Verfahrensgang
VG Halle (Saale) (Aktenzeichen 2 A 1011/98) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Halle vom 22. Mai 2001 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 57 000 DM festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde hat mit dem Ergebnis der Zurückverweisung Erfolg. Zwar greift die Grundsatzrüge nicht durch, aber die Verfahrensrüge ist berechtigt. Das angefochtene Urteil beruht auf dem geltend gemachten Verfahrensmangel, weil der Beigeladenen rechtliches Gehör versagt worden ist (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO). Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung macht der Senat von der Möglichkeit der Aufhebung der Entscheidung und der Zurückverweisung der Sache an das Verwaltungsgericht Gebrauch (§ 133 Abs. 6 VwGO).
1. Hinsichtlich des Zulassungsgrundes der grundsätzlichen Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) hat die Beschwerde zunächst die Frage gestellt,
ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen es als unlautere Machenschaft gemäß § 1 Abs. 3 VermG zu werten ist, wenn DDR-Stellen die Genehmigung des Verzichts auf das Eigentum an einem bebauten Grundstück mit einem Gesamtverzicht auf alle – auch unbebauten – Grundstücke des partiell Verzichtswilligen verknüpft haben, und ob diese Annahme davon abhängt, dass das bebaute Grundstück im Sinne von § 1 Abs. 2 VermG „überschuldet” war.
Ein Klärungsbedarf besteht jedoch nicht (mehr). Der Senat hat mit Urteil vom 24. Oktober 2001 – BVerwG 8 C 31.00 – (zur Veröffentlichung in Buchholz unter 428 § 1 Abs. 2 VermG vorgesehen) entschieden, dass die Verknüpfung der Genehmigung des Verzichts auf das Eigentum an einem bebauten Grundstück mit dem Verzicht auf weitere Grundstücke durch DDR-Organe nur dann eine Nötigung im Sinne von § 1 Abs. 3 VermG darstellt, wenn für das bebaute Grundstück die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 1 Abs. 2 VermG vorliegen.
2. Auch die zweite von der Beschwerde gestellte Frage,
unter welchen Voraussetzungen bei der Anwendung von § 1 Abs. 3 VermG, die sich darauf stützt, dass DDR-Stellen die Genehmigung des Verzichts auf das Eigentum an einem bebauten Grundstück mit dem Gesamtverzicht auf alle – auch unbebauten Grundstücke – verknüpft haben, dem Anspruchsteller eine Beweiserleichterung im Sinne eines Anscheinsbeweises zugute kommen kann,
ist nicht zulassungseröffnend. Der Senat hat in derselben Entscheidung die Voraussetzungen, unter denen in den Gesamtverzichtsfällen eine Rückübertragung weiterer Grundstücke in Betracht kommen kann, wie folgt bestimmt:
Erstens müssen für das bebaute Grundstück oder Gebäude in der Zeit vor dem Eigentumsverlust nicht kostendeckende Mieten erzielt worden sein. Zweitens muss die Kostenunterdeckung zu einer bereits eingetretenen oder unmittelbar bevorstehenden Überschuldung geführt haben. Drittens müssen staatliche Stellen erklärt haben, den Eigentumsverzicht auf das bebaute Grundstück ohne Einbeziehung weiterer Grundstücke nicht genehmigen zu wollen. Viertens muss die Nötigung wesentliche Ursache für den Eigentumsverlust gewesen sein.
Zur Beweiserleichterung kann es nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes hinsichtlich der ersten beiden Voraussetzungen kommen (vgl. das vorgenannte Urteil vom 24. Oktober 2001 m.w.N.). Ob auch für die Festellung der behördlichen Erklärung der Anscheinsbeweis genügen kann, dass der Eigentumsverzicht nur bei Verzicht auf das Eigentum an weiteren Grundstücken genehmigt werde, ist eine Frage der Tatsachenlage. Eine Anscheinsbeweisführung setzt einen Sachverhalt voraus, der nach der Lebenserfahrung regelmäßig auf einen bestimmten Verlauf hinweist und es rechtfertigt, die besonderen Umstände des einzelnen Falles zurücktreten zu lassen. Ob ein solcher Sachverhalt vorliegt, ist vom Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) festzustellen. Das Bundesverwaltungsgericht kann fehlende Tatsachenermittlungen im Revisionsverfahren grundsätzlich nicht selbst vornehmen (Urteil vom 2. Februar 2000 – BVerwG 8 C 29.98 – Buchholz 428 § 1 Abs. 3 VermG Nr. 10 S. 33 ≪38≫ m.w.N.).
