Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtmäßigkeit der Feststellung eines Sicherheitsrisikos bei einem Soldaten durch den Geheimschutzbeauftragten beim Streitkräfteamt auf Grund von finanziellen Verbindlichkeiten des Soldaten
Normenkette
InsO § 295; SÜG § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 2
Tenor
Der Bescheid des Geheimschutzbeauftragten beim Streitkräfteamt vom 2. März 2011 und der Beschwerdebescheid des Bundesministers der Verteidigung vom 25. Juli 2011 werden aufgehoben.
Die dem Antragsteller im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht einschließlich der im vorgerichtlichen Verfahren erwachsenen notwendigen Aufwendungen werden dem Bund auferlegt.
Tatbestand
I
Der Antragsteller wendet sich gegen die Feststellung eines Sicherheitsrisikos in seiner erweiterten Sicherheitsüberprüfung (Ü 2) durch den Geheimschutzbeauftragten beim Streitkräfteamt.
Der 1965 geborene Antragsteller ist Berufssoldat, dessen Dienstzeit voraussichtlich mit Ablauf des 28. Februar 2021 enden wird. Er wurde am 15. April 2005 zum Kapitänleutnant ernannt. Bis zum 31. Mai 2010 war er beim Kommando … in W. eingesetzt und dort als …-Offizier mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betraut. Seit dem 1. Juni 2010 wird er beim Stab … in K. verwendet und übt dort keine sicherheitsempfindliche Tätigkeit mehr aus. Seit dem 1. April 2011 ist er beim Stab … auf einem „dienstpostenähnlichen Konstrukt” eingesetzt und mit Tätigkeiten nach Maßgabe des Chefs des Stabes betraut.
Für den Antragsteller wurde zuletzt am 16. September 2005 eine erweiterte Sicherheitsüberprüfung (Ü 2) ohne Einschränkungen abgeschlossen.
Das Amtsgericht W. – Insolvenzgericht – eröffnete mit Beschluss vom 10. Dezember 2009 (Geschäftsnummer: …/09) über das Vermögen des Antragstellers das Insolvenzverfahren und bestellte einen Treuhänder.
Der Geheimschutzbeauftragte beim Streitkräfteamt hörte den Antragsteller mit Schreiben vom 23. April 2010 zu folgenden sicherheitserheblichen Erkenntnissen an: Der Militärische Abschirmdienst (MAD) habe am 26. Januar 2010 über eine sehr angespannte finanzielle Situation des Antragstellers berichtet. Dieser habe den MAD im Februar 2009 um ein Gespräch gebeten, weil er festgestellt habe, dass er seinen finanziellen Verbindlichkeiten nicht mehr problemlos nachkommen könne; er müsse deshalb „die Reißleine ziehen”. Die Ermittlungen des MAD hätten ergeben, dass der Antragsteller seit 1987 durch einen Kredit für den Erwerb eines Kraftfahrzeugs und einer Wohnungseinrichtung seine finanziellen Verbindlichkeiten kontinuierlich erhöht habe. Anfang der 1990er Jahre habe der Antragsteller einen weiteren Kredit über 40 000 DM für den Erwerb eines Pkw und für die Beteiligung an der Firma eines Freundes aufgenommen. Da diese Firma keine Einkünfte erzielt habe, sei der Antragsteller kurze Zeit später wieder ausgestiegen. In der Folgezeit sei er weitere Verbindlichkeiten eingegangen. Es sei auch zum Vollzug einer Abtretung gekommen. Trotz der angespannten Finanzlage habe der Antragsteller seinen Kredit zuletzt im Oktober 2008 nochmals aufgestockt. Die Höhe der Aufstockung und die Verwendung des Geldes habe er gegenüber dem MAD nicht erläutern können. Er habe eingeräumt, über seine Verhältnisse gelebt zu haben. Seine Schwiegermutter unterstütze ihn gelegentlich, wobei dies kein Kredit sei. Nach dem Bericht des MAD verfüge der Antragsteller über Verbindlichkeiten in Höhe von ca. 103 000 €; für einen Vier-Personen-Haushalt verbleibe ihm monatlich ein Betrag von 250 € für den Lebensunterhalt.
