Entscheidungsstichwort (Thema)
Referenzgruppenbildung für einen freigestellten Soldaten mit zwei zugewiesenen Kompetenzbereichen
Leitsatz (amtlich)
1. Sind einem (hier: als Mitglied des Personalrats) freigestellten Soldaten zwei Kompetenzbereiche zuerkannt, so ist auch die zur Laufbahnnachzeichnung zu erstellende Referenzgruppe vorrangig aus Soldaten zu bilden, die über dieselbe zweifache Kompetenzbereichszuweisung verfügen.
2. Das Kriterium der "mittigen Platzierung" des freigestellten Soldaten findet im geltenden Referenzgruppenmodell keine rechtliche Grundlage.
Tenor
Die Referenzgruppe vom 17. August 2021 und der Beschwerdebescheid des Bundesministeriums der Verteidigung vom 9. Juni 2022 werden aufgehoben. Das Bundesministerium der Verteidigung wird verpflichtet, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts über die Bildung einer neuen Referenzgruppe erneut zu entscheiden.
Die dem Antragsteller im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht einschließlich der im vorgerichtlichen Verfahren erwachsenen notwendigen Aufwendungen werden dem Bund auferlegt.
Tatbestand
Rz. 1
Der Antragsteller wendet sich gegen die für ihn als freigestelltes Personalratsmitglied neu gebildete Referenzgruppe vom 17. August 2021.
Rz. 2
Der... geborene Antragsteller ist Berufssoldat in der Laufbahn der Offiziere des Truppendienstes. Nach seiner Beförderung zum Major am 20. Februar... wurde er als Artilleriestabsoffizier im...kommando verwendet. Im Juli 2017 wurde er zum Vorsitzenden des Personalrats beim...kommando gewählt und ab dem 30. Juni 2017 bis heute vollständig vom Dienst freigestellt. Seine letzte planmäßige Beurteilung zum Vorlagetermin 30. September 2017 wies einen Durchschnittswert der Aufgabenerfüllung von "7,29" und eine Entwicklungsprognose von "oberhalb der allgemeinen Laufbahnperspektive (2)" aus.
Rz. 3
Aufgrund der Freistellung wurde für den Antragsteller unter dem 8. November 2018 eine am 7. Dezember 2018 vom Abteilungsleiter III des Bundesamts für das Personalmanagement der Bundeswehr gebilligte Referenzgruppe gebildet. Sie bestand aus sieben Soldaten mit einem Durchschnittswert der Aufgabenerfüllung zwischen "7,56" und "6,56" und einer Entwicklungsprognose von jeweils "2", unter denen der Antragsteller den 4. Rangplatz einnahm.
Rz. 4
Bei einer durch das Bundesministerium der Verteidigung im Dezember 2020 angewiesenen generellen Überprüfung aller Referenzgruppen, stellte das Bundesamt für das Personalmanagement fest, dass eine Neubildung der Referenzgruppe des Antragstellers notwendig sei, weil die Mindestgröße unterschritten sei, eine größere Abweichung beim Durchschnittswert der Beurteilung als "+/- 0,3" vorliege und der angrenzende Wertungsbereich der Beurteilung um mehr als "0,15" überschritten werde.
Rz. 5
Das Bundesamt für das Personalmanagement erstellte daraufhin für den Antragsteller mit Wirkung vom 17. August 2021 eine neue Referenzgruppe, die aus elf Soldaten besteht und in der er den 6. Platz belegt. Mangels hinreichend geeigneter Referenzpersonen sei bei der Bildung eine Erweiterung auf Soldaten erfolgt, die ein Jahr vor dem Antragsteller zum Major befördert wurden, was zunächst eine Gruppengröße von insgesamt 16 Personen ergeben habe. Um den Antragsteller mittig zu platzieren, seien nur die Soldaten mit einem Durchschnittswert zwischen "7,30" und "7,10" einbezogen worden. Die neue Referenzgruppe wurde dem Antragsteller mit Bescheid vom 13. September 2021 (unter Beifügung einer anonymisierten Tabelle) am 15. September 2021 eröffnet.
