Tenor
Der Antrag des Klägers wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zwischenverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Zwischenverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
Gründe
Der Antrag des Klägers ist – derzeit – unzulässig. Der begehrten Feststellung steht entgegen, dass es nach dem derzeitigen Verfahrensstand an einer förmlich verlautbarten Entscheidung des Gerichts der Hauptsache zur Entscheidungserheblichkeit der nicht zugänglich gemachten Aktenteile und an einer darauf gründenden Ermessensentscheidung der obersten Aufsichtsbehörde fehlt.
Der Antrag eines Verfahrensbeteiligten auf Entscheidung des im vorliegenden Fall nach § 99 Abs. 2 Satz 2 VwGO zuständigen Fachsenats des Bundesverwaltungsgerichts im selbständigen Zwischenverfahren, ob die Verweigerung der (vollständigen) Verwaltungsvorgänge rechtmäßig ist, setzt voraus, dass das Gericht der Hauptsache deren Entscheidungserheblichkeit bejaht hat. Ob bestimmte Urkunden oder Akten der Vorlagepflicht des § 99 Abs. 1 VwGO unterliegen, entscheidet das Gericht der Hauptsache. Dies geschieht in der Weise, in der das Gericht der Hauptsache auch sonst seiner Pflicht zur Erforschung des entscheidungserheblichen Sachverhalts vom Amts wegen (§ 86 Abs. 1 VwGO) nachkommt (vgl. Beschluss vom 9. November 1962 – BVerwG 7 B 91.62 – BVerwGE 15, 132 ≪133≫). Beruft sich die Behörde auf die Geheimhaltungsbedürftigkeit der Akten, muss das Gericht der Hauptsache zunächst darüber entscheiden, ob es die zurückgehaltenen Unterlagen benötigt, um den entscheidungserheblichen Sachverhalt umfassend aufzuklären. Denn für den Zwischenstreit über die Rechtmäßigkeit der Verweigerung muss klargestellt sein, was er zum Gegenstand haben soll. Dazu bedarf es gemäß § 98 VwGO i.V.m. § 358 ZPO grundsätzlich eines Beweisbeschlusses des Gerichts der Hauptsache, weil die Beweisaufnahme ein besonderes Verfahren erfordert (Beschlüsse vom 24. November 2003 – BVerwG 20 F 13.03 – BVerwGE 119, 229 ≪230 f.≫, vom 22. Januar 2004 – BVerwG 20 F 6.03 – juris Rn. 4, vom 27. Februar 2004 – BVerwG 20 F 18.03 – und vom 12. Januar 2006 – BVerwG 20 F 12.04 – BVerwGE 125, 40 ≪42≫). Durch die Angabe des Beweisthemas verlautbart das Gericht förmlich, dass es diese Tatsachen als erheblich ansieht. Ein formelhafter Beschluss, in dem schlicht darauf hingewiesen wird, dass die Vorlage der (ungeschwärzten und vollständigen) Verwaltungsvorgänge als entscheidungserheblich angesehen wird, genügt ebenso wenig wie eine allgemein gehaltene Abgabeverfügung (Beschluss vom 17. März 2008 – BVerwG 20 F 42.07 – juris Rn. 5). Es bedarf vielmehr einer förmlichen Verlautbarung der Entscheidungserheblichkeit. Je nach Fallkonstellation wird das Hauptsachegericht sich auch nicht auf die Angabe des Beweisthemas beschränken können, sondern Anlass haben, in den Gründen des Beschlusses zur Entscheidungserheblichkeit im konkreten Fall – sei es mit Blick auf die Zulässigkeit des Rechtsschutzbegehrens, sei es unter Darlegung der materiell-rechtlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs – Stellung zu nehmen.
Die Entscheidungserheblichkeit der zurückgehaltenen Akten(teile) ist hier nicht förmlich verlautbart worden. Die Verwaltungsvorgänge (zwei Akten in Kopie mit teilweisen Schwärzungen und Entnahmen) sind dem Hauptsachegericht auf seine formularmäßige Bitte um Vorlage im Rahmen der Klagezustellung vom 11. April 2007 vom Bundesministerium des Innern als Vertreter der beklagten Bundesrepublik Deutschland mit Schreiben vom 27. Juli 2007, in dem unter Berufung auf § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO die Gründe für die Geheimhaltungsbedürftigkeit der geschwärzten bzw. entnommenen Aktenbestandteile erläutert werden, übersandt worden. Vor Abgabe der Sache – nach Antrag des Klägers – hat das Hauptsachegericht keine Entscheidung über die Entscheidungserheblichkeit der teilweisen Schwärzungen und Entnahmen getroffen, sondern lediglich unter Bezugnahme auf die gerichtliche Vorlageverfügung vom 11. April 2007 um “Ministererklärung” nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO gebeten, woraufhin die Beklagte auf das bereits übermittelte Schreiben vom 27. Juli 2007 verwies.
