Entscheidungsstichwort (Thema)
Entlassung eines Beamten auf Probe. Schwerbehinderteneigenschaft. Berufung auf – nach Entlassungsbescheid
Leitsatz (amtlich)
Die Entlassung eines Beamten auf Probe ist nicht wegen fehlender Anhörung der Hauptfürsorgestelle rechtswidrig, wenn der Beamte nach vorheriger Anhörung zur beabsichtigten Entlassung erst während des Widerspruchsverfahrens sich auf seine Schwerbehinderteneigenschaft beruft.
Normenkette
BBG § 31 Abs. 1 Nr. 2; SchwbG (F. 1979) § 47
Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 15.11.1989; Aktenzeichen 1 A 2745/87) |
VG Gelsenkirchen (Entscheidung vom 20.10.1987; Aktenzeichen 12 K 2188/86) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 15. November 1989 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 16 900 DM festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde ist unbegründet. Die Rechtssache hat nicht die ihr von der Beschwerde beigelegte grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine – vom Beschwerdeführer zu bezeichnende – Rechtsfrage aufwirft, deren zu erwartende revisionsgerichtliche Klärung der Einheit oder der Fortbildung des Rechts zu dienen vermag (vgl. u.a. BVerwGE 13, 90 ≪91 f.≫). Eine solche Rechtsfrage ergibt sich aus der Beschwerdeschrift nicht.
1. Die Beschwerde hält als Rechtsfrage für klärungsbedürftig,
ob ein Dienstherr die erforderliche Kenntnis von der Schwerbehinderteneigenschaft eines bei ihm beschäftigten Beamten auf Probe schon dann habe, wenn dieser im Rahmen der Anhörung gemäß § 28 VwVfG vor dem Erlaß seiner Entlassungsverfügung auf seine „Behindertenangelegenheit beim Arbeitsamt” – und damit auf einen gestellten Gleichstellungsantrag – verweise; wenn nein, sei höchstrichterlich zu klären, ob der Dienstherr unter Beachtung des in § 24 VwVfG normierten Untersuchungsgrundsatzes zur weiteren Aufklärung der Schwerbehinderteneigenschaft verpflichtet sei.
Soweit sich die Frage auf das Vorliegen der positiven Kenntnis des Dienstherrn von der Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers bezieht, ist keine Rechtsfrage, sondern lediglich eine Tatfrage bezeichnet. Diese Tatfrage hat das Berufungsgericht, ohne daß hiergegen zulässige und begründete Verfahrensrügen erhoben sind, verneint. Der Kläger hat im übrigen in seiner Stellungnahme vom 23. März 1986 lediglich auf seine „Behindertenangelegenheit beim Arbeitsamt Bochum” hingewiesen. Hierbei handelte es sich aber um seinen Antrag auf Gleichstellung mit den Schwerbehinderten nach § 2 Schwerbehindertengesetz – SchwbG – in der hier maßgeblichen, bis zum 31. Juli 1986 geltenden Fassung der Bekanntmachung vom 8. Oktober 1979 (BGBl. I S. 1649). Gerade dem Hinweis auf den Antrag auf Gleichstellung mußte – wie das Berufungsgericht in tatrichterlicher, einzelfallbezogener Würdigung ausgeführt hat – die Beklagte entnehmen, daß der Kläger selbst nicht der Auffassung war, Schwerbehinderter zu sein (S. 14 Urteilsausfertigung). Aufgrund dieses Hinweises war die Beklagte schon deshalb nicht gehalten, Nachforschungen anzustellen, da der Gleichstellung nach § 2 SchwbG a.F. keine rückwirkende Kraft beizumessen ist (BVerwGE 37, 79 ≪81≫; 81, 84 ≪86≫). Mit der Gleichstellung wird überhaupt erst ein neues Rechtsverhältnis oder ein neuer Rechtsstand begründet, der – demzufolge – auch erst ab diesem Zeitpunkt zu beachten ist.