2. Die Verfahrensrüge ist jedoch begründet. Das angefochtene Urteil lässt nach seinen tatbestandlichen Ausführungen eingangs der Entscheidungsgründe darauf schließen, dass das Verwaltungsgericht davon ausgegangen ist, die Voraussetzungen von § 1 Abs. 2 hinsichtlich des bebauten Grundstücks lägen vor und es bedürfe deshalb nur noch der Prüfung von § 1 Abs. 3 VermG. Diese Würdigung des Sachverhaltes ist zu knapp ausgefallen. Das Verwaltungsgericht hat sich in seinem Urteil nicht mit den Argumenten der Beigeladenen gegen das Vorliegen der Voraussetzungen von § 1 Abs. 2 VermG auseinander gesetzt, wie diese dem Schriftsatz vom 26. März 2001 zu entnehmen sind.
Offen kann zwar bleiben, ob das Verwaltungsgericht den fraglichen Vortrag der Beigeladenen überhaupt zur Kenntnis genommen hat. Aus dem Tatbestand seines Urteils ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür. In jedem Falle aber gebietet der Grundsatz des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) auch, dass das Gericht das Vorbringen der Beteiligten in Erwägung zieht (BVerfGE 58, 353 ≪356≫ m.w.N.). Das Gericht ist gehalten, in den Entscheidungsgründen in angemessener Weise zum Ausdruck zu bringen, weshalb es von einer Auseinandersetzung mit dem Parteivorbringen abgesehen hat. Daraus folgt zwar nicht die Verpflichtung, sich mit jedem Argument in den Entscheidungsgründen ausdrücklich zu befassen. Grundsätzlich ist nämlich davon auszugehen, dass ein Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen auch in seine Erwägungen einbezogen hat, so dass nur bei Vorliegen deutlich gegenteiliger Anhaltspunkte ein Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör angenommen werden kann (Beschluss vom 27. Oktober 1998 – BVerwG 8 B 132.98 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 162 m.w.N.). Doch Letzteres ist vorliegend der Fall.
Das materielle Recht wirkt hier auf die formellen Anforderungen an den Umfang der Darlegungspflicht des Gerichts ein. Danach besteht im Anwendungsbereich von § 1 Abs. 2 VermG eine Vermutung dafür, dass die Überschuldung auf nicht kostendeckenden Mieten beruht hatte. Werden deshalb Tatsachen substantiiert eingewandt, die darauf schließen lassen, dass die Überschuldungslage möglicherweise nicht auf die Mietenpolitik der DDR zurückzuführen ist, verlangt dies nach einer inhaltlichen Auseinandersetzung, die in dem Urteil zum Ausdruck kommen muss. Der Streitpunkt ist zumindest knapp abzuhandeln (Beschluss vom 27. Oktober 1998 – BVerwG 8 B 132.98 – a.a.O.).
So liegt der Fall hier.
Die Beigeladene hat im Klageverfahren unter anderem vorgetragen, dass aufgrund der Verpachtung des Betriebes an die LPG und daher mangels Mieteinnahmen der Tatbestand von § 1 Abs. 2 VermG nicht erfüllt sein könne. Diesen Vortrag hätte das Verwaltungsgericht in seinem Urteil verarbeiten müssen.
Einer inhaltlichen Auseinandersetzung mit dem Vorbringen der Beigeladenen war das Verwaltungsgericht nicht im Hinblick darauf enthoben, dass aufgrund des Widerspruchsbescheides das Eigentum an dem bebauten Grundstück der Klägerin zurückübertragen worden ist. Zwar wird dort in der Begründung ausgeführt, dass insoweit der Tatbestand von § 1 Abs. 2 VermG vorliege. Dem kommt aber nur Tatbestands- und keine Feststellungswirkung zu (vgl. Urteil vom 24. Oktober 2001 – BVerwG 8 C 32.00 – zur Veröffentlichung in Buchholz unter 428 § 1 Abs. 3 VermG vorgesehen).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 13, 14 GKG.
Unterschriften
Dr. Müller, Dr. Pagenkopf, Postier
Fundstellen