Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Urteil vom 12.03.2019; Aktenzeichen 8 B 18.30252) |
VG Regensburg (Entscheidung vom 29.09.2017; Aktenzeichen RO 2 K 16.30899) |
Gründe
Rz. 1
Die auf die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (I.) und eines Verfahrensmangels (II.) gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
Rz. 2
I. Der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) wird mit der Beschwerde schon nicht hinreichend dargelegt.
Rz. 3
1. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung entscheidungserhebliche Rechtsfrage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung besteht. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 ≪n.F.≫ VwGO Nr. 26 S. 14). Die Begründungspflicht verlangt, dass sich die Beschwerde mit den Erwägungen des angefochtenen Urteils, auf die sich die aufgeworfene Frage von angeblich grundsätzlicher Bedeutung bezieht, substantiiert auseinandersetzt und im Einzelnen aufzeigt, aus welchen Gründen der Rechtsauffassung, die der Frage zugrunde liegt, zu folgen ist (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 8. Juni 2006 - 6 B 22.06 - NVwZ 2006, 1073 Rn. 4 f. und vom 10. August 2015 - 5 B 48.15 - juris Rn. 3 m.w.N.). Die Darlegung muss sich auch auf die Entscheidungserheblichkeit des jeweils geltend gemachten Zulassungsgrundes erstrecken.
Rz. 4
Soll die grundsätzliche Bedeutung aus der Klärungsbedürftigkeit von Unionsrecht und der Notwendigkeit, eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union einzuholen, hergeleitet werden, ist darzulegen, dass in dem erstrebten Revisionsverfahren zur Auslegung einer entscheidungsrelevanten unionsrechtlichen Regelung voraussichtlich eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union einzuholen sein wird und keine hinreichenden Gründe vorliegen, die die Einholung einer Vorabentscheidung entbehrlich erscheinen lassen (BVerwG, Beschlüsse vom 22. Oktober 1986 - 3 B 43.86 - Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 243 und vom 10. Oktober 1997 - 6 B 32.97 - Buchholz 422.2 Rundfunkrecht Nr. 29 S. 17). Die bloße Behauptung unionsrechtlicher Zweifelsfragen ohne Auseinandersetzung mit der themenrelevanten Rechtsprechung reicht hierfür nicht aus.
Rz. 5
Diesen Anforderungen genügt die Beschwerde nicht.
Rz. 6
2. Die von der Beschwerde als rechtsgrundsätzlicher Klärung bedürftig erachtete Frage, ob
"die Begünstigung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU (Qualifikationsrichtlinie, im folgenden QRL) eine Beweisregel (darstellt) oder (ob) diese die Anwendung des 'herabgestuften Wahrscheinlichkeitsmaßstabes' i.S. der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (so etwa Urteil vom 18.2.1997, BVerwG 9 C 9.96) (festlegt)",
legt einen Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO schon nicht dar.
Rz. 7
Die Beschwerdebegründung anerkennt zwar, dass das Bundesverwaltungsgericht zu dieser Frage in seinem Urteil vom 27. April 2010 (BVerwG 10 C 5.09) seine frühere Rechtsprechung zu den differenzierten Verfolgungsmaßstäben, die für die Zumutbarkeit der Rückkehr danach unterscheidet, ob der Antragsteller bereits verfolgt worden ist oder nicht, mit Blick auf Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG (= Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU) zugunsten des einheitlichen Prognosemaßstabes der beachtlichen Wahrscheinlichkeit aufgegeben hat; danach privilegiert nunmehr Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU den Vorverfolgten bzw. Geschädigten durch die (widerlegbare) Vermutung, dass sich eine frühere Verfolgung oder Schädigung bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen wird (vgl. ferner Urteile vom 7. September 2010 - 10 C 11.09 - Buchholz 451.902 Europ. Ausl.- u. Asylrecht Nr. 42 Rn. 14 f., vom 1. Juni 2011 - 10 C 25.10 - BVerwGE 140, 22 Rn. 21 f. und vom 19. April 2018 - 1 C 29.17 - NVwZ 2018, 1408 Rn. 15; s.a. Urteil vom 4. Juli 2019 - 1 C 31.18 - Rn. 27 f.; vgl. auch Dörig, in: Hailbronner/Thym, EU Immigration and Asylum Law, 2. Aufl. 2016, Art. 4 RL 2011/95/EU Rn. 30 ff.). Mit dieser Rechtsprechung im Einklang steht die Würdigung des Verwaltungsgerichtshofs, im Rahmen des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU gehe es um eine Beweiserleichterung für die erstmalige Anerkennung eines Asylsuchenden als Flüchtling, die unter den dort näher bezeichneten Voraussetzungen widerlegt werden könne.
Rz. 8
Das Vorbringen, es gehe bei der aufgeworfenen Frage um die Auslegung von Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU und damit um europäisches Recht, für das ein "Auslegungsmonopol" des Gerichtshofs der Europäischen Union gelte, legt die Voraussetzungen einer unionsrechtlichen Zweifelsfrage im Sinne des Art. 267 AEUV ebenso wenig dar wie der Hinweis darauf, dass das zum Widerruf ergangene Urteil des EuGH vom 2. März 2010 - C-175/08 (Abdulla u.a.) - diese Frage nicht ausdrücklich beantworte, wenn es für die Geltendmachung anderer, neuer Fluchtgründe auf den einheitlichen Maßstab des "real risk" verweise. Der EuGH hat in dieser Entscheidung zu der gleichlautenden Bestimmung in Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG entschieden, dass diese Vorschrift (vor allem) Anwendung findet, wenn bei der ersten Prüfung eines Antrags auf Anerkennung als Asylberechtigter zu beurteilen ist, ob eine Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet erscheint. Mache der Antragsteller frühere Verfolgungshandlungen oder Bedrohungen mit Verfolgung als Anhaltspunkte für die Begründetheit seiner Furcht geltend, dass sich die Verfolgung im Falle der Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werde, sei die solchen früheren Handlungen oder Bedrohungen nach Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie zukommende "Beweiskraft" von den zuständigen Behörden unter der sich aus Art. 9 Abs. 3 der Richtlinie ergebenden Voraussetzung zu berücksichtigen, dass diese Handlungen oder Bedrohungen eine Verknüpfung mit dem Verfolgungsgrund aufwiesen, den der Betreffende für seinen Antrag auf Schutz geltend mache (Rn. 93 f.). Für eine bereits nach dem Wortlaut auszuschließende Auslegung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU dahin, dass sich aus der - zudem widerleglichen - Verfolgungsvermutung ein vom Regelbeweismaß abweichender Wahrscheinlichkeitsmaßstab ergeben könnte, ergibt sich aus dieser Entscheidung kein Anhalt.
Rz. 9
3. Der des Weiteren aufgeworfenen Frage, ob
"die Feststellung einer allgemeinen Änderung der innenpolitischen Verhältnisse in einem Herkunftsstaat nur dann als 'stichhaltiger Grund' i.S. des Art. 4 Abs. 4 QRL für den Ausschluss einer erneuten Verfolgung herangezogen werden (kann), wenn auch die Dauerhaftigkeit dieser Änderung i.S. der dazu bei der Bestimmung des Wegfalls der Umstände im Rahmen des Art. 11 Abs. 2 QRL entwickelten Grundsätze festgestellt wird",
kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Denn diese Frage lässt sich auf der Grundlage des Wortlauts der Richtlinie 2011/95/EU mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Interpretation und auf der Grundlage der ergangenen Rechtsprechung ohne Weiteres beantworten (acte clair), ohne nach Art. 267 AEUV klärungsbedürftige Fragen des Unionsrechts aufzuwerfen.
Rz. 10
3.1 Bereits der Wortlaut der beiden Vorschriften liefert keinen Anhaltspunkt für die Annahme, das Merkmal "stichhaltige Gründe" in Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/ EU sei im Lichte der Kriterien der Erheblichkeit und Dauerhaftigkeit im Sinne des Art. 11 Abs. 2 RL 2011/95/EU auszulegen.
