Entscheidungsstichwort (Thema)
Erschließungswirkung. übergroßes Grundstück. Frontlänge. Ausrichtung der festgesetzten Baugrenzen auf Zweiterschließungsanlage
Leitsatz (amtlich)
Weder der Umstand, daß die Festsetzung der Baugrenzen und des sich daraus ergebenden Baufensters im Bebauungsplan auf eine zwar festgesetzte, aber tatsächlich nicht vorhandene Zweiterschließung zugeschnitten sind, noch die Tatsache, daß die Frontlänge des Grundstücks an der abzurechnenden Erschließungsanlage im Vergleich zur Grundstücksgröße gering ist, rechtfertigt eine Ausnahme von dem Grundsatz, daß in beplanten Gebieten die Erschließungswirkung einer Anbaustraße die gesamte Fläche des Grundstücks erfaßt.
Normenkette
BBauG § 131 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 16.10.1997; Aktenzeichen 2 S 3133/95) |
VG Stuttgart (Entscheidung vom 18.09.1995; Aktenzeichen 7 K 1542/93) |
Tenor
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 16. Oktober 1997 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 77 579,40 DM festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde der Kläger hat keinen Erfolg, weil die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision wegen Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) oder wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht vorliegen.
1. Eine Abweichung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist nur dann hinreichend bezeichnet (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (vgl. Beschlüsse vom 21. Juli 1988 – BVerwG 1 B 44.88 – Buchholz 130 § 8 RuStAG Nr. 32 S. 4 ≪5≫ und vom 7. Dezember 1990 – BVerwG 7 B 160.90 – Buchholz 408.2 Friedhofsbenutzung Nr. 14 S. 4 ≪6≫). Die Beschwerde muß also die angeblich widersprüchlichen abstrakten Rechtssätze einander gegenüberstellen. Schon diese Voraussetzung erfüllt die vorliegende Beschwerdebegründung nicht.
a) Soweit die Beschwerde geltend macht, das Berufungsgericht habe auf S. 8 der angefochtenen Entscheidung in Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ausgeführt, hinsichtlich der Frage, ob ein übergroßes Buchgrundstück im beplanten Gebiet von einer Erschließungsanlage nur in begrenztem Umfang erschlossen werde, komme es auf “ausschließlich planerische Bestimmungen” an, wird nicht dargelegt, zu welchem vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Rechtssatz dies im Widerspruch stehen soll. Die Anführung von insgesamt sechs Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (Urteile vom 27. Juni 1985 – BVerwG 8 C 30.84 – BVerwGE 71, 363, vom 3. Februar 1989 – BVerwG 8 C 78.88 – Buchholz 406.11 § 131 BBauG Nr. 79 S. 27, vom 4. Oktober 1990 – BVerwG 8 C 1.89 – Buchholz a.a.O. Nr. 83 S. 51, vom 15. Februar 1991 – BVerwG 8 C 56.89 – BVerwGE 88, 53, vom 25. Februar 1994 – BVerwG 8 C 14.92 – BVerwGE 95, 176 und vom 1. März 1996 – BVerwG 8 C 26.94 – Buchholz a.a.O. Nr. 101 S. 66) und der daraus angeblich herzuleitenden ständigen Rechtsprechung genügt den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht. Soweit darüber hinaus auf S. 7 der Beschwerdebegründung ein Satz aus dem Urteil vom 1. März 1996 wörtlich zitiert wird, verkennt die Beschwerde, daß sich diese Passage – das gilt auch für die Urteile vom 15. Februar 1991 und vom 25. Februar 1994 (jeweils a.a.O.) – nicht auf die Frage der Erschließungswirkung im Sinne des § 131 Abs. 1 Satz 1 BauGB, sondern vielmehr darauf bezieht, welche Flächen als Teil der Erschließungsanlage im Sinne des § 127 BauGB anzusehen sind. Schon deswegen ist das Vorliegen einer Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO von vornherein ausgeschlossen.
Auch wenn man im übrigen die mangelnde Darlegung der Divergenz außer Betracht läßt, kann dies nicht zur Zulassung der Revision führen, weil der Verwaltungsgerichtshof mit dem angeführten Rechtssatz auch nicht von einer der drei weiteren von der Beschwerde benannten Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts abweicht.
Im Urteil vom 27. Juni 1985 (a.a.O.) hat das Bundesverwaltungsgericht – ebenso wie das Berufungsgericht – auf den Grundsatz verwiesen, daß in beplanten Gebieten die gesamte vom Bebauungsplan erfaßte Fläche des Grundstücks für erschlossen im Sinne des § 131 Abs. 1 BBauG zu halten ist (S. 365). Soweit es demgegenüber Fallgestaltungen angeführt hat, bei denen angenommen werden müsse, daß ein Grundstück nur hinsichtlich einer Teilfläche erschlossen sei, ist dies in den angeführten Beispielen hinsichtlich beplanter Gebiete jeweils aus den Festsetzungen des Bebauungsplans hergeleitet worden (S. 366 f.).
