Verfahrensgang

Niedersächsisches OVG (Urteil vom 13.10.1993; Aktenzeichen 4 L 6046/92)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 13. Oktober 1993 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

 

Gründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Sie zeigt einen Revisionszulassungsgrund nicht auf.

Entscheidungserhebliche Verfahrensmängel, die die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO rechtfertigen könnten, lassen sich der Beschwerde nicht entnehmen. Sie rügt insoweit, „das Oberverwaltungsgericht hätte bei seiner Entscheidung die Ergebnisse aus der Beweisaufnahme, die das Verwaltungsgericht … angestellt hat, nicht unter Berufung auf den historischen Sachverhalt, der den Kündigungsgrund bildet, außer Acht lassen dürfen”. Damit übersieht sie, daß bei der Prüfung, ob dem Tatsachengericht ein Verfahrensfehler unterlaufen ist, von seiner materiellrechtlichen Rechtsauffassung auszugehen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. März 1987 – BVerwG 6 C 10.84 – sowie Beschluß vom 17. Februar 1993 – BVerwG 3 B 131.92 – ≪Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 183 S. 4 und 418.72 WeinG Nr. 22 S. 27≫). Kam es danach für die zu treffende Entscheidung auf bestimmte Tatsachen nicht an, so läßt sich kein Verfahrensfehler feststellen, wenn das Berufungsgericht diese Tatsachen eben deshalb nicht berücksichtigt hat. So liegt es hier. Denn das Berufungsgericht war der Auffassung, für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der vom Beklagten erteilten Zustimmung zur Kündigung des Arbeitsvertrages mit dem Kläger sei auf den historischen Sachverhalt in dem Sinne abzustellen, daß es auf den vom Arbeitgeber für die Kündigung herangezogenen Grund ankomme und deshalb der (damalige) Stand der Kenntnis der Beigeladenen und des Beklagten maßgeblich sei (BU S. 19 ff.). Ausgehend von dieser Rechtsauffassung durfte es die in Rede stehenden Ergebnisse der Beweisaufnahme vor dem Verwaltungsgericht für unerheblich halten, ohne sich dem Vorwurf eines Verfahrensfehlers auszusetzen.

Die Revision kann auch nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zugelassen werden. Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage, „in welcher Weise einem Schwerbehinderten im Rahmen des Zustimmungsverfahrens eine Mitwirkung obliegt bzw. in welcher Weise er von der Hauptfürsorgestelle … darauf hinzuweisen ist, wenn er bestimmte Mitwirkungshandlungen noch nicht bzw. nicht vollzogen hat”, gibt der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne der genannten Vorschrift. Die Antwort auf diese Frage läßt sich – soweit sie nicht ohnehin nur nach Maßgabe der Umstände des jeweiligen Einzelfalles gegeben werden kann – ohne weiteren Klärungsbedarf den einschlägigen gesetzlichen Vorschriften und der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entnehmen.

Bei der Entscheidung der Hauptfürsorgestelle über die Zustimmung zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Schwerbehinderten durch den Arbeitgeber (§§ 15 ff. SchwbG) richtet sich das Verwaltungsverfahren grundsätzlich nach den Vorschriften des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch, soweit das Schwerbehindertengesetz als besonderer Teil des Sozialgesetzbuchs (Art. II § 1 Nr. 3 SGB-AT) nichts Abweichendes im Sinne des § 37 Satz 1 SGB I bestimmt (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 18. Mai 1988 – BVerwG 5 B 135.87 –, vom 11. Juni 1992 – BVerwG 5 B 16.92 – sowie vom 1. Juli 1993 – BVerwG 5 B 73.93 – ≪Buchholz 436.61 § 15 SchwbG 1986 Nrn. 1 und 5 sowie § 17 SchwbG Nr. 3≫). Die Hauptfürsorgestelle hat deshalb nach § 20 SGB X, anknüpfend an den Antrag des Arbeitgebers und von ihm ausgehend, von Amts wegen all das zu ermitteln, was erforderlich ist, um die gegensätzlichen Interessen von Arbeitgeber und schwerbehindertem Arbeitnehmer gegeneinander abwägen zu können (vgl. BVerwGE 90, 287 ≪294≫). In das Abwägungsmaterial für die interessenwägende Ermessensentscheidung der Hauptfürsorgestelle ist, wenn die Kündigung auf krankheitsbedingte Leistungsdefizite gestützt werden soll, auch einzustellen, ob und inwieweit die Defizite mit der Behinderung in Zusammenhang stehen und ob im Betrieb ein anderer, behinderungsgerechter Arbeitsplatz vorhanden ist, auf den der Arbeitgeber den Schwerbehinderten umsetzen kann (vgl. BVerwGE 29, 140 ≪143 f.≫ sowie Beschluß vom 11. September 1990 – BVerwG 5 B 63.90 – ≪Buchholz 436.61 § 15 SchwbG 1986 Nr. 4≫).

Die Verpflichtung der Behörde zur umfassenden Sachverhaltsaufklärung findet jedoch ihre Grenzen u.a. in der sich aus der (mit § 26 Abs. 2 VwVfG wortgleichen) Bestimmung des § 21 Abs. 2 SGB X ergebenden allgemeinen Mitwirkungspflicht des Betroffenen. Die Behörde muß nur solchen Umständen nachgehen, die sich ihr bei vernünftiger Überlegung aufdrängen. Dagegen besteht für die Behörde grundsätzlich kein Anlaß, in Richtung auf denkbare Umstände, die allein den Lebensbereich des Betroffenen berühren, von ihm aber im Verwaltungsverfahren nicht geltend gemacht werden, von Amts wegen zu ermitteln (vgl. BVerwG, Beschluß vom 10. Mai 1985 – BVerwG 1 B 51.85 – ≪Buchholz 402.24 § 10 AuslG Nr. 108≫ unter Bezugnahme u.a. auf BVerwGE 59, 87 ≪103 f.≫; vgl. ferner BVerwGE 85, 79 ≪87≫). Das gilt für die Schwerbehindertenfürsorge im Rahmen des Sonderkündigungsschutzes um so mehr, als der Schwerbehindertenstatus zum grundrechtlich geschützten Bereich der Persönlichkeitsrechte gehört und es dem Schwerbehinderten überlassen bleiben muß, ob und auf welche seiner Behinderungen er sich im Rahmen des § 15 SchwbG beruft (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Oktober 1987 – BVerwG 5 C 42.84 – ≪Buchholz 436.61 § 6 SchwbG Nr. 1 = NZA 1988, 431≫).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit auf § 188 Satz 2 VwGO.

 

Unterschriften

Dr. Hömig, Dr. Pietzner, Dr. Rothkegel

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1212078

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