Rz. 11
Nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU begründet das Erleiden oder Drohen einer Vorverfolgung oder eines sonstigen ernsthaften Schadens nur dann eine widerlegliche tatsächliche Vermutung, dass sich frühere Handlungen und Bedrohungen bei einer Rückkehr in das Herkunftsland wiederholen werden, sofern nicht stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird ("unless there are good reasons to consider that such persecution or serious harm will not be repeated"/"sauf s’il existe de bonnes raisons de penser que cette persécution ou ces atteintes graves ne se reproduiront pas"). Demgegenüber rechtfertigt Art. 11 Abs. 2 RL 2011/95/EU die Annahme eines Wegfalls der Umstände im Sinne des Art. 11 Abs. 1 Buchst. e und f RL 2011/95/EU nur dann, wenn die Veränderung der Umstände erheblich und nicht nur vorübergehend ist, so dass die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung nicht länger als begründet angesehen werden kann ("the change of circumstances is of such a significant and non-temporary nature that the refugee’s fear of persecution can no longer be regarded as well-founded"/"le changement de circonstances est suffisamment significatif et non provisoire pour que la crainte du réfugié d’être persécuté ne puisse plus être considérée comme fondée").
Rz. 12
Während die Veränderung der Umstände im Sinne des Art. 11 Abs. 2 RL 2011/95/EU durch diese beiden Kriterien eine Präzisierung sowohl in qualitativer als auch in zeitlicher Hinsicht erfährt, konkretisiert das Adjektiv "stichhaltig" die Gründe im Sinne des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU allein in qualitativer Hinsicht.
Rz. 13
3.2 Die Richtliniensystematik schließt eine Übertragung der Prüfungsmaßstäbe des Art. 11 Abs. 2 RL 2011/95/EU auf Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU ebenfalls aus.
Rz. 14
Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU ist Teil des Kapitels II der Richtlinie, welches allgemeine Regelungen zur Prüfung der Begründetheit von Anträgen auf internationalen Schutz enthält. Art. 11 Abs. 2 RL 2011/95/EU hingegen ist in das Kapitel III der Richtlinie eingeordnet, in dem die spezifischen Voraussetzungen unter anderem für den Erwerb und das Erlöschen des Flüchtlingsstatus geregelt werden (vgl. Ziff. 5 der Begründung des Vorschlags der Europäischen Kommission für die Richtlinie 2004/83/EG, KOM/2001/510/endg.). Dass allgemeine Vorschriften unter bestimmten Voraussetzungen auch in gesondert geregelten Konstellationen zur Anwendung gelangen, ist keine Besonderheit. Dass hingegen spezielle Normen zur Auslegung allgemeiner Regelungen herangezogen werden, bedarf einer besonderen Rechtfertigung, an der es für den hier einschlägigen Regelanwendungsbereich des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU, dem Antrag auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft unter Berufung auf eine Vorverfolgung, fehlt.
Rz. 15
3.3 Die unterschiedliche Funktion der beiden Normen spricht durchgreifend gegen eine Konkretisierung des Begriffs der stichhaltigen Gründe im Sinne des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU unter Rückgriff auf die Merkmale der Erheblichkeit und der Dauerhaftigkeit im Sinne des Art. 11 Abs. 2 RL 2011/95/EU.
Rz. 16
Die stichhaltigen Gründe im Sinne des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU dienen der Entkräftung einer den Antragsteller privilegierenden Beweislastregel, an die sich - auch bei festgestelltem Wegfall der Privilegierung - eine umfassende Prüfung der geltend gemachten Schutzgründe anzuschließen hat. Art. 11 Abs. 2 RL 2011/95/EU konkretisiert hingegen die erheblichen und nicht nur vorübergehenden Umstände als Voraussetzung für ein Erlöschen der bereits zuerkannten Flüchtlingseigenschaft. Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU findet Anwendung, wenn die zuständigen Behörden zu beurteilen haben, ob aufgrund der von ihnen geprüften Umstände eine Furcht des Antragstellers vor Verfolgung begründet erscheint (vgl. EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - C-175/08 u. a. [ECLI:EU:C:2010:105], Abdulla u.a. - Rn. 93). Die Norm ist darüber hinaus in Fallgestaltungen anwendbar, in denen einer Person die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt wurde, die Umstände, auf denen die Zuerkennung beruhte, nachträglich weggefallen sind und die zuständigen Behörden, bevor sie das Erlöschen der Flüchtlingseigenschaft feststellen, prüfen, ob die Person aufgrund anderer Umstände begründete Furcht vor Verfolgung haben kann. Dabei unterscheidet der EuGH ausdrücklich zwischen dem - den Voraussetzungen des Art. 11 Abs. 2 Richtlinie 2011/95/EU unterliegenden - Wegfall der Umstände, aufgrund derer der Betroffene als Flüchtling anerkannt worden ist, und anderen - der Beweisregel des Art. 4 Abs. 4 Richtlinie 2011/95/EU unterfallenden - Umständen, die eine begründete Furcht vor Verfolgungshandlungen hervorgerufen haben können. Für die Anwendung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU ist kein Raum, wenn die Person unter Berufung auf den gleichen Verfolgungsgrund, auf dem bereits die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft basierte, geltend macht, es seien andere Tatsachen eingetreten, die eine Verfolgung aus diesem Verfolgungsgrund befürchten ließen. In diesem Fall richtet sich die Prüfung allein nach Art. 11 Abs. 2 RL 2011/95/EU (vgl. EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - C-175/08 u.a. - Rn. 98). Die zuständige Behörde hat die geltend gemachte Verfolgungsgefahr bei der Frage zu prüfen, ob überhaupt eine erhebliche und nicht nur vorübergehende Änderung der Umstände vorliegt, aufgrund derer die Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung nicht länger als begründet angesehen werden kann (BVerwG, Urteil vom 24. Februar 2011 - 10 C 3.10 - BVerwGE 139, 109 Rn. 18). Beruft sich der Flüchtling hingegen auf einen anderen als den bei der Anerkennung festgestellten Verfolgungsgrund, fehlt es an einem Bezug zu den seiner Anerkennung zugrunde liegenden Umständen. Sein Vorbringen steht der Bejahung des Merkmals "Wegfall der Umstände" im Sinne des Art. 11 Abs. 1 Buchst. e oder f RL 2011/95/EU nicht entgegen. Die Beweiserleichterung des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU findet hier erst im Rahmen der Prüfung des Merkmals "Nicht-mehr-Ablehnenkönnen der Inanspruchnahme des Schutzes des Landes der eigenen Staatsangehörigkeit bzw. des letzten gewöhnlichen Aufenthalts" Anwendung, sofern frühere Verfolgungshandlungen oder Bedrohungen mit Verfolgung eine Verknüpfung mit dem nunmehr geltend gemachten Verfolgungsgrund aufweisen, da erst diese Prüfung eine Beurteilung impliziert, die der Beurteilung eines ersten Antrages auf Anerkennung als Flüchtling entspricht (EuGH, Urteil vom 2. März 2010 - C-175/08 u.a. - Rn. 96 f. i.V.m. Rn. 82 f.; BVerwG, Urteil vom 24. Februar 2011 - 10 C 3.10 - BVerwGE 139, 109 Rn. 18).
Rz. 17
3.4 Die Entstehungsgeschichte spricht ebenfalls klar dagegen, den Begriff der "stichhaltigen Gründe" im Sinne des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU unter Heranziehung der Merkmale der Erheblichkeit und Dauerhaftigkeit im Sinne des Art. 11 Abs. 2 RL 2011/95/EU auszulegen.
