Entscheidungsstichwort (Thema)
Äquivalenzprinzip. kommunaler Abwasserverband. Rechtsnachfolge. Trägerwechsel. Altanschließer. Neuanschließer. Beitrag. Heranziehungsverfahren. Beitragsdifferenzierung. Antragsbefugnis. Rechtsschutzbedürfnis. Gleichheitssatz
Leitsatz (amtlich)
- Die Anforderungen des Gleichheitssatzes und des Äquivalenzprinzips an die Erhebung kommunaler Beiträge sind auch dann zu beachten, wenn eine gemeindliche Entwässerungseinrichtung auf einen kommunalen Abwasserverband übergeht, ohne dass der neue Einrichtungsträger Gesamt- oder Sonderrechtsnachfolger der Gemeinde wird.
- Den Anforderungen der genannten Grundsätze braucht der Satzungsgeber nach dem Trägerwechsel aber nicht zwingend durch unterschiedliche Beitragssätze für Alt- und Neuanschließer Rechnung zu tragen. Der gebotene Belastungsausgleich kann vielmehr auch im Rahmen des Heranziehungsverfahrens bewirkt werden, wenn von Differenzierungen der Beitragsregelungen aus Gründen kaum zu bewältigender Regelungskomplexität Abstand genommen wird.
Normenkette
GG Art. 3 Abs. 1
Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Urteil vom 29.06.2006; Aktenzeichen 23 N 05.3090) |
Tenor
Die Beschwerde des Antragstellers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 29. Juni 2006 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 20 000 € festgesetzt.
Gründe
Die auf alle Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Die erhobene Verfahrensrüge greift nicht durch.
Die Beschwerde macht geltend, der Verwaltungsgerichtshof habe zu Unrecht hinsichtlich des Gebührenteils der angegriffenen Satzung die Antragsbefugnis verneint und demgemäß die Überprüfung der Wirksamkeit der Satzung insoweit abgelehnt. Diese Vorgehensweise des Verwaltungsgerichtshofs ist jedoch im Ergebnis nicht zu beanstanden.
Maßgebend für die von der Vorinstanz insoweit angenommene (Teil-)Unzulässigkeit der Klage war der Gesichtspunkt, dass die angefochtene Satzung Gebührenregelungen nur für einen Zeitraum treffe, für den ein rechtskräftiger (2001) bzw. ein bestandskräftiger (2002) Gebührenfestsetzungsbescheid ergangen sei; eine sonstige Beschwer habe der Antragsteller nicht dargelegt. Anders als unter der Geltung der früheren Fassung des § 47 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 VwGO, wonach ein “Nachteil” für den Antragsteller ausreichend war, rechtfertigen es diese Umstände zwar nicht, die Antragsbefugnis zu verneinen. Denn die nicht mehr anfechtbaren Gebührenfestsetzungsbescheide lassen eine mögliche Rechtsverletzung auf Grund der Gebührenregelung in der angefochtenen Satzung nicht entfallen.