In seiner Stellungnahme vom 25. Juni 2010 erklärte der Antragsteller, dass seine finanzielle Situation bis zum Frühjahr 2009 sehr angespannt gewesen sei. Er sei privat in finanzieller Hinsicht zu nachlässig gewesen; seine starke Fixierung auf den Beruf habe dazu geführt, die finanziellen Verhältnisse aus den Augen zu verlieren. Durch die Familiengründung mit drei nachfolgenden dienstlichen Umzügen und Neuanschaffungen unter leichtfertiger Hilfe der Banken sei die Situation immer enger geworden. Der Impuls für seine Entscheidung, ein Insolvenzverfahren zu beantragen, sei durch den finanziellen Engpass aufgrund der Schulden, durch den Wegfall des Einkommens seiner Frau und durch die Unterstützung für seine Mutter entstanden, deren Sozialhilfe nicht nachgezahlt worden sei. Er zweifle aber nicht daran, dass er seinen Pflichten bei der Ausübung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit sorgfältig nachkommen werde. Für Anbahnungs- und Werbungsversuche fremder Nachrichtendienste sei er nicht empfänglich.
Mit Schreiben vom 9. Juli 2010 teilte der Geheimschutzbeauftragte dem Antragsteller als weiteren sicherheitserheblichen Umstand die zwischenzeitlich bekannt gewordene Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 10. Dezember 2009 mit und gab ihm auch insoweit Gelegenheit zur Stellungnahme. Hierzu äußerte sich der Antragsteller mit Schreiben vom 21. Oktober 2010 und vom 18. Januar 2011; er legte insbesondere dar, durchgehend seit 1986 und während seines Einsatzes im Sudan habe es keine Annäherungen fremder Nachrichtendienste gegeben. Derartige Kontakte ziehe er selbst grundsätzlich nicht in Erwägung. Seine ihm derzeit ausgezahlten Bezüge reichten aus, um allen finanziellen Verpflichtungen nachzukommen.
Mit Beschluss vom 7. Oktober 2010 hatte das Amtsgericht W. – Insolvenzgericht – ausgesprochen, dass dem Antragsteller Restschuldbefreiung erteilt werde, wenn er während der Laufzeit der Abtretungserklärung („Wohlverhaltensperiode”) die Obliegenheiten gemäß § 295 InsO erfülle und die Restschuldbefreiung nicht zuvor nach §§ 296 ff. InsO versagt werde. Die Wohlverhaltensperiode betrage sechs Jahre, beginnend mit der Verfahrenseröffnung am 10. Dezember 2009. Als Treuhänder für die Wohlverhaltensperiode wurde der bisherige Treuhänder Rechtsanwalt H. aus Wi. eingesetzt. Mit Beschluss vom 26. November 2010 hob das Amtsgericht W. das Verbraucherinsolvenzverfahren über das Vermögen des Antragstellers gemäß § 200 InsO auf, weil die Schlussverteilung vollzogen war. Mit Schreiben vom 6. Januar 2011 teilte das Amtsgericht W. dem Treuhänder mit, dass der Aufhebungsbeschluss vom 26. November 2010 rechtskräftig sei; nach Beginn der Wohlverhaltensphase sei nunmehr das Verfahren nach §§ 292 ff. InsO einzuleiten. Als Wiedervorlagefrist für die Entscheidung über den Restschuldbefreiungsantrag sei der 10. Dezember 2015 notiert.
