Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches OVG (Urteil vom 18.01.2007; Aktenzeichen 1 LB 1/06) |
Tenor
Der Antrag der Beigeladenen auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Die Beschwerde der Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 18. Januar 2007 wird zurückgewiesen.
Die Beigeladenen tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens je zur Hälfte.
Gründe
Den Beigeladenen kann die beantragte Prozesskostenhilfe nicht bewilligt werden, weil ihre Beschwerde – wie sich aus den nachstehenden Ausführungen ergibt – keine Aussicht auf Erfolg hat (§ 166 VwGO i.V.m. §§ 114 ff. ZPO). Die auf sämtliche Revisionszulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde ist unbegründet.
1. Die Beschwerde beanstandet allerdings zu Recht, dass das Berufungsgericht bei der Bestimmung des Streitgegenstands der Klage des Bundesbeauftragten von den Grundsätzen abgewichen ist, die das Bundesverwaltungsgericht zum asylrechtlichen (flüchtlingsrechtlichen) Abschiebungsschutz entwickelt hat. Das Bundesverwaltungsgericht hat mehrfach betont, dass über den asylrechtlichen Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG grundsätzlich nur einheitlich entschieden werden kann. Dabei sind sämtliche Staaten, deren Staatsangehörigkeit der Betroffene möglicherweise besitzt oder in denen er als Staatenloser seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, in die Prüfung einzubeziehen. Bei dem Anspruch auf asylrechtlichen Abschiebungsschutz handelt es sich, auch wenn mehrere Staaten als Verfolgerstaaten in Betracht kommen, grundsätzlich um einen unteilbaren Streitgegenstand, über den nur einheitlich entschieden werden kann (Urteile vom 8. Februar 2005– BVerwG 1 C 29.03 – BVerwGE 122, 376 ≪380 f.≫, vom 12. April 2005 – BVerwG 1 C 3.04 – Buchholz 402.242 § 60 Abs. 1 AufenthG Nr. 2 sowie vom 2. August 2007 – BVerwG 10 C 13.07 – zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE bestimmt). Dies gilt auch im Fall einer Klage des Bundesbeauftragten gegen eine vom Bundesamt zu § 60 Abs. 1 AufenthG getroffene Feststellung (vgl. Urteil vom 8. Februar 2005 – BVerwG 1 C 29.03 – a.a.O. S. 383).
Entgegen der Auffassung der Beschwerde beruht die Berufungsentscheidung aber nicht auf dieser Abweichung. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Bundesbeauftragten auch für den Fall als zulässig angesehen, “… wenn der Rechtsstreit nicht auf die Anfechtung der Flüchtlingseigenschaft in Bezug auf Aserbaidschan beschränkt wäre” (BU S. 8). Es hat zudem die Sachprüfung am Maßstab des § 60 Abs. 1 AufenthG nicht auf Aserbaidschan beschränkt, sondern hilfsweise auch auf Armenien und die Russische Föderation erstreckt. Für beide Staaten hat es den für die Gewährung von asylrechtlichem Abschiebungsschutz gemäß § 60 Abs. 1 AufenthG erforderlichen Bezug der Beigeladenen zu diesen Ländern verneint. Die gegen diese Hilfsbegründung des Berufungsurteils gerichteten Rügen greifen nicht durch; aus ihnen ergeben sich insbesondere keine weiteren Gründe, die zur Zulassung der Revision führen könnten.
Mit der Annahme, auch bei richtiger Bestimmung des Streitgegenstands habe der Bundesbeauftragte seine Berufung nicht ausreichend begründet, überspannt die Beschwerde die Anforderungen des § 124a Abs. 3 Satz 4 VwGO. Danach muss die Berufungsbegründung einen bestimmten Antrag enthalten und hinreichend deutlich darlegen, warum das verwaltungsgerichtliche Urteil aus der Sicht des Berufungsklägers keinen Bestand haben kann. Die Berufungsgründe können auch durch Bezugnahme auf das Zulassungsvorbringen dargelegt werden, wenn dieses den genannten Anforderungen entspricht (vgl. Urteil vom 30. Juni 1998 – BVerwG 9 C 6.98 – BVerwGE 107, 117 ≪120 f.≫). Das war hier der Fall.