Rz. 6
Da zum Zeitpunkt der Inkraftsetzung der neu gebildeten Referenzgruppe bereits neun der Referenzpersonen zum Oberstleutnant A 14 befördert worden waren, wurde auch der Antragsteller am 13. Oktober 2021 auf der Grundlage der neuen Referenzgruppe zum Oberstleutnant befördert und rückwirkend zum 1. August 2021 in eine Planstelle der Besoldungsgruppe A 14 eingewiesen.
Rz. 7
Mit Schreiben vom 13. Oktober 2021 erhob der Antragsteller Beschwerde gegen die Neubildung der Referenzgruppe. Die Neubildung verstoße gegen das Benachteiligungsverbot, weil nunmehr fünf Soldaten anstatt bisher drei im Rangplatz vor ihm lägen. Auch sei ihm ein weiterer Kompetenzbereich zugewiesen worden (neben "Führung und Einsatz" zusätzlich "Organisation"), von dessen Zuerkennung er bislang keine Kenntnis gehabt habe. Weil die Übersicht geschwärzt sei, könne er nicht erkennen, aus welchen Kompetenzbereichen die übrigen Referenzpersonen stammten. Insgesamt seien ihm weder die Gründe für die Aufhebung der ursprünglichen Referenzgruppe noch das Vorgehen bei der Erweiterung der neuen Referenzgruppe nachvollziehbar.
Rz. 8
Mit Bescheid vom 9. Juni 2022, zugestellt am 16. Juni 2022, wies das Bundesministerium der Verteidigung die Beschwerde zurück. Die Aufhebung der Referenzgruppe 2018 sei nicht zu beanstanden, die Neubildung entspreche den Vorgaben und Kriterien der Allgemeinen Regelung A-1336/1 (Mil. Personalführung für Freigestellte, Entlastete oder Beurlaubte). Der Bescheid enthielt eine tabellarische Darstellung der Referenzgruppe, der nunmehr u. a. auch der Durchschnittswert, die Entwicklungsprognose und der Kompetenzbereich der Referenzpersonen zu entnehmen waren. Am 23. Juni 2022 wurde dem Antragsteller außerdem ein "überarbeiteter" Abdruck der tabellarischen Darstellung der Referenzgruppe eröffnet; die Darstellung ist ebenfalls nur in Bezug auf die Namen und Personalnummern der Referenzpersonen anonymisiert und entspricht im Übrigen der am 17. August 2021 neu gebildeten Referenzgruppe.
Rz. 9
Mit Schreiben vom 12. Juli 2022 hat der Antragsteller die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts beantragt. Das Bundesministerium der Verteidigung hat den Antrag mit seiner Stellungnahme vom 2. September 2022 dem Senat vorgelegt.
Rz. 10
Zur Begründung führt der Antragsteller ergänzend insbesondere aus, dass die Verkleinerung der Referenzgruppe von 15 auf zehn Referenzpersonen eine Benachteiligung darstelle, weil sich die Chance auf Beförderung mit der Anzahl der Referenzpersonen statistisch erhöhe. Auch sei er das einzige Mitglied der Referenzgruppe, das über zwei Kompetenzbereiche verfüge. Da die übrigen Referenzpersonen nicht über den zweiten Kompetenzbereich verfügten, fiele er bei förderlichen Verwendungsentscheidungen in dem nicht berücksichtigten Kompetenzbereich aus der fiktiven Mitbetrachtung heraus, was gegen Art. 33 Abs. 2 GG verstoße. Richtigerweise hätten deshalb für ihn zwei Referenzgruppen gebildet werden müssen.
Rz. 11
Der Antragsteller beantragt,
die für ihn neu gebildete Referenzgruppe gemäß Bescheid vom 13. September 2021 in Gestalt der nicht anonymisierten Fassung derselben vom 23. November 2021 sowie in Gestalt des Beschwerdebescheids vom 10. Juni 2022 aufzuheben und den Bundesminister der Verteidigung zu verpflichten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts eine neue Referenzgruppe für ihn zu bilden.
