegung allein oder in Verbindung mit den während der Rechtsmittelfrist abgegebenen Erklärungen erkennbar sei (Urteil vom 9. März 2005 – BVerwG 6 C 8.04 – juris Rn. 16 m.w.N. ≪insoweit nicht abgedruckt in Buchholz 442.066 § 50 TKG Nr. 2≫). An diesem Rechtssatz orientiert sich ersichtlich der angegriffene Beschluss. Für den Verwaltungsgerichtshof steht es danach “außer Frage, dass der Kläger mit seinem Rechtsmittel neben der Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung auch die Aufhebung des angefochtenen ‘Widerrufs-’ und Rückforderungsbescheids erreichen wollte”; dies folge “bereits daraus, dass der Kläger in der in der Berufungsbegründung in Bezug genommenen Berufungszulassungsbegründung vom 11. Oktober 2010 ausgeführt hat, eine Sanktionierung komme nur noch bei Vorsatz in Betracht, der ihm nicht zur Last gelegt werden könne”.
Rz. 11
Eine Abweichung ergibt sich aber auch nicht daraus, dass der Verwaltungsgerichtshof zur Ermittlung des Rechtsschutzziels nicht nur den Schriftsatz zur Berufungsbegründung, sondern auch die darin in Bezug genommene Berufungszulassungsbegründung herangezogen hat. Denn über eine solche Fallkonstellation hatte das Bundesverwaltungsgericht in dem Urteil vom 9. März 2005 nicht zu entscheiden. Im dortigen Fall war die Berufung bereits durch das Verwaltungsgericht zugelassen worden; es stellte sich daher lediglich die (vom Bundesverwaltungsgericht bejahte) Frage, ob das Berufungsgericht die Berufung zu Recht als zulässig ansehen durfte, weil der Berufungsführer zwar keinen ausdrücklichen Berufungsantrag gestellt hatte, das verfolgte Rechtsschutzziel sich jedoch der Berufungsbegründung (aus sich heraus) mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen ließ. Da die Frage der Zulässigkeit einer Bezugnahme der Berufungsbegründung auf Vortrag in dem Antrag auf Zulassung der Berufung nicht Gegenstand des Urteils vom 9. März 2005 war, kommt insoweit schon deshalb eine Abweichung nicht in Betracht. Dass eine solche Bezugnahme den Anforderungen von § 124a Abs. 3 Satz 1 und 4 VwGO grundsätzlich genügen kann, ergibt sich aus den oben (unter 1.) angeführten weiteren Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts.
Rz. 12
b) Der angegriffene Beschluss weicht auch nicht von der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Oktober 2009 – BVerwG 2 B 51.09 – ab.
Rz. 13
Nach Auffassung des Beklagten ist der Verwaltungsgerichtshof von dieser Entscheidung dadurch abgewichen, dass er “für die Zulässigkeit der Berufung keinen Berufungsantrag bzw. die reine Bezugnahme – noch dazu ‘im Wesentlichen’ – auf einen Schriftsatz im Zulassungsverfahren, der wiederum keinen eigenen Antrag enthalten hatte, genügen lässt”.
Rz. 14
Für eine den gesetzlichen Anforderungen genügende Berufungsbegründung ist nach dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. Oktober 2009 – BVerwG 2 B 51.09 – (juris Rn. 4) “eine eindeutige, gegebenenfalls auslegungsfähige schriftliche Erklärung des Berufungsführers erforderlich, dass und mit welchen Anträgen er das Berufungsverfahren fortführt. (…). Soweit er im Zulassungsantrag bereits erschöpfend vorgetragen hat, genügt es, wenn er darauf in einem innerhalb der Frist des § 124a Abs. 6 Satz 1 VwGO eingehenden Schriftsatz Bezug nimmt”. Nicht erforderlich ist danach – worauf der Beklagte offenbar abzielt –, dass ein ausdrücklicher Antrag entweder in der Berufungsbegründung oder aber zumindest in dem in Bezug genommenen Schriftsatz zur Zulassung der Berufung enthalten sein muss. Es reicht vielmehr aus, wenn sich der Antrag im Sinne des § 124a Abs. 3 Satz 4 VwGO im Auslegungswege, entweder aus dem gesonderten Schriftsatz zur Berufungsbegründung oder aber aus dem dort in Bezug genommenen Zulassungsantrag, gegebenenfalls auch unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs des Verfahrens (vgl. Urteil vom 8. März 2004 – BVerwG 4 C 6.03 – Buchholz 310 § 124a VwGO Nr. 26), mit der gebotenen Bestimmtheit entnehmen lässt.
Rz. 15
In dieser Weise ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Ermittlung des Rechtsschutzziels des Klägers – Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung sowie Aufhebung des angefochtenen ‘Widerrufs-’ und Rückforderungsbescheids – verfahren.
Rz. 16
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 GKG i.V.m. § 52 Abs. 3 GKG.
Unterschriften
Kley, Dr. Langer, Dr. Wysk
Fundstellen