Verfahrensgang
Sächsisches OVG (Urteil vom 28.05.2009; Aktenzeichen 1 A 54/08) |
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 28. Mai 2009 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Rz. 1
Die auf den Zulassungsgrund der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) gestützte Beschwerde ist unbegründet.
Rz. 2
Divergenz im Sinne dieser Bestimmung liegt vor, wenn das vorinstanzliche Gericht in Anwendung derselben Vorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden (abstrakten) Rechtssatz von einem ebensolchen Rechtssatz abgewichen ist, der in der Rechtsprechung eines der in § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO genannten übergeordneten Gerichte aufgestellt worden ist. Die Beschwerdebegründung muss darlegen, dass und inwiefern dies der Fall ist (stRspr, z.B. Beschluss vom 11. August 1999 – BVerwG 11 B 61.98 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 19 m.w.N.). Diese Darlegungserfordernisse erfüllt die Beschwerde nicht.
Rz. 3
Die Beschwerde macht zwar geltend, das Berufungsgericht sei von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. September 1996 – BVerwG 5 C 31.95 – (Buchholz 436.511 § 27 KJHG/SGB VIII Nr. 3) abgewichen. Sie lässt aber schon Ausführungen dazu vermissen, ob das angegriffene Urteil des Berufungsgerichts noch zu derselben Vorschrift ergangen ist. Zwischenzeitlich ist nämlich die im Streit stehende Regelung des § 27 SGB VIII gerade im Hinblick auf die Hilfe zur Erziehung durch unterhaltspflichtige Personen geändert worden. Durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe (Kinder- und Jugendhilfeweiterentwicklungsgesetz – KICK) vom 8. September 2005 (BGBl I 2729) wurde Absatz 2a eingefügt, nach dessen Halbsatz 1 der Anspruch auf Hilfe zur Erziehung nicht dadurch entfällt, dass eine Erziehung des Kindes oder Jugendlichen außerhalb des Elternhauses erforderlich ist. Ausweislich der Begründung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung (BRDrucks 586/04 S. 66, BTDrucks 15/3676 S. 35 f.) sollte durch diese “klarstellende Regelung” – als Reaktion auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. September 1996 (a.a.O.) – erreicht werden, “dass allein die Bereitschaft von Großeltern und anderen unterhaltspflichtigen Personen den Anspruch auf Hilfe zur Erziehung in Vollzeitpflege bei diesen Personen nicht ausschließt”.
Rz. 4
Es bedarf jedoch hier keiner Entscheidung darüber, ob eine Divergenz bereits aufgrund dieser Gesetzesänderung (auf welche das Berufungsgericht in seiner Entscheidung – UA S. 6 – eingegangen ist) ausscheidet. Denn eine Abweichung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist jedenfalls auch unabhängig hiervon nicht dargelegt. Die Beschwerde stellt nämlich nicht – wie es erforderlich wäre (vgl. etwa Beschluss vom 25. Januar 2005 – BVerwG 9 B 38.04 – Buchholz 406.25 § 43 BImSchG Nr. 22 = NVwZ 2005, 447) – entscheidungstragende abstrakte Rechtssätze aus der höchstrichterlichen Entscheidung einerseits und der angefochtenen Entscheidung andererseits als sich widersprechend gegenüber.
Rz. 5
Insbesondere zeigt die Beschwerde keinen vom Berufungsgericht aufgestellten, seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz auf, mit dem dieses von einem Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts abgewichen ist. Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem Hinweis, “der Senat” sei “in seinem Urteil der Auffassung, dass der erzieherische Bedarf, der Voraussetzung für eine Hilfe zur Erziehung und eine folgliche finanzielle Ausstattung nach den §§ 27 ff. i.V.m. § 39 SGB VIII ist, allein dadurch vorhanden ist, dass die leibliche Mutter sich nicht mehr imstande sah, die Pflege und Erziehung der Kinder zu übernehmen”. Soweit die Beschwerde damit auf das Urteil des Berufungsgerichts Bezug nehmen wollte, geht dies schon deshalb fehl, weil dem angegriffenen Urteil ein solcher entscheidungstragender Rechtssatz nicht zu entnehmen ist. Denn das Berufungsgericht hat das Vorliegen eines erzieherischen Bedarfs nicht allein von diesem Aspekt abhängig gemacht, sondern gerade ausgeführt, “dass allein der Umstand, dass die Eltern dem Anspruch des Kindes auf Pflege und Erziehung in eigener Person nicht gerecht werden, für sich genommen noch nicht notwendig bewirkt, dass der erzieherische Bedarf ohne Hilfe zur Erziehung nicht gedeckt ist” (UA S. 7). Hieran hat das Berufungsgericht (UA S. 7) die Sätze angeschlossen:
“Die erforderliche Betreuung und Erziehung minderjähriger Kinder durch einen Vormund oder einen Verwandten kann nämlich auch ohne öffentliche Jugendhilfe geleistet werden. Wenn und solange dieser Verwandte im Einvernehmen mit dem Personensorgeberechtigten oder gar als eingesetzter Personensorgeberechtigter den erzieherischen Bedarf des Kindes freiwillig unentgeltlich deckt, ist öffentliche Hilfe zur Erziehung nicht notwendig i.S.v. § 27 Abs. 1 SGB VIII und besteht damit auch kein Anspruch auf die Leistung von Unterhalt gemäß § 39 SGB VIII (BVerwG, Urt. v. 12.9.1996, NJW 1997, 2831).”
