Leitsatz (amtlich)
Normenkontrolle; Antragsfrist; Fristversäumung; Gesetzesauslegung; Grenzen; Analogie; Wiedereinsetzung in den vorigen Stand; Bebauungsplan.
Die Nr. 1 des Gesetzes zur Beschränkung von Rechtsmitteln in der Verwaltungsgerichtsbarkeit (BGBl I 1993, 487) ist auch auf Bebauungspläne anwendbar, die vor Inkrafttreten dieser Vorschrift bekanntgemacht worden sind; die Dreimonatsfrist hat am 1. Mai 1993 zu laufen begonnen.
Normenkette
VwGO § 47 Abs. 2, § 60 Abs. 1-2, § 133 Abs. 6; RMBeschrG Nr. 1 S. 1
Verfahrensgang
Thüringer OVG (Beschluss vom 27.01.1999; Aktenzeichen 1 N 321/94) |
Tenor
Der Beschluß des Thüringer Oberverwaltungsgerichts vom 27. Januar 1999 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 50 000 DM festgesetzt.
Tatbestand
I.
Der Antragsteller hat am 9. Juni 1994 einen Normenkontrollantrag gestellt, mit dem er einen im Jahre 1992 beschlossenen Bebauungsplan der Antragsgegnerin angreift. Das Normenkontrollgericht hat diesen Antrag durch Beschluß vom 27. Januar 1999 abgelehnt und zur Begründung u.a. ausgeführt: Der Antrag sei unzulässig, da er nicht fristgemäß erhoben worden sei. Nach der Nummer 1 des Gesetzes zur Beschränkung von Rechtsmitteln in der Verwaltungsgerichtsbarkeit – RMBeschrG –, das als Art. 13 des Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetzes vom 22. April 1993 (BGBl I S. 466, 487) am 1. Mai 1993 in Kraft getreten ist, seien Anträge nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO in den neuen Bundesländern nur binnen drei Monaten ab Inkrafttreten der zu überprüfenden Rechtsvorschrift zulässig gewesen. Diese Bestimmung sei auch auf vor dem 1. Mai 1993 in Kraft getretene Bebauungspläne mit der Maßgabe anwendbar gewesen, daß die Frist mit Inkrafttreten des Gesetzes am 1. Mai 1993 in Gang gesetzt worden sei. Im Zeitpunkt der Antragstellung sei diese Frist längst abgelaufen gewesen.
Der Antragsteller wendet sich gegen diesen Beschluß mit der Nichtzulassungsbeschwerde, die er auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO stützt.
Entscheidungsgründe
II.
Die Beschwerde ist im Ergebnis begründet.
1. Die Divergenzrüge greift nicht durch. Das Normenkontrollgericht hat sich nicht in Widerspruch zum Bundesverwaltungsgericht gesetzt, das im Urteil vom 4. Oktober 1994 – BVerwG 1 C 13.93 – (BVerwGE 97, 12) bekräftigt hat, daß bei der Gesetzesauslegung Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Systematik sowie Sinn und Zweck der Vorschrift als Kriterien dienen. Die Vorinstanz hat diese Grundsätze weder ausdrücklich noch auch nur sinngemäß in Zweifel gezogen. Daß sie nicht zu dem Auslegungsergebnis gelangt ist, das nach Ansicht der Beschwerde bei richtiger Anwendung der herkömmlichen Auslegungsregeln geboten gewesen wäre, stellt keine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO dar.