Rz. 18
Art. 7 Buchst. c des der Richtlinie 2004/83/EG zugrunde liegenden Entwurfs der Europäischen Kommission (KOM/2001/510 endg.) sah vor, dass bei der Bewertung der Furcht des Antragstellers davor, Verfolgung oder einen sonstigen ernsthaften, nicht gerechtfertigten Schaden zu erleiden, die Mitgliedstaaten unter anderem zumindest berücksichtigen, ob der Antragsteller bereits verfolgt wurde oder einen sonstigen ernsthaften, nicht gerechtfertigten Schaden erlitt bzw. von Verfolgung oder Zufügung eines sonstigen ernsthaften Schadens unmittelbar bedroht wurde, da dies ein wichtiger Anhaltspunkt dafür sei, dass eine objektive Möglichkeit bestehe, dass der Antragsteller in Zukunft weiter verfolgt werden oder einen solchen Schaden erleiden könne. Zur Begründung verwies die Kommission darauf, dass die Tatsache, dass die internationalen Schutz beantragende Person bereits verfolgt worden sei oder einen ernsthaften, nicht gerechtfertigten Schaden erlitten habe bzw. von Verfolgung oder Zufügung eines ernsthaften, nicht gerechtfertigten Schadens unmittelbar bedroht worden sei, ein wichtiger Anhaltspunkt dafür sei, dass die Gefahr einer Verfolgung bestehe, es sei denn, die Lage im Herkunftsland des Antragstellers oder seine Beziehungen zum Herkunftsland hätten sich seither "grundlegend und in relevanter Weise" geändert. Art. 13 Abs. 1 Satz 3 desselben Entwurfs verpflichtete die Mitgliedstaaten, bei Anwendung der Bestimmung unter Buchstabe e) zu prüfen, ob die Veränderung der Umstände so "tiefgreifend und dauerhaft" ist, dass die begründete Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung gegenstandslos wird. In der zugehörigen Begründung wird ausgeführt, Art. 13 Abs. 1 des Entwurfs beziehe sich auf das Erlöschen des Flüchtlingsstatus aufgrund veränderter Umstände im Herkunftsland. Im Einklang mit dem Handbuch und der staatlichen Praxis müssten solche Veränderungen so "tiefgreifend und dauerhaft" sein, dass die begründete Furcht des Flüchtlings vor Verfolgung gegenstandslos werde. Eine tiefgreifende Veränderung der Umstände sei nicht mit einer Verbesserung der Lage im Herkunftsland gleichbedeutend. Es sei also zu prüfen, ob es zu einem grundlegenden Wandel von entscheidender politischer oder sozialer Bedeutung gekommen sei, der zu stabilen Machtstrukturen geführt habe, die sich von denen unterschieden, aufgrund derer der Flüchtling eine begründete Furcht vor Verfolgung gehabt habe. Ein umfassender politischer Wandel sei das offenkundigste Beispiel für eine tiefgreifende Veränderung der Umstände, allerdings könnten auch die Durchführung demokratischer Wahlen, die Verkündung einer Amnestie, die Aufhebung repressiver Gesetze oder die Zerschlagung früherer Strukturen auf einen solchen Übergang hindeuten. Eine veränderte Lage, die immer noch durch eine gewisse Inkonstanz gekennzeichnet sei, gelte definitionsgemäß nicht als dauerhaft. Schon diese Ausführungen belegen, dass der Entwurf in beiden Normen von verschiedenen Maßstäben ausging. Während die Adjektive "tiefgreifend" und "dauerhaft" in Art. 13 Abs. 1 Satz 3 des Entwurfs in Art. 11 Abs. 2 RL 2004/83/EG durch die Wörter "erheblich" und "nicht nur vorübergehend" ersetzt wurden, hat der Rat der zuvor lediglich in der Begründung des Art. 7 Buchst. c des Entwurfs der Richtlinie enthaltenen Einschränkung "es sei denn, die Lage im Herkunftsland des Antragstellers oder seine Beziehungen zum Herkunftsland hätten sich seither grundlegend und in relevanter Weise geändert" im Wege ihrer Ersetzung durch die in ihrer Bedeutung deutlich schwächere Formulierung "stichhaltige Gründe dagegen sprechen, dass der Antragsteller erneut von solcher Verfolgung oder einem solchen Schaden bedroht wird" und deren Aufnahme in den Wortlaut des Art. 4 Abs. 4 RL 2004/83/EG ein größeres Gewicht als die Kommission beigemessen. An dieser Formulierung ist in Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU festgehalten worden.
Rz. 19
3.5 Mit diesen Erwägungen setzen sich hinreichend weder die Beschwerdebegründung noch die in dieser herangezogenen Stimmen in Rechtsprechung (VGH Mannheim, Urteile vom 27. August 2014 - 11 S 1128/14 - juris, vom 3. November 2016 - A 9 S 303/15 - juris und vom 30. Mai 2017 - A 9 S 991/15 - juris) sowie im Schrifttum (s. Marx, Handbuch zum Flüchtlingsschutz, 2. Aufl. 2012, § 29 Rn. 58) auseinander, nach denen die nach Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/ EU maßgeblichen stichhaltigen Gründe, die gegen eine erneute Verfolgung sprechen, keine anderen als die Gründe seien, die im Rahmen der "Wegfall der Umstände"-Klausel des Art. 11 Abs. 1 Buchst. e und f RL 2011/95/ EU maßgebend sind. Vor diesem Hintergrund indiziert auch der Umstand einer Rechtsprechungsdivergenz zwischen zwei Obergerichten nicht - wie in aller Regel (s. zur Berufungszulassung nach § 32 Abs. 2 Nr. 2 AsylVfG ≪a.F.≫/§ 78 Abs. 3 Nr. 2 AsylG: BVerfG, Kammerbeschluss vom 26. Januar 1993 - 2 BvR 1058/92 - NVwZ 1993, 465; s.a. Berlit, in: GK-AsylG, Stand Dezember 2015, § 78 Rn. 106) - einen zur Zulassung führenden revisionsgerichtlichen Klärungsbedarf.
Rz. 20
Auch die Veröffentlichung des European Asylum Support Office (EASO) (Voraussetzungen für die Zuerkennung internationalen Schutzes ≪Richtlinie 2011/95/EU≫, 2018, 95) greift auf eine analoge Anwendung der Kriterien des Art. 11 Abs. 2 RL 2011/95/EU und die hierzu ergangene Rechtsprechung nur zurück, soweit als ein Beispiel eines "stichhaltigen Grundes" die Situation eines Regierungswechsels benannt wird. Dies begründet keinen tragfähigen Anhaltspunkt dafür, dass eine EU-Agentur die Rechtsauffassung der Klägerseite teilt, und weist auch sonst nicht auf einen Klärungsbedarf. Denn es steht außer Streit, dass die "stichhaltigen Gründe" im Sinne des Art. 4 Abs. 4 RL 2011/95/EU jedenfalls dann vorliegen, wenn sich die für eine geltend gemachte Verfolgung maßgeblichen Umstände im Sinne des Art. 11 Abs. 2 RL 2011/95/EU "erheblich und nicht nur vorübergehend" geändert haben.
Rz. 21
Auch die vorbezeichneten Umstände geben dem Senat mithin keinen Anlass, insoweit über die Anwendung und Auslegung von Unionsrecht zu zweifeln und die Revision zuzulassen, um nach Art. 267 AEUV den Gerichtshof der Europäischen Union anzurufen (stRspr, zur Vorlagepflicht nach Art. 267 AEUV s. nur BVerfG, Kammerbeschluss vom 22. Juli 2019 - 2 BvR 1702/18 - juris Rn. 18 ff. m.w.N.).
Rz. 22
II. Die von der Beschwerde geltend gemachten Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) führen ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision.
