Verfahrensgang
VG Frankfurt (Oder) (Urteil vom 12.12.2002; Aktenzeichen 4 K 696/97) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 12. Dezember 2002 wird dieses Urteil aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 500 000 € festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Es liegt ein geltend gemachter Verfahrensmangel vor, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
1. Das Verwaltungsgericht hat den Überzeugungsgrundsatz (§ 108 Abs. 1 VwGO) i.V.m. dem Untersuchungsgrundsatz (§ 86 VwGO) verletzt. Der Überzeugungsgrundsatz verpflichtet das Tatsachengericht u.a., bei Bildung der Überzeugung von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt auszugehen (stRspr; vgl. Urteile vom 18. Juli 1986 – BVerwG 4 C 40 – 45.82 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 181 und vom 18. Mai 1990 – BVerwG 7 C 3.90 – BVerwGE 85, 155 ≪158≫, Beschluss vom 18. Juli 2001 – BVerwG 8 B 103.01 – ZOV 2001, 411). Das angefochtene Urteil beruht auf der Annahme, die streitgegenständlichen Grundstücke seien vor dem 17. April 1948 aufgrund des SMAD–Befehls Nr. 124 unter Sequester gestellt worden. Obwohl sich in den bei den Akten befindlichen Unterlagen widersprüchliche Angaben über das Datum der Beschlagnahme und der Enteignung der Grundstücke befinden, ist das Verwaltungsgericht zu dieser Feststellung gelangt, ohne alle zur Verfügung stehenden Unterlagen beizuziehen. So hatte das Brandenburgische Landeshauptarchiv in den bei den Verwaltungsvorgängen befindlichen Auskünften vom 3. September 1991 (BA IV Bl. 22) und vom 11. Mai 1993 (BA V Bl. 209) ausgeführt, dass ihm eine “Enteignungsakte Dr. Z.… des ehem. Amtes zum Schutze des Volkseigentums” vorliege, aus der einzelne Unterlagen in Kopie überreicht wurden. Im Hinblick auf die entscheidungserhebliche Frage des Datums der Beschlagnahme und auf die widersprüchlichen Angaben in den vorliegenden Unterlagen hätte es sich dem Verwaltungsgericht aufdrängen müssen, in diese vollständigen Unterlagen einzusehen, bevor es sich eine abschließende Überzeugung über den Sachverhalt bildete.
Zwar haben die Kläger in der mündlichen Verhandlung keinen entsprechenden Beweisantrag gestellt, obwohl sie anwaltlich vertreten waren. Das ist jedoch unschädlich, denn einem Verwaltungsgericht muss sich in einem vermögensrechtlichen Verfahren die Notwendigkeit der Einsicht in die Unterlagen eines Archivs aufdrängen, wenn es konkrete Anhaltspunkte für das Vorhandensein entsprechender Unterlagen bei dem Archiv hat (vgl. Beschlüsse des Senats vom 23. Mai 2000 – BVerwG 8 B 101.00 –, vom 9. November 2001 – BVerwG 8 B 163.01 – und vom 19. Dezember 2001 – BVerwG 8 B 125.01 – jeweils n.v.). Im Übrigen hat die Beschwerde von den übrigen Beteiligten unwidersprochen vorgetragen, dass es nach der vom Verwaltungsgericht im Rechtsgespräch in der mündlichen Verhandlung vertretenen Rechtsansicht auf die später im Urteil in den Vordergrund der Entscheidungsgründe gerückten Tatsachen nicht angekommen wäre, so dass deswegen ein entsprechender Beweisantrag ersichtlich keine Aussicht auf Erfolg gehabt hätte. Ob in dieser Verfahrensweise des Verwaltungsgerichts – wie die Beschwerde meint – zugleich ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör in Form eines Überraschungsurteils zu sehen ist, bedarf keiner Entscheidung, weil jedenfalls der gerügte Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz und die Aufklärungspflicht vorliegt.