Mit dem angefochtenen Bescheid vom 2. März 2011, dem Antragsteller am 5. April 2011 eröffnet, stellte der Geheimschutzbeauftragte beim Streitkräfteamt fest, dass die erweiterte Sicherheitsüberprüfung (Ü 2) Umstände ergeben habe, die ein Sicherheitsrisiko darstellten. Die Entscheidung schließe auch einen Einsatz in einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit der Überprüfungsart Ü 1 (Verschlusssachenschutz) aus. Im Dezember 2015 könne bei Bedarf eine Wiederholungsüberprüfung eingeleitet werden.
Gegen diesen Bescheid legte der Antragsteller mit Schreiben vom 15. April 2011 Beschwerde ein, die der Bundesminister der Verteidigung – PSZ I 7 – mit Bescheid vom 25. Juli 2011 zurückwies. Im Beschwerdebescheid ist ausgeführt, die tatsächlichen Anhaltspunkte für Zweifel an der Zuverlässigkeit des Antragstellers im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG beruhten darauf, dass dieser in eine Überschuldung geraten sei, weil er in der Vergangenheit sein Ausgabe- und Konsumverhalten nicht an seine Einnahmen angepasst habe. Das lasse auf Sorglosigkeit und Nachlässigkeit in seiner Lebensführung und – wegen der Unteilbarkeit des Charakters – auch auf Zuverlässigkeitsdefizite bei der Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit schließen. Mit der Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens stehe gemäß § 17 InsO die Zahlungsunfähigkeit als Schuldner objektiv fest. Zwar gebe das Verbraucherinsolvenzverfahren dem Antragsteller die Möglichkeit, eine Restschuldbefreiung zu erhalten. Dies rechtfertige jedoch nicht die Annahme positiver Auswirkungen auf den Sicherheitsüberprüfungsstatus. Es sei zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht sicher, ob es tatsächlich zu einer Restschuldbefreiung komme. Zusätzlich sei ein Sicherheitsrisiko auf der Grundlage des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SÜG festzustellen, weil die finanzielle Situation des Antragstellers ihn einer besonderen Gefährdung aussetze, dass fremde Nachrichtendienste ihn durch Versprechen von finanziellen Zuwendungen zur Mitarbeit bewegen könnten. Da die Entstehungsgeschichte von Verbindlichkeiten regelmäßig mit der Erhöhung des Lebensstandards einhergehe und dieser höhere Lebensstandard während der Dauer der Wohlverhaltensphase nicht gehalten werden könne, könnten Situationen einer erhöhten Ansprechbarkeit auch im Rahmen der Verbraucherinsolvenz nicht ausgeschlossen werden. Überdies würden Beschlüsse des zuständigen Amtsgerichts im Rahmen des Insolvenzverfahrens im Internet veröffentlicht. Dadurch werde einem angreifenden Nachrichtendienst eine Identifizierung erleichtert. Der Antragsteller könne deshalb im Interesse der militärischen Sicherheit, aber auch zu seinem Schutz und dem seiner Familie nicht in einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit verwendet werden. Zurzeit lasse sich noch keine verlässliche Aussage dazu treffen, wie sich in den kommenden Jahren die finanzielle Situation des Antragstellers entwickeln und wie er mit möglichen Angeboten finanzieller Zuwendung umgehen werde. Es bedürfe deshalb eines längeren Zeitabschnitts, um darüber eine gesicherte Aussage treffen zu können. Im Zweifel habe das Sicherheitsinteresse Vorrang vor anderen Belangen.
Gegen diese ihm am 2. August 2011 eröffnete Entscheidung hat der Antragsteller am 22. August 2011 die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts beantragt. Den Antrag hat der Bundesminister der Verteidigung – PSZ I 7 – mit seiner Stellungnahme vom 30. November 2011 dem Senat zur Entscheidung vorgelegt.