Dennoch hat der Verwaltungsgerichtshof den Antrag hinsichtlich des Gebührenteils der Satzung zu Recht und mithin ohne Verfahrensmangel (vgl. hierzu etwa Beschluss vom 31. August 1999 – BVerwG 3 B 57.99 – NVwZ-RR 2000, 259) als unzulässig abgelehnt. Denn dem Antragsteller fehlt insoweit das Rechtsschutzbedürfnis, weil eine Unwirksamkeitserklärung der gebührenrechtlichen Vorschriften durch das Normenkontrollgericht für den Antragsteller keinen rechtlichen oder tatsächlichen Vorteil bringt (vgl. zu diesem Kriterium VGH Mannheim, Beschluss vom 29. Oktober 2003 – 2 S 1019/02 – NVwZ-RR 2004, 286 ≪287≫ m.w.N.). Allein die abstrakte Möglichkeit einer Rücknahme der unanfechtbar gewordenen Bescheide oder einer Wiederaufnahme der entsprechenden Verwaltungsverfahren reicht insoweit nicht aus. Der Antragsteller muss wegen der von ihm selbst herbeigeführten Unanfechtbarkeit der Bescheide vielmehr substantiiert darlegen, dass und warum er von dieser Möglichkeit Gebrauch macht und dass Umstände vorliegen, die eine solche Vorgehensweise zumindest nicht aussichtslos erscheinen lassen. Solche Umstände hat der Verwaltungsgerichtshof nicht festgestellt. Sie sind auch dem Vorbringen der Beschwerde nicht zu entnehmen, wenn sie geltend macht, die Gebühren- und Beitragsregelungen könnten nicht voneinander getrennt werden, weil ihnen ein einheitliches Rechenwerk zugrunde liege, dem im Übrigen auch zukünftig Bedeutung zukomme. Denn der Verwaltungsgerichtshof geht in ständiger Rechtsprechung und in Auslegung irrevisiblen Landesrechts, die einen Verstoß gegen § 139 BGB (vgl. etwa Urteil vom 17. Februar 2005 – BVerwG 7 CN 6.04 – Buchholz 451.221 § 12 KrW-/AbfG Nr. 3 S. 15 m.w.N.) nicht erkennen lässt, von der Teilbarkeit gebühren- und beitragsrechtlicher Satzungsregelungen aus. Durch die angenommene Teilunzulässigkeit ist der Antragsteller im Übrigen nicht gehindert, Einwendungen gegen die Richtigkeit der Kalkulation geltend zu machen. Dass die vom Antragsteller angestrebte Klärung bestimmter Rechtsfragen ihm in zukünftigen Rechtsstreitigkeiten nützlich sein könnte, vermag das Rechtsschutzbedürfnis im vorliegenden Verfahren nicht zu begründen, weil dem Normenkontrollverfahren eine solche abstrakte Funktion fremd ist (Urteil vom 28. Juni 2000 – BVerwG 11 C 13.99 – BVerwGE 111, 276 ≪278≫).
2. Grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) kommt der Rechtssache nicht zu.
Die Beschwerde wirft sinngemäß die Frage auf,
ob bei einem Wechsel des Trägers einer öffentlichen Einrichtung Anforderungen des Gleichheitssatzes an die Bemessung von Beiträgen im Hinblick darauf außer Acht gelassen werden dürfen, dass der neue Einrichtungsträger nicht Rechtsnachfolger des bisherigen Einrichtungsträgers ist.
Diese Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. Da es sich bei dem Gegenstand der Normenkontrolle um Vorschriften des Ortsrechts handelt, die Vorgaben des Landesrechts umsetzen, betrifft die Rüge zunächst Vorschriften des irrevisiblen Rechts (vgl. § 137 Abs. 1 VwGO). Der für eine Grundsatzrüge erforderliche Bezug zum Bundesrecht ergibt sich nicht schon daraus, dass die Beschwerde eine Verletzung des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) geltend macht. Denn die Zulassung der Grundsatzrevision ist nur gerechtfertigt, wenn die Beschwerde eine klärungsbedürftige Frage gerade des Bundesrechts darlegt, nicht jedoch dann, wenn nicht das Bundesrecht, sondern allenfalls das Landesrecht klärungsbedürftig ist (stRspr, vgl. etwa Beschluss vom 7. März 1996 – BVerwG 6 B 11.96 – Buchholz 310 § 137 Abs. 1 VwGO Nr. 7 m.w.N.). Ein solcher Klärungsbedarf besteht jedoch nicht.
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Gleichheitssatz (hierzu etwa Urteil vom 20. Dezember 2000 – BVerwG 11 C 7.00 – Buchholz 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 94 S. 8) ebenso wie das Äquivalenzprinzip (hierzu z.B. Urteil vom 24. September 1987 – BVerwG 8 C 28.86 – NVwZ 1988, 159 ≪160≫) dem Satzungsgeber bei der vom Antragsteller beanstandeten Bemessung von Beiträgen nur sehr weite Grenzen setzt, die insbesondere nicht mit denjenigen des von der Beschwerde hervorgehobenen landesrechtlichen Vorteilsprinzips identisch sind (hierzu etwa Beschlüsse vom 30. April 1996 – BVerwG 8 B 31 – 32.96 – Buchholz 401.9 Beiträge Nr. 37 S. 5). Sie belassen dem Satzungsgeber hinreichende Gestaltungsmöglichkeiten, um gerade in komplizierten Fallkonstellationen zu praktikablen Lösungen zu gelangen. Dementsprechend kann der Nutzer einer öffentlichen Einrichtung, deren Rechtsträgerschaft von einer Vielzahl von Gemeinden mit unterschiedlichen öffentlichen Einrichtungen und jeweils eigenständigen Gebühren- und/oder Beitragsregelungen auf einen kommunalen Zweckverband übergegangen ist, vom Normgeber nicht den Erlass von Regelungen beanspruchen, die seine Belastungsgleichheit im Vergleich zu allen anderen Nutzern bzw. Nutzergruppen “centgenau” sicherstellen.