Rz. 23
1. Das Berufungsgericht hat dadurch, dass es dem im Schriftsatz vom 1. März 2019 zum Ausdruck gebrachten Begehren auf Ladung und Befragung der Gutachterinnen/Gutachter, welche die in dem Verfahren eingeholten Gutachten von Amnesty International, der Schweizerischen Flüchtlingshilfe sowie des GIGA-Instituts erstellt haben, nicht nachgegangen ist, weder den Anspruch der Klägerseite auf rechtliches Gehör noch einfach-rechtliche Verfahrensvorschriften verletzt.
Rz. 24
1.1 Art. 103 Abs. 1 GG gebietet, dass sowohl die gesetzliche Ausgestaltung des Verfahrensrechts als auch das gerichtliche Verfahren im Einzelfall ein Ausmaß an rechtlichem Gehör eröffnet, das dem Erfordernis eines effektiven Rechtsschutzes gerecht wird und den Beteiligten die Möglichkeit gibt, sich im gerichtlichen Verfahren mit tatsächlichen und rechtlichen Argumenten zu behaupten (BVerfG, Beschluss vom 9. Juli 1980 - 2 BvR 701/80 - BVerfGE 55, 1 ≪6≫). Die Schwelle einer Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG wird überschritten, wenn die Gerichte bei der Auslegung oder Anwendung des Verfahrensrechts die Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf rechtliches Gehör verkannt haben. Dies ist im Falle der Verletzung einfach-rechtlichen Verfahrensrechts der Fall, wenn unter Berücksichtigung des Wirkungszusammenhangs aller einschlägigen Normen der betroffenen Verfahrensordnung durch sie das unabdingbare Mindestmaß des verfassungsrechtlich gewährleisteten rechtlichen Gehörs verletzt worden ist (BVerfG, Beschluss vom 21. April 1982 - 2 BvR 810/81 - BVerfGE 60, 305 ≪311≫).
Rz. 25
1.1.1 Aus der entsprechenden Anwendung (u.a.) der §§ 397 ff. ZPO, die § 98 VwGO für die Beweisaufnahme im Verwaltungsprozess anordnet, ist in gefestigter Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abgeleitet worden, dass aus dem in den §§ 397 ff. ZPO ausgeformten Anspruch auf rechtliches Gehör durch Einwirkung auf die Beweiserhebung in aller Regel auch eine Verpflichtung des Gerichts zur Anhörung jener gerichtlicher Sachverständiger folgt, die in dem jeweiligen Verfahren ein Gutachten erstellt haben (BVerwG, Urteile vom 9. März 1984 - 8 C 97.83 - BVerwGE 69, 70 ≪77 f.≫ und vom 1. Dezember 1989 - 8 C 44.89 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 34 S. 7 ff.; Beschlüsse vom 10. Dezember 1984 - 7 B 93.84 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 25 S. 5 f., vom 21. September 1994 - 1 B 131.93 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 46 S. 2 ff., vom 13. September 1999 - 6 B 61.99 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 57 S. 1 f., vom 8. März 2001 - 6 B 15.01 - Buchholz 448.0 § 20b WPflG Nr. 1 S. 1 f., vom 26. Juni 2009 - 8 B 56.09 - juris Rn. 5, vom 19. August 2010 - 10 B 22.10 - juris Rn. 14 und vom 22. März 2011 - 4 B 34.10 - juris Rn. 38 f.). Dies entspricht auch der ständigen Spruchpraxis des Bundesverfassungsgerichts (s. etwa BVerfG, Kammerbeschluss vom 29. August 1995 - 2 BvR 175/95 - NJW-RR 1996, 183, vom 3. Februar 1998 - 1 BvR 909/94 - ZIP 1998, 1047 ≪1048≫, vom 17. Januar 2012 - 1 BvR 2728/10 - NJW 2012, 1346 Rn. 11 ff., vom 6. März 2013 - 2 BvR 2918/12 - NJW-RR 2013, 626 ≪627≫ und vom 24. August 2015 - 2 BvR 2915/14 - FamRZ 2015, 2042 Rn. 15 ff.), die überwiegend zu einer im Detail andere Akzente setzenden Rechtsprechung der ordentlichen Gerichte ergangen ist (aus jüngerer Zeit etwa BGH, Beschluss vom 30. Mai 2017 - VI ZR 439/16 - MDR 2017, 1320 Rn. 6, vom 14. November 2017 - VIII ZR 101/17 - MDR 2018, 358 Rn. 10, vom 10. Juli 2018 - VI ZR 580/15 - NJW 2018, 3097 Rn. 8 f. und vom 7. Mai 2019 - VI ZR 257/17 - juris Rn. 8).
Rz. 26
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss ein Beteiligter hierfür beantragen, das Erscheinen des gerichtlich bestellten Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens anzuordnen, weil der Beteiligte dem Sachverständigen Fragen stellen will (BVerwG, Urteile vom 15. April 1964 - 5 C 45.63 - BVerwGE 18, 216, vom 25. Oktober 1972 - 6 C 40.70 - juris und vom 9. März 1984 - 8 C 97.83 - BVerwGE 69, 70; Beschluss vom 26. November 1980 - 6 B 16.80 - juris). Erforderlich, im Regelfall aber auch hinreichend hierfür ist, dass dem Antrag entnommen werden kann, in welcher allgemeinen Richtung eine weitere Aufklärung herbeigeführt werden soll (BVerwG, Urteile vom 25. Oktober 1972 - 6 C 40.70 - juris und vom 9. März 1984 - 8 C 97.83 - BVerwGE 69, 70). Dies gilt namentlich auch für einen Antrag auf Erläuterung eines Gutachtens bzw. einer (nicht-amtlichen) Auskunft im Asylprozess, der sich eindeutig auf ein bereits vorliegendes Gutachten beziehen und erkennen lassen muss, in welcher allgemeinen Richtung eine weitere Aufklärung herbeigeführt werden soll (BVerwG, Beschluss vom 19. August 2010 - 10 B 22.10 - juris Rn. 14). Die Beteiligten sind nach § 98 VwGO i.V.m. § 402 i.V.m. § 397 ZPO dabei berechtigt, dem Sachverständigen diejenigen Fragen vorlegen zu lassen, die sie zur Aufklärung der Sache für wesentlich erachten.
Rz. 27
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist es allerdings auch anerkannt, dass es der mündlichen Erläuterung des schriftlichen Gutachtens durch den Sachverständigen dann nicht bedarf, wenn es nach Lage der Sache ausgeschlossen ist, dass eine Befragung des Sachverständigen zu weiteren Ermittlungen oder zu einer anderen Beurteilung führen kann, und wenn das Gericht in diesem Sinne zu dem Antrag Stellung genommen hat (s. etwa BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 1959 - 6 C 278.57 - DÖV 1960, 506; Beschlüsse vom 10. Dezember 1984 - 7 B 93.84 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 25, vom 31. Juli 1985 - 9 B 71.85 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 28 und vom 21. September 1994 - 1 B 131.93 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 46). Dabei ist zu beachten, dass bei der Begründung, es sei nach Lage der Dinge auszuschließen, dass eine Befragung durch den Sachverständigen zu weiteren Ermittlungen oder zu einer anderen Beurteilung führen kann, keine unzulässige Vorwegnahme der Beweiswürdigung vorgenommen werden darf. Einem Antrag auf mündliche Anhörung des Gutachters ist daher auch dann zu entsprechen, wenn das Gericht das schriftliche Gutachten zur Klärung der Beweisfrage für ausreichend und überzeugend hält und selbst keinen Bedarf für eine mündliche Erläuterung sieht (BVerfG, Kammerbeschluss vom 3. Februar 1998 - 1 BvR 909/94 - NJW 1998, 2273). Die Nichtberücksichtigung eines Erläuterungsantrages erfordert grundsätzlich eine rechtsmissbräuchliche Antragstellung, die nicht schon dann vorliegt, wenn das schriftliche Gutachten dem Gericht vollständig und überzeugungsfähig erscheint, sondern nur dann, wenn die Notwendigkeit einer Erörterung überhaupt nicht begründet wird bzw. wenn die an den Sachverständigen zu richtenden Fragen nicht genau genannt oder nur beweisunerhebliche Fragen angekündigt werden (BVerfG, Kammerbeschluss vom 29. August 1995 - 2 BvR 175/95 - NJW-RR 1996,183 ≪184≫). Beachtet ein Gericht diese verfahrensrechtlichen Anforderungen nicht, so liegt darin jedenfalls dann ein Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Anspruch auf rechtliches Gehör, wenn es einen entsprechenden Antrag völlig übergeht oder ihm allein deshalb nicht nachkommt, weil das Gutachten ihm überzeugend und nicht weiter erörterungsbedürftig erscheint (BVerfG, Kammerbeschluss vom 3. Februar 1998 - 1 BvR 909/94 - NJW 1998, 2273 ≪2274≫).