Zur Begründung seines Rechtsschutzbegehrens trägt der Antragsteller insbesondere vor:
Seit Februar 2009 sei seine Verschuldung bekannt. Gleichwohl sei er bis Mai 2010 weiter in sicherheitsempfindlicher Tätigkeit verwendet worden. Diesen Umstand habe man bei der angefochtenen Entscheidung nicht hinreichend berücksichtigt. Überdies habe der Geheimschutzbeauftragte verkannt, dass durch das Insolvenzverfahren der finanzielle Druck gemildert werden solle. Deshalb bestehe gerade nicht die Gefahr für eine Ansprechbarkeit durch fremde Nachrichtendienste. Er wehre sich vehement gegen die Unterstellung, dass er als deutscher Staatsbürger und als deutscher Offizier für fremde Nachrichtendienste ansprechbar sei. Das Insolvenzverfahren eröffne aus seiner Sicht insbesondere die Perspektive, dass am Ende der Wohlverhaltensperiode Schuldenfreiheit eintrete. Dies sei ein Neuanfang. Es sei für ihn nicht nachzuvollziehen, dass das Bundesministerium der Verteidigung offenbar meine, dass ein Soldat, der einen so radikalen Schritt wie die Einleitung eines Insolvenzverfahrens vollziehe, gleichzeitig so dumm sein solle, genau diese großartige Chance leichtfertig wegzuwerfen, indem er Geld von fremden Nachrichtendiensten annehme. Im Übrigen habe er selbst im Februar 2009 seine Verschuldung dem MAD gemeldet. Der MAD habe die Einleitung des Insolvenzverfahrens empfohlen und versichert, dass ihm, dem Antragsteller, hieraus keine Nachteile entstehen würden.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
den Bescheid des Geheimschutzbeauftragten beim Streitkräfteamt vom 2. März 2011 und den Beschwerdebescheid des Bundesministers der Verteidigung vom 25. Juli 2011 aufzuheben.
Der Bundesminister der Verteidigung beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Er verteidigt den Inhalt des angefochtenen Beschwerdebescheids und führt ergänzend aus, dass es sich bei einer Restschuldbefreiung im Rahmen des Insolvenzverfahrens nicht um einen Automatismus handele. Vielmehr müsse der Betroffene zuvor den ihm gemäß § 295 InsO obliegenden Verpflichtungen nachkommen; außerdem sei Voraussetzung, dass keine Versagungsgründe im Sinne des § 290 InsO vorlägen. Der Umstand, dass der Antragsteller, der viele Jahre lang über seine finanziellen Verhältnisse gelebt habe, während der Wohlverhaltensphase finanziellen Einschränkungen unterliege, begründe die Gefahr nachrichtendienstlicher Ansprechbarkeit. Eine regelmäßige oder anlassbezogene Leistung eines fremden Nachrichtendienstes, die am Insolvenzverwalter „vorbei gehe”, bilde dann durchaus einen „Anreiz” zur Annahme einer solchen Leistung. Die Zweifel an der sicherheitsrechtlichen Zuverlässigkeit des Antragstellers resultierten aus dem Umstand, dass er sein Ausgabe- und Konsumverhalten über einen Zeitraum von über 20 Jahren nicht an seine Einnahmen angepasst habe und mit seinen finanziellen Mitteln sorglos umgegangen sei. Die zunächst noch fortgesetzte beanstandungsfreie Tätigkeit des Antragstellers im sicherheitsempfindlichen Bereich stehe einer negativen Prognose nicht entgegen. Die Intention des Sicherheitsüberprüfungsrechts sei es, Entscheidungen erst auf einer hinreichend gefestigten Erkenntnisgrundlage zu treffen und nicht vorzeitig für die betroffene Person nachteilige Fakten zu schaffen.
Wegen des Vorbringens im Einzelnen wird auf den Inhalt der Schriftsätze der Beteiligten sowie der Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakte des Bundesministers der Verteidigung – PSZ I 7 – (nunmehr R II 2) – …/11 – und die Personalgrundakte des Antragstellers haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.
