Entscheidungsstichwort (Thema)
Fahreignung – Drogenbesitz und -konsum –. Drogenscreening – Urinprobe –. Gutachten. Alkohol. Persönlichkeitsrecht. Verhältnismäßigkeit. Gleichbehandlungsgebot
Leitsatz (amtlich)
Die Anordnung der Straßenverkehrsbehörde an den Inhaber einer Fahrerlaubnis, ein Drogenscreening (hier: Urinuntersuchung) beizubringen, verstößt weder gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht noch gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, wenn nach den Umständen des konkreten Falles hinreichend aussagekräftige Anzeichen für den Verdacht bestehen, daß der Betroffene regelmäßig Haschisch konsumiert.
Normenkette
GG Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1; StVG § 4 Abs. 1; StVZO § 15b Abs. 2
Verfahrensgang
Nachgehend
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 2. April 1996 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 12 000 DM festgesetzt.
Gründe
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
Sie hält für rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig die Frage, “ob die Aufforderung, ein Drogenscreening vorzulegen, im Hinblick darauf, daß der Kläger lediglich im Besitz von fünf Gramm Haschisch angetroffen wurde und im übrigen seit mehr als 20 Jahren weder unter Cannabis- noch sonstiger Drogeneinwirkung verkehrsrechtlich auffällig geworden ist, mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht und dem verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgebot vereinbar ist”. Diese Frage rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision, denn sie läßt sich nach den mit Verfahrensrügen nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts auf der Grundlage der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung auch ohne Revisionsverfahren bereits jetzt bejahen, und zwar aus folgenden Gründen:
Nach § 15b Abs. 2 StVZO kann die Straßenverkehrsbehörde, wenn Anlaß zur Annahme besteht, daß der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder nur noch bedingt geeignet ist, zur Vorbereitung einer Entscheidung über die Entziehung oder Einschränkung der Fahrerlaubnis je nach den Umständen die Beibringung eines in Nrn. 1 bis 3 näher bezeichneten Gutachtens anordnen. Diese Aufforderung ist eine entscheidungsvorbereitende Maßnahme der Aufklärung des maßgeblichen Sachverhalts, dient der präventiven Kontrolle von Kraftfahrern im Interesse eines möglichst gefahrlosen Straßenverkehrs und ist – ebenso wie § 4 StVG – verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklich (vgl. BVerfG, Beschluß vom 24. Juni 1993 – 1 BvR 689/92 – BVerfGE 89, 69 ≪85≫; BVerwG, Urteil vom 27. September 1995 – BVerwG 11 C 34.94 – BVerwGE 99, 249 ≪250≫).
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist ferner bereits geklärt, daß das auf § 15b Abs. 2 StVZO gestützte Verlangen nach Beibringung eines Gutachtens rechtmäßig ist, wenn – erstens – aufgrund konkreter tatsächlicher Anhaltspunkte berechtigte Zweifel an der Kraftfahreignung des betroffenen Kraftfahrers bestehen und – zweitens – die angeordnete Überprüfung ein geeignetes und verhältnismäßiges Mittel ist, um gerade die konkret entstandenen Eignungszweifel aufzuklären (vgl. etwa Urteile vom 15. Dezember 1989 – BVerwG 7 C 52.88 – Buchholz 442.10 § 4 StVG Nr. 87 und vom 27. September 1995, a.a.O., jeweils m.w.N.). Daraus ergibt sich, daß bei einem Fahrerlaubnisinhaber festgestellter unerlaubter Drogenbesitz je nach den Umständen berechtigte Zweifel an der Fahreignung auslösen und die Aufforderung zur Beibringung eines Gutachtens nach § 15b Abs. 2 StVZO rechtfertigen kann: Daß der Cannabisrausch die Fahrtüchtigkeit beeinträchtigt, entspricht gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnis (vgl. BVerfGE 90, 145 ≪181≫ m.w.N.). Deshalb kann jedenfalls regel- oder gar gewohnheitsmäßiger Cannabiskonsum zumindest berechtigte Zweifel an der Kraftfahreignung begründen, die die Aufklärung rechtfertigen, ob der betreffende Fahrerlaubnisinhaber seinen Drogengebrauch und das Führen von Kraftfahrzeugen im Straßenverkehr ausreichend zu trennen vermag. Allerdings ist der gelegentliche Konsument von Cannabisprodukten nicht ohne weiteres von einem regel- oder gewohnheitsmäßigen Konsumenten zu unterscheiden, zumal entsprechende Erklärungen des Betroffenen im Interesse der Verkehrssicherheit nicht stets als wahr unterstellt werden können. Bestehen deshalb nach den Umständen des konkreten Falles hinreichend aussagekräftige Anzeichen für den Verdacht, daß der Inhaber einer Fahrerlaubnis regelmäßig Haschisch konsumiert, so ist die Behörde berechtigt, zunächst diese Frage im Rahmen des § 15 Abs. 2 Satz 1 StVZO durch ein geeignetes und verhältnismäßiges Mittel zu klären, um anschließend erforderlichenfalls weitere Aufklärungsmaßnahmen anzuordnen. Durch diese abgestufte Vorgehensweise wird dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, dem im Zusammenhang mit dem Schutz des Persönlichkeitsrechts besondere Bedeutung zukommt, entsprochen (vgl. BVerfGE 89, 69 ≪88≫; BayVGH, DAR 1995, S. 79 f.).