Rz. 28
1.1.2 Die entsprechende Anwendung dieser allgemeinen, von dem Verfahrensgegenstand unabhängigen Grundsätze im Verwaltungsprozess ist aufgrund der Besonderheiten der Einholung und Beiziehung von Gutachten, Auskünften und weiteren Erkenntnisquellen im gerichtlichen Asylverfahren klarstellend fortzuentwickeln, und zwar auch und gerade für die Anordnung des persönlichen Erscheinens von Sachverständigen, die in demselben Verfahren ein Gutachten erstattet haben.
Rz. 29
a) Eine solche Anpassung wird nicht schon deswegen erforderlich, weil die Stellungnahmen von Organisationen, die - wie hier - gerichtlich mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt worden sind, schon nicht als "Sachverständigengutachten" im beweisrechtlichen Sinne zu werten wären, sondern - in Anlehnung etwa an die beweisrechtliche Einordnung der Auskünfte des Auswärtigen Amtes - als Auskünfte "sui generis" oder lediglich als im Wege des Urkundsbeweises zu verwertende Dokumente. Die Vorschriften zum gerichtlichen Sachverständigenbeweis sind zwar auf natürliche Personen als Sachverständige zugeschnitten. Bei der Beauftragung von juristischen Personen oder einer Personenvereinigung mit der Erstellung des Gutachtens wird indes "Sachverständiger" regelmäßig die natürliche Person, die das Gutachten für die Organisation erstellt bzw. nach außen verantwortlich zeichnet (s. Ulrich, Der gerichtliche Sachverständige, 12. Aufl. 2007, Rn. 49, 110 f.); der Organisation wird dann regelmäßig die Bestimmung der für die Erstellung der gutachterlichen Äußerung verantwortlichen Person überlassen (s. BVerwG, Beschluss vom 6. Dezember 1968 - 5 B 52.68 - NJW 1969, 1591; zu den Grenzen s. Beschluss vom 9. März 1984 - 8 C 97.83 - BVerwGE 69, 70). Auch sonst hat das Bundesverwaltungsgericht Gutachten und Stellungnahmen von Nichtregierungsorganisationen im Asylverfahren zur Verfolgungslage als Gutachten bzw. (nicht amtliche) Auskünfte gewertet und § 97 Satz 2, § 98 VwGO i.V.m. § 411 Abs. 3 ZPO angewendet (BVerwG, Beschluss vom 19. August 2010 - 10 B 22.10 - juris Rn. 14; im Kontext des § 51 Abs. 1 VwVfG insoweit zweifelnd Funke-Kaiser, in: GK-AsylG, § 71 Rn. 242).
Rz. 30
b) Die Einholung und Verarbeitung von Sachverständigengutachten und die Verwertung sonstiger Erkenntnisquellen zur Verfolgungslage im Herkunftsstaat weisen indes Besonderheiten auf, aus denen sich erhöhte Anforderungen an ein Begehren auf Ladung eines Sachverständigen zur mündlichen Verhandlung ergeben.
Rz. 31
Die Gerichte sind aufgrund des Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 86 Abs. 1 VwGO) gehalten, sich ein möglichst zuverlässiges Bild von der Verfolgungslage im jeweiligen Herkunftsland zu verschaffen (Gebot der vollständigen und objektiven Sachaufklärung; s. nur BVerwG, Urteil vom 20. März 1990 - 9 C 91.89 - BVerwGE 85, 92); die erforderliche Gefahrenprognose verlangt für ihre Erstellung wegen der Vielzahl von Ungewissheiten über die asylrelevante Entwicklung in einem ausländischen Staat eine sachgerechte, der jeweiligen Materie angemessene und methodisch einwandfreie Erarbeitung ihrer tatsächlichen Grundlagen (vgl. BVerwG, Urteil vom 31. Juli 1984 - 9 C 46.84 - Buchholz 402.25 § 32 AsylVfG Nr. 4). Unionsrecht gebietet ebenfalls, dass bei der Entscheidung über einen Asylantrag genaue und aktuelle Informationen aus verschiedenen Quellen wie etwa EASO und UNHCR sowie einschlägigen internationalen Menschenrechtsorganisationen eingeholt werden, die Aufschluss geben über die allgemeine Lage in den Herkunftsstaaten der Antragsteller (Art. 10 Abs. 3 Buchst. b RL 2013/32/EU). Diese Verpflichtung zur Heranziehung unterschiedlicher, pluraler Erkenntnismittel folgt nicht zuletzt daraus, dass es sich bei den Herkunftslandinformationen um heterogenes Wissen zu komplexen Lagebeurteilungen handelt, das weltweit verstreut ist (s. dazu Reiling/Mitsch, Wissen im Asylprozess, DVerw 50 ≪2017≫, 537 ≪542≫). Es sind Geschehnisse und Entwicklungen im Ausland zu beurteilen, für deren Aufklärung und Ermittlung eine Anfrage bei dem potentiellen Verfolgerstaat - jedenfalls weitestgehend - ausscheidet. Bei den Verfolgungsmaßnahmen handelt es sich oftmals um verdeckte Aktivitäten, deren Bekanntwerden und Verbreitung außerhalb des Verfolgerstaates durch dessen Maßnahmen (z.B. durch Zensur bzw. Informationskontrolle im Inland, Ausreisekontrollen, Bedrohung im Verfolgerstaat verbliebener Familienangehöriger von Informanten) beeinträchtigt oder verhindert werden können. In Zeiten weltweiter Vernetzung durch das Internet sind Art und Umfang potentiell verfügbarer Informationen zu einem Herkunftsland selbst dann strukturell unüberschaubar, wenn sprachliche Zugangsbarrieren berücksichtigt werden. Das Problem hat sich von dem Zugang zu Wissen und einem daraus abgeleiteten Verbot der Auswahl und Selektion von Beweismitteln (BVerwG, Urteil vom 20. März 1990 - 9 C 91.89 - BVerwGE 85, 92) hin zu dessen nicht verzerrender, pluraler Sammlung, Aufbereitung und Filterung, Strukturierung und Verifizierung verschoben (allgemein dazu Kossen, Die Tatsachenfeststellung im Asylverfahren. Das deutsche Asylverfahren in europäischer Perspektive, 1999, S. 145 ff., passim; Möller, Tatsachenfeststellung im Asylprozess, 2005, S. 65 ff., 93 ff., 158 ff., passim). Einzelne Gutachten haben damit in dem Gesamtprozess der gebotenen umfassenden, vollständigen und objektiven Sachverhaltserforschung einen deutlich geringeren, für das Verfahren qualitativ anderen Stellenwert. Die verschiedenen Erkenntnisquellen bilden stets nur einen Baustein im notwendigen Prozess der pluralen Wissensgenerierung aus einer Vielzahl von Erkenntnismitteln grundsätzlich gleichen Ranges, aus dessen Gesamtschau sich das Gericht die notwendige Überzeugung davon bilden muss, ob die auf dieser Grundlage festgestellten Tatsachen ergeben, dass mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit flüchtlingsrechtlich relevante Gefahren drohen (zu Anforderungen an die gerichtliche Überzeugungsbildung s. jüngst auch BVerwG, Urteil vom 4. Juli 2019 - 1 C 37.18 - juris).