Entscheidungsgründe
II
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat Erfolg.
1.
Der Antrag ist zulässig.
Die Feststellung eines Sicherheitsrisikos gemäß § 14 Abs. 3 SÜG kann nach ständiger Rechtsprechung des Senats durch einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung vor den Wehrdienstgerichten mit dem Ziel der Aufhebung des entsprechenden Bescheids angefochten werden (vgl. Beschlüsse vom 24. Mai 2000 – BVerwG 1 WB 25.00 – ≪insoweit jeweils nicht veröffentlicht in BVerwGE 111, 219 und in Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 9≫, vom 20. Januar 2009 – BVerwG 1 WB 22.08 – Rn. 18 m.w.N., vom 21. Juli 2010 – BVerwG 1 WB 68.09 – Rn. 17 ≪insoweit nicht veröffentlicht in Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 23≫ und vom 21. Oktober 2010 – BVerwG 1 WB 16.10 – Rn. 25 ≪insoweit nicht veröffentlicht in Buchholz 402.8 § 6 SÜG Nr. 1≫).
2.
Der Antrag ist auch begründet.
Die Feststellung eines Sicherheitsrisikos im Bescheid des Geheimschutzbeauftragten beim Streitkräfteamt vom 2. März 2011 und der Beschwerdebescheid des Bundesministers der Verteidigung vom 25. Juli 2011 sind rechtswidrig; sie verletzen den Antragsteller in seinen Rechten.
Die Frage der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide ist nach der im Zeitpunkt der Vorlage des Verfahrens durch den Bundesminister der Verteidigung maßgeblichen Sach- und Rechtslage zu beurteilen (stRspr, vgl. z.B. Beschlüsse vom 27. September 2007 – BVerwG 1 WDS-VR 7.07 – ≪insoweit nicht veröffentlicht in Buchholz 402.8 § 14 SÜG Nr. 13≫ und vom 15. Dezember 2009 – BVerwG 1 WB 58.09 – Rn. 17 ≪insoweit nicht veröffentlicht in Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 22≫).
Die Überprüfung von Angehörigen der Bundeswehr auf Sicherheitsbedenken ist eine vorbeugende Maßnahme, die Sicherheitsrisiken nach Möglichkeit ausschließen soll (stRspr, vgl. Beschluss vom 11. März 2008 – BVerwG 1 WB 37.07 – BVerwGE 130, 291 = Buchholz 402.8 § 14 SÜG Nr. 14). Dabei obliegt es der zuständigen Stelle, aufgrund einer an diesem Zweck orientierten Gesamtwürdigung des Einzelfalls die ihr übermittelten Erkenntnisse im Hinblick auf die vorgesehene Tätigkeit zu bewerten (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 14 Abs. 3 Satz 1 und 2 SÜG).
Dem Geheimschutzbeauftragten steht bei der Entscheidung, ob in der Person eines Soldaten ein Sicherheitsrisiko festzustellen ist, ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu. Die gerichtliche Kontrolle beschränkt sich darauf, ob der Geheimschutzbeauftragte von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem er sich frei bewegen kann, verkannt, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat (stRspr, vgl. z.B. Urteile vom 15. Februar 1989 – BVerwG 6 A 2.87 – BVerwGE 81, 258 ≪264≫ = Buchholz 236.1 § 59 SG Nr. 2 und vom 15. Juli 2004 – BVerwG 3 C 33.03 – BVerwGE 121, 257 ≪262≫ = Buchholz 442.40 § 29d LuftVG Nr. 1; Beschlüsse vom 11. März 2008 a.a.O. Rn. 24, vom 1. Oktober 2009 – BVerwG 2 VR 6.09 – […] Rn. 15, vom 21. Oktober 2010 – BVerwG 1 WB 16.10 – Rn. 30 ≪insoweit nicht veröffentlicht in Buchholz 402.8 § 6 SÜG Nr. 1≫, vom 1. Februar 2011 – BVerwG 1 WB 40.10 – Rn. 22, vom 21. Juli 2011 – BVerwG 1 WB 12.11 – Rn. 24 ff. ≪zur Veröffentlichung in BVerwGE und in Buchholz vorgesehen≫ und vom 28. Februar 2012 – BVerwG 1 WB 28.11 – Rn. 25 jeweils m.w.N.).
