Verfahrensgang
OVG Rheinland-Pfalz (Aktenzeichen 2 A 11192/98) |
Tenor
Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 17. Januar 2000 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 8 000 DM festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an die Vorinstanz (§ 133 Abs. 6 VwGO).
Zu Recht rügt die Beschwerde eine Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) durch das Berufungsgericht, weil dieses zwar Umstände für entscheidungserheblich gehalten, sich jedoch diesbezüglich nicht um eine weitere Aufklärung bemüht und danach gemäß den Grundsätzen über die materielle Beweislast zu Lasten der Klägerin entschieden hat.
Das Oberverwaltungsgericht hat ausgeführt:
„Sie (gemeint ist die Kausalität zwischen Unfall und Bandscheibenschädigung) kann schließlich auch deshalb nicht mit der gebotenen Verlässlichkeit festgestellt werden, weil für die Kausalitätsbeurteilung bedeutsame Sachverhaltsermittlungen im Zusammenhang mit dem Unfallgeschehen sowie bei der Abklärung der Beschwerdesymptomatik unterblieben sind. Diese können heute entweder nicht mehr nachgeholt werden oder versprechen wegen der zeitlichen Distanz dazu nicht mehr den gewünschten Aufschluss” (S. 11 U.A.).
Mit dieser Begründung durfte eine weitere Ermittlung des vom Berufungsgericht als entscheidungserheblich erkannten Sachverhalts nicht ausgeschlossen werden. Ob Aufklärungsmaßnahmen den beabsichtigten Erfolg haben werden, lässt sich – soweit sie überhaupt geeignet sind, zur Feststellung bestimmter Tatsachen beizutragen – erst nach deren Durchführung beurteilen. Das Absehen von einer weiteren Aufklärung mit der Begründung, etwa in Betracht kommende Beweismittel würden voraussichtlich nicht den gewünschten Aufschluss erbringen, stellt eine unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung und damit eine Verletzung der Verpflichtung des Gerichts gemäß § 86 Abs. 1 VwGO dar, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen (vgl. Urteil vom 19. März 1998 – BVerwG 2 C 5.97 – ≪BVerwGE 106, 263, 265 f.≫). Eine nach Einschätzung des Gerichts geringe Wahrscheinlichkeit, dass Aufklärungsmaßnahmen zu weiteren Erkenntnissen führen werden, rechtfertigt nicht die Begrenzung der Amtsermittlungspflicht.
Eine weitere Beweiserhebung durch das Berufungsgericht war auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil taugliche Beweismittel nicht zur Verfügung standen. Feststellungen über die Aufprallgeschwindigkeit, der nach Auffassung des Berufungsgerichts eine bedeutsame Indizwirkung zukam, mögen zwar nach der Verschrottung des Unfallfahrzeugs erschwert gewesen sein, waren aber nicht von vornherein ausgeschlossen. Zutreffend weist die Beschwerde darauf hin, dass Erkenntnisse über Unfallverlauf und -erfolg nach wie vor gewonnen und danach möglicherweise auch die körperlichen Einwirkungen auf die Klägerin rekonstruiert werden können. Ebenso wenig ist ersichtlich, dass über die „Genese der Schmerzsymptomatik”, die das Berufungsgericht ebenfalls als entscheidungserhebliches Indiz angesehen hat, keine weiteren Erkenntnisse erlangt werden konnten. Insoweit hätte sich eine Befragung der Ärzte angeboten, die die Klägerin unmittelbar vor und nach dem Unfallereignis behandelt haben. Sollte eine Aufklärung in dieser Richtung aufgrund mangelnder Mitwirkung der Klägerin ausgeschlossen sein, könnte dies bei der Beweiswürdigung berücksichtigt werden, wie im Übrigen eine etwaige mangelnde Mitwirkung der Klägerin bei den gerichtlich angeordneten ärztlichen Begutachtungen und eine darauf beruhende Unaufklärbarkeit ebenfalls bedeutsam sein könnten.
Mit der Rüge mangelnder Sachaufklärung ist die Klägerin nicht deshalb ausgeschlossen, weil sie – zumal im Berufungsverfahren anwaltlich vertreten – keinen förmlichen Beweisantrag gestellt hat. Die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung hätte sich dem Berufungsgericht aufdrängen müssen (vgl. Urteil vom 22. Februar 1996 – BVerwG 2 C 12.94 – ≪Buchholz 237.6 § 86 Nr. 4 S. 10≫), weil es Umstände, die nach seiner Auffassung als Indizien für den von ihm festzustellenden Kausalzusammenhang Gewicht hatten, nicht ermittelt hat, obgleich die Möglichkeiten weiterer Sachaufklärung nicht ausgeschöpft waren.
Es ist nicht auszuschließen, dass das Urteil auf der Verletzung der Aufklärungspflicht beruht. Das Berufungsgericht hat ausgeführt, auch für den Senat erscheine es denkbar, „dass es bei entsprechend hoher Aufprallenergie bei angelegtem Sicherheitsgurt bei der Klägerin zu einer heftigen Anteflexionsbewegung bis in die Brustwirbelsäule hinein gekommen ist … Im Hinblick darauf, dass diese Indizien, jedenfalls zu einem nicht unwesentlichen Teil, auf nicht weiter absicherbaren Hypothesen beruhen, sieht sich der Senat mit dem Obergutachter aber nur dann in der Lage, hierin einen in etwa anteiligen Verursachungsbeitrag zu erkennen, wenn eine schmerzvermittelte Brückensymptomatik, beginnend mit dem Unfallereignis bis zur ersten ärztlichen Untersuchung im September 1993, nachgewiesen ist” (S. 12 U.A.). Damit hat das Berufungsgericht erklärtermaßen die weitere Würdigung von Indizien in einen Zusammenhang mit bisher nicht aufgeklärten, aber als entscheidungserheblich angesehenen und deshalb aufklärungsbedürftigen Tatsachen gesetzt, nämlich mit einer „entsprechend hohen Aufprallenergie” und einer „schmerzvermittelten Brückensymptomatik”.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.
Unterschriften
Dr. Silberkuhl, Groepper, Dr. Bayer
Fundstellen