Verfahrensgang
OVG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 29.03.2019; Aktenzeichen OVG 12 B 13.18) |
VG Berlin (Urteil vom 19.12.2017; Aktenzeichen 2 K 236.16) |
Tenor
Die Beschwerde der Beklagten wird zurückgewiesen.
Auf die Beschwerde der Beigeladenen wird die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg über die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil vom 29. März 2019 aufgehoben. Die Revision wird zugelassen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
Der Wert des Streitgegenstandes wird vorläufig auf 5 000 € festgesetzt.
Gründe
I
Rz. 1
Der Kläger, eine bundesweit tätige, nach § 3 UmwRG anerkannte Umweltvereinigung, begehrt vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur Einsicht in von der Beigeladenen dem Ministerium überlassenen Unterlagen, die die Frage zu zu niedrig angegebener CO2-Emissionen von Fahrzeugen betreffen.
Rz. 2
Die Klage hatte vor dem Verwaltungsgericht Erfolg. Die Berufungen der Beklagten und der Beigeladenen hat das Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen und die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richten sich die Beschwerden der Beklagten und der Beigeladenen.
II
Rz. 3
Die auf § 132 Abs. 1 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde der Beigeladenen ist begründet. Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde der Beklagten bleibt erfolglos.
Rz. 4
1. Die Beschwerde der Beigeladenen ist begründet. Die Revision ist auf deren Beschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen. Das Revisionsverfahren kann voraussichtlich zur näheren Bestimmung der Schutzgüter des Ablehnungsgrundes nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UIG und der Anforderungen an die Darlegung nachteiliger Auswirkungen auf die betroffenen Schutzgüter beitragen.
Rz. 5
2. Die Beschwerde der Beklagten bleibt dagegen erfolglos.
Rz. 6
2.1 Die von der Beklagten als rechtsgrundsätzlich aufgeworfene Frage, ob § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a UIG, wonach oberste Bundesbehörden nicht zu den informationspflichtigen Stellen gehören, soweit und solange sie im Rahmen der Gesetzgebung tätig werden, neben der Tätigkeit auf nationaler Ebene auch die Gesetzgebungstätigkeit auf der Ebene der Europäischen Union erfasst, kann nicht zur Zulassung der Revision führen.
Rz. 7
Ist die vorinstanzliche Entscheidung auf mehrere selbständig tragende und gleichwertige Begründungen gestützt, so kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Revisionszulassungsgrund aufgezeigt wird und vorliegt. Wenn nur bezüglich einer Begründung ein Zulassungsgrund gegeben ist, kann diese Begründung nämlich hinweggedacht werden, ohne dass sich der Ausgang des Verfahrens ändert (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 2019 - 4 B 37.19 - juris Rn. 3 m.w.N.).
Rz. 8
Eine solche Mehrfachbegründung liegt hier vor. Das Oberverwaltungsgericht hat die Tatbestandsvoraussetzungen des § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a UIG zum einen deshalb als nicht erfüllt erachtet, weil die Ausnahmeregelung auf die nationale Gesetzgebungsebene beschränkt sei. Zum anderen ("von... abgesehen") jedoch auch deshalb, weil es an einem funktional-inhaltlichen Zusammenhang der im Streit stehenden Unterlagen mit einem Gesetzgebungsverfahren fehle.
Rz. 9
Entgegen der Ansicht der Beklagten ist der zweite Begründungsstrang nicht lediglich im Sinne einer Teil- oder Folgefrage auf die mit der Grundsatzrüge formulierte Rechtsfrage zur Anwendbarkeit des § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a UIG auf die legislatorische Tätigkeit auf der Ebene der Europäischen Union bezogen. Vielmehr stellt sich die Frage des funktional-inhaltlichen Zusammenhangs in gleicher Weise sowohl mit Blick auf die nationale als auch die europäische Rechtsetzungsebene.
