Verfahrensgang
VG Dresden (Aktenzeichen 13 K 1334/98) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 27. Februar 2001 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 650 000 DM festgesetzt.
Gründe
Der Kläger beansprucht für die Erben nach seinem Großvater die Rückübertragung eines bebauten Grundstücks nach den Vorschriften des Gesetzes zur Regelung offener Vermögensfragen – VermG –. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen, weil die seinerzeitige Inanspruchnahme des Grundstücks nach den Vorschriften des Aufbaugesetzes keine Schädigungsmaßnahme, insbesondere keine unlautere Machenschaft im Sinne des § 1 Abs. 3 VermG, gewesen sei.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil ist begründet; denn es leidet an einem zu seiner Aufhebung führenden Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
Der Kläger rügt zu Recht eine fehlerhafte richterliche Überzeugungsbildung und damit einen Verstoß des Verwaltungsgerichts gegen § 108 Abs. 1 VwGO. Das Verwaltungsgericht blendet aus seiner abschließenden Sachverhaltswürdigung wesentliche Elemente des Sachverhalts mit einer Begründung aus, die nicht frei von Verstößen gegen Erfahrungs- und Denkgesetze ist. Ein wesentlicher Bestandteil des Vorbringens des Klägers war die Behauptung, dass sein Großvater und nach dessen Tod zunächst auch noch dessen Kinder sich fortwährend um eine Genehmigung zum Wiederaufbau des kriegszerstörten Hauses bemüht hätten und diese – anders als in vergleichbaren Fällen in der Nachbarschaft – von den staatlichen Stellen grundlos verweigert worden sei, obwohl sodann die Enteignung des Grundstücks eben diesem Zweck gedient habe. Der Kläger hat daraus geschlossen, dass es den Behörden ausschließlich darum gegangen sei, sich das Grundstück in diskriminierender Weise anzueignen; als weitere Indizien hierfür hat er den fehlgeschlagenen Zugriff der Behörden auf den Betrieb seines Großvaters, die Nichtbeteiligung der Erben an dem Enteignungsverfahren und den Umstand angeführt, dass die Witwe des verstorbenen Eigentümers durch falsche Versprechungen dazu überredet worden sei, der Inanspruchnahme des Grundstücks zuzustimmen.
Das Verwaltungsgericht hat einen die Enteignung inkriminierenden Zusammenhang zwischen der Verweigerung der Baugenehmigung und der Inanspruchnahme des Grundstücks nach dem Aufbaugesetz vorrangig mit der Begründung verneint, die Erklärung zum Aufbaugebiet habe bewirkt, dass auch ein bebautes Grundstück hätte enteignet werden können, insbesondere wenn – wie hier – mehr Wohnungen hätten geschaffen werden sollen als vorhanden gewesen seien.
Dieses Argument des Verwaltungsgerichts ist von vornherein ungeeignet, die vom Kläger behauptete Verknüpfung zwischen der Versagung der Baugenehmigung und dem staatlichen Zugriff auf das Grundstück auszuräumen. Es läuft in der Sache auf die Behauptung hinaus, das Grundstück wäre mutmaßlich auch enteignet worden, wenn dem Großvater des Klägers die beantragte Baugenehmigung nicht verweigert worden wäre und er demgemäß das kriegszerstörte Mietwohnhaus mit zehn Wohnungen wieder aufgebaut hätte. Dieser Schluss verstößt gegen die Denkgesetze. Aus dem Umstand, dass auch bebaute Grundstücke zu Aufbauzwecken, insbesondere zur Wiederherstellung von Wohnraum enteignet werden konnten, lässt sich nicht herleiten, dass die Enteignung eines Grundstücks mit einem kurze Zeit zuvor mit behördlicher Genehmigung wieder aufgebauten Mietwohnhauses in Betracht gekommen wäre, um durch einen erneuten Wiederaufbau ein Gebäude mit dreizehn statt der vorhandenen zehn Wohnungen zu errichten. Eine solche Annahme würde zudem den zuständigen Behörden auch und gerade im Blick auf den vom Verwaltungsgericht besonders hervorgehobenen Gesichtspunkt der Minderung von „Wohnungsknappheit” ein derart unverständliches, ja geradezu törichtes Vorgehen unterstellen, dass sie einer besonders eingehenden, hier jedoch gänzlich fehlenden Begründung bedurft hätte. Das Verwaltungsgericht hat also mit anderen Worten aus der bloßen Existenz einer normativen Regelung eine nicht bestehende Indizwirkung für die Verneinung einer tatsächlichen Gegebenheit, nämlich einer Verknüpfung zwischen einer „zu Unrecht” verweigerten Baugenehmigung einerseits und der später erfolgten Enteignung andererseits hergeleitet. „Zu Unrecht” kann in diesem Zusammenhang überdies nur bedeuten, dass die Baugenehmigung wegen der bestehenden „Wohnungsknappheit” eigentlich hätte erteilt werden müssen. Damit unterläuft dem Verwaltungsgericht zusätzlich noch eine Begriffsvertauschung, denn eine unter der genannten Prämisse erfolgte Ablehnung des Wiederaufbaus hätte – genau entgegengesetzt zu der das Urteil tragenden Behauptung – darauf hingedeutet, dass die staatlichen Stellen bestrebt waren, das Grundstück auf Dauer an sich zu bringen.