2. Die Rechtssache hat auch nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimißt. Eine Revisionszulassung auf der Grundlage des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt nur dann in Betracht, wenn eine bisher ungeklärte Frage des revisiblen Rechts bezeichnet wird, die im Interesse der Rechtseinheit oder der Rechtsfortbildung in einem künftigen Revisionsverfahren mit Bedeutung über den Einzelfall hinaus geklärt werden kann. Die vom Antragsteller erstrebte Durchführung eines Revisionsverfahrens wäre nicht geeignet, die Rechtseinheit in ihrem Bestand zu erhalten oder die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern. Die Nr. 1 des Gesetzes zur Beschränkung von Rechtsmitteln in der Verwaltungsgerichtsbarkeit gehört dem auslaufenden Recht an. Sie ist seit dem 1. Januar 1997 durch § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO in der Fassung des 6. Gesetzes zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und anderer Gesetze vom 1. November 1996 (BGBl I S. 1626) ersetzt worden, der auch für Normenkontrollanträge in den neuen Bundesländern anstelle der Dreimonatsfrist nunmehr eine Zweijahresfrist vorsieht. Fragen, die auslaufendes Recht betreffen, rechtfertigen regelmäßig nicht die Zulassung der Revision, da sie eine für die Zukunft richtungweisende Klärung nicht mehr erwarten lassen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 20. September 1995 – BVerwG 6 B 11.95 – und vom 27. Februar 1997 – BVerwG 5 B 155.96 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nrn. 6 und 15). Für eine abweichende Beurteilung ist nur dann Raum, wenn die außer Kraft getretene Vorschrift ersichtlich noch für einen unüberschaubaren Personenkreis in nicht absehbarer Zukunft von Bedeutung bleibt (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 31. August 1993 – BVerwG 9 B 393.93 – Buchholz 412.3 § 11 BVFG Nr. 5 und vom 9. Dezember 1994 – BVerwG 11 PKH 28.94 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 4). Das Beschwerdevorbringen bietet in dieser Richtung keine Anhaltspunkte. Die vom Antragsteller aufgeworfene Frage, ob die Nr. 1 RMBeschrG auch auf Bebauungspläne anzuwenden ist, die vor ihrem Inkrafttreten bekanntgemacht worden sind, betrifft einen beschränkten Kreis von Altfällen aus dem Bereich der neuen Bundesländer, die bereits etliche Jahre zurückliegen.
3. Dagegen ist die Verfahrensrüge begründet. Das Normenkontrollgericht hätte bei korrekter Anwendung des Verfahrensrechts den Antrag nicht als unzulässig ablehnen dürfen.
Der rechtliche Ansatz der Vorinstanz läßt sich freilich nicht beanstanden. Die Nr. 1 RMBeschrG, die als Art. 13 des Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetzes vom 22. April 1993 am 1. Mai 1993 in Kraft getreten ist, ist auf Bebauungspläne, die vor diesem Datum bekanntgemacht worden sind, mit der Maßgabe anwendbar, daß die Dreimonatsfrist am 1. Mai 1993 zu laufen begonnen hat. Das Normenkontrollgericht hat zutreffend erkannt, daß der Antragsteller mit dem am 9. Juni 1994 gestellten Antrag diese Frist versäumt hat; es hat jedoch übersehen, daß die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erfüllt sind. Dazu im einzelnen:
a) Nach Nr. 1 Satz 1 RMBeschrG sind Anträge nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO nur binnen drei Monaten ab Inkrafttreten der zu überprüfenden Rechtsvorschrift zulässig. Das bedeutet für Bebauungspläne, daß der Fristenlauf mit der Bekanntmachung beginnt (vgl. BVerwG, Beschluß vom 10. April 1996 – BVerwG 4 NB 8.96 – Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 114). Als Teilregelung des Art. 13 des Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetzes hat sich die Nr. 1 Satz 1 RMBeschrG nach Art. 16 des Gesetzes Geltung ab dem 1. Mai 1993 beigemessen. Von ihrem sachlichen Anwendungsbereich erfaßt sind Bebauungspläne, die seit diesem Tage in Kraft getreten sind.