Rz. 10
Ohne Erfolg beruft sich die Beklagte des Weiteren auf eine Ausnahme von den besonderen Darlegungsanforderungen, die dann eingreift, wenn die Entscheidungsbegründungen wegen unterschiedlicher Rechtskraftwirkung nicht gleichwertig sind (siehe dazu BVerwG, Beschlüsse vom 11. April 2003 - 7 B 141.02 - NJW 2003, 2255 ≪2256≫ und vom 20. Dezember 2016 - 3 B 38.16 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO Nr. 66 Rn. 4 f.). Dies trifft hier nicht zu. Der von der Beklagten herausgestellte je unterschiedliche Begründungsaufwand für die Beantwortung der einen und der anderen Frage ändert nichts daran, dass mit beiden Begründungen jeweils die tatbestandlichen Voraussetzungen des Ausnahmetatbestands nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a UIG verneint werden.
Rz. 11
Hiernach dringt die Beklagte mit ihrer zum ersten Begründungsstrang erhobenen Grundsatzrüge schon deswegen nicht durch, weil die auf die zweite Begründung bezogene Aufklärungsrüge ohne Erfolg bleibt (siehe hierzu 3.).
Rz. 12
2.2 Eine weitere Grundsatzrüge zum Ablehnungsgrund nach § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Alt. 3 UIG hat die Beklagte innerhalb der zweimonatigen Beschwerdebegründungsfrist (§ 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO) nicht erhoben.
Rz. 13
Entgegen der nach Ablauf dieser Frist geäußerten Ansicht der Beklagten enthält die auf die unterbliebene Vernehmung eines Vertreters der Staatsanwaltschaft bezogene und fristgerecht erhobene Aufklärungsrüge (siehe hierzu 3.) nicht zugleich eine Grundsatzrüge. Zwar können Verfahrensfragen auch Gegenstand einer Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung oder wegen Divergenz mit Blick auf das insoweit anzuwendende Prozessrecht sein, sodass insoweit ein Austausch des Zulassungsgrundes in Betracht kommt (siehe etwa BVerwG, Beschluss vom 12. April 2001 - 8 B 2.01 - Buchholz 310 § 92 VwGO Nr. 13 S. 5). Darum geht es hier aber nicht.
Rz. 14
Die Ausführungen der Beklagten zu einer aus deren Sicht unzutreffenden Rechtsauffassung der Staatsanwaltschaft zur Reichweite von § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Alt. 3 UIG werden den Darlegungsanforderungen für die Geltendmachung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache nach § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht gerecht.
Rz. 15
Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden klärungsbedürftigen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt, also näher ausgeführt werden, dass und inwiefern diese Voraussetzungen vorliegen (stRspr, BVerwG, Beschlüsse vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 ≪91≫ und vom 24. Januar 2020 - 10 B 17.19 - juris Rn. 5 m.w.N.).
Rz. 16
Die Beschwerde legt weder die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung einer hinreichend deutlich aufgeworfenen Rechtsfrage noch deren Klärungsbedürftigkeit dar. Vielmehr beschränkt sich das Vorbringen der Beklagten zu § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Alt. 3 UIG auf die Darstellung der aus deren Sicht zugrunde zu legenden materiellen Rechtslage.
Rz. 17
3. Die Revision der Beklagten ist auch nicht wegen eines Verfahrensfehlers zuzulassen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Die erhobenen Aufklärungsrügen (vgl. § 86 Abs. 1 VwGO) greifen nicht durch.
Rz. 18
Die Beschwerdebegründung lässt die gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erforderliche Bezeichnung von Tatsachen vermissen, aus denen sich die geltend gemachten Verfahrensmängel wegen zu Unrecht unterbliebener Zeugenvernehmungen ergeben sollen. Dazu gehören Ausführungen auch dazu, welches mutmaßliche Ergebnis eine vermisste Beweisaufnahme im Einzelnen gehabt und inwiefern dieses Ergebnis - nach der materiell-rechtlichen Auffassung der Vorinstanz - zu einer dem Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung hätte führen können (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 30. April 2009 - 1 C 6.08 - NVwZ 2009, 1162 Rn. 14 m.w.N.).
