Verfahrensgang
OVG Berlin-Brandenburg (Beschluss vom 30.11.2022; Aktenzeichen OVG 9 A 1.19) |
Tenor
Die Beschwerde der Antragsteller gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 30. November 2022 wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner.
Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 20 000 € festgesetzt.
Gründe
I
Rz. 1
Die in kommunalen Gemeinschaftsunterkünften untergebrachten Antragsteller wenden sich im Wege der Normenkontrolle gegen § 5 Abs. 1 und 2 der Satzung des Antragsgegners vom 16. Mai 2018 über die Erhebung von Gebühren für die Benutzung von Einrichtungen zur vorläufigen Unterbringung von Flüchtlingen, spätausgesiedelten und weiteren aus dem Ausland zugewanderten Personen. § 5 der Satzung regelt die Höhe der monatlichen Nutzungsgebühr, die je nach Unterkunft, Personenkreis und Aufenthaltsdauer 288,43 € bzw. 473,94 € beträgt. Das Oberverwaltungsgericht wies den Antrag mit Beschluss vom 30. November 2022 zurück; die Revision wurde nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die von den Antragstellern am 3. Januar 2023 erhobene Beschwerde.
II
Rz. 2
Die allein auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
Rz. 3
Grundsätzlich bedeutsam im Sinne dieser Vorschrift ist eine Rechtssache nur, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint. Den Darlegungen der Beschwerde (vgl. § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) lässt sich nicht entnehmen, dass diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind.
Rz. 4
Die einzig aufgeworfene Frage,
ob eine Gebührenbemessung, die für ein von vornherein mit den Verhältnissen auf dem allgemeinen Wohnungsmarkt nicht vergleichbares Leistungsangebot zu mehr als dem Doppelten des auf dem Mietwohnungsmarkt Üblichen an Entgelt führt, mit dem Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes (Art. 20 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) vereinbar ist,
führt danach nicht zur Zulassung der Revision.
Rz. 5
1. Die Rüge betrifft die Auslegung und Anwendung von Landesrecht, das gemäß § 137 Abs. 1 VwGO der revisionsgerichtlichen Kontrolle entzogen ist. Die Rechtmäßigkeit der satzungsmäßigen Gebührenregelung bestimmt sich in erster Linie nach den Vorgaben des höherrangigen Landesrechts, insbesondere nach § 11 Abs. 2 Satz 3 des Gesetzes über die Aufnahme von Flüchtlingen, spätausgesiedelten und weiteren aus dem Ausland zugewanderten Personen im Land Brandenburg sowie zur Durchführung des Asylbewerberleistungsgesetzes (Landesaufnahmegesetz - LAufnG), das die Landkreise und kreisfreien Städte zur Festsetzung der Höhe der Nutzungsentgelte durch Satzung ermächtigt. Vorschriften des Ortsrechts, die Vorgaben des Landesrechts umsetzen, unterliegen grundsätzlich nicht der Prüfung durch das Revisionsgericht (vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. Mai 2003 - 9 BN 3.03 - Buchholz 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 98 S. 22 und Beschluss vom 20. September 2007 - 9 BN 2.07 - Buchholz 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 105 Rn. 4).
Rz. 6
2. Die Rüge der Nichtbeachtung von Bundesrecht bei der Anwendung und Auslegung des irrevisiblen Rechts vermag eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision nur dann zu begründen, wenn die Auslegung der - gegenüber dem irrevisiblen Recht als korrigierender Maßstab angeführten - bundesrechtlichen Norm ihrerseits ungeklärte Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 19. Mai 2011 - 9 B 83.10 - juris Rn. 3 m. w. N.). Es muss also grundsätzlicher Klärungsbedarf hinsichtlich der bundesverfassungsrechtlichen Maßstabsnorm selbst, hier bezüglich des von der Beschwerde allein thematisierten Sozialstaatsgebots als "Korrektiv" für die Gebührenbemessung, aufgezeigt werden. Daran fehlt es.
Rz. 7
a) Die als Grundsatzrüge formulierte Frage zielt darauf ab, ob sich aus dem Sozialstaatsprinzip eine Gebührenobergrenze ergibt. Welche nähere Begrenzung aus dem Sozialstaatsprinzip folgen könnte und warum der in der Frage genannte allgemeine Wohnungsmarkt überhaupt ein geeigneter Bezugspunkt für die Gebührenbemessung sein sollte, wird im Beschwerdevorbringen allerdings nicht ausgeführt. Dass aus Art. 1 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 1 GG ein Anspruch auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums folgt, dessen Erfüllung dem Gesetzgeber im Rahmen seines Gestaltungsspielraums obliegt, ist in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung geklärt (vgl. nur BVerfG, Urteil vom 18. Juli 2012 - 1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11 - BVerfGE 132, 134 Rn. 63 ff.; aus jüngerer Zeit BVerfG, Beschluss vom 19. Oktober 2022 - 1 BvL 3/21 - NVwZ 2023, 246 Rn. 52 ff.). Von diesem Maßstab geht auch das Oberverwaltungsgericht in dem angefochtenen Beschluss aus. Seine Argumentation basiert darauf, dass bereits durch die Ausgestaltung der Satzungsermächtigung in § 11 LAufnG allen Unterkunftsbenutzern der existenzsichernde Regelsatz gemäß §§ 28 ff. SGB XII zuzüglich der Freibeträge nach § 82 SGB XII verbleibt. Nur danach leistungsfähige Personen können überhaupt auf der Grundlage der Satzung zu einem Nutzungsentgelt herangezogen werden; gegebenenfalls wird das geschuldete Nutzungsentgelt entsprechend reduziert.