Nr. 1 Satz 1 RMBeschrG schweigt, ebenso wie die übrigen Bestimmungen des Gesetzes, zu der Frage, ob Bebauungspläne, die bereits vor diesem Zeitpunkt in Kraft gesetzt worden sind, von der Regelung erfaßt werden. Dem Gesetzgeber kann indes nicht unterstellt werden, daß er die von ihm angeordneten Rechtsfolgen uneingeschränkt auch an Tatbestände hat knüpfen wollen, die bereits vor der Verkündung des Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetzes verwirklicht worden sind. Dies liegt schon aus rechtsstaatlichen Erwägungen fern. Es steht außer Zweifel, daß Antragsteller, die vor Inkrafttreten des Gesetzes aufgrund der seinerzeitigen Rechtslage keine Veranlassung hatten, Fristbestimmungen zu beachten, im Normenkontrollverfahren nicht deshalb an der Zulässigkeitshürde scheitern dürfen, weil sie es unterlassen haben, einen noch unter der Geltung des alten Rechts bekanntgemachten Bebauungsplan im Sinne der Nr. 1 Satz 1 RMBeschrG binnen drei Monaten „ab Inkrafttreten der zu überprüfenden Rechtsvorschrift” im Wege der Normenkontrolle anzugreifen. Nr. 1 Satz 1 RMBeschrG gestattet es auch nicht, Altfälle in der Weise in ihren Regelungsbereich miteinzubeziehen, daß hinsichtlich des Beginns der Dreimonatsfrist auf den Zeitpunkt ihres Inkrafttretens abgehoben wird. Der Wortlaut der Vorschrift läßt für eine solche Auslegung keinen Raum. Die Bestimmung knüpft den Fristenlauf vielmehr an das „Inkrafttreten der zu überprüfenden Rechtsvorschrift”. Auf der Grundlage dieser eindeutigen Wortfassung kann der danach maßgebliche Zeitpunkt nicht nach Belieben durch einen anderen ersetzt werden. Der Gesetzestext bietet für das Normverständnis, das dem angefochtenen Beschluß zugrunde liegt, keinen Anhaltspunkt. Er setzt der zweckorientierten Auslegung, der das Normenkontrollgericht das Wort redet, von vornherein Grenzen (vgl. zu den Grenzen der Auslegung BVerfG, Beschlüsse vom 22. Oktober 1985 – 1 BvL 44/83 – BVerfGE 71, 81 ≪105≫ und vom 7. Juli 1992 – 2 BvR 1631/90 u.a. – BVerfGE 87, 48 ≪60≫; BVerwG, Urteile vom 7. März 1995 – BVerwG 9 C 389.94 – Buchholz 402.24 § 26 AsylVfG Nr. 2 und vom 17. Oktober 1997 – BVerwG 8 C 26.96 – BVerwGE 105, 272).
b) Hieraus folgt nicht, daß Bebauungspläne, die vor dem 1. Mai 1993 bekanntgemacht worden sind, in den neuen Bundesländern auch nach dem Inkrafttreten des Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetzes zeitlich unbegrenzt zum Gegenstand einer Normenkontrolle haben gemacht werden können. Es sind Anhaltspunkte dafür vorhanden, daß der Gesetzgeber die Fristbindung nicht auf die Fälle hat beschränken wollen, die er ausdrücklich geregelt hat. Aus der Entstehungsgeschichte sowie aus Sinn und Zweck der Nr. 1 Satz 1 RMBeschrG ergibt sich, daß die Vorschrift keinen abschließenden Charakter hat. Die Gesetz gewordene Regelung ist gemessen an den vom Gesetzgeber verfolgten Absichten lückenhaft. Diese planwidrige Lücke ist im Wege der Analogie zu schließen (vgl. hierzu BVerfG, Beschluß vom 3. April 1990 – 1 BvR 1186/89 – BVerfGE 82, 6 ≪11 ff.≫; BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 1978 – BVerwG 6 C 46.78 – BVerwGE 57, 183 und vom 26. Oktober 1995 – BVerwG 3 C 11.94 – BVerwGE 99, 362; BGH, Urteil vom 3. Juli 1998 – V ZR 34/97 – BGHZ 139, 152).
Art. 11 des Entwurfs eines Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetzes sah in der Fassung sowohl der Regierungsfraktionen als auch der Bundesregierung für die neuen Länder eine Regelung vor, die darauf hinauslief, die Normenkontrolle nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO außer in den Fällen des § 18 des Investitionsvorranggesetzes abzuschaffen (vgl. BTDrucks 12/3944 und 12/4047). Der Bundesrat schlug in seiner Stellungnahme zu dem Entwurf statt dessen vor, eine Antragsfrist von drei Monaten einzuführen. Dies begründete er mit der Erwägung, daß ein Verzicht auf das Normenkontrollverfahren etwa fehlerhaftes Ortsrecht nicht investitionssicherer mache. Nur Personen, die durch den Plan nachteilig betroffen seien, seien antragsbefugt. Ihnen stehe in der Regel auch die Befugnis zu, gegen die einem Investor erteilte Baugenehmigung zu klagen. Um der Sorge zu begegnen, Normenkontrollverfahren könnten eine Verzögerung von Investitionsvorhaben zur Folge haben, reiche es aus, eine Antragsfrist für den Normenkontrollantrag einzuführen. Bei dieser Lösung werde die Möglichkeit einer frühzeitigen Rechtmäßigkeitskontrolle beibehalten und zugleich sichergestellt, daß die Planprüfung in praktisch der gleichen Zeit durchgeführt werden könne, die im Falle einer Überprüfung der angefochtenen Baugenehmigung benötigt werde (vgl. BTDrucks 12/4208, S. 19). Die Bundesregierung trat dem in ihrer Gegenäußerung mit dem Argument entgegen, die vorgeschlagene Regelung widerspreche der Intention des Gesetzentwurfs, die Rechtsschutzverfahren zu straffen (vgl. BTDrucks 12/4208, S. 30). Der Vorschlag des Bundesrates fand indes die Billigung des Bundestagsausschusses für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau (vgl. BTDrucks 12/4317, S. 55) und wurde so vom Bundestag als Gesetz beschlossen.