2. Die Frage,
ob für die Einschaltung der Hauptfürsorgestelle die Kenntnis des Dienstherrn von der Schwerbehinderteneigenschaft eines Beamten auf Probe vor der Entlassung erforderlich ist,
ist nicht klärungsbedürftig. Ihre Beantwortung ergibt sich unmittelbar aus § 47 Abs. 2 SchwbG a.F. Sollen hiernach schwerbehinderte „Beamte … auf Probe entlassen werden, so sind vorher der Vertrauensmann der Dienststelle, die den Beamten beschäftigt, und die Hauptfürsorgestelle zu hören” (in diesem Sinne auch Urteil des beschließenden Senats vom 17. September 1981 – BVerwG 2 C 4.79 – ≪Buchholz 232 § 32 Nr. 29 = DVBl. 1982, 582≫). Die beabsichtigte Maßnahme, zu der der Vertrauensmann der Dienststelle sowie die Hauptfürsorgestelle zu hören sind, ist die Entlassung des Beamten auf Probe (Entlassungsbescheid), nicht aber der dazu ergehende Widerspruchsbescheid. Den Rechten des Schwerbehinderten wird, soweit zu diesem Zeitpunkt die versorgungsamtliche Feststellung noch nicht vorliegt, dadurch Rechnung getragen, daß die Stellungnahme der Hauptfürsorgestelle unabhängig von dem Vorliegen der versorgungsamtlichen Bescheinigung beantragt werden kann. Derartige Entscheidungen der Hauptfürsorgestelle sind vorsorgliche Maßnahmen, denen der Vorbehalt immanent ist, daß das Verfahren vor dem Versorgungsamt zu einer Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft des Beamten führt (vgl. Urteil vom 15. Dezember 1988 – BVerwG 5 C 67.85 – ≪BVerwGE 81, 84≫). Demgemäß treten die rechtlichen Wirkungen der Schwerbehinderteneigenschaft nicht ohne weiteres ein. Rechte aus dem Schwerbehindertengesetz müssen in Anspruch genommen werden. Hat der Kläger die Beklagte vor der Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe, wie das Berufungsgericht festgestellt hat, nicht auf die Schwerbehinderteneigenschaft hingewiesen, die unabhängig von ihrer versorgungsamtlichen Bestätigung die Schutzvorschriften der §§ 47, 12 und 18 SchwbG a.F. hätte zum Tragen bringen können, so kann er sich nach der Entlassungsverfügung nicht mehr darauf berufen. Eine nachträgliche Anhörung des Vertrauensmanns der Dienststelle für Schwerbehinderte sowie der Hauptfürsorgestelle wird, wie der beschließende Senat im Urteil vom 17. September 1981 – BVerwG 2 C 4.79 – (a.a.O.) ausgeführt hat, dem Zweck des Gesetzes nicht gerecht. Zu fordern ist die vorherige Anhörung, die nach dem Urteil des 5. Senats des Bundesverwaltungsgerichts vom 15. Dezember 1988 – BVerwG 5 C 67.85 – (a.a.O.) auch dann möglich ist, wenn zu diesem Zeitpunkt die versorgungsamtliche Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft noch nicht vorliegt. Die vorherige Mitteilung der Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers an die Beklagte, die nach den das Revisionsgericht nach § 137 Abs. 2 VwGO in dem erstrebten Revisionsverfahren bindenden Feststellungen nicht vorlag, ist demnach für die Rechtswahrung nach § 47 SchwbG unabdingbar.
3. Die Frage,
ob jedenfalls das Berufen auf die Schwerbehinderteneigenschaft innerhalb eines Monats nach Zustellung der Entlassungsverfügung ausreicht, um die Behörde zu verpflichten, die Hauptfürsorgestelle anzurufen,
ist aus den unter 2. dargelegten Gründen ohne noch klärungsbedürftige Zweifel zu verneinen.
Im übrigen hat die Beklagte aufgrund des Schreibens des Klägers vom 26. Mai 1986, in dem er unter anderem um „Einschaltung der Hauptfürsorgestelle sowie des Schwerbehinderten-Vertrauensmannes” bat, die erbetenen Stellungnahmen eingeholt. Der Vertrauensmann der Schwerbehinderten nahm unter dem 10. Juni 1986 gegenüber der Hauptfürsorgestelle dahingehend Stellung, daß er keine Einwände gegen die bereits verfügte Entlassung aus dem Beamtenverhältnis auf Probe erhebe. Die Hauptfürsorgestelle teilte der Beklagten am 14. Juli 1986 mit, daß gegen die Entlassung des Klägers keine Bedenken erhoben würden.
4. Die unter II. 4. und 5. der Beschwerdeschrift zur Anwendbarkeit des § 46 VwVfG dargelegten Fragen können schon deshalb nicht zur Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO führen, weil sich die beanstandete Ansicht des Berufungsgerichts lediglich im Rahmen einer Hilfserwägung befindet (S. 15 f. UA). Bei mehrfacher, je selbständig tragender Begründung eines angefochtnen Urteils ist aber die Revision nur zuzulassen, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Zulassungsgrund geltend gemacht wird und vorliegt (ständige Rechtsprechung; vgl. etwa Beschlüsse vom 8. August 1973 – BVerwG 4 B 13.73 – ≪Buchholz 310 § 132 Nr. 115≫, vom 15. Dezember 1977 – BVerwG 3 B 96.76 – ≪Buchholz a.a.O. Nr. 158≫ und vom 9. April 1981 – BVerwG 8 B 44.81 – u.a. – ≪Buchholz a.a.O. Nr. 197≫, jeweils mit weiteren Nachweisen).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG. Dabei hat der Senat gemäß seiner ständigen Praxis bei Streitsachen um die Begründung oder Beendigung eines Beamtenverhältnisses auf Probe pauschalierend den halben Jahresbetrag des Endgrundgehalts aus dem letztlich angestrebten Amt als Anhaltspunkt für die Bemessung der Bedeutung der Sache zugrunde gelegt.
Unterschriften
Dr. Schwarz, Dr. Lemhöfer, Dr. Müller
Fundstellen