Andererseits ist es evident und bedarf nicht erst der Klärung in einem Revisionsverfahren, dass diese zwar weiten, aber grundlegenden bundesverfassungsrechtlichen Vorgaben bei jeder Art eines Trägerwechsels der öffentlichen Einrichtung zu beachten sind. Dem Satzungsgeber steht es nicht zu, durch die formale Ausgestaltung des Übergangs der öffentlichen Einrichtung auf einen anderen Einrichtungsträger die Anwendbarkeit verfassungsrechtlicher Maßstäbe zu verhindern. Deswegen sind die Anforderungen des Gleichheitssatzes ebenso wie die des Äquivalenzprinzips auch dann zu beachten, wenn der neue Einrichtungsträger weder Gesamt- noch Sonderrechtsnachfolger des bisherigen Trägers der öffentlichen Einrichtung geworden ist.
Hieraus folgt allerdings nicht, dass es für den Satzungsgeber zwingend geboten wäre, nach einem Wechsel des Einrichtungsträgers für Alt- und Neuanschließer jeweils unterschiedliche Beitragssätze vorzusehen. Denn seiner Ausgestaltungsbefugnis sind insoweit jedenfalls keine engeren Grenzen gesetzt als in Fällen, in denen ein neuer Einrichtungsträger die frühere Beitragserhebung durch eine reine Gebührenerhebung ersetzt, die für alle Nutzer unabhängig von etwaigen früheren Beitragsleistungen einen einheitlichen Gebührensatz vorsieht. Wie das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 16. September 1981 – BVerwG 8 C 48.81 – (Buchholz 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 45) entschieden hat, kann dem Gleichheitssatz in einer solchen Fallgestaltung nicht nur dadurch Rechnung getragen werden, dass der Satzungsgeber unterschiedliche Gebührensätze vorsieht, die die unterschiedlichen Vorleistungen der Nutzer berücksichtigen. Einer solchen Regelung bedarf es nämlich nicht, wenn die Belastungsgleichheit dadurch hergestellt wird, dass der frühere Einrichtungsträger an ihn erbrachte, noch nicht abgeschriebene Leistungen der Altanschließer zurückgewährt. Schließlich besteht auch die Möglichkeit, den gebotenen Belastungsausgleich im Rahmen des Heranziehungsverfahrens zu bewirken. Es ist nicht erkennbar, dass von diesen Gestaltungsmöglichkeiten nicht auch dann Gebrauch gemacht werden kann, wenn sich Belastungsungleichheiten von Alt- und Neuanschließern dadurch ergeben können, dass Landesrecht – wie hier in der den Senat bindenden Auslegung durch den Verwaltungsgerichtshof – eine erneute Beitragserhebung durch den neuen Einrichtungsträger zulässt.
