Entscheidungsstichwort (Thema)
Entziehung einer Fahrerlaubnis wegen Nichtvorlage medizinisch-psychologischen Gutachtens
Normenkette
FeV 2010 § 11 Abs. 8, § 13 S. 1 Buchst. a Alt. 2; FeV 2010 Anl 4 Nr. 8.3
Verfahrensgang
OVG des Landes Sachsen-Anhalt (Beschluss vom 24.02.2015; Aktenzeichen 3 L 166/13) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 24. Februar 2015 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 17 500 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Die Beschwerde des Klägers, der sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis wegen Nichtvorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens wendet (§ 11 Abs. 8 i.V.m. § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV), hat keinen Erfolg. Weder kommt der Rechtssache die von ihm geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung zu (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) noch liegt der behauptete Verfahrensfehler vor (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
Rz. 2
1. Im November 2010 teilte der Chefarzt der Klinik für psychische Erkrankungen des...-Klinikums N. dem Beklagten mit, der Kläger sei dort in den Jahren von 2006 bis 2010 mehrfach nach Stürzen in volltrunkenem Zustand (2006: BAK von 3 Promille; 2007: BAK von 3,9 Promille; 2010: BAK von 2,4 Promille) stationär aufgenommen worden. Der Kläger leide nach ihrer Beurteilung an Alkoholabhängigkeit mit Kontrollverlust; Anamnese und Befunde begründeten erhebliche Zweifel am sicheren Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr. Der Kläger habe trotz entsprechender Hinweise angekündigt, seine Tätigkeit als Kurierfahrer weiterhin ausüben zu wollen. Deshalb bitte er um Überprüfung der Fahreignung des Klägers.
Rz. 3
Darauf forderte der Beklagte, gestützt auf § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV), den Kläger nach Anhörung und persönlicher Vorsprache mit Schreiben vom 8. Februar 2011 auf, "ein Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle beizubringen". Davon setzte der Beklagte den Prozessbevollmächtigten des Klägers mit einem weiteren Schreiben vom 3. Februar 2011 in Kenntnis und erläuterte Anlass und Gegenstand dieses Gutachtens. Das Gutachten brachte der Kläger nicht bei. Daraufhin entzog ihm der Beklagte mit Bescheid vom 29. September 2011 nach erneuter Anhörung unter Anordnung des Sofortvollzugs die Fahrerlaubnis der Klassen A1, A, B, BE, C, C1, C1E, CE, M, L, S und T. Im Verfahren zur Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes wurde den Beteiligten vom Oberverwaltungsgericht ein Vergleichsvorschlag unterbreitet. Darin wurde dem Kläger die Möglichkeit eingeräumt, ungeachtet der Fahrerlaubnisentziehung im Bescheid vom 29. September 2011 bis zum 22. März 2012 ein medizinisch-psychologisches Gutachten zu der im Schreiben vom 8. Februar 2011 formulierten Frage beizubringen; der Beklagte werde den Bescheid unverzüglich aufheben, wenn sich aus dem Gutachten die uneingeschränkte Fahreignung des Klägers ergebe. Diesem Vergleich stimmten Kläger und Beklagter jeweils schriftlich zu. Mit Schreiben vom 29. Februar 2012 forderte der Beklagte den Kläger erneut zur Vorlage eines Fahreignungsgutachtens auf. Auch dieser Aufforderung kam der Kläger, der sich der Begutachtung unterzogen hatte, nicht nach. Der Widerspruch des Klägers wurde mit Widerspruchsbescheid vom 13. März 2013 zurückgewiesen.