Rz. 32
c) Aus diesen Besonderheiten ergibt sich bei der nach § 98 VwGO lediglich entsprechenden Anwendung der §§ 397 ff. ZPO für den Antrag, das Erscheinen des Gutachters zur Erläuterung von Gerichts wegen anzuordnen (§ 98 VwGO i.V.m. § 411 Abs. 3 ZPO), jedenfalls eine gesteigerte Darlegungslast.
Rz. 33
Über die Darlegung, in welche allgemeine Richtung eine mündliche Erläuterung des schriftlichen Gutachtens erstrebt wird, hinaus sind auch unabhängig von § 411 Abs. 4 ZPO hinreichend spezifiziert die Fragen(komplexe) zu bezeichnen, in Bezug auf die eine über das schriftliche Gutachten hinausgehende Aufklärung der von dem Gutachten erfassten Sachverhalte für erforderlich gehalten wird. Der durch die beabsichtigten Nachfragen erstrebte Erkenntnisgewinn ist zu umreißen. Dabei ist in hinreichender Auseinandersetzung mit den weiteren in das Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln die Möglichkeit aufzuzeigen, dass durch diese weiteren Erkenntnismittel die durch eine mündliche Anhörung der Sachverständigen ergänzend aufzuklärenden Fragen nicht schon hinreichend geklärt, also weiterhin möglicherweise für die Entscheidung erheblicher Erkenntnisgewinn erreicht werden kann. Die Anforderungen orientieren sich nicht zuletzt (auch) an der Dichte, Qualität, Aktualität und Stabilität des Erkenntnisstandes zur allgemeinen Verfolgungslage in dem Herkunftsstaat, der Volatilität der Verfolgungslage im Herkunftsstaat und daran, ob bzw. in welchem Maße sich das Gutachten und die an den Sachverständigen zu stellenden Nachfragen auf die allgemeine Verfolgungslage in dem Herkunftsstaat beziehen oder ob hierbei Tatsachenfragen im Vordergrund stehen, die - bei allen Schwierigkeiten einer abstrakten Abgrenzung - ausschließlich oder vorrangig für das individuelle Verfolgungsgeschehen erheblich sind.
Rz. 34
Der Antrag muss weiterhin eine klare Beurteilung zulassen, ob die Ladung des Sachverständigen zur Erläuterung eines bereits schriftlich abgegebenen Gutachtens erstrebt wird oder ob der Sachverständige das Gutachten - in Bezug auf Ereignisse, Entwicklungen und Bewertungen, die nach dem Zeitpunkt der Erstellung des schriftlichen Gutachtens liegen - fortschreiben bzw. aktualisieren oder zu weiteren Fragen ergänzen soll. Diese Angaben sind erforderlich, um beurteilen zu können, ob sich die Entscheidung, einen Sachverständigen zu laden, nach § 98 VwGO i.V.m. § 411 Abs. 3 ZPO richtet oder es der Sache nach um die Erstellung eines neuen, weil auch auf neuere, nach der Gutachtenserstellung eingetretene Ereignisse und Entwicklungen bezogenen Gutachtens geht, dessen Anordnung sich nach § 98 VwGO i.V.m. § 412 Abs. 1 ZPO beurteilt.
Rz. 35
1.2 Nach diesen Grundsätzen hat das Berufungsgericht die verfahrensrechtlichen Anforderungen oder gar das rechtliche Gehör nicht dadurch verletzt, dass es nicht das persönliche Erscheinen der Sachverständigen, welche die in dem Berufungsverfahren erstellten Gutachten zu verantworten haben, angeordnet und der Klägerseite nicht Gelegenheit gegeben hat, die Sachverständigen zu dem Gutachten zu befragen.
Rz. 36
1.2.1 Die prozessrechtliche Notwendigkeit, das Erscheinen der Sachverständigen nicht nur anzuordnen, sondern auch durchzusetzen, folgt nicht schon aus den - vergeblichen - Bemühungen des Berufungsgerichts, die Sachverständigen formlos zu einer Teilnahme an der mündlichen Verhandlung zu bewegen, um für Fragen zur Verfügung zu stehen. Hieraus ergibt sich allenfalls das Bemühen des Gerichts, dem Begehren der Klägerseite durch eine weitergehende Sachaufklärung im Rahmen seines Ermessens entgegenzukommen, aber keine Selbstbindung des Berufungsgerichts in Bezug auf die prozessrechtliche Notwendigkeit, das Erscheinen der Sachverständigen anzuordnen. Unerheblich ist dabei, ob die von den Sachverständigen bzw. den mit der Erstellung der Gutachten betrauten Organisationen angegebenen Gründe geeignet sind, das Fernbleiben der Sachverständigen oder den Verzicht auf eine Anordnung des Erscheinens zu rechtfertigen.
Rz. 37
1.2.2 Die Klägerseite hat in der mündlichen Verhandlung schon keinen hinreichend eindeutig auf Erläuterung der im Verfahren erstellten Gutachten zielenden Antrag gestellt.
Rz. 38
Zwar hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schriftsatz vom 1. März 2019 vorgetragen, dass eine mündliche Erläuterung der eingeholten gutachterlichen Stellungnahmen durch die Gutachterinnen beantragt wird. Nachdem in der mündlichen Verhandlung am 12. März 2019 von der Vorsitzenden mitgeteilt worden ist, dass und warum die vom Gericht mit der Erstellung der Gutachten beauftragten Organisationen auf telefonische Nachfrage ein Erscheinen abgelehnt haben, hat der Kläger sein Begehren auf mündliche Erläuterung der erstellten Gutachten aber nicht weiter verfolgt, sondern ausweislich des Sitzungsprotokolls (nur noch) hilfsweise den im Schriftsatz vom 1. März 2019 zusätzlich enthaltenen Beweisantrag zur Rückkehrgefährdung exilpolitisch für die EPPFG aktiver äthiopischer Staatsangehörige gestellt. Dieses Begehren betraf nach der beigefügten Begründung die Fortschreibung und Aktualisierung der Erkenntnisse auf den entscheidungserheblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung; ein sich aus den oder zu den eingeholten Gutachten selbst ergebender Erläuterungsbedarf wurde jedenfalls nicht benannt. Damit hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung zu erkennen gegeben, dass er sein Begehren auf mündliche Erläuterung der vom Gericht bereits eingeholten Gutachten nicht aufrechterhält. Zumindest hätte er bei dieser Sachlage ausdrücklich klarstellen müssen, wenn er trotz der vergeblichen Bemühungen des Berufungsgerichts, die Sachverständigen formlos zu einer Teilnahme an der mündlichen Verhandlung zu bewegen, und seines zuletzt nur noch hilfsweise gestellten und in der Sache nur auf Fortschreibung und Aktualisierung der Erkenntnisse gerichteten Beweisantrags an seinem Begehren auf mündliche Erläuterung der eingeholten Gutachten weiterhin hätte festhalten wollen. Denn ein Beteiligter, der von der Möglichkeit, sich im Rahmen des Zumutbaren rechtliches Gehör zu verschaffen, nicht Gebrauch gemacht hat, kann sich später nicht darauf berufen, ihm sei das rechtliche Gehör versagt worden (BVerwG, Beschluss vom 21. Dezember 2009 - 6 B 32.09 - juris Rn. 4).