Die Gehörsrüge, die an der Ablehnung der in der mündlichen Verhandlung gestellten Beweisanträge zu den vorgetragenen Verfolgungsgründen in der Russischen Föderation anknüpft (Beschwerdebegründung S. 18), greift ebenfalls nicht durch. Die von der Beschwerde wiedergegebenen Gründe des Berufungsgerichts für die Ablehnung der Beweisanträge, die Verhältnisse in Armenien und der Russischen Föderation seien für die Berufungsentscheidung unerheblich, tragen das angefochtene Urteil auch hinsichtlich der Hilfsbegründung. Die Ausführungen der Beschwerde, was bei anderweitiger Begründung der Ablehnung der Beweisanträge durch das Berufungsgericht noch vorgetragen worden wäre, verhelfen der Gehörsrüge nicht zum Erfolg. Dem dann gestellten Beweisantrag (Beschwerdebegründung S. 18),
“die Verweigerung einer Wiedereinreise für Staatenlose (bzw. unmittelbar aus der Russischen Föderation in die Bundesrepublik Deutschland ≪eingereiste Personen≫) knüpfe jedenfalls dann an das Merkmal der vermuteten politischen Gegnerschaft an, wenn diese Personen zuvor staatlich oder von nichtstaatlichen Gruppen in Anknüpfung an ein politisches Merkmal erhebliche Rechtsgutsbeeinträchtigungen und/oder Gefahren für Leib, Leben oder Freiheit erlitten haben,”
wäre vom Berufungsgericht nicht nachzugehen gewesen. Dieser Antrag zielt auf einen unzulässigen Ausforschungsbeweis, weil die Beschwerde für ihre Annahme, die Verweigerung der Wiedereinreise in die Russische Föderation sei jedenfalls im Falle erlittener Vorverfolgung politisch motiviert, jeden greifbaren Anhaltspunkt schuldig bleibt. Damit fehlt es an einer hinreichenden Substantiierung ihres Vortrags zu der genannten Beweistatsache, denn eine – insbesondere an einer Verfolgung durch nichtstaatliche Gruppen anknüpfende – Differenzierung seitens der russischen Behörden erscheint ohne jeden tatsächlichen Anhalt hierfür “aus der Luft gegriffen” (zum Ausforschungsbeweis vgl. Beschluss vom 27. März 2000 – BVerwG 9 B 518.99 – Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 60).
Auch die in diesem Zusammenhang erhobenen “Gehörs- und Aufklärungsrügen” (Beschwerdebegründung S. 19) bleiben ohne Erfolg. Aus den Ausführungen der Beschwerde ergibt sich nicht, warum sich dem Berufungsgericht eine Beweisaufnahme zu dem genannten Beweisthema von Amts wegen gemäß § 86 Abs. 1 VwGO hätte aufdrängen müssen. Mit ihrem Vorbringen und den Angriffen auf die dazu ergangene Rechtsprechung des Berufungsgerichts (OVG Schleswig, Urteil vom 8. Dezember 2005 – 1 LB 202/01) rügt die Beschwerde in Wahrheit die sachliche Würdigung des Berufungsgerichts ohne eine Verletzung der Aufklärungspflicht oder des Anspruchs der Beschwerdeführer auf rechtliches Gehör in einer den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechenden Weise aufzuzeigen; damit kann sie die Zulassung der Revision nicht erreichen.
Die hilfsweise aufgeworfene Grundsatzfrage,
ob Staatenlose, die aufgrund politischer Verfolgung das bisherige Land des gewöhnlichen Aufenthalts verlassen haben, zu diesem Land eine Schutzbedürftigkeit im Sinne politischen Verfolgungsschutzes nach § 60 Abs. 1 AufenthG haben, wenn … die Wiedereinreiseverweigerung – als solche – nicht für sich genommen auf ein politisches Merkmal zielt, jedoch der Mechanismus der Wiedereinreiseverweigerung … deshalb greift, weil der betreffende Staatenlose vom Land des gewöhnlichen Aufenthalts durch dort erlittene politische Verfolgung zum Verlassen und zur Flucht gezwungen wurde,
bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren. Sie ist aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ohne weiteres zu verneinen. Die im Zentrum der Prüfung des § 60 Abs. 1 AufenthG stehende Verfolgungsprognose setzt einen Staat voraus, in den der Betreffende in rechtlich zulässiger Weise zurückkehren könnte. Das ist bei einem Staatenlosen das Land des gewöhnlichen Aufenthalts. Löst dieser Staat durch Verweigerung der Wiedereinreise aus im asylrechtlichen Sinne nichtpolitischen Gründen die ihn mit einem Staatenlosen verbindenden Beziehungen, hört er auf, für diesen das Land des gewöhnlichen Aufenthalts zu sein und steht ihm in gleicher Weise gegenüber wie jeder andere auswärtige Staat. Die Frage, ob dem Staatenlosen auf seinem Territorium politische Verfolgung droht, wird mit Blick auf die Flüchtlingsanerkennung gegenstandslos (vgl. Urteile vom 15. Oktober 1985 – BVerwG 9 C 30.85 – Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 39 S. 122 ≪124 f.≫, vom 24. Oktober 1995 – BVerwG 9 C 3.95 – Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 180 S. 61 ≪65≫ und vom 22. Februar 2005 – BVerwG 1 C 17.03 – BVerwGE 123, 18 ≪22 f.≫). Demzufolge ist das Motiv des Staatenlosen für das Verlassen dieses Landes im Hinblick auf den Prüfungsmaßstab des § 60 Abs. 1 AufenthG unerheblich.