Dieser Entstehungsprozeß spiegelt das gesetzgeberische Anliegen wider, dem Grundsatz der Planerhaltung verstärkt Geltung zu verschaffen und Doppelverfahren zu vermeiden. Dieses Ziel läßt sich mit der Gesetz gewordenen Regelung zwar nicht in ebenso umfassender Weise verwirklichen wie mit der im urprünglichen Entwurf vorgesehenen Fassung. Die Absicht, die Wirkungskraft von Bebauungsplänen zu stärken, kommt indes insofern immer noch nachhaltig zum Tragen, als der Zugang zu den Normenkontrollgerichten jedenfalls Antragstellern abgeschnitten wird, die ihre Interessen nicht zügig wahrnehmen. Der als Kehrseite der Fristbindung zwangsläufige Ausschluß verspäteter Normenkontrollanträge ist, für sich genommen, geeignet, die Gerichtsbarkeit spürbar zu entlasten. Der Gesetzgeber hat indes nicht bedacht, daß Nr. 1 Satz 1 RMBeschrG zur Erreichung dieses Ziels nur einen unvollkommenen Beitrag zu leisten vermag. Obwohl der Gesichtspunkt der Planerhaltung bei älteren Plänen eher stärker als bei neueren zu Buche schlägt, hat er es versäumt, Bebauungspläne, die vor dem 1. Mai 1993 in Kraft getreten sind, in den Regelungsbereich dieser Vorschrift ausdrücklich miteinzubeziehen. Die Zwecktauglichkeit der von ihm getroffenen Regelung wird zusätzlich dadurch beeinträchtigt, daß er unterschiedliche Rechtsfolgen an Tatbestände knüpft, die eine solche Differenzierung schlechterdings nicht rechtfertigen. Es gibt keinen sachlichen Grund dafür, im Normenkontrollverfahren Bebauungspläne, die ab dem 1. Mai 1993 in Kraft getreten sind, einem Fristerfordernis zu unterwerfen, Bebauungspläne, die vor diesem Datum bekanntgemacht worden sind, dagegen von jeglicher Fristbindung freizustellen. Die Beschränkung des sachlichen Anwendungsbereichs der Nr. 1 Satz 1 RMBeschrG auf Bebauungspläne, die seit dem 1. Mai 1993 in Kraft getreten sind, hat zur Folge, daß alte Bebauungspläne noch zu einem Zeitpunkt angegriffen werden können, zu dem ein Antrag, der sich gegen einen nach Inkrafttreten des Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetzes bekanntgemachten Plan richtet, bereits unzulässig sein kann. Eine solche vom Regelungszweck her verfehlte gleichheitswidrige Besserbehandlung der Altfälle liefe dem mit Nr. 1 Satz 1 RMBeschrG erkennbar verfolgten Normierungskonzept zuwider. Der Gesetzgeber hat übersehen, daß diese Bestimmung volle Wirksamkeit nur dann entfalten kann, wenn sie durch eine Übergangsvorschrift vervollständigt wird. Wäre er sich dessen bewußt geworden, daß die von ihm getroffene Regelung nicht ausreicht, um auch den Zeitraum vor dem 1. Mai 1993 zu erfassen, so hätte es sich ihm als naheliegende Lösung aufgedrängt, den Weg zu wählen, den er später eingeschlagen hat, als er das Antragsrecht im Rahmen der Normenkontrolle bundesweit zeitlich begrenzt hat. Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO in der seit dem 1. Januar 1997 maßgeblichen Fassung ist der Antrag, im Wege der Normenkontrolle u.a. auch die Gültigkeit eines Bebauungsplans zu überprüfen, nur zulässig, wenn er „innerhalb von zwei Jahren nach Bekanntmachung der Rechtsvorschrift” gestellt wird. Diese Neuregelung wird flankiert durch Art. 10 Abs. 4 des 6. VwGOÄndG. Danach beginnt für Rechtsvorschriften im Sinne des § 47 VwGO, die vor dem 1. Januar 1997 bekanntgemacht worden sind, die Frist nach § 47 Abs. 2 VwGO mit Inkrafttreten dieses Gesetzes zu laufen, sofern nicht nach anderen Gesetzen die Frist zur Stellung des Antrags nach § 47 VwGO bereits abgelaufen ist. Es ist davon auszugehen, daß der Gesetzgeber Nr. 1 Satz 1 RMBeschrG um eine entsprechende Überleitungsvorschrift ergänzt hätte, wenn er die Lückenhaftigkeit seiner Regelung erkannt hätte. Die Lücke ist im Wege der Analogie in der Weise zu schließen, daß die Dreimonatsfrist zwar auch für Bebauungspläne gilt, die vor dem Inkrafttreten des Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetzes bekanntgemacht worden sind, aber erst ab dem 1. Mai 1993 zu laufen begonnen hat.