Hinzu kommt, dass der Eigentümer sogar bereit war, das Aufbaukonzept der Behörden zu übernehmen. Zwar weist das Verwaltungsgericht vor diesem Hintergrund ergänzend auf einen Aktenvermerk aus dem Juni 1954 hin, nach dem der Selbstausführung der Baumaßnahme durch den Eigentümer nur noch die Frage der Finanzierbarkeit entgegengestanden habe. Damit lässt sich jedoch die Verweigerung der Baugenehmigung in der Zeit vor 1954, die erst die Frage der Enteignung nach dem Aufbaugesetz hat aufkommen lassen, nicht erklären. Abgesehen davon trifft das Verwaltungsgericht keinerlei konkrete Feststellungen dazu, dass der Wiederaufbau durch den Eigentümer oder dessen Rechtsnachfolger zu dem späteren Zeitpunkt tatsächlich an der Finanzierung gescheitert ist; vielmehr flüchtet es sich in die vage Formulierung, dass die finanzielle Situation des Großvaters des Klägers sich zunehmend schlechter dargestellt habe, um an anderer Stelle des Urteils auszuführen, dass er im Zeitpunkt seines Todes über keine größeren Mittel verfügt habe und es keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass die Mitglieder der Erbengemeinschaft sich den Behörden gegenüber bereit erklärt hätten, ihr eigenes vorhandenes Vermögen einzubringen.
Die weiteren Feststellungen des Verwaltungsgerichts zur seinerzeitigen Handhabung des Aufbaugesetzes und zu der zeitlichen Nähe der Enteignung von Nachbargrundstücken besagen ebenfalls nichts dazu, ob die Inanspruchnahme des hier betroffenen Grundstücks Schlusspunkt einer gezielten Diskriminierung war, und erst Recht nichts darüber, ob die Baugenehmigung für den Großvater des Klägers gezielt verschleppt worden ist. Soweit das Gericht sich schließlich mit den vom Kläger gerügten Mängeln des Enteignungsverfahrens auseinander setzt, stellt es in der Konsequenz seines zuvor dargelegten verfahrensfehlerhaften Vorgehens keine Verknüpfung zu dem Vorgeschehen her. Es prüft diese Mängel also zwar isoliert, ohne sie in den Gesamtvorgang einzuordnen, und kommt so zu dem Ergebnis, dass im Zeitpunkt der Enteignung die hierzu notwendigen Voraussetzungen vorgelegen hätten. Diese Argumentation verdeutlicht nachhaltig, dass das Verwaltungsgericht den Kern des Klagevortrages ausgeblendet hat, dass nämlich der Zugriff auf das Grundstück durch die jahrelange Verweigerung der Baugenehmigung geprägt sei.
Angesichts dieses Verstoßes gegen den Überzeugungsgrundsatz nach § 108 Abs. 1 VwGO kann offen bleiben, ob weitere Verfahrensmängel vorliegen, auf denen das angegriffene Urteil beruht.
Der Senat nimmt den geschehenen Verfahrensfehler zum Anlass, das angegriffene Urteil nach § 133 Abs. 6 VwGO aufzuheben und den Rechtsstreit an die Vorinstanz zurückzuverweisen. Das Verwaltungsgericht wird bei der erneuten Entscheidung über den Rechtsstreit die vorliegenden Tatsachen unter Berücksichtigung des Klagevortrages umfassend zu würdigen haben und dabei, soweit es für eine ordnungsgemäße Überzeugungsbildung zu den Gründen des Eigentumszugriffs noch erforderlich sein sollte, notwendige Tatsachenfeststellungen nachholen müssen. Dabei wird es zu berücksichtigen haben, dass die Beurteilung, ob der Zugriff auf das umstrittene Grundstück diskriminierenden Charakter hatte, eine Gesamtschau des Geschehensablaufs erfordert und eine unlautere Machenschaft nicht allein deswegen verneint werden kann, weil die Verweigerung der Baugenehmigung möglicherweise nicht auf die spätere konkrete Enteignung nach dem Aufbaugesetz zielte, sondern allgemeiner darauf, das Interesse des Eigentümers an dem Trümmergrundstück zu zerstören, um auf diese Weise die Voraussetzungen für eine Übernahme in Volkseigentum zu schaffen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG. Der Wertbemessung hat der Senat die Angaben des Verfahrensbevollmächtigten der Beigeladenen zu Grunde gelegt, die von übrigen Beteiligten nicht infrage gestellt worden ist.
Unterschriften
Dr. Franßen, Kley, Neumann
Fundstellen