Rz. 12
Das Bundesministerium der Verteidigung beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Rz. 13
Es sei nicht zu beanstanden, dass nicht alle ermittelten Personen in die Referenzgruppe einbezogen worden seien, da das Verfahren lediglich dem Zweck diene, geeignete Personen für die Bildung der Referenzgruppe zu identifizieren und damit die Homogenität im Hinblick auf die fachliche dienstliche Tätigkeit sicherzustellen. Die Homogenität werde auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Antragsteller - anders als die übrigen Referenzgruppenmitglieder - über zwei Kompetenzbereiche verfüge. Die Allgemeine Regelung A-1336/1 bestimme insoweit lediglich, dass die Referenzgruppenmitglieder der gleichen Ausbildungs- und Verwendungsreihe, dem gleichen Werdegang oder dem gleichen Kompetenzbereich angehören müssten.
Rz. 14
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen. Die Beschwerdeakte des Bundesministeriums der Verteidigung und die Personalgrundakte des Antragstellers haben dem Senat bei der Beratung vorgelegen.
Entscheidungsgründe
Rz. 15
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat Erfolg.
Rz. 16
1. Der Antragsteller wendet sich gegen die ihm (am 15. September 2021 bekanntgegebene) Referenzgruppe vom 17. August 2021. Es geht ihm dabei allerdings nicht um die Wiederherstellung der für ihn ursprünglich unter dem 8. November 2018 gebildeten Referenzgruppe. Vielmehr begehrt der Antragsteller die Neubildung einer Referenzgruppe, die an die Stelle der Referenzgruppe vom 17. August 2021 tritt. Er beantragt deshalb sachgerecht neben der Aufhebung der Referenzgruppe vom 17. August 2021 die Verpflichtung des Bundesministers der Verteidigung, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts eine - diese ersetzende - neue Referenzgruppe für ihn zu bilden.
Rz. 17
2. Dieser Antrag auf erneute Bescheidung ist zulässig.
Rz. 18
a) Die Bildung einer Referenzgruppe für freigestellte Soldaten ist eine anfechtbare dienstliche Maßnahme im Sinne von § 17 Abs. 3 Satz 1 WBO (vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. Mai 2017 - 1 WB 5.16 - juris LS und Rn. 21 ff.). Sie bildet kein bloß vorbereitendes Element der innerdienstlichen Willensbildung, sondern stellt die wesentliche und vorentscheidende Weichenstellung für die Verwirklichung des Rechts des freigestellten Soldaten auf ein Fortkommen nach Eignung, Befähigung und Leistung (Art. 33 Abs. 2 GG, § 3 Abs. 1 SG) dar (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. März 2019 - 1 WB 12.18 - juris Rn. 14).
Rz. 19
b) Der Antragsteller ist antragsbefugt. Er kann geltend machen, durch die Referenzgruppe vom 17. August 2021 in seinen Rechten aus Art. 33 Abs. 2 GG (i. V. m. § 6 SG) und § 3 Abs. 1 SG, in dem personalvertretungsrechtlichen Benachteiligungsverbot (§ 62 Abs. 3 Satz 1 SBG i. V. m. § 52 Abs. 1 Satz 2 BPersVG) und in dem Anspruch auf Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) nach den Verwaltungsvorschriften, die die Referenzgruppenbildung ausgestalten, verletzt zu sein.
Rz. 20
3. Der Antrag ist auch begründet.
Rz. 21
Die Referenzgruppe vom 17. August 2021 ist rechtswidrig und deshalb aufzuheben (§ 21 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 19 Abs. 1 Satz 1 WBO). Das Bundesministerium der Verteidigung ist verpflichtet, für den Antragsteller unter Beachtung der nachfolgend dargestellten Rechtsauffassung des Gerichts eine neue Referenzgruppe zu bilden (§ 21 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 19 Abs. 1 Satz 4 WBO).
Rz. 22
a) Maßgeblich für die Bildung einer Referenzgruppe und für die Beurteilung ihrer Rechtmäßigkeit ist nach der Rechtsprechung des Senats grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Freistellung des betroffenen Soldaten (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 26. April 2018 - 1 WB 41.17 - juris Rn. 27 und vom 26. Januar 2023 - 1 WB 3.22 - BVerwGE 177, 360 Rn. 33). Etwas anderes gilt nur, wenn sich eine Referenzgruppe durch Funktionsloswerden erledigt oder sie mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen wird; in diesem Fall ist bei der Neubildung auf die Rechtslage nach Aufhebung der ersten Referenzgruppe abzustellen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 26. Januar 2023 - 1 WB 45.22 - juris Rn. 27 f. und vom 20. März 2024 - 1 WB 55.22 - juris Rn. 13). Letzterer Fall ist hier gegeben. Maßgeblich ist deshalb die Rechtslage im Zeitpunkt der Neubildung der Referenzgruppe vom 17. August 2021. Hinsichtlich der Verwaltungsvorschriften ist damit die Allgemeine Regelung (AR) A-1336/1 "Mil. Personalführung für Freigestellte, Entlastete oder Beurlaubte" in der Fassung der Version 2 vom 26. August 2021 zugrundezulegen.