Im Urteil vom 3. Februar 1989 (a.a.O.) ist ebenfalls auf den genannten Grundsatz, wonach in beplanten Gebieten die Erschließungswirkung einer Anbaustraße die gesamte Fläche des Grundstücks auch bei mehrfacher Erschließung erfaßt (a.a.O. S. 32, vgl. auch S. 35), hingewiesen worden. Hinsichtlich der beispielhaft angeführten Ausnahmefälle ist wiederum auf Festsetzungen in Bebauungsplänen abgestellt und hinsichtlich der Berücksichtigung tatsächlicher Umstände lediglich ausgeführt worden, die aus solchen Festsetzungen folgende Vermutung für eine Ausnahme von der Gesamterschließung des Grundstücks könnten durch tatsächliche Umstände mit der Folge widerlegt werden, daß es trotz der sich aus den planerischen Festsetzungen ergebenden “Teilung” des Grundstücks bei der Einbeziehung der vollständigen Grundstücksfläche in die Berechnung der Erschließungsbeiträge verbleibt (S. 32 f.).
Schließlich hat das Bundesverwaltungsgericht in dem Urteil vom 4. Oktober 1990 (a.a.O.) unter erneuter Betonung des dargelegten allgemeinen Grundsatzes ausgeführt, kennzeichnend für Ausnahmen von diesem Grundsatz sei in beplanten Gebieten, daß “ausschließlich planerische Bestimmungen …, nicht aber auch aufgrund tatsächlicher Verhältnisse mehr oder weniger naheliegende Schlußfolgerungen die Zuordnung einer bestimmten Teilfläche eines Grundstücks zu einer bestimmten Anbaustraße und in der weiteren Folge die Annahme einer entsprechenden Begrenzung der Erschließungswirkung einer Anlage zu begründen vermögen”.
Inwiefern der von der Beschwerde angeführte Rechtssatz des Berufungsgerichts mit dieser Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht vereinbar sein soll, ist nicht ersichtlich.
b) Das Berufungsgericht ist auch nicht im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. November 1985 – BVerwG 8 C 41.84 – (Buchholz 406.11 § 130 BBauG Nr. 35 S. 40) abgewichen. Mit diesem Urteil hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden, daß es der Einbeziehung eines Aufwandspostens für Straßenland in den beitragsfähigen Erschließungsaufwand nicht entgegenstehe, daß unaufklärbar sei, ob ein Fall des § 128 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BBauG oder des Satzes 2 dieser Vorschrift vorliege. Vielmehr sei bei einer solchen Konstellation der die Beitragspflichtigen weniger belastende der beiden in Betracht kommenden Aufwandsposten bei der Ermittlung der beitragsfähigen Kosten zu berücksichtigen. Daß das Berufungsgericht im Zusammenhang mit der Höhe des Aufwandes für den Grunderwerb einen von dieser Rechtsprechung abweichenden abstrakten Rechtssatz aufgestellt hätte, legt die Beschwerde nicht dar und ist auch sonst nicht ersichtlich. Die bloße Angabe, das Berufungsgericht hätte bei Beachtung der – allein dargestellten – Rechtsauffassung des Bundesverwaltungsgerichts zu einem anderen Ergebnis kommen müssen, rechtfertigt die Zulassung der Revision wegen Divergenz nicht. Eine solche Folgerung belegt nämlich allenfalls, daß das Berufungsgericht den vom Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Rechtssatz im konkreten Fall unrichtig angewandt hat; eine Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wird damit jedoch nicht bezeichnet (vgl. Beschluß vom 31. März 1988 – BVerwG 7 B 46.88 – Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 260 S. 7 f.).
2. Entgegen der Ansicht der Beschwerde kommt der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu. Grundsätzlich bedeutsam im Sinne dieser Vorschrift ist eine Rechtssache nur dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrundeliegenden Einzelfall hinausgehenden klärungsbedürftigen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (vgl. § 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muß dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), d.h. näher ausgeführt werden (vgl. u.a. Beschluß vom 2. Oktober 1961 – BVerwG VIII B 78.61 – BVerwGE 13, 90 ≪91≫), daß und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des Bundesrechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung im beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist.