Wegen der präventiven Funktion der Sicherheitsüberprüfung und wegen des hohen Ranges der zu schützenden Rechtsgüter liegt ein Sicherheitsrisiko bereits dann vor, wenn tatsächliche Anhaltspunkte Zweifel an der Zuverlässigkeit des Betroffenen bei der Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit oder eine besondere Gefährdung durch Anbahnungs- und Werbungsversuche fremder Nachrichtendienste begründen (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 SÜG). Dabei hat im Zweifel das Sicherheitsinteresse Vorrang vor anderen Belangen (§ 14 Abs. 3 Satz 2 SÜG). Die Feststellung eines Sicherheitsrisikos, die zugleich eine Prognose über die künftige Zuverlässigkeit und Integrität des Soldaten darstellt, darf sich jedoch nicht auf eine vage Vermutung oder eine rein abstrakte Besorgnis stützen. Dabei gibt es keine „Beweislast”, weder für den Soldaten dahingehend, dass er die Sicherheitsinteressen der Bundeswehr bisher gewahrt hat und künftig wahren wird, noch für die zuständige Stelle, dass der Soldat diesen Erwartungen nicht gerecht geworden ist oder ihnen künftig nicht gerecht werden wird (stRspr, vgl. Beschlüsse vom 18. Oktober 2001 – BVerwG 1 WB 54.01 – Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 11 S. 17, vom 8. März 2007 – BVerwG 1 WB 63.06 – Rn. 22 und vom 22. Juli 2009 – BVerwG 1 WB 53.08 – Rn. 24; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 22. Mai 1975 – 2 BvL 13/73 – BVerfGE 39, 334 ≪353≫).
Die Feststellung des Geheimschutzbeauftragten beim Streitkräfteamt, dass in der Person des Antragstellers ein Sicherheitsrisiko vorliegt, weist unter Berücksichtigung dieser Vorgaben entscheidungserhebliche Mängel bei der Sachverhaltserfassung und keine rechtsfehlerfreie Prognose auf. Überdies trägt sie dem Gebot der Verhältnismäßigkeit als einem allgemeingültigen Wertmaßstab nicht Rechnung, weil die fundierte Prüfung eines milderen Mittels als die Feststellung eines Sicherheitsrisikos unterblieben ist.
Bei der Sachverhaltserfassung hat der Geheimschutzbeauftragte zwar im Einzelnen die Entwicklung der angespannten finanziellen Verhältnisse des Antragstellers seit 1987 und die Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens durch Beschluss des Amtsgerichts W. vom 10. Dezember 2009 dokumentiert. Den Inhalt der Stellungnahmen des Antragstellers hat der Geheimschutzbeauftragte ebenso berücksichtigt wie die zugunsten des Antragstellers abgegebene positive Äußerung seines Vorgesetzten vom 10. Mai 2010.
Es fehlt aber die Würdigung des Umstands, dass am 16. September 2005 eine erweiterte Sicherheitsüberprüfung (Ü 2) für den Antragsteller ohne Einschränkungen abgeschlossen worden ist. Da dem Antragsteller langjähriges Fehlverhalten in seinen finanziellen Angelegenheiten seit 1987 über einen Zeitraum von 20 Jahren vorgehalten wird, ist der positive Abschluss des vorangegangenen Sicherheitsüberprüfungsverfahrens noch im Jahr 2005 ein abwägungsrelevanter sicherheitserheblicher Aspekt.