Rz. 4
Das Verwaltungsgericht hat die Bescheide mit Urteil vom 2. April 2013 aufgehoben. Die Fahrerlaubnisentziehung könne nicht auf § 11 Abs. 8 FeV gestützt werden; die Gutachtensanforderung in den Schreiben vom 8. Februar 2011 genüge nicht den formellen Anforderungen des § 11 Abs. 6 FeV, da dort keine hinreichend konkrete Frage formuliert worden sei. Außerdem sei dem Kläger nicht mitgeteilt worden, dass er die der Begutachtungsstelle zu übersendenden Unterlagen einsehen könne. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht das erstinstanzliche Urteil gemäß § 130a Satz 1 VwGO ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss vom 24. Februar 2015 geändert und die Klage abgewiesen. Die Frage, ob die Gutachtensanforderung materiellrechtlichen Bedenken begegne, könne dahingestellt bleiben; denn der Kläger habe sich in einem rechtswirksam zustande gekommenen Prozessvergleich verpflichtet, sich einer medizinisch-psychologischen Untersuchung zum Vorliegen von Alkoholmissbrauch zu unterziehen und dieses Gutachten bis zum 22. März 2012 vorzulegen; er habe das aber nicht getan. Aber auch unabhängig von diesem Vergleich begegne die Gutachtensanforderung keinen materiellrechtlichen Bedenken; sie sei anlassbezogen und verhältnismäßig. Gegen die Rechtmäßigkeit der Aufforderung spreche nicht, dass der Beklagte die Zweifel an der Fahrtauglichkeit des Klägers auf die ihm übermittelten ärztlichen Hinweise gestützt habe; sie hätten keinem Verwertungsverbot unterlegen. Die Frage, ob die Aufforderung vom 8. Februar 2011 den formellen Anforderungen des § 11 Abs. 6 FeV genügt habe, stelle sich nicht; der Kläger habe sich in einem rechtswirksamen Prozessvergleich zur Untersuchung und Beibringung des in Rede stehenden medizinisch-psychologischen Gutachtens verpflichtet und zwar ungeachtet dessen, ob sich die vorangegangene Anordnung des Beklagten als formell rechtmäßig erweise. Aus demselben Grund könne außerdem auf sich beruhen, ob die Gutachtensanordnung trotz eines Mangels in der Aufforderung vom 8. Februar 2011 den Anforderungen des § 11 Abs. 6 FeV deswegen genüge, weil dem Kläger die vom Gutachter zu beantwortende Frage bei einer Vorsprache erläutert worden sei; ob das ausgereicht habe, müsse allerdings bezweifelt werden.
Rz. 5
2. Der Rechtssache kommt keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu. Dabei kann offenbleiben, ob in der Beschwerde die aus Sicht des Klägers zu klärende Frage in der nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erforderlichen Weise klar und eindeutig formuliert wurde. Entnimmt man seiner Darstellung der obergerichtlichen Rechtsprechung sinngemäß, dass geklärt werden solle, ob § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a Alt. 2 FeV in den Fällen Anwendung finde, in denen ein Alkoholmissbrauch in keinerlei Zusammenhang mit dem Führen eines Kraftfahrzeugs oder der Teilnahme am Straßenverkehr stehe oder eine Alkoholauffälligkeit außerhalb des Straßenverkehrs aufgetreten sei, kann das die Zulassung der Revision schon deshalb nicht rechtfertigen, weil sich diese Frage in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht in entscheidungserheblicher Weise stellen würde und sie somit nicht zu beantworten wäre. Das Berufungsgericht hat die Anwendbarkeit von § 11 Abs. 8 FeV und damit die Rechtmäßigkeit der Fahrerlaubnisentziehung selbständig tragend damit begründet, dass sich der Kläger in einem rechtswirksamen Prozessvergleich zur Beibringung des von ihm geforderten medizinisch-psychologischen Gutachtens verpflichtet habe, dieser Verpflichtung aber nicht nachgekommen sei. Ist eine gerichtliche Entscheidung nebeneinander auf mehrere jeweils selbständige tragende Begründungen gestützt, so kann eine Revision nur dann zugelassen werden, wenn im Hinblick auf jede dieser Begründungen ein Zulassungsgrund geltend gemacht wird und vorliegt (stRspr; vgl. u.a. BVerwG, Beschluss vom 4. April 1981 - 8 B 44.81 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 197). Ungeachtet weiterer Begründungselemente ist das jedenfalls hinsichtlich der genannten tragenden Begründung nicht der Fall. Abgesehen davon wäre in einem Revisionsverfahren zu berücksichtigen, dass die ärztliche Stellungnahme, auf die der Beklagte seine Zweifel an der Fahreignung des Klägers gestützt hat, sich nicht darauf beschränkt, solche Zweifel zu äußern, sondern den Kläger wegen einer "Alkoholabhängigkeit mit Kontrollverlust” als fahruntauglich beurteilt; eine Einschätzung, die angesichts der bindend festgestellten Vorgeschichte, der wiederholten Alkoholexzesse, ohne Weiteres nachvollziehbar ist und im Einklang mit Nr. 8.3 der Anlage 4 zur Fahrerlaubnisverordnung steht. Bei Alkoholabhängigkeit ist es für die Annahme fehlender Fahreignung aber von vornherein ohne Belang, ob die Vorfälle im Zusammenhang mit dem Straßenverkehr geschehen sind.