Das Berufungsgericht leitet im Anschluß an die Auffassung der Verwaltungsbehörde einen für die Anforderung eines Drogenscreenings hinreichenden Verdacht, daß der Kläger regelmäßiger Cannabiskonsument ist, aus der Tatsache ab, daß bei einer Kontrolle durch die Zollfahndungsstelle Vreden fünf Gramm Haschisch in seinem Besitz gefunden worden seien, und begründet dies wie folgt: Nach den dem Gericht vom Landeskriminalamt Baden-Württemberg mitgeteilten kriminalistischen Erfahrungen stelle der Erwerb oder Besitz kleiner Mengen Cannabis ein sehr starkes Indiz für Eigenkonsum dar. Dafür spreche hier zusätzlich, daß der Kläger einen Teil des bei ihm aufgefundenen Haschischs in seinem Tabaksbeutel aufbewahrt habe. Anhaltspunkte dafür, daß der Kläger die für den Eigenkonsum geeignete kleine Menge an Dritte habe weitergeben wollen, beständen demgegenüber nicht. Diese Beweiswürdigung durch das Berufungsgericht, das zudem – mit Verfahrensrügen des Klägers nicht beanstandet – festgestellt hat, daß der Kläger den größeren Teil der aufgefundenen Menge im Schuh versteckt hatte (UA S. 9), läßt keine Verletzung allgemeinverbindlicher Grundsätze erkennen und wäre gemäß § 137 Abs. 2 VwGO in einem Revisionsverfahren für das Bundesverwaltungsgericht bindend. Im übrigen hat der Kläger im Verwaltungsverfahren selbst eingeräumt, daß er “gelegentlicher Haschischkonsument” sei.
Da § 15b StVZO eine Maßnahme der Gefahrenabwehr im Interesse der Allgemeinheit und des einzelnen darstellt, ist – entgegen der Meinung der Beschwerde – die Rechtmäßigkeit der Anforderung eines bestimmten Gutachtens nicht davon abhängig, daß die zuständigen Behörden bereits in diesem Zeitpunkt gewohnheitsmäßigen Drogenkonsum bzw. eine Drogenabhängigkeit nachweisen können. Ein solcher vorrangiger Nachweis wird auch in dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Juni 1993 (a.a.O., S. 86 f.) nicht gefordert. Deshalb kann aus einer bisherigen unauffälligen Teilnahme am Straßenverkehr als Kraftfahrer nicht auf die Unzulässigkeit einer der Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts dienenden Aufklärungsmaßnahme geschlossen werden.
Auch die von der Beschwerde aufgeworfene Frage, ob die Ungleichbehandlung von Alkohol- und Haschischkonsum bei Aufklärungsmaßnahmen nach § 15b Abs. 2 Satz 1 StVZO gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Denn für die unterschiedliche Behandlung des Konsums beider Drogen sind gewichtige sachliche Gründe vorhanden, die in der unterschiedlichen Wirkungsweise, dem unterschiedlichen Wissen von ihren Auswirkungen im Straßenverkehr und den damit zusammenhängenden Unterschieden der sozialen Kontrolle begründet sind (vgl. hierzu BVerfGE 90, 145 ≪196 f.≫). Im übrigen muß sich auch ein Kraftfahrer, bei dem der Verdacht übermäßigen Alkoholgenusses besteht, eine Überprüfung seiner Fahrtüchtigkeit nach § 36 Abs. 5 StVO und ggf. die Abnahme einer Blutprobe nach Maßgabe des – verfassungsrechtlich unbedenklichen – § 81a StPO (BVerfGE 16, 200) gefallen lassen. Er unterliegt ferner (ebenfalls) der Überprüfung seiner Kraftfahreignung durch eine Maßnahme nach § 15b Abs. 2 StVO.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG (vgl. hierzu den Streitwertkatalog 1996 für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, NVwZ 1996, 563 Nr. 45.4).
Unterschriften
Dr. Diefenbach, Prof. Dr. Bonk, Dr. Storost
Fundstellen