c) Der Antragsteller hat diese Frist versäumt. Das rechtfertigt indes nicht den Schluß, daß sein Normenkontrollantrag unzulässig ist. Ihm ist vielmehr Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Denn er war im Sinne des § 60 Abs. 1 VwGO ohne Verschulden verhindert, die Dreimonatsfrist einzuhalten. Verschuldet ist ein Fristversäumnis dann, wenn der Betroffene nicht die Sorgfalt walten läßt, die für einen gewissenhaften, seine Rechte sachgerecht wahrnehmenden Beteiligten geboten und ihm nach den gesamten Umständen zumutbar ist (vgl. BVerwG, Urteile vom 27. Februar 1976 – BVerwG 4 C 74.74 – BVerwGE 50, 248 und vom 8. März 1983 – BVerwG 1 C 34.80 – Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 129). Mangelnde Rechtskenntnis ist zwar für sich genommen nicht geeignet, vor den Nachteilen zu bewahren, die eine Fristversäumung mit sich bringt. Irrt der Betroffene sich über die Reichweite einer Rechtsvorschrift, so hat er für die Folgen, die sich hieraus ergeben, in der Regel selbst einzustehen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 9. Januar 1970 – BVerwG 4 B 71.69 – und vom 2. Juli 1982 – BVerwG 1 CB 14.82 – Buchholz 310 § 60 VwGO Nrn. 58 und 125). Das schließt indes nicht aus, daß besondere Umstände eine andere Beurteilung rechtfertigen können (vgl. BVerwG, Beschluß vom 16. September 1991 – BVerwG 5 B 90.91 – Buchholz 435.12 § 27 SGB X Nr. 1). Ein solcher Sonderfall kann insbesondere dann vorliegen, wenn eine Vorschrift, die eine Neuerung mit sich bringt, bis zu einer gerichtlichen Klärung in vertretbarer Weise unterschiedlich ausgelegt werden kann. Hat ein Betroffener berechtigten Grund zu der Annahme, eine Rechtsauffassung zu vertreten, die durch den Wortlaut der Norm gedeckt, wenn nicht gar nahegelegt wird, so kann ihn der Vorwurf, den Sorgfaltsanforderungen des § 60 VwGO nicht gerecht geworden zu sein, nicht allein deshalb treffen, weil sich später herausstellt, daß die Rechtsprechung seinen Standpunkt nicht teilt (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Oktober 1975 – BVerwG 6 C 170.73 – BVerwGE 49, 252; BFH, Urteil vom 12. April 1972 – I R 123/71 – BFHE 106, 170; BGH, Beschlüsse vom 25. Januar 1978 – IV ZB 81/77 – NJW 1978, 890 und vom 18. Oktober 1984 – III ZB 22/84 – NJW 1985, 495).