Nach ständiger Rechtsprechung des Senats können sich tatsächliche Anhaltspunkte, die Zweifel an der Zuverlässigkeit des Betroffenen bei der Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG) und/oder eine besondere Gefährdung durch Anbahnungs- und Werbungsversuche fremder Nachrichtendienste (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SÜG) und damit ein Sicherheitsrisiko begründen, aus einer hohen Verschuldung des Betroffenen ergeben (vgl. z.B. Beschlüsse vom 30. Januar 2001 – BVerwG 1 WB 119.00 – Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 10, vom 6. September 2007 – BVerwG 1 WB 61.06 – und vom 15. Dezember 2009 – BVerwG 1 WB 58.09 – Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 22). Aus der Tatsache einer erheblichen Schuldenlast allein kann allerdings noch nicht zwingend auf das Bestehen eines Sicherheitsrisikos geschlossen werden, jedenfalls solange nicht, wie der Soldat seinen finanziellen Verpflichtungen nachkommt und eine seiner Dienststellung entsprechende Lebensführung sicherstellen kann. Deshalb ist stets – auch in Fällen eines Insolvenzverfahrens des Betroffenen – eine wertende Beurteilung des Einzelfalls erforderlich (Beschlüsse vom 6. September 2007 – BVerwG 1 WB 61.06 – und vom 15. Dezember 2009 a.a.O.).
In dem angefochtenen Bescheid wird eine Schuldensituation des Antragstellers festgestellt, die es diesem unmöglich macht, seinen finanziellen Verbindlichkeiten uneingeschränkt und in vollem Umfang Rechnung zu tragen. Mit der am 10. Dezember 2009 erfolgten Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens steht die Zahlungsunfähigkeit des Antragstellers fest (§ 17 i.V.m. § 304 Abs. 1 Satz 1 InsO). Zwar kann bereits der Umstand der Zahlungsunfähigkeit eines Soldaten die Annahme eines Sicherheitsrisikos durch den Geheimschutzbeauftragten rechtfertigen (Beschlüsse vom 6. September 2007 – BVerwG 1 WB 61.06 – und vom 15. Dezember 2009 a.a.O.). Die angefochtene Entscheidung enthält aber nicht die insbesondere bei der Prognose notwendige einzelfallbezogene Würdigung der Indizwirkung der Zahlungsunfähigkeit für ein mögliches Sicherheitsrisiko.
Der Geheimschutzbeauftragte hat mit einer unzureichenden prognostischen Einschätzung des Sicherheitsrisikos die Grenzen des ihm zustehenden Beurteilungsspielraums überschritten. Dieser Mangel ist bis zur Vorlage des Verfahrens an den Senat nicht geheilt worden.
Bei der Beurteilung, ob ein Sicherheitsrisiko festzustellen ist, hat sich der zuständige Geheimschutzbeauftragte prognostisch zur künftigen Entwicklung der Persönlichkeit des betroffenen Soldaten und seiner Verhältnisse zu äußern, denn das Sicherheitsüberprüfungsverfahren dient in besonderem Maße einer vorbeugenden Risikoeinschätzung, hingegen nicht der repressiven Ahndung eines Fehlverhaltens. Die zu leistende Gefahreneinschätzung wird unter anderem durch die Frage beeinflusst, ob das (Fehl-)Verhalten des betroffenen Soldaten in seinem unmittelbaren dienstlichen Umfeld bereits zu massiven oder aber geringen oder gar keinen Vertrauenseinbußen geführt hat (Beschluss vom 15. Dezember 2009 a.a.O. Rn. 29 m.w.N.).