Rz. 19
Dem wird das Vorbringen der Beklagten nicht gerecht. Sie vermag nicht deutlich zu machen, aufgrund welcher Wahrnehmungen Vertreter der Staatsanwaltschaft, deren Vernehmung als Zeugen unterblieben ist, Tatsachen hätten bekunden können, die in Bezug auf den Versagungsgrund des § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UIG zu einer für die Beklagte günstigeren Entscheidung hätten führen können. Mit dem Vortrag, die Zeugenvernehmung hätte bestätigt, dass die Bekanntgabe der begehrten Unterlagen weiterhin nachteilige Auswirkungen auf die Durchführung strafrechtlicher Ermittlungen und auf das Recht der dort Beteiligten auf ein faires Verfahren hätte, benennt die Beklagte lediglich rechtliche Wertungen, nicht aber dem Beweis zugängliche Tatsachen. Entsprechendes gilt, wenn die Beklagte ergänzend darauf verweist, Vertreterinnen der Staatsanwaltschaft hätten bekundet, dass sie die Reichweite von § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UIG verkannt und für das Strafverfahren wesentliche Aspekte außer Acht gelassen haben.
Rz. 20
Darüber hinaus hat es die Beklagte ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem Berufungsgericht unterlassen, auf die Erhebung eines Zeugenbeweises insbesondere durch die Stellung eines förmlichen Beweisantrages hinzuwirken. Ein solches Versäumnis kann nicht durch eine Verfahrensrüge im Rechtsmittelverfahren kompensiert werden (vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 18. Dezember 2019 - 10 B 14.19 - juris Rn. 21 m.w.N.).
Rz. 21
Auch mit Blick auf die unterbliebene Vernehmung des Zeugen R. D. - hinsichtlich dessen Einvernahme die Beklagte ausweislich der Niederschrift über die mündliche Verhandlung vor dem Berufungsgericht ebenfalls keinen förmlichen Beweisantrag gestellt hat - legt sie einen Aufklärungsmangel nicht dar (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Wie soeben dargestellt, gehören hierzu auch Ausführungen, welches mutmaßliche Ergebnis eine vermisste Beweisaufnahme im Einzelnen gehabt und inwiefern dieses Ergebnis zu einer dem Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung hätte führen können.
Rz. 22
Die Beklagte legt nicht genügend dar, welches mutmaßliche konkrete Ergebnis eine Einvernahme des Zeugen R. D. in tatsächlicher Hinsicht zum Beleg einer Tätigkeit der Beklagten im Rahmen der Gesetzgebung (vgl. § 2 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a UIG) erbracht hätte. Vielmehr verweist sie zum einen lediglich abstrakt darauf, dass die Befragung des Zeugen R. D. dazu beigetragen hätte, das Vorliegen des funktional-inhaltlichen Zusammenhanges mit der unionalen Gesetzgebung nachzuweisen. Zum anderen trägt die Beklagte nur vor, der Zeuge hätte bekunden können, dass die angefragten Dokumente (Mit-)Auslöser der europäischen Gesetzgebungstätigkeit gewesen seien und für die konkrete Ausgestaltung der Gesetzgebungsakte verwendet wurden und werden. Eine tätige Mitwirkung der Beklagten im Rahmen eines europäischen Gesetzgebungsprozesses unter Heranziehung der verfahrensgegenständlichen Unterlagen ergibt sich aus diesem Vortrag nicht.
Rz. 23
Die Einvernahme des Zeugen R. D. musste sich dem Berufungsgericht im Rahmen seiner Pflicht zur Amtsermittlung auch nicht aufdrängen. In das Wissen des Zeugen R. D. war seitens der Beklagten nichts gestellt, was hingereicht hätte, um einen funktional-inhaltlichen Zusammenhang der im Streit stehenden Unterlagen mit einem konkreten Normsetzungsverfahren zu bejahen. Ausschlaggebend für die Verneinung eines solchen Zusammenhanges war für das Berufungsgericht, dass die Tätigkeit der Beklagten, bei der die streitgegenständlichen Informationen dieser übermittelt worden seien, exekutivisch geprägt gewesen sei, weil mögliche Rechtsverstöße von Fahrzeugherstellern auf der Grundlage des bisher geltenden europäischen Rechts im Raum gestanden und Anlass zu der Prüfung gegeben hätten, ob und inwieweit ein Tätigwerden des Kraftfahrt-Bundesamtes angezeigt gewesen sei. Das wird durch die in das Wissen des Zeugen gestellten Tatsachen nicht in Zweifel gezogen.
Rz. 24
Die Festsetzung des Streitwertes beruht für das Beschwerdeverfahren der Beklagten auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG, für das Revisionsverfahren auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 2 und § 63 Abs. 1 GKG.
Fundstellen
Dokument-Index HI13891586 |