Rz. 8
b) Die Bezugnahme der Beschwerdebegründung auf die "divergierende" Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs zu Benutzungsgebühren bei staatlichen Flüchtlingsunterkünften führt zu keiner anderen Beurteilung.
Rz. 9
Zwar kann die unterschiedliche Beantwortung einer revisiblen Rechtsfrage durch Gerichte, bezüglich deren Entscheidungen keine Divergenzrevision in Betracht kommt, Indiz für die grundsätzliche Klärungsbedürftigkeit einer Frage i. S. v. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sein (vgl. Winkelmüller/van Schewick, in: Gärditz, VwGO, 2. Aufl. 2018, § 132 Rn. 36, 44). Die mit der Beschwerde geltend gemachte Abweichung des Oberverwaltungsgerichts von der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs liegt indes nicht vor. Dieser hat in den von den Antragstellern in Bezug genommenen Entscheidungen ausgeführt, die Gebührenfestsetzung könne durch ein aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitendes Verbot der Überforderung begrenzt sein, wenn eine die Mindestvoraussetzung für ein menschenwürdiges Dasein sicherstellende Leistung - wie etwa die Befriedigung der Grundbedürfnisse "Wohnen" oder "Essen" - ausschließlich von der staatlichen Gemeinschaft erbracht werden könne; in einer solchen Lage könnten Kosten, welche die Allgemeinheit aus dem Sozialstaatsgebot (Art. 20 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) heraus zu tragen oder vorzufinanzieren verpflichtet sei, regelmäßig nicht in voller Höhe auf den einzelnen Hilfebedürftigen umgelegt werden. Daher müsse ausländischen Flüchtlingen auch dann, wenn sie aufgrund eigener Erwerbstätigkeit in der Lage und somit entsprechend dem Grundsatz der Subsidiarität staatlicher Leistungen auch verpflichtet seien, zu ihrem Lebensunterhalt beizutragen, Wohnraum zu möglichst günstigen Bedingungen bereitgestellt werden und komme lediglich eine symbolische Erhebung von Benutzungsgebühren in Betracht, deren Höhe sich an derjenigen für eine Not- und Obdachlosenunterbringung orientiere (vgl. VGH München, Beschlüsse vom 16. Mai 2018 - 12 N 18.9 - juris Rn. 99 ff. und vom 14. April 2021 - 12 N 20.2529 - juris Rn. 53, 81, 87).
Rz. 10
Ungeachtet der Frage, ob diese Rechtsprechung überzeugt, liegen ihre Voraussetzungen vorliegend schon deshalb nicht vor, weil nach den mit der Beschwerde nicht angegriffenen und daher das Bundesverwaltungsgericht bindenden (§ 137 Abs. 2 VwGO) Feststellungen der Vorinstanz Betroffene, die nicht zur Wohnsitznahme in einer Gemeinschaftsunterkunft verpflichtet sind, privaten Wohnraum beziehen können, eine Unterkunft mithin nicht allein durch den Staat zur Verfügung gestellt werden kann. Hierzu soll durch die höhere Gebühr von 473,94 € - statt des für andere Bewohner geltenden, nicht kostendeckenden und unterhalb der Nutzungsgebühr für eine Obdachlosenunterkunft liegenden Betrags von 288,43 € - ein Anreiz geschaffen werden, um eine "Fehlbelegung" der staatlichen Einrichtungen zu vermeiden. Die Annahme einer (nur) regelmäßig unzulässigen vollständigen Kostenumlegung steht hierzu ebenfalls nicht in einem revisionsgerichtlich klärungsbedürftigen Widerspruch.
Rz. 11
Der Kritik der Beschwerde, die Kosten der Unterbringung überstiegen die durchschnittlichen Mietpreise auf dem allgemeinen Wohnungsmarkt um das Doppelte, stehen zudem die von der Beschwerde gleichfalls nicht angegriffenen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts zur fehlenden Vergleichbarkeit von Gemeinschaftsunterkünften und privatem Wohnraum entgegen. Im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof, soweit er in seiner neueren Judikatur (Beschluss vom 14. April 2021 - 12 N 20.2529 - juris Rn. 87) auf das Überschreiten der üblichen Mietpreise "um mehr als das Doppelte" verweist, damit keine aus dem Sozialstaatsprinzip abgeleitete Grenze für die Gebührenerhebung beschrieben, sondern nur die (von ihm angenommene) Untauglichkeit des vom bayerischen Verordnungsgeber gewählten Ansatzes der Gebührenermittlung illustriert.
Rz. 12
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 159 Satz 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG; sie entspricht der Wertfestsetzung des Oberverwaltungsgerichts.
Fundstellen
Dokument-Index HI15941031 |