2. Ein weiterer Verfahrensfehler, auf dem das angefochtene Urteil beruhen kann, liegt darin, dass das Verwaltungsgericht einerseits im Tatbestand des angefochtenen Urteils ausgeführt hat, das Brandenburgische Hauptarchiv habe dem Beklagten mitgeteilt, dass Dr. Karl Z.… im Protokoll der 316. Sitzung der Landeskommission für Sequestrierung nicht erwähnt worden sei, vielmehr ergebe sich aus der Einzelfallakte zur Enteignung Z.… der Hinweis, dass die Enteignung am 29. April 1948 beschlossen worden sei, sich andererseits jedoch mit diesen Auskünften in den Entscheidungsgründen des Urteils nicht auseinander gesetzt hat, obwohl sie mit der Feststellung, die Beschlagnahme sei vor dem 17. April 1948, nämlich bei der 316. Sitzung der Landeskommission beschlossen worden, nicht ohne weiteres vereinbar sind. Auch darin liegt ein Verstoß gegen den Überzeugungsgrundsatz, weil das Gericht nicht so verfahren darf, dass es einzelne erhebliche Tatsachen oder Beweisergebnisse bei der Bewertung der für die Feststellung des Sachverhalts maßgeblichen Umstände nicht zur Kenntnis nimmt oder nicht in Erwägung zieht (vgl. Urteile vom 5. Juli 1994 – BVerwG 9 C 158.94 – BVerwGE 96, 200 ≪208 f.≫ und vom 13. Dezember 2000 – BVerwG 8 C 30.99 – ZOV 2001, 172 sowie Beschluss vom 18. Juli 2001 – BVerwG 8 B 103.01 – a.a.O.). Zugleich liegt darin ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO) und die Begründungspflicht (§ 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO), weil das Verwaltungsgericht verpflichtet ist, wesentliches Vorbringen der Beteiligten nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, sondern auch in den Entscheidungsgründen zu verarbeiten (vgl. dazu Urteil vom 31. Juli 2002 – BVerwG 8 C 37.01 – Buchholz 428 § 1 Abs. 3 VermG Nr. 35 S. 102 ≪110 f.≫ und Beschluss vom 21. Januar 2003 – BVerwG 8 B 128.02 – VIZ 2003, 230).
3. Das angefochtene Urteil kann auch auf den dargelegten Verfahrensmängeln beruhen. Zwar hat das Verwaltungsgericht auf Seite 14 f. des angefochtenen Urteils hilfsweise Ausführungen für den Fall gemacht, dass die Sequestrierung erst nach dem 17. April 1948 erfolgt wäre. Diese Ausführungen sind aber nicht selbständig tragfähig, weil sie mit der weiteren Annahme, das Sequestrierungsverfahren sei jedenfalls vor dem genannten Stichtag eingeleitet worden, auf dem – wie dargelegt – nicht vollständig ermittelten Sachverhalt beruhen. Im Übrigen beruhen die Ausführungen einerseits auf der Unterstellung, Ziffer 5 des SMAD-Befehls Nr. 64 enthalte ein generelles Enteignungsverbot auf der Grundlage des SMAD-Befehls Nr. 124 für alle bis zum Stichtag nicht beschlagnahmten Vermögenswerte, andererseits enthält das Urteil aber keine Feststellungen zu der für diesen Fall nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erforderlichen konkreten Handlung der Besatzungsmacht, mit der das Enteignungsverbot generell oder im Einzelfall wieder aufgehoben worden wäre. Die schlichte Untätigkeit reicht dafür nicht aus (Urteile vom 27. Juni 1996 – BVerwG 7 C 3.96 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 83 S. 245 ≪248 f.≫ und vom 13. Februar 1997 – BVerwG 7 C 50.95 – Buchholz a.a.O. Nr. 104 S. 311 ≪315 f.≫).
Unter diesen Umständen kommt es auf die hinsichtlich der Hilfserwägungen von der Beschwerde erhobene Divergenzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) und die hilfsweise geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Sache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht an.
4. Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, das angefochtene Urteil durch Beschluss aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 133 Abs. 6 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat damit auch Gelegenheit, seinen Beiladungsbeschluss vom 13. Juni 2002, soweit es den Beigeladenen zu 2 betrifft, zu überprüfen und gegebenenfalls aufzuheben, denn weder dieselbe juristische Person noch im Falle des § 61 Nr. 3, § 78 Abs. 1 Nr. 2 VwGO eine andere Behörde desselben Rechtsträgers – erst recht nicht dieselbe Behörde – können in einem Verfahren sowohl Hauptbeteiligter als auch Beigeladener sein (vgl. dazu zuletzt Beschluss vom 28. August 2002 – BVerwG 9 VR 11.02 – Buchholz 310 § 65 VwGO Nr. 142 m.w.N.).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 13, 14 GKG.
Unterschriften
Dr. Pagenkopf, Golze, Dr. von Heimburg
Fundstellen