Rz. 39
1.2.3 Selbst wenn - entgegen der vorstehenden Ausführungen - unterstellt wird, in der mündlichen Verhandlung sei (auch) ein Antrag auf Anhörung der Sachverständigen zur Erläuterung der im Verfahren eingeholten Gutachten gestellt bzw. aufrechterhalten worden, war dem schon nach dem zu 1.1.1 dargelegten Grundsätzen nicht nachzugehen. Als Ziel dieses Antrags ergäbe sich aus dem vorbereitenden Schriftsatz vom 1. März 2019 allein die allgemeine Erläuterung der Gutachten. Die an die Sachverständigen zu dem jeweiligen Gutachten (nicht: zu dessen Aktualisierung) zu stellenden Fragen wurden weder hinreichend genau bezeichnet oder doch umrissen, noch wurde - soweit erkennbar - die Beweiserheblichkeit der angekündigten Fragen dargelegt. In dem vorbereitenden Schriftsatz wird schon kein möglicher Erläuterungsbedarf in Bezug auf den unbestimmten Vorbehalt auf eine mögliche Änderung der Lage aufgrund des Eintritts von Abiy Ahmed in das Amt des Premierministers erkennbar. Dass die Stellungnahmen "anhand der aktuellen Situation" für die jeweils unterschiedlichen Gruppen bzw. Parteien mündlich erläutert werden müssten, bezieht den Erläuterungsbedarf nicht auf die abgegebenen Gutachten, sondern deren aktualisierende Fortschreibung und damit auf eine zwar (möglicherweise) entscheidungserhebliche Frage, die aber der Sache nach auf ein neues Gutachten im Sinne des § 412 ZPO hinausläuft, nicht aber auf die mündliche Erläuterung der bereits erstellten Gutachten im Sinne des § 411 Abs. 3 Satz 1 ZPO. Konkrete Einwendungen gegen die jeweiligen Gutachten, die zugrundeliegende Methodik oder einzelne Aussagen, denen das Berufungsgericht nachzugehen Anlass gehabt hätte (s. dazu BVerfG, Kammerbeschluss vom 24. April 1992 - 1 BvR 1721/91 - juris Rn. 14), sind nicht erkennbar vorgetragen. Die in der Beschwerdebegründung enthaltene Zielrichtung, die Gutachterinnen hätten bei ihrer Anhörung erläutert,
"welche tatsächlichen innenpolitischen Faktoren sie bei ihrer jeweiligen Risikofeststellung in Erwägung gezogen haben und wie diese für diese Feststellung und der gegebenen Prognose gewichtet worden sind",
was
"ein erheblich genaueres Bild für die Lageeinschätzung und deren zeitliche Gültigkeit ergeben"
hätte, findet weder im Schriftsatz vom 1. März 2019 noch - ausweislich der Sitzungsniederschrift - sonst einen Niederschlag und rechtfertigt nicht den Schluss, es sei - ausschließlich oder vorrangig - um die Erläuterung der jeweiligen Stellungnahmen gegangen.
Rz. 40
1.2.4 Einem Antrag auf Anhörung der Sachverständigen zur Erläuterung der bereits abgegebenen Gutachten brauchte hier jedenfalls nach den zu 1.1.2 b) und c) dargelegten Grundsätzen nicht nachgegangen zu werden, denen das Vorbringen zur Stützung des Anhörungsantrages nicht entspricht. Es fehlt schon an einer hinreichend klaren Bezeichnung des (zusätzlichen) Erkenntnisgewinns, der mit der mündlichen Erläuterung der Gutachten erstrebt wurde, unter Auseinandersetzung mit den weiteren in das Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln. Das Vorbringen lässt schließlich auch keine klare Beurteilung zu, ob die Ladung der Sachverständigen zur Erläuterung ihrer bereits schriftlich abgegebenen Gutachten erstrebt wird oder ob sie ihr Gutachten - in Bezug auf Ereignisse, Entwicklungen und Bewertungen, die nach dem Zeitpunkt der Erstellung des schriftlichen Gutachtens liegen - fortschreiben bzw. aktualisieren oder zu weiteren Fragen ergänzen sollen. Jeder dieser Gründe schließt bereits einen prozessrechtlich beachtlichen, hinreichenden Antrag auf mündliche Anhörung aus; jedenfalls in ihrer Gesamtschau folgt hieraus, dass das Berufungsgericht nicht ohne prozessrechtlich tragenden Grund dem Antrag auf mündliche Anhörung nicht (weiter) nachgegangen ist.
Rz. 41
1.3 Die Rüge, durch die - nach Vorstehendem nicht gegebene - Verletzung eines Anspruchs auf mündliche Erläuterung der abgegebenen Stellungnahmen durch die Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung (§ 411 Abs. 3 ZPO) habe das Berufungsgericht zugleich gegen die gerichtliche Sachaufklärungspflicht nach § 86 Abs. 1 VwGO verstoßen, ist schon nicht hinreichend dargelegt.
Rz. 42
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erfordert die Rüge einer Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) die substantiierte Darlegung, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiell-rechtlichen Auffassung des Verwaltungsgerichts aufklärungsbedürftig waren, welche für erforderlich oder geeignet gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht kamen, welche tatsächlichen Feststellungen dabei voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern diese unter Zugrundelegung der materiell-rechtlichen Auffassung des Tatsachengerichts zu einer für den Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung hätten führen können. Überdies ist zu berücksichtigen, dass die Aufklärungsrüge kein Mittel darstellt, um Versäumnisse eines Verfahrensbeteiligten in der Tatsacheninstanz zu kompensieren. Deshalb muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätten aufdrängen müssen (BVerwG, Urteil vom 22. Januar 1969 - 6 C 52.65 - BVerwGE 31, 212 ≪217 f.≫; Beschlüsse vom 13. Juli 2007 - 9 B 1.07 - juris Rn. 2 und vom 21. September 2011 - 5 B 11.11 - juris Rn. 15 m.w.N.). Das zeigt die Beschwerde nicht auf.
Rz. 43
Mit der Begründung, es habe sich angesichts der "neueren Ereignisse" sowie der "sich im Wandel befindlichen Lage und der sich daraus ergebenden Unsicherheit der Feststellungen“ eine Ladung der Gutachterinnen aufgedrängt, wird der Sache nach eine aktualisierende Fortschreibung der bereits erstellten Gutachten umschrieben, die indes von dem Erläuterungsanspruch des § 411 Abs. 3 Satz 1 ZPO nicht umfasst ist. Dass das Berufungsgericht seiner Pflicht, namentlich bei volatilen Sicherheits- bzw. Verfolgungslagen nur auf der Grundlage solcher Erkenntnismittel zu entscheiden, die Aufschluss über die jeweils aktuelle Verfolgungslage geben (BVerfG, Kammerbeschluss vom 21. April 2016 - 2 BvR 273/16 - NVwZ 2016, 1242 Rn. 11, vom 27. März 2017 - 2 BvR 681/17 - NVwZ 2017, 1702 Rn. 11 f. und vom 25. April 2018 - 2 BvR 2435/17 - NVwZ 2018, 1563 Rn. 34), nur durch die Einholung eines aktualisierenden (mündlichen) Ergänzungsgutachtens hätte nachkommen können, ist nicht ansatzweise dargelegt.
Rz. 44
2. Das Berufungsgericht hat den Anspruch der Klägerseite auf Gewährung rechtlichen Gehörs auch nicht dadurch verletzt, dass es dem vom Prozessbevollmächtigten des Klägers in der mündlichen Verhandlung unter Bezugnahme auf seinen Schriftsatz vom 1. März 2019 hilfsweise gestellten Antrag nicht nachgegangen ist, durch Einholung aktueller Auskünfte sachverständiger Stellen Beweis zu erheben zur Rückkehrgefährdung äthiopischer Staatsangehöriger wegen exilpolitischer Aktivitäten für die EPPFG.