a) Die von der Beschwerde im Zusammenhang mit der Erschließungswirkung einer Anbaustraße für die beplante Fläche eines angrenzenden übergroßen Grundstücks aufgeworfenen Fragen lassen sich nach der bereits oben unter 1 a) dargelegten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beantworten, ohne daß es dazu eines weiteren Revisionsverfahrens bedarf. Auszugehen ist von dem bereits wiederholt angeführten Grundsatz, daß bei einem beplanten Grundstück, das an eine Anbaustraße angrenzt und durch diese erschlossen wird, grundsätzlich die gesamte vom Bebauungsplan erfaßte Fläche als von der Anlage erschlossen anzusehen ist. Ausnahmen von diesem Grundsatz sind nur dann zu machen, wenn sich die von einer Anbaustraße ausgehende Erschließungswirkung aufgrund planerischer Festsetzungen eindeutig auf eine Teilfläche des Grundstücks beschränkt. Soweit die Festsetzungen im Bebauungsplan für beide “Teilgrundstücke” Baugebiet vorsehen, setzt eine solche Ausnahme weiter voraus, daß das Grundstück mehrfach erschlossen ist und der Bebauungsplan die unterschiedlichen Teile den verschiedenen Erschließungsanlagen zuordnet. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts sowie nach dem Inhalt des vom Berufungsgericht in Bezug genommenen Bebauungsplans liegen die genannten Voraussetzungen für eine Ausnahme eindeutig nicht vor. Weder enthält der Bebauungsplan Festsetzungen, aus denen sich hinsichtlich der hier allein im Streit befindlichen Grundstücksfläche, für die der Bebauungsplan Baugebiet vorsieht, eine Teilung des Grundstücks ergibt, noch war das Grundstück in dem maßgeblichen Zeitpunkt des § 133 Abs. 2 Satz 1 BauGB mehrfach erschlossen; denn nach den Feststellungen des Berufungsgerichts war die im Bebauungsplan festgesetzte Stichstraße jedenfalls im Zeitpunkt des Entstehens der Beitragspflicht tatsächlich nicht vorhanden. Über die genannten Voraussetzungen hinaus rechtfertigen die von der Beschwerde angeführten Umstände, daß die Festsetzung der Baugrenzen und des sich daraus ergebenden Baufensters im Bebauungsplan auf die zwar festgesetzte, aber tatsächlich nicht vorhandene Zweiterschließung zugeschnitten sind und daß die Frontlänge des Grundstücks an der abzurechnenden Erschließungsanlage mit etwa 3 m im Vergleich zur Grundstücksgröße (ca. 3 600 qm) gering ist, keine weitergehende Ausnahme von dem genannten Grundsatz der das gesamte Buchgrundstück erfassenden Erschließungswirkung.
b) Soweit die Beschwerde darüber hinaus im Zusammenhang mit einer – nach der Entscheidung des Berufungsgerichts für das klägerische Grundstück nicht zu gewährenden – Eckgrundstücksvergünstigung weitere für grundsätzlich bedeutsam gehaltene Fragen aufwirft, übersieht sie, daß die Auslegung des § 6 Abs. 4 der hier einschlägigen Erschließungsbeitragssatzung der Beklagten vom 9. Februar 1991 irrevisibles Landesrecht betrifft und deswegen einer Überprüfung in einem Revisionsverfahren entzogen ist (§ 137 Abs. 1 VwGO). Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts sieht die angeführte Satzungsregelung als Voraussetzung für eine (rechnerische) Verminderung der Grundstücksfläche wegen einer Mehrfacherschließung des Grundstücks vor, daß ein Grundstück durch mehrere der in der Satzung genannten Erschließungsanlagen erschlossen wird. Die vom Verwaltungsgerichtshof vorgenommene Auslegung der Vorschrift, wonach eine Ermäßigung bei der Abrechnung der ersten ein Grundstück erschließenden Anbaustraße ausscheide, wenn die zweite das Grundstück betreffende Anbaustraße zwar in einem Bebauungsplan ausgewiesen, tatsächlich aber noch nicht als öffentliche Anbaustraße angelegt ist, ist bundesrechtlich nicht zu beanstanden, ohne daß dabei Rechtsfragen aufgeworfen würden, zu deren Klärung die Durchführung eines Revisionsverfahrens erforderlich wäre. Denn es entspricht der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, daß das Bundesrecht es dem Ortsgesetzgeber freistellt, für Grundstücke, die durch mehrere beitragsfähige Erschließungsanlagen der gleichen Art erschlossen werden, in der Satzung zu bestimmen, daß ihnen eine Vergünstigung zu gewähren ist. Aber auch die Erhebung des vollen Erschließungsbeitrags für beide Erschließungsanlagen ist mit Bundesrecht vereinbar (Urteil vom 8. Oktober 1976 – BVerwG IV C 56.74 – BVerwGE 51, 158 ≪159 f.≫ m.w.N.; vgl. auch Urteil vom 9. Dezember 1994 – BVerwG 8 C 28.92 – Buchholz 406.11 § 127 BauGB Nr. 76 S. 7 ≪15≫). Hätte der Ortsgesetzgeber demnach zulässigerweise auf eine Eckgrundstücksvergünstigung vollständig verzichten können, so ist es bundesrechtlich auch nicht zu beanstanden, wenn er die Gewährung einer solchen Ermäßigung davon abhängig macht, daß die eine Zweiterschließung vermittelnde Anbaustraße im Zeitpunkt des Entstehens der sachlichen Beitragspflicht für die Ersterschließung bereits tatsächlich vorhanden ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf den §§ 13, 14 GKG.
Unterschriften
Dr. Müller, Sailer, Golze
Fundstellen
NVwZ-RR 1998, 579 |
ZKF 1998, 231 |
ZMR 1998, 467 |
SGb 1998, 656 |
DVBl. 1998, 713 |
GV/RP 1999, 511 |
UPR 1998, 468 |
FuHe 1999, 460 |