Rz. 6
3. Auch soweit die Beschwerde die Zulassung der Revision wegen eines Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) "anregt", kann das nicht zur Revisionszulassung führen. Der Kläger sieht einen Verfahrensmangel darin, dass das Berufungsgericht ohne mündliche Verhandlung im Beschlusswege entschieden habe, obgleich er "seinen Standpunkt den Senatsmitgliedern persönlich darlegen" wollte. Ein Verfahrensfehler ist insoweit nicht zu erkennen. Nach § 130a Satz 1 VwGO kann das Oberverwaltungsgericht über die Berufung durch Beschluss entscheiden, wenn es sie einstimmig für begründet oder einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Diese Voraussetzungen lagen hier vor und das Berufungsgericht hat die Grenzen des ihm zustehenden weiten Ermessens nicht überschritten. Die Sache wies keine außergewöhnlich großen Schwierigkeiten in rechtlicher und/oder tatsächlicher Hinsicht auf und der Verzicht auf mündliche Verhandlung beruht auch sonst nicht auf sachfremden Erwägungen oder grober Fehleinschätzung (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 30. Juni 2004 - 6 C 28.03 - BVerwGE 121, 211 ≪212 f.≫ und Beschluss vom 20. Oktober 2011 - 2 B 63.11 - IÖD 2012, 20 m.w.N.). Das Berufungsgericht hatte die Beteiligten gemäß § 130a Satz 2 i.V.m. § 125 Abs. 2 Satz 3 bis 5 VwGO vorab unter dem 24. September 2014 darauf hingewiesen, dass es eine Entscheidung gemäß § 130a Satz 1 VwGO beabsichtige und Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 20. Oktober 2014 gegeben. Innerhalb dieser Frist ist seitens des Klägers keine Stellungnahme erfolgt. Der beim Berufungsgericht am 7. Januar 2015 eingegangene Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten, in dem mitgeteilt wurde, dass der Kläger seinen Klageanspruch persönlich in der mündlichen Verhandlung vortragen wolle, stand einer Entscheidung nach § 130a VwGO nicht entgegen. Auch in der Beschwerdebegründung wird nichts dazu ausgeführt, was der Kläger in einer mündlichen Verhandlung im Einzelnen noch hätte vortragen wollen und inwieweit das von Bedeutung für die gerichtliche Entscheidung gewesen wäre.
Rz. 7
Die in der Beschwerde in diesem Zusammenhang erhobene Rüge, das Berufungsgericht habe mit der eidesstattlichen Versicherung des zuständigen Sachbearbeiters des Beklagten ein unzulässiges Beweismittel verwertet, geht daran vorbei, dass es sich bei dem entsprechenden Abschnitt des angegriffenen Beschlusses um ein (weiteres) obiter dictum des Berufungsgerichts handelt. Zudem hat der Verwaltungsgerichtshof dort - zugunsten des Klägers - gerade in Frage gestellt, dass der in dieser eidesstattlichen Versicherung mitgeteilte Inhalt des zwischen ihm und dem Sachbearbeiter geführten Gesprächs genügt hat, um die Anforderungen des § 11 Abs. 6 FeV zu erfüllen.
Rz. 8
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 und 2 GKG.
Fundstellen
Haufe-Index 8719514 |
DAR 2016, 216 |