Rz. 23
Im Ergebnis unschädlich ist, dass dem Referenzgruppenmodell zum damaligen Zeitpunkt eine dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes genügende normative Rechtsgrundlage fehlte (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. November 2022 - 1 WB 21.21 - BVerwGE 177, 121 Rn. 41 f.). Es bestand zwar das gesetzliche Benachteiligungsverbot für freigestellte Soldaten aus § 62 Abs. 3 Satz 1 SBG i. V. m. § 52 Abs. 1 Satz 2 BPersVG, aber keine gesetzliche Direktive, auf welche Weise die berufliche Förderung freigestellter Personalratsmitglieder erfolgen sollte. Das Referenzgruppenmodell war bei Freistellung des Antragstellers und auch bei der hier gegenständlichen Neubildung der Referenzgruppe nur in Verwaltungsvorschriften geregelt. Seine gesetzliche Verankerung in § 27b SG erfolgte erst durch das "Gesetz zur Beschleunigung der Entfernung von verfassungsfeindlichen Soldatinnen und Soldaten aus der Bundeswehr sowie zur Änderung weiterer soldatenrechtlicher Vorschriften" am 22. Dezember 2023 (BGBl. I Nr. 392, S. 2). Dieser Rechtsmangel führt jedoch nicht zur Unanwendbarkeit der Verwaltungsvorschriften für Altfälle. Ein völliger Wegfall jeglicher Förderung der freigestellten Soldaten für die Vergangenheit würde das Benachteiligungsverbot verletzen und damit einen Zustand herbeiführen, der von der Rechtsordnung weiter entfernt wäre als die übergangsweise Anwendung der Verwaltungsvorschriften in Altfällen. Vielmehr verlangt der Gleichbehandlungsgrundsatz die weitere Anwendung des damals in Verwaltungsvorschriften ausgestalteten und heute vom Gesetzgeber in § 27b SG übernommenen Referenzgruppenmodells (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 26. Januar 2023 - 1 WB 41.21 - juris Rn. 22 ff. und vom 26. Januar 2023 - 1 WB 45.22 - juris Rn. 19 ff.).
Rz. 24
b) Die Referenzgruppe vom 17. August 2021 ist danach in zweierlei Hinsicht rechtlich zu beanstanden.
Rz. 25
aa) Das Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr hat bei der Neubildung der Referenzgruppe - zum einen - dem Umstand, dass dem Antragsteller nicht nur ein, sondern zwei Kompetenzbereiche zugewiesen waren, nicht hinreichend Rechnung getragen.
Rz. 26
Gemäß Nr. 308 Satz 1 AR-1336/1 ist die Referenzgruppe aus Soldatinnen und Soldaten zu bilden, die zum Zeitpunkt der Freistellung laufbahnrechtlich über einen vergleichbaren Stand verfügen. Zur Bildung einer beruflich-fachlich homogenen Gruppe sind geeignete Referenzpersonen u. a. danach zu identifizieren, dass sie der gleichen Ausbildungs- und Verwendungsreihe/dem gleichen Werdegang/Kompetenzbereich wie der freigestellte Soldat angehören (Nr. 308 Satz 2 Buchst. e AR A-1336/1).
Rz. 27
(1) Nicht zu beanstanden ist zunächst, dass für die Neubildung der Referenzgruppe das Kriterium des "gleichen Kompetenzbereichs" herangezogen wurde.
