Verfahrensgang
Hessischer VGH (Urteil vom 02.12.2002; Aktenzeichen 12 UE 1019/02) |
Tenor
Auf die Beschwerde der Beklagten wird das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 2. Dezember 2002 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten in der Hauptsache bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der vorbehaltenen Kostenentscheidung in der Hauptsache.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 4 000 € festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde der Beklagten ist zulässig und begründet. Sie rügt zu Recht, das Berufungsgericht habe seine Pflicht nach § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO verletzt, die Rechtssache soweit wie möglich spruchreif zu machen.
Das Berufungsgericht hat nach § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO die Beklagte zur Neubescheidung des Antrags des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 20 Abs. 4 Nr. 1 i.V.m. § 17 AuslG verpflichtet. Es hat allerdings, wie die Beklagte zu Recht beanstandet, nicht geprüft und entschieden, ob sämtliche gesetzlichen Voraussetzungen für eine Ermessensentscheidung nach dieser Vorschrift vorliegen, namentlich der Besitz des erforderlichen Passes (§ 8 Abs. 1 Nr. 3, § 4 AuslG), aber auch die in § 17 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 AuslG genannten Erfordernisse in Bezug auf den Wohnraum und den Lebensunterhalt. Es hat hierzu ausgeführt, dass “die im Hinblick auf eine tatbestandliche Voraussetzung des § 20 Abs. 4 AuslG” – gemeint ist die Beherrschung der deutschen Sprache – “rechtswidrige Ablehnung der vom Kläger erstrebten Begünstigung hier in der Folge im Zusammenhang mit der Fortdauer des Verfahrens und der zwangsläufigen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse” bisher daran gehindert habe, eine ausreichende Sachaufklärung zu erlangen. Es fehle für den maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung noch an Nachweisen in Form einer Verpflichtungserklärung der Geschwister oder des Vaters gemäß § 84 AuslG zugunsten des Klägers ebenso wie an der Vorlage eines Mietvertrages oder des gemäß § 4 AuslG erforderlichen gültigen Passes, die sämtlich der Ausländerbehörde – im Rahmen der Neubescheidung – vorzulegen seien (UA S. 12).
Diese Verfahrensweise verletzt § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO und stellt einen Verfahrensrechtsverstoß nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO dar, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Denn der Erlass eines Bescheidungsurteils wegen einer der Behörde vorbehaltenen Ermessensentscheidung kommt nur in Betracht, wenn das Gericht zuvor geprüft hat, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für eine derartige Ermessensentscheidung gegeben sind (vgl. Beschluss vom 16. März 1993 – BVerwG 4 B 253.92 – NVwZ 1994, 266; vgl. auch Urteil vom 6. Juli 1998 – BVerwG 9 C 45.97 – BVerwGE 107, 128 zur Nichtanwendbarkeit von § 113 Abs. 3 VwGO auf Verpflichtungsklagen). Das Gericht muss insoweit Spruchreife herstellen. Das Berufungsgericht hätte deshalb selbst ermitteln und feststellen müssen, ob der Kläger – wie von der Beklagten geltend gemacht – im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht im Besitz des erforderlichen Passes war. Ferner hätte es auch das Vorliegen der Voraussetzungen des § 17 Abs. 2 Nrn. 2 und 3 AuslG nicht offen lassen dürfen.
Die Entscheidung kann auf diesem Verfahrensverstoß beruhen, da bei Fehlen der genannten Voraussetzungen auch nach der Rechtsansicht des Berufungsgerichts für eine erneute Ermessensentscheidung der Beklagten kein Raum gewesen wäre und die Berufung des Klägers hätte zurückgewiesen werden müssen.
Die Beklagte ist durch diesen Verfahrensverstoß auch beschwert. Ob im Falle eines reinen Bescheidungsurteils eine Beschwer der zur Neubescheidung verpflichteten Behörde zu verneinen ist, weil sie durch das Urteil nicht gehindert ist, nach entsprechender Sachaufklärung erneut einen ablehnenden Bescheid zu erlassen (so Beschluss vom 16. März 1993, a.a.O.), kann hier dahinstehen. Denn im vorliegenden Fall liegt eine Beschwer der Beklagten jedenfalls in der zusätzlichen Aufhebung der Abschiebungsandrohung, die im Falle einer Herbeiführung der Spruchreife hinsichtlich der zwingenden gesetzlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis an den Kläger möglicherweise Bestand gehabt hätte.
Die von der Beschwerde weiter erhobene Divergenzrüge bezieht sich ebenso wie die erfolgreiche Verfahrensrüge auf die fehlerhafte Auslegung und Anwendung von § 113 Abs. 5 VwGO durch das Berufungsgericht. Ihr braucht unter den gegebenen Umständen nicht weiter nachgegangen zu werden.
Wegen des dargelegten Verfahrensmangels verweist der Senat die Sache nach § 133 Abs. 6 VwGO im Interesse der Verfahrensbeschleunigung unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das Berufungsgericht zurück.
Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 14, 13 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Eckertz-Höfer, Richter, Beck
Fundstellen