Aus den vorgelegten Akten ergibt sich, dass die den Kläger betreffende Anordnung der unbeschränkten Post- und Telefonüberwachung im Jahre 1998, über die er mit Schreiben des Bundesamtes für Verfassungsschutz vom 7. Dezember 2006 informiert worden ist und deren Rechtswidrigkeit er durch das Hauptsachegericht mit der Fortsetzungsfeststellungsklage festgestellt sehen will, auf Art. 1 § 2 Abs. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses (G 10 – in der im Jahre 1998 maßgeblichen Fassung) gestützt worden ist. Insofern hätte das Hauptsachegericht vor Abgabe zunächst prüfen müssen, ob die ungeschwärzten Aktenbestandteile hinreichen, um festzustellen, ob die Tatbestandsvoraussetzungen für die strittige Anordnung vorlagen. In diesem Zusammenhang muss sich das Hauptsachegericht auch mit den Einwänden des Klägers, insbesondere mit deren Substanziiertheit auseinandersetzen, um beurteilen zu können, ob über das Klagebegehren auf der Grundlage der vorgelegten Verwaltungsvorgänge entschieden werden kann. Der Umstand, dass die Beklagte im Rahmen der Antragserwiderung darauf hingewiesen hat, dass bestimmten Aktenbestandteilen nicht von vornherein jegliche Relevanz für die Frage der Rechtmäßigkeit abzusprechen bzw. grundsätzliche Relevanz beizumessen sei (Schriftsatz vom 5. September 2008, S. 16), vermag die Entscheidung des Hauptsachegerichts nicht zu ersetzen. Es ist allein Aufgabe des Hauptsachegerichts, über die Entscheidungserheblichkeit zu befinden.
Eine förmliche Verlautbarung über die Entscheidungserheblichkeit ist auch nicht ausnahmsweise deswegen entbehrlich, weil die Beklagte bereits eine Sperrerklärung abgegeben, in der sie – wie sie im Schreiben vom 27. Juli 2007 auf Seite 2 ausführt – eine Abwägung unter Berücksichtigung aller Aspekte des Einzelfalls vorgenommen hat. Eine solche vorgreifliche Ermessensentscheidung genügt nicht den Anforderungen des § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO. Das Erfordernis der förmlichen Verlautbarung der Entscheidungserheblichkeit vor Abgabe an den Fachsenat gewährleistet, dass die oberste Aufsichtsbehörde auf dieser Grundlage in die gesetzlich geforderte Ermessensabwägung eintreten kann. Die oberste Aufsichtsbehörde ist wegen Art. 19 Abs. 4 GG in besonderem Maße gefordert, die sich im Verfahren der Hauptsache gegenüberstehenden Rechtspositionen der Beteiligten in die Ermessensabwägung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO einzustellen. Durch die Ermessenseinräumung nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO wird ihr die Möglichkeit eröffnet, dem öffentlichen Interesse und dem individuellen Interesse der Prozessparteien an der Wahrheitsfindung in dem vom Untersuchungsgrundsatz beherrschten Verwaltungsprozess den Vorrang vor dem Interesse an der Geheimhaltung der Schriftstücke zu geben (stRspr des Senats; zuletzt Beschluss vom 21. Februar 2008 – BVerwG 20 F 2.07 – BVerwGE 130, 236 Rn. 18 ff.). Dazu ist es – abgesehen von eindeutigen Fallkonstellationen – unerlässlich, dass die Entscheidungserheblichkeit der (vollständigen) Aktenvorlage durch Beschluss des Hauptsachegerichts förmlich feststeht. Nur auf der Grundlage einer solchen Feststellung kann die oberste Aufsichtsbehörde die ihr in § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO auferlegte besondere Ermessensabwägung auf rechtlich gesicherter Grundlage durchführen (Beschluss vom 17. März 2008 – BVerwG 20 F 42.07 – juris Rn. 7). Der Fachsenat hat nur zu überprüfen, ob diese Entscheidung, die erst mit Blick auf die Entscheidungserheblichkeit getroffen werden kann, den an die Ermessensausübung gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO gestellten Anforderungen genügt (Beschluss vom 21. Februar 2008 a.a.O. Rn. 11). An einer solchen Ermessensentscheidung fehlt es hier.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Festsetzung des Werts des Streitgegenstands beruht auf § 52 Abs. 2 GKG. Von der Erhebung von Gerichtskosten für dieses Verfahren wird gemäß § 21 Abs. 1 Satz 3 GKG abgesehen.
Unterschriften
Dr. Bardenhewer, Prof. Dr. Kugele, Dr. Bumke
Fundstellen