Rz. 45
Dieses Begehren hat das Berufungsgericht im Urteil mit der Begründung abgelehnt, dass der Senat aufgrund der eingeführten und aufgrund des Beweisbeschlusses vom 26. März 2018 eingeholten Erkenntnisquellen, insbesondere der Auskünfte des Auswärtigen Amtes vom 7. Februar 2019, dessen Ad-hoc-Berichts über die asyl-und abschiebungsrelevante Lage in Äthiopien vom 17. Oktober 2018, das Länderinformationsblatt des österreichischen Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (Äthiopien) vom 8. Januar 2018 und den Bericht des Ministry of Immigration and Integration, The Danish Immigration Service, Ethiopia vom September 2018, über die erforderliche Sachkunde verfüge, ohne dass es der Einholung weiterer Sachverständigengutachten oder Auskünfte bedurft habe. Im Übrigen habe der Kläger auch nicht substantiiert dargetan, dass die beantragte Beweiserhebung bessere oder andere Erkenntnisse bringen würde als die zum Gegenstand des Verfahrens gemachten Materialien. Außerdem sei die unter Beweis gestellte Tatsache nicht entscheidungserheblich, weil die in dem (bedingten) Beweisantrag aufgestellte Prämisse der Wahrnehmung einer "Leitungsfunktion" für die EPPFG im Fall des Klägers nicht zutreffe und es auf Festnahmen und Inhaftierungen in der Vergangenheit nicht ankomme.
Rz. 46
2.1 Die Beschwerde legt nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend dar, inwiefern das Berufungsgericht mit dieser Begründung den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt hat. Insbesondere setzt sie sich nicht damit auseinander, dass mit einem - wie hier - nur hilfsweise gestellten Beweisantrag lediglich die weitere Erforschung des Sachverhalts nach § 86 Abs. 1 VwGO angeregt wird (BVerwG, Beschlüsse vom 10. Juni 1999 - 9 B 81.99 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 302 und vom 19. August 2010 - 10 B 22.10 - juris Rn. 10). Die Ablehnung eines Hilfsbeweisantrages kann daher grundsätzlich nur mit der Aufklärungsrüge angegriffen werden.
Rz. 47
2.2 Auch in Bezug auf einen etwaigen Verstoß gegen die Aufklärungspflicht genügt das Vorbringen nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.
Rz. 48
Das Tatsachengericht entscheidet über die Art der heranzuziehenden Beweismittel und den Umfang der Beweisaufnahme im Rahmen seiner Pflicht zur Sachverhaltsermittlung von Amts wegen nach pflichtgemäßem Ermessen (BVerwG, Beschluss vom 4. November 2008 - 2 B 19.08 - Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 370 Rn. 11 m.w.N.). Liegen zu einer erheblichen Tatsache bereits amtliche Auskünfte oder gutachtliche Stellungnahmen vor, richtet sich die im Ermessen des Gerichts stehende Entscheidung über die Einholung weiterer Auskünfte oder Gutachten nach § 98 VwGO i.V.m. § 412 Abs. 1 ZPO. Danach kann das Gericht eine weitere Begutachtung anordnen, wenn es die vorliegenden Auskünfte oder Gutachten für ungenügend erachtet (§ 412 Abs. 1 ZPO). Ungenügend sind Auskünfte und Gutachten insbesondere dann, wenn sie erkennbare Mängel aufweisen, etwa unvollständig, widersprüchlich oder sonst nicht überzeugend sind, wenn das Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht oder wenn der Gutachter erkennbar nicht sachkundig ist bzw. Zweifel an seiner Unparteilichkeit bestehen. Das gerichtliche Ermessen kann sich auch dann zu der Pflicht neuerlicher Begutachtung verdichten, wenn durch neuen entscheidungserheblichen Sachvortrag der Beteiligten oder eigene Ermittlungstätigkeit des Gerichts die Aktualität der vorliegenden Auskünfte zweifelhaft oder wenn sonst das bisherige Beweisergebnis ernsthaft erschüttert wird. Schließlich kann die Erforderlichkeit der Einholung weiterer Auskünfte oder Gutachten auch darauf beruhen, dass die Fragestellung der bisherigen Gutachten sich - auf Grund tatsächlicher Entwicklungen oder wegen einer Rechtsprechungsänderung - als unzureichend erweist (BVerwG, Beschluss vom 27. März 2013 - 10 B 34.12 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 109 Rn. 4). Die Pflicht zur "tagesaktuellen" Erfassung der entscheidungsrelevanten Tatsachengrundlage ändert dabei nichts daran, dass die Frage, ob das Tatsachengericht die Einholung neuer Erkenntnisse für erforderlich erachtet, seiner auch revisionsgerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren fachgerichtlichen Einschätzung unterliegt (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 27. März 2017 - 2 BvR 681/17 - NVwZ 2017, 1702 Rn. 11 f.).
Rz. 49
In diesem Sinne zeigt die Beschwerde nicht auf, dass sich dem Berufungsgericht hier die Einholung weiterer Auskünfte sachverständiger Stellen hätte aufdrängen müssen. Insbesondere wird nicht substantiiert dargelegt, dass die vom Berufungsgericht herangezogenen Erkenntnisquellen fehlerhaft oder überholt waren und damit zur Beurteilung der Rückkehrgefährdung des Klägers wegen seiner exilpolitischen Betätigung in Deutschland nicht ausreichten. Das Berufungsgericht hat in das Verfahren zahlreiche Auskünfte und Stellungnahmen sachverständiger Stellen und Personen eingeführt und ausgewertet. Dabei hat es berücksichtigt, dass die Reformbestrebungen in Äthiopien in den letzten Monaten auch Rückschläge erlitten haben (UA S. 12 ff.), die Situation trotz des politischen Umbruchs noch nicht stabil ist und die tiefgreifenden Veränderungen noch nicht als gefestigt gewertet werden können (UA S. 14). Dennoch ist es zu dem Ergebnis gekommen, dass infolge der grundlegenden Änderung der politischen Verhältnisse in Äthiopien seit April 2018 selbst eine exponierte exilpolitische Betätigung in Deutschland grundsätzlich nicht mehr mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine relevante Verfolgungsgefahr begründe und eine Rückkehrgefährdung allenfalls in besonders gelagerten Ausnahmefällen denkbar erscheine (UA S. 17). Dem hält die Beschwerde vor allem entgegen, dass die Lage in Äthiopien volatil sei und sich seit September 2018 massiv verschlechtert habe. Soweit sie behauptet, dass dies in den vom Gericht beigezogenen Quellen noch nicht berücksichtigt worden sei, nennt sie keine konkreten Anknüpfungstatsachen, aufgrund derer sich dem Berufungsgericht im maßgeblichen Zeitpunkt seiner mündlichen Verhandlung eine weitere Aufklärung hätte aufdrängen müssen. Allein der Hinweis auf die profunden und aktuellen Kenntnisse des Sachverständigen S. und von UNHCR und den - im Übrigen erst nach der mündlichen Verhandlung ergangenen - Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 8. April 2019 ersetzt nicht die Darlegung, aufgrund welcher konkreten Umstände sich dem Berufungsgericht im maßgeblichen Zeitpunkt seiner mündlichen Verhandlung am 12. März 2019 eine weitere Beweiserhebung hätte aufdrängen müssen. Die zwingende Heranziehung einer Stellungnahme von UNHCR ergibt sich - entgegen der Auffassung der Beschwerde - auch nicht aus Art. 10 Abs. 3 Buchst. b Asylverfahrensrichtlinie. Denn danach ist lediglich sicherzustellen, dass genaue und aktuelle Informationen aus verschiedenen Quellen einzuholen sind. Dies ist hier geschehen.
Rz. 50
III. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).
Rz. 51
IV. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 RVG. Gründe für eine Abweichung gemäß § 30 Abs. 2 RVG liegen nicht vor.
Fundstellen
Dokument-Index HI13625614 |