Der Antragsteller war sich darüber im Unklaren, daß auch ein Normenkontrollantrag, der sich gegen einen vor dem 1. Mai 1993 bekanntgemachten Bebauungsplan richtete, einem Fristerfordernis unterlag. Sein Irrtum beruhte auf der Unsicherheit über den sachlichen Anwendungsbereich der Nr. 1 Satz 1 RMBeschrG. Diese Vorschrift war selbst aus der Perspektive eines gewissenhaften Beteiligten nicht geeignet, deutlich zu machen, daß als ein für den Fristbeginn maßgebliches Ereignis auch das Inkrafttreten des Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetzes eine Rolle spielte. Denn der Wortlaut der Norm gab für ein solches Verständnis nichts her. Die Antragsgegnerin ist in ihrer Antragserwiderung vom 20. Juli 1994 und vom 14. Dezember 1994 selbst von der Zulässigkeit des Antrages ausgegangen. Auch der Vertreter des öffentlichen Interesses, die Thüringer Landesanwaltschaft, sah keinen Grund, auf die Unzulässigkeit des Antrages hinzuweisen. Das Normenkontrollgericht hat erstmals in der richterlichen Verfügung vom 7. Februar 1997 – also nach mehreren Jahren der Anhängigkeit des Verfahrens – Anlaß gesehen, auf die Frist in Nr. 1 Satz 1 RMBeschrG hinzuweisen. Es war mithin der Rechtsprechung vorbehalten, die Zweifel über den sachlichen Anwendungsbereich der Nr. 1 Satz 1 RMBeschrG zu beseitigen. Eine erste Klärung brachte erst der Normenkontrollbeschluß des OVG Bautzen vom 1. September 1994, der mit folgendem Leitsatz die Richtung für weitere Entscheidungen nicht zuletzt auch des Normenkontrollgerichts (vgl. Urteil vom 5. März 1997, ThürVBl 1997, 230) bestimmte: „Für Bebauungspläne, die bereits vor Inkrafttreten des Investitionserleichterungsgesetzes in Kraft getreten sind, gilt Nr. 1 des Gesetzes zur Beschränkung von Rechtsmitteln in der Verwaltungsgerichtsbarkeit mit der Maßgabe, daß die dort normierte Dreimonatsfrist für Normenkontrollanträge mit Inkrafttreten des Gesetzes am 1.5.1993 zu laufen begonnen hat”. Der Beschluß des OVG Bautzen wurde noch im selben Jahr im Dezemberheft der Sächsischen Verwaltungsblätter 1994 auf S. 287 veröffentlicht. Frühestens zu diesem Zeitpunkt fiel das Hindernis weg, das geeignet war, potentielle Antragsteller von der Erkenntnis abzuhalten, daß auch Bebauungspläne, die vor dem 1. Mai 1993 in Kraft getreten waren, nur unter Einhaltung einer Dreimonatsfrist zum Gegenstand einer Normenkontrolle gemacht werden konnten.
Der Normenkontrollantrag im hier anhängigen Verfahren wurde indes zu einer Zeit gestellt, als die Klärung der Zweifelsfrage noch ausstand. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt nach § 60 Abs. 1 VwGO freilich grundsätzlich nur in Betracht, wenn ein entsprechender Antrag gestellt wird. Dies ist hier nicht geschehen. Ist die Rechtshandlung vor Ablauf der Antragsfrist, die nach § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses beträgt, bereits vorgenommen worden, so eröffnet § 60 Abs. 2 Satz 4 VwGO indes die Möglichkeit, die Wiedereinsetzung auch von Amts wegen zu gewähren.
d) Das Normenkontrollgericht hat ausschließlich auf die Fristversäumung abgestellt. Es hat außer acht gelassen, daß insoweit die Wiedereinsetzungsvoraussetzungen erfüllt sind. Von seinem rechtlichen Standpunkt aus hat es keinen Anlaß gesehen, der Frage nachzugehen, ob der Normenkontrollantrag den übrigen Zulässigkeitsanforderungen genügt und, ggf., begründet ist. Damit es diese Prüfung nachholt, macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, das Verfahren zu beschleunigen und den Rechtsstreit unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses nach § 133 Abs. 6 VwGO zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
4. Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlußentscheidung vorbehalten. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 14 Abs. 3 und § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Unterschriften
Gaentzsch, Berkemann, Halama
Fundstellen
BVerwGE |
BVerwGE, 148 |
BauR 1999, 1441 |
ZfIR 1999, 771 |
LKV 2000, 208 |
ZfBR 1999, 341 |
BRS 2000, 253 |
DVBl. 1999, 1516 |
UPR 2000, 40 |