Rz. 6
Mit diesen Ausführungen hat sich das Berufungsgericht den rechtlichen Ausgangspunkt der genannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ausdrücklich zu Eigen gemacht. Seine Ausführungen stimmen gerade mit jenen Vorgaben aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts überein, von denen die Beschwerde eine Abweichung geltend macht, indem sie folgende Passage aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. September 1996 (a.a.O. Rn. 19) wörtlich zitiert:
“Der Umstand, dass ein Kind Eltern hat, die seinem Anspruch auf Pflege und Erziehung in eigener Person nicht gerecht werden, … (bewirkt) entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht notwendig, dass sein erzieherischer Bedarf ohne Hilfe ungedeckt ist. Denn die erforderliche Betreuung und Erziehung minderjähriger Kinder kann – worauf der Senat bereits im Urteil vom 15. Dezember 1995 (BVerwGE 100, 178) hingewiesen hat – auch ohne öffentliche Jugendhilfe, z.B. durch einen Vormund oder einen Verwandten, geleistet werden. Deckt ein Verwandter im Einvernehmen mit dem Personensorgeberechtigten den erzieherischen Bedarf des Kindes bzw. Jugendlichen unentgeltlich, scheitert der Anspruch des Personensorgeberechtigten auf öffentliche Jugendhilfe am fehlenden Bedarf; Hilfe zur Erziehung ist nicht “notwendig” i.S. von § 27 Abs. 1 SGB VIII (…)”.
Rz. 7
Eine Abweichung im Sinne einer Rechtssatzdivergenz legt die Beschwerde auch nicht dar, soweit sie darüber hinaus geltend macht, aus der Sicht des Beklagten gingen die Ausführungen des Verwaltungsgerichts (nicht aber des Berufungsgerichts) “konform zur Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts”; denn der erzieherische Bedarf sei nicht bei der Herkunftsfamilie, sondern bei der Pflegefamilie zu prüfen. In dieser entstehe er möglicherweise erst durch die Aufgabe des Willens zur unentgeltlichen Pflege. Dies sei jedoch vom Berufungsgericht nicht konkret geprüft worden.
Rz. 8
Damit hat die Beschwerde eine Abweichung durch das berufungsgerichtliche Urteil ebenfalls schon insofern nicht bezeichnet (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), als sie keine abstrakten Rechtssätze nennt und gegenüberstellt. Sie rügt damit der Sache nach allenfalls eine fehlerhafte Rechtsanwendung durch das Berufungsgericht im Einzelfall. Damit lässt sich aber eine Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO gerade nicht darlegen. Im rechtlichen Ansatz stimmt das Urteil des Berufungsgerichts auch insoweit mit der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts überein, als es einen Anspruch auf Hilfe zur Erziehung ablehnt, wenn und solange die Großeltern zur unentgeltlichen Pflege bereit sind. Das Berufungsgericht ist allerdings aufgrund seiner Würdigung des konkreten Falles zu dem Ergebnis gelangt, dass die klagenden Großeltern “spätestens seit Juni 2004 zu einer unentgeltlichen Pflege ihrer Enkelkinder auch nicht mehr bereit” gewesen seien (UA S. 8). Ob diese Würdigung zutrifft, hat das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen eines auf die Divergenzrüge gestützten Antrags auf Zulassung der Revision nicht zu prüfen. Im Übrigen steht die Rechtsauffassung der Beschwerde, bei der Pflegefamilie sei “ein erzieherischer Bedarf per se nicht vorhanden”, schon mit der zu § 27 SGB VIII a.F. ergangenen Rechtsprechung (s.a. Urteil vom 4. September 1997 – BVerwG 5 C 11.96 – Buchholz 436.511 § 27 KJHG/SGB VIII Nr. 4) nicht im Einklang und blendet – erst recht – die zwischenzeitliche Einfügung des Absatzes 2a in § 27 SGB VIII aus.
Rz. 9
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).
Rz. 10
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO.
Unterschriften
Hund, Prof. Dr. Berlit, Dr. Störmer
Fundstellen