Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 22.04.2005; Aktenzeichen 7 D 11/05.NE) |
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 22. April 2005 wird zurückgewiesen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 25 000 € festgesetzt.
Gründe
Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg.
1. Die Antragstellerin rügt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs und meint, das Normenkontrollgericht habe eine Überraschungsentscheidung getroffen. Eine gerichtliche Entscheidung stellt sich jedoch nur dann als unzulässiges Überraschungsurteil dar, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit welcher insbesondere der unterlegene Beteiligte nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte (stRspr). Ein Überraschungsurteil liegt unter anderem vor, wenn die das angefochtene Urteil tragende Erwägung weder im gerichtlichen Verfahren noch im früheren Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren erkennbar thematisiert worden war. Um dies auszuschließen, sind in der mündlichen Verhandlung die maßgebenden Rechtsfragen zu erörtern. Das erfordert allerdings nicht, dass das Gericht den Beteiligten bereits die möglichen Entscheidungsgrundlagen darlegt oder das in der Beratung zu findende Ergebnis vorwegnimmt. Auf der Grundlage dieser, im Wesentlichen auch von der Beschwerde so referierten Rechtsprechung liegt hier kein Verstoß gegen das rechtliche Gehör vor.
Die Antragstellerin hat in ihrer Antragsbegründung die Auffassung vertreten, die umstrittene textliche Festsetzung im Bebauungsplan (Nr. 2 Abs. 4 Satz 2) sei dynamisch auszulegen. Dies habe die Folge, dass auch durch einen späteren (einfachen) Beschluss des Gemeinderats die Liste der nicht zentrenrelevanten Sortimente erweitert werden könnte. Die Antragstellerin hat ferner gerügt, dies stelle ein vom BauGB nicht vorgesehenes Verfahren dar. Darauf hat die Antragsgegnerin (lediglich) erwidert, die angegriffene Formulierung sei “jedoch bewusst gewählt” worden. In der mündlichen Verhandlung vor dem Normenkontrollgericht hat der Senat nach dem eigenen Vortrag der Antragstellerin zu erkennen gegeben, dass er von der Nichtigkeit des Bebauungsplans ausgehen werde, falls es sich bei der umstrittenen Festsetzung um eine dynamische Verweisung handele. Ob dies der Fall sei, unterliege jedoch als Frage der Auslegung einer Rechtsnorm der Entscheidung des Normenkontrollgerichts.
Damit hat das Oberverwaltungsgericht deutlich zu erkennen gegeben, dass auch eine andere Auslegung als die “dynamische” in Betracht kam. Es hat darauf hingewiesen, dass eine Auslegung möglich ist, die nicht der von der Antragstellerin einerseits favorisierten, andererseits als unzulässig angesehenen entsprach. Zugleich hat es das Gericht ersichtlich nicht als zwingend angesehen, lediglich darauf abzustellen, dass die Antragsgegnerin die Formulierung “bewusst gewählt” habe. Somit hat das Gericht insgesamt deutlich gemacht, dass in die rechtliche Prüfung auch eine gänzlich andere Auslegung einzubeziehen ist. Wenn eine bestimmte Auslegung eines Bebauungsplans – wie jeder anderen vergleichbaren Rechtsnorm – mit höherrangigem Recht, also Bundesrecht oder Verfassungsrecht (des Landes oder des Bundes) nicht vereinbar ist, drängt es sich auf, die Möglichkeit einer bundesrechtskonformen bzw. verfassungskonformen Auslegung zu prüfen. Bestehen Bedenken gegen eine so genannte dynamische Verweisung, ist an eine statische Verweisung zu denken. Damit mag der Normgeber nicht in vollem Umfang dasjenige Ergebnis erreichen, das er “bewusst gewählt” hat. Dies liegt indes in der Natur einer bundesrechtskonformen bzw. verfassungskonformen Auslegung, die stets mit einer entsprechenden Einschränkung verbunden sein wird.
Vorliegend hat das Normenkontrollgericht die umstrittene textliche Festsetzung verfassungskonform dahin ausgelegt, dass das Wort Beschluss nur einen Satzungsbeschluss meinen könne, der auf der Grundlage eines Bebauungsplanänderungsverfahrens ergangen sei (Urteilsabdruck S. 17). Die Beschwerde rügt, damit entspreche die Formulierung der Sache nach einem Änderungsvorbehalt, der ohnehin selbstverständlich sei. Selbst wenn diese Gleichsetzung zutreffen sollte, würde eine derartige bundesrechtskonforme bzw. verfassungskonforme Auslegung nicht dem Rechtsstreit eine Wendung geben, mit der ein Beteiligter im Hinblick auf die Hinweise in der mündlichen Verhandlung nicht zu rechnen brauchte. Im Übrigen ist im Hinblick auf die entsprechenden Ausführungen in der Beschwerde darauf hinzuweisen, dass das vom Normenkontrollgericht genannte Bebauungsplanänderungsverfahren auch für mehrere Bebauungspläne zeitgleich durchgeführt werden kann.