Rz. 28
Gemäß Nr. 101 der Zentralen Dienstvorschrift (ZDv) A-1300/35 über "Bundeswehrgemeinsame Kompetenzbereiche für Offiziere des Truppendienstes" vollzieht sich der Verwendungsaufbau der Offiziere des Truppendienstes in den Phasen "Basisqualifizierung", "Spezialisierung" und "Kompetenzorientierung". Dabei erfolgt der Verwendungsaufbau in den Phasen der Basisqualifizierung und Spezialisierung vorrangig im Werdegang; in der Phase der Kompetenzorientierung werden durch Werdegänge bestimmte Qualifikationen und Aufgabenfelder angesichts komplexerer Aufgaben durch breiter gefasste Erfordernisse ergänzt; kompetenzbereichsorientierte und damit regelmäßig organisationsbereichsübergreifend angelegte Personalentwicklungs- und Ausbildungsmaßnahmen bestimmen ab der Ebene A 13 den Verwendungsaufbau (Nr. 103 ZDv A-1300/35). Ab der Stabsoffizierebene erfolgt die Personalentwicklung für den Offizier im Truppendienst vorrangig in Kompetenzbereichen, die im Anschluss an den Basislehrgang Stabsoffizier oder mit Abschluss der Generalstabs-Admiralstabsausbildung zugewiesen wurden (Nr. 5208 der Bereichsvorschrift C1-1340/0-1300 über den "Verwendungsaufbau der Offiziere des Truppendienstes im Uniformträgerbereich Heer").
Rz. 29
Der Antragsteller hatte im Zeitpunkt seiner Freistellung den Dienstgrad Major und im Zeitpunkt der Neubildung der Referenzgruppe den Dienstgrad Oberstleutnant (A 14) inne, befand sich also durchgängig bereits auf der Stabsoffizierebene. Es entspricht deshalb dem Personalentwicklungskonzept der Bundeswehr, wenn für die Laufbahnnachzeichnung auf den Kompetenzbereich abgestellt wird, weil dieser - und nicht die bisherige Werdegangszuordnung (im Falle des Antragstellers: Unterstützung) - für den weiteren Verwendungsaufbau der Mitglieder der Referenzgruppe bestimmend ist.
Rz. 30
(2) Bei der Neubildung der Referenzgruppe war allerdings zu berücksichtigen, dass dem Antragsteller nicht nur ein, sondern zwei Kompetenzbereiche zugewiesen waren.
Rz. 31
Die Zuweisung von Kompetenzbereichen erfolgt durch die personalbearbeitende Stelle (Nr. 704 Satz 1 ZDv A-1300/35) und ist regelmäßig auf maximal zwei Kompetenzbereiche beschränkt (Nr. 706 ZDv A-1300/35). Maßgebliche Erkenntnisse hierfür gewinnt die personalbearbeitende Stelle aus den dienstlichen Beurteilungen (Nr. 707 ZDv A-1300/35). Mit Abschluss des Basislehrgangs Stabsoffizier, spätestens im Rahmen der Perspektivkonferenz I, ist jedem Offizier mindestens ein Kompetenzbereich zuzuweisen (Nr. 709 ZDv A-1300/35, Nr. 301 Satz 2 der Zentralen Dienstvorschrift A-1340/92 über den "Verwendungsaufbau in bundeswehrgemeinsamen Kompetenzbereichen"). Offizieren mit Potenzial für Spitzenverwendungen, insbesondere Teilnehmer am Lehrgang Generalstabsdienst/Admiralstabsdienst National, werden in der Regel zwei Kompetenzbereiche zugewiesen (Nr. 710 Satz 1 ZDv A-1300/35, Nr. 303 ZDv A-1340/92). Offiziere des Truppendienstes mit zwei Kompetenzbereichen werden idealtypisch in beiden entwickelt, wobei u. a. aus Bedarfsgründen der Kompetenzerwerb auch überwiegend in einem Kompetenzbereich erfolgen kann (Nr. 304 ZDv A-1340/92).
Rz. 32
Dem Antragsteller war im Zeitpunkt der Freistellung zunächst, wie es dem Regelfall entspricht, nur ein Kompetenzbereich, nämlich "Führung und Einsatz" (Nr. 406 ZDv A-1300/35), zugewiesen. Mit Bescheid des Bundesamts für das Personalmanagement vom 16. Juni 2021 wurde ihm ein weiterer Kompetenzbereich, nämlich "Organisation" (Nr. 412 ZDv A-1300/35), zuerkannt. Als Grundlage für diese Zuweisung des zweiten Kompetenzbereichs dienten Verwendungen, Trainings und Qualifizierungen des Antragstellers aