Entscheidungsstichwort (Thema)
Normenkontrollklage. Bebauungsplan. Antragsbefugnis. Rechtsschutzbedürfnis. Rechtsschutzinteresse
Leitsatz (amtlich)
Für eine Normenkontrollklage gegen einen Bebauungsplan, aufgrund dessen eine vom Antragsteller als nachteilig angesehene Bebauung seines Nachbargrundstücks genehmigt worden ist, ist ein Rechtsschutzbedürfnis nicht mehr gegeben, wenn der Bebauungsplan inzwischen durch einen anderen Plan ersetzt worden ist und die Bebauung des Nachbargrundstücks auch nach § 34 BauGB genehmigt werden müßte.
Normenkette
VwGO § 47 Abs. 2; BauGB §§ 30, 34
Verfahrensgang
Hessischer VGH (Beschluss vom 20.02.1995; Aktenzeichen 4 N 253/88) |
Tenor
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Nichtvorlage der Rechtssache in dem Normenkontrollverfahren, in dem der Beschluß des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 20. Februar 1995 ergangen ist, wird verworfen.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 15 000 DM festgesetzt.
Gründe
Die Antragstellerin wendet sich im Normenkontrollverfahren gegen einen – inzwischen durch einen anderen Plan ersetzten – Bebauungsplan, auf dessen Grundlage die Bebauung eines Nachbargrundstücks mit einem Mehrfamilienhaus genehmigt worden ist. Sie hat auch gegen die Baugenehmigung für dieses Vorhaben Widerspruch eingelegt, über den bisher noch nicht entschieden ist. Das Normenkontrollgericht hat das Rechtsschutzinteresse für den Normenkontrollantrag bejaht, weil nicht ausgeschlossen werden könne, daß die Rechtsposition der Antragstellerin im Widerspruchsverfahren verbessert werde, wenn der Bebauungsplan für nichtig erklärt werde. Gleichwohl hat es den Antrag abgewiesen, weil die Antragstellerin durch den Bebauungsplan keinen Nachteil im Sinne von § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO erleide. Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit der Nichtvorlagebeschwerde.
Die nach § 47 Abs. 7 VwGO statthafte Beschwerde ist unzulässig. Für die Durchführung des Nichtvorlagebeschwerdeverfahrens ist ein Rechtsschutzinteresse nicht erkennbar.
Nach allgemeiner Auffassung fehlt einem Antrag auf gerichtlichen Rechtsschutz das Rechtsschutzinteresse dann, wenn der Antragsteller seine Rechtsstellung mit der begehrten gerichtlichen Entscheidung nicht verbessern kann und die Inanspruchnahme des Gerichts deshalb für ihn nutzlos erscheint (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Beschluß vom 28. August 1987 – BVerwG 4 N 3.86 – BVerwGE 78, 85 ≪91≫). Im vorliegenden Fall, in dem der streitige Bebauungsplan inzwischen von der Antragsgegnerin aufgehoben worden ist und deshalb für die Zukunft keine Wirkungen mehr entfalten kann, kommt eine Verbesserung der Rechtsposition der Antragstellerin durch die im Normenkontrollverfahren begehrte Nichtigkeitserklärung allenfalls noch im Hinblick auf den anhängigen Nachbarstreit in Betracht. Auch dies kann hier jedoch nach den weiteren Ausführungen des Normenkontrollgerichts nicht angenommen werden. Denn das Mehrfamilienhaus auf dem Nachbargrundstück wäre nach der Rechtsauffassung des Normenkontrollgerichts auch ohne den Bebauungsplan zulässig gewesen (Beschluß des Normenkontrollgerichts, S. 10). Bei unterstellter Nichtigkeit des Bebauungsplans wäre es nämlich im Zeitpunkt der Erteilung des Bauvorbescheids nach § 34 Abs. 1 BBauG rechtlich zulässig gewesen (Beschluß, S. 13), weil es sich im Rahmen des Vorgegebenen halte (Beschluß, S. 15). Diese Beurteilung hat das Normenkontrollgericht im einzelnen begründet. Die Beschwerdeführerin ist dem – auch nicht nach dem Hinweis des Senats, daß das Rechtsschutzinteresse aus diesem Grunde möglicherweise fehlen könne – nicht substantiiert entgegengetreten.
Unter diesen Umständen kann zugunsten der Antragstellerin unterstellt werden, daß ihrer Beschwerde an sich stattgegeben werden und sie nach Zurückverweisung der Sache an das Normenkontrollgericht auch im Normenkontrollverfahren Erfolg haben müßte, weil das Normenkontrollgericht zu Unrecht ihre Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO verneint hat und im Rahmen der materiellrechtlichen Prüfung auch die Nichtigkeit des Bebauungsplans, etwa wegen des geltend gemachten Abwägungsmangels, feststellen müßte. Denn auch in diesem Fall hätte das Gebäude auf dem Nachbargrundstück genehmigt werden müssen, weil es dann nach § 34 Abs. 1 BBauG grundsätzlich planungsrechtlich zulässig gewesen wäre. Soweit es bei Annahme der Wirksamkeit des Bebauungsplans ausnahmsweise wegen Verstoßes gegen das in § 15 Abs. 1 BauNVO enthaltene Gebot der Rücksichtnahme unzulässig sein sollte, wäre es auch bei einer Beurteilung nach § 34 Abs. 1 BBauG wegen des in dieser Vorschrift enthaltenen inhaltsgleichen Rücksichtnahmegebots unzulässig, wie das Normenkontrollgericht zu Recht dargelegt hat. Damit erweist sich die Beschwerde als unzulässig, weil sie die Antragstellerin ihrem eigentlichen Ziel, die Aufhebung der Genehmigung für das Mehrfamilienhaus zu erreichen, nicht näher bringt.
Offen kann deshalb bleiben, ob – einerseits – nicht bereits das Normenkontrollgericht den Antrag auf der Grundlage seiner eigenen Ausführungen wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses hätte abweisen müssen und ob es (bei unterstelltem Rechtsschutzinteresse) – andererseits – unter Beachtung der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. beispielsweise den in der Beschwerde genannten Beschluß vom 18. März 1994 – BVerwG 4 NB 24.93 – ≪Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 88 – ZfBR 1994, 196≫, aber auch, weil der Bebauungsplan auch Festsetzungen für das Grundstück der Antragstellerin enthält, die Beschlüsse vom 17. Dezember 1992 – BVerwG 4 N 2.91 – ≪BVerwGE 91, 318≫ und vom 6. Januar 1993 – BVerG 4 NB 38.92 – ≪Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 73 – BRS 55 Nr. 26≫) von der Antragsbefugnis der Antragstellerin hätte ausgehen müssen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Den Wert des Streitgegenstandes setzt der Senat gemäß § 14 Abs. 1, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG fest.
Unterschriften
Gaentzsch, Hien, Lemmel
Fundstellen
Haufe-Index 845583 |
NuR 1999, 299 |
BRS 1995, 110 |