2. Die Rechtssache hat auch nicht die rechtsgrundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst. Dies setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (stRspr). Eine derartige Frage wirft die Beschwerde jedoch nicht auf.
Sie möchte mit ihrer ersten Frage geklärt wissen, ob es unter den Aspekten des Eigentumsschutzes, der Abwägung und der Bestimmtheit als zulässig zu erachten sei, in Sondergebieten mit der Zweckbestimmung des § 11 Abs. 3 Satz 1 BauNVO die Verkaufsflächen und Sortimente von großflächigen Einzelhandelsbetrieben nicht grundstücksbezogen oder betriebsbezogen, sondern gebietsbezogen festzusetzen, wenn in dem betroffenen einheitlichen Gebiet mehrere Einzelhandelsbetriebe vorhanden oder geplant sind, auf die die Verkaufsflächen aufgeteilt werden müssen, ohne dass der Bebauungsplan eine bestimmte Art und Weise der Aufteilung vorgibt.
In dieser Allgemeinheit würde sich die Frage in einem Revisionsverfahren nicht stellen, denn vorliegend handelt es sich um drei in einem Sondergebiet bereits vorhandene Betriebe, auf die Verkaufsflächen nicht erst noch “aufgeteilt werden müssen”.
Die Beschwerde schränkt daher die Frage dahingehend ein, ob dies dann zulässig sei, wenn das Gebiet bereits vollständig baulich genutzt wird und nach dem Willen des Planungsgebers durch die gebietsbezogene Festsetzung erreicht werden soll, dass die Verkaufsflächen und Sortimente im Falle einer (teilweisen) Nutzungsaufgabe von den verbleibenden Betrieben übernommen werden können. Auch in dieser Form rechtfertigt die Fragestellung indes nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung.
Als Prüfungsmaßstab für den von ihr umschriebenen Sachverhalt benennt die Beschwerde zunächst den Schutz des Eigentums und das Gebot einer gerechten Abwägung. Das Oberverwaltungsgericht führt hierzu u.a. aus, die Antragsgegnerin habe die Folgewirkungen der Beschränkung der Randsortimente für die Antragstellerin nicht verkannt. In der gegenwärtigen Situation könne diese ihr eigenes Randsortiment nicht (bis auf 700 m(2)) ausweiten. Vielmehr seien die Verkaufsflächen und die Randsortimente auf den ermittelten Bestand festgeschrieben. Darin sieht das Oberverwaltungsgericht vorliegend keinen Abwägungsfehler. Es bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren, dass eine Gemeinde im Grundsatz abwägungsfehlerfrei die vorhandene Nutzung “festschreiben” darf, weil sie die mit Erweiterungen (welcher Art auch immer) verbundenen Auswirkungen (beispielsweise nach § 11 Abs. 3 Satz 2 ff. BauNVO) verhindern will. Ob eine derartige Festsetzung im Einzelnen abwägungsfehlerfrei ist und ob dabei der Schutz des Eigentums seiner Bedeutung entsprechend angemessen einbezogen worden ist, lässt sich nicht in grundsätzlicher Weise klären. Zu Recht verweist das Oberverwaltungsgericht ferner darauf, dass die Genehmigungsfähigkeit eines Einzelvorhabens im Bauplanungsrecht auch davon abhängig sein kann, welche Gebäude und Nutzungen bereits vorhanden sind. Er nimmt dabei unter anderem auf das Urteil des Senats vom 24. Februar 2000 – BVerwG 4 C 12.98 – (BVerwGE 110, 355) Bezug, das die Wechselbeziehungen bei einem Doppelhaus betrifft. Ergänzend wäre u.a. auf Belange des Immissionsschutzes zu verweisen, die die Errichtung einer bestimmten (emittierenden oder schutzbedürftigen) baulichen Anlage hindern können, so lange eine andere Anlage noch genutzt wird. Eine Gemeinde ist nicht gehindert und wird im Hinblick auf eine vorhandene Lage häufig sogar gehalten sein, die gegenwärtigen Gegebenheiten im Rahmen ihrer Abwägung zu beachten. Sie ist auch nicht grundsätzlich gehindert, Festsetzungen zu treffen, die sich aus tatsächlichen Gründen erst unter bestimmten Voraussetzungen verwirklichen lassen. Ob dies im Einzelfall abwägungsfehlerfrei erfolgt ist, lässt sich nicht in einem Revisionsverfahren klären.
Auch der Hinweis in der Beschwerde auf den Maßstab der Bestimmtheit führt nicht auf eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass die Entscheidung über konkrete Einzelheiten dem Baugenehmigungsverfahren überlassen werden darf. Im Bebauungsplan muss nicht jede Frage regelnd vorweggenommen werden, die sich nach einer Nutzungsänderung stellt. Es ist gegebenenfalls Sache des Nutzungsänderungswilligen, die Voraussetzungen für eine Genehmigung darzulegen; insoweit handelt es sich ohnehin nicht um Fragen des bundesrechtlich geregelten Bauplanungsrechts.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO ab, da sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Dr. Paetow, Gatz, Dr. Jannasch
Fundstellen
Haufe-Index 1462353 |
BauR 2006, 491 |