In seiner Prognose hat der Geheimschutzbeauftragte im Fall des Antragstellers nicht die erforderliche inhaltliche Auseinandersetzung mit der Stellungnahme des Disziplinarvorgesetzten vorgenommen. Seine pauschale Formulierung, diese Stellungnahme vermöge die sicherheitserheblichen Umstände nicht zu entkräften, reicht insoweit nicht aus. Der Disziplinarvorgesetzte hat in seiner vom Geheimschutzbeauftragten referierten Äußerung zum Ausdruck gebracht, dass in der Dienststelle keine Zweifel an der Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit des Antragstellers bestünden; dieses Bild des Antragstellers könne er selbst bestätigen. Die Auffassung des Bundesministers der Verteidigung auf Seite 9 des Vorlageschreibens berücksichtigt nicht hinreichend, dass die Äußerung eines Disziplinarvorgesetzten jedenfalls eine taugliche Erkenntnisquelle für die Beurteilung der Frage der persönlichen Integrität des betroffenen Soldaten darstellt. Sie ist deshalb auch inhaltlich in der Prognose zu würdigen.
Davon abgesehen ist die prognostische Abwägung des Geheimschutzbeauftragten in ihren tragenden Begründungselementen nur auf eine rein abstrakte Besorgnis gestützt; dies genügt nach der oben zitierten Rechtsprechung des Senats nicht für die Feststellung eines Sicherheitsrisikos. In die Abwägung hätte der Geheimschutzbeauftragte den Umstand des noch im Jahr 2005 ohne Einschränkungen oder Auflagen abgeschlossenen Sicherheitsüberprüfungsverfahrens des Antragstellers einbeziehen müssen. Dieser Umstand bildet ein gravierendes Indiz für eine bis 2005 bestehende sicherheitsrechtliche Zuverlässigkeit und fehlende Gefährdung des Antragstellers für Anbahnungs- und Werbungsversuche fremder Nachrichtendienste. Jedenfalls kann dem Antragsteller vor diesem Hintergrund nicht pauschal ein 20 Jahre dauerndes sicherheitsrelevantes Fehlverhalten in seinem Finanz- und Wirtschaftsgebaren vorgehalten werden. Außerdem ist das vorliegende Verfahren dadurch gekennzeichnet, dass der Antragsteller aktenkundig umfassende Bemühungen um eine Konsolidierung seiner Finanzlage unternommen und vor allem seine Situation aus eigener Initiative dem MAD offenbart hat. Ferner ist die Zuspitzung der finanziellen Probleme des Antragstellers möglicherweise durch zwei von ihm nicht beeinflussbare Faktoren, nämlich den Wegfall des Einkommens seiner Ehefrau und die unerwarteten zusätzlichen Zahlungsverpflichtungen für seine Mutter entscheidend geprägt.
Alle diese einzelfallbezogenen Gesichtspunkte hätten – gerade auch im Hinblick auf das Gebot der Verhältnismäßigkeit (zu dessen Geltung im Sicherheitsüberprüfungsrecht: Beschluss vom 24. November 2011 – BVerwG 1 WB 6.09 –) – eine profunde Prüfung notwendig gemacht, ob angesichts des konstruktiven und offenen Verhaltens des Antragstellers im gesamten Verfahren anstelle der Feststellung eines Sicherheitsrisikos bestimmte Auflagen oder Einschränkungen im Sinne der Nr. 2705 Abs. 1 ZDv 2/30 ausreichend sind (vgl. zu den möglichen Modalitäten: Beschluss vom 15. Dezember 2009 a.a.O. Rn. 31). Diese Prüfung ist bis zur Vorlage des Verfahrens beim Senat unterblieben.
Die angefochtenen Bescheide sind deshalb aufzuheben (§ 19 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 21 Abs. 2 Satz 1 WBO). Der Geheimschutzbeauftragte hat von Amts wegen eine neue Entscheidung über die Frage zu treffen, ob in der Person des Antragstellers ein Sicherheitsrisiko besteht, sofern dieser wieder in sicherheitsempfindlicher Tätigkeit verwendet werden soll.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 21 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 20 Abs. 1 WBO.
Unterschriften
Dr. Frentz, Dr. Burmeister, Rothfuß
Fundstellen