2. Die Beschwerde rügt, das Berufungsgericht sei unter Verletzung des rechtlichen Gehörs sowie Verstoßes gegen die Aufklärungspflicht davon ausgegangen, dass der Beigeladene zu 2 staatenlos sei (Beschwerdebegründung S. 25). Dieser leite vielmehr seine aserbaidschanische Staatsangehörigkeit von seiner Mutter ab und habe sich nicht “immer als staatenlos geriert”. Mit diesem Vorbringen werden die gerügten Verfahrensfehler schon deshalb nicht hinreichend bezeichnet, weil die Beigeladenen selbst im Berufungszulassungsverfahren vorgetragen haben, sie seien staatenlos (Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 19. Oktober 2005 S. 5 = VG Bd. II Bl. 301); von diesem Vortrag sind sie im Berufungsverfahren auch nicht abgerückt. Im Übrigen wendet sich die Beschwerde im Gewande der Gehörs- und Aufklärungsrüge gegen die tatsächliche Würdigung des Berufungsgerichts; damit vermag sie die Zulassung der Revision nicht zu erreichen.
3. Die Beschwerde erachtet die Ablehnung des Zwischenfeststellungsantrags (Hilfsantrag zu 3) als verfahrensfehlerhaft (Beschwerdebegründung S. 31). Den Antrag der Beigeladenen, hilfsweise festzustellen, dass sie die Staatsangehörigkeit der Republik Armeniens, der Russischen Föderation sowie Aserbaidschans nicht besitzen, hat das Berufungsgericht als unzulässig abgelehnt. Es hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass im Verhältnis zum Bundesamt ein Feststellungsinteresse schon im Ansatz nicht erkennbar sei und die am Prozess unbeteiligten Ausländerbehörden nicht gemäß § 4 AsylVfG an eine entsprechende Feststellung gebunden seien. Die dagegen erhobenen Verfahrensrügen sowie die daran anknüpfende Grundsatzrüge führen nicht zur Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 und 1 VwGO, weil das Berufungsgericht die Zwischenfeststellungsklage im Ergebnis zu recht als unzulässig angesehen hat (§ 144 Abs. 4 VwGO analog).
Ein Zwischenfeststellungsantrag, dessen Zulässigkeit sich gemäß § 173 VwGO nach der im Verwaltungsprozess entsprechend anzuwendenden Vorschrift des § 256 Abs. 2 ZPO bestimmt, kann nur auf Klärung eines für die Entscheidung vorgreiflichen Rechtsverhältnisses gerichtet werden (Urteil vom 6. September 1988 – BVerwG 4 C 5.86 – Buchholz 445.5 § 8 WaStrG Nr. 9 S. 1 ≪7≫). Das (Nicht-)Bestehen einer ausländischen Staatsangehörigkeit ist aber als Vorfrage in asyl- und ausländerrechtlichen Verwaltungsstreitverfahren vor deutschen Gerichten kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis, sondern eine Tatfrage. Das gilt auch dann, wenn das Verwaltungsgericht keine Auskunft über den Status des Beteiligten von den ausländischen Behörden einholt, sondern sich seine Überzeugung unter Zugrundelegung des maßgebenden ausländischen Rechts sowie der ausländischen Rechtspraxis (§ 173 VwGO i.V.m. § 293 ZPO) selbst bildet, denn Inhalt und Anwendung ausländischen Rechts sind dem Bereich der Tatsachenfeststellung zuzuordnen (Beschluss vom 7. September 1998 – BVerwG 8 B 118.98 – Buchholz 428 § 2 VermG Nr. 40 S. 57 ≪59≫; vgl. auch Beschlüsse vom 21. Juli 1988 – BVerwG 1 B 44.88 – Buchholz 130 § 8 RuStAG Nr. 32 S. 4 ≪7 ff.≫ und vom 8. Mai 1996 – BVerwG 1 B 68.95 – Buchholz 130 § 8 RuStAG Nr. 48). Nachdem der Hilfsantrag zu 3. bereits aus diesem Grund unzulässig war, bedarf es keines Eingehens auf die Frage, ob eine Zwischenfeststellungsklage überhaupt von einem Beigeladenen erhoben werden kann (ablehnend Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. 2007, § 43 Rn. 33 sowie Redeker/v.Oertzen, VwGO, 14. Aufl. 2004, § 43 Rn. 30).
4. Im Hinblick auf die Ablehnung des 4. Hilfsantrags fehlt es bereits an der hinreichenden Darlegung der Gehörs- und der Aufklärungsrüge. Mit ihrem Vorbringen wendet sich die Beschwerde in Wahrheit gegen die Würdigung des Berufungsgerichts, das die Notwendigkeit vorbeugenden Rechtsschutzes zutreffend verneint hat.
5. Der Senat sieht von einer weiteren Begründung der Entscheidung ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und 3, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Satz 1 RVG.
Unterschriften
Dr. Mallmann, Richter, Prof. Dr. Kraft
Fundstellen