Diesen Anforderungen wird die angefochtene Entscheidung gerecht. Zwar verspricht die vom Verwaltungsgerichtshof ausgesprochene Empfehlung, noch nicht verbrauchte Herstellungsbeiträge der Altanschließer von der Gemeinde als vormaliger Einrichtungsträgerin zurückzufordern, nicht ohne weiteres Erfolg, weil die Gemeinde auf Grund der vom Verwaltungsgerichtshof festgestellten Ausgestaltung ihres Rechtsverhältnisses zum neuen Einrichtungsträger insoweit nicht bereichert sein dürfte, sodass allenfalls Ersatzansprüche aus einem verwaltungsrechtlichen Schuldverhältnis in Betracht kommen dürften. Auch entfällt das Gleichbehandlungsproblem von Alt- und Neuanschließern entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichtshofs nicht schon auf Grund seiner – wiederum bindenden – Feststellung, dass Beitragsleistungen der Altanschließer bei der Kalkulation und Festsetzung der Beiträge durch den Antragsgegner unberücksichtigt geblieben sind. Ein vom Verwaltungsgerichtshof zu beachtender Grund für eine Beanstandung der vom Antragsteller gerügten Satzungsregelungen aus Gleichheitsgründen hätte sich hieraus aber nur ergeben, wenn den Anforderungen des Gleichheitssatzes nicht in der Heranziehungsphase hinreichend Rechnung getragen werden könnte. Das ist aber nicht der Fall. Zwar wird ein insoweit möglicher Billigkeitsausgleich grundsätzlich nur für Einzelfälle in Betracht kommen (Urteil vom 16. September 1981, a.a.O. S. 17), weil ihre Besonderheiten durch differenzierte Beitragssätze regelmäßig nicht angemessen erfasst werden können. Er muss aber auch möglich sein, wenn – wie hier – von Differenzierungen der Beitragsregelungen aus Gründen kaum zu bewältigender Regelungskomplexität Abstand genommen wird. Das Heranziehungsverfahren ist in besonderer Weise geeignet, den individuellen Umständen der Altanschließer in angemessener, allerdings auch – unter entsprechender Beachtung der Vorgaben des Urteils vom 16. September 1981 (a.a.O.) – typisierender und pauschalierender Weise gerecht zu werden. Nur in diesem Verfahren und nicht durch die Beanstandung der Satzungsregelungen könnte im Übrigen – etwa unter dem Gesichtspunkt überhöhter Vorausleistungen – einem etwaigen Rückforderungsanspruch der Altanlieger gegenüber dem Antragsgegner Rechnung getragen werden. Ob der Antragsgegner durch seinen Beschluss, Altanschließer angesichts ihrer an den früheren Einrichtungsträger erbrachten Beiträge nicht zu einem weiteren Beitrag heranzuziehen, die genannten verfassungsrechtlichen Anforderungen bereits in hinreichender Weise erfüllt hat, bedarf, wie der Verwaltungsgerichtshof zutreffend ausgeführt hat, im vorliegenden Verfahren keiner Entscheidung.
3. Soweit die Beschwerde eine Divergenz gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO rügt, fehlt es bereits an einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Darlegung eines derartigen Zulassungsgrundes (vgl. hierzu Beschluss vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 ≪n.F.≫ VwGO Nr. 26 m.w.N.). Denn die Beschwerde nennt keine Rechtssätze, mit denen der Verwaltungsgerichtshof von Rechtssätzen der angeführten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts oder des Bundesverwaltungsgerichts abweicht. Sie macht lediglich geltend, dass der Verwaltungsgerichtshof sich mit den genannten Entscheidungen nicht auseinandersetzt bzw. den dort genannten Anforderungen an eine Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen der Abgabepflichtigen insbesondere im Hinblick auf den durch die öffentliche Einrichtung erlangten Vorteil nicht gerecht wird. Das Aufzeigen einer – angeblich – fehlerhaften oder unterbliebenen Anwendung von Rechtssätzen des Bundesverfassungsgerichts oder des Bundesverwaltungsgerichts genügt aber nicht den Zulässigkeitsanforderungen an eine Divergenz. Abgesehen davon verhält sich zu der vom Antragsteller insoweit als maßgeblich angesehenen Frage, ob der Antragsgegner Beitragsleistungen der Altanschließer ohne Verstoß gegen den Gleichheitssatz und das Äquivalenzprinzip unberücksichtigt lassen durfte, keine der angeführten Entscheidungen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Dr. h.c. Hien, Prof. Dr. Rubel, Dr. Nolte
Fundstellen
ZKF 2008, 166 |
DÖV 2007, 753 |
VR 2007, 251 |
AbfallR 2007, 144 |
BayVBl. 2007, 473 |
DVBl. 2007, 709 |
GK/BW 2007, 196 |
ZfW 2009, 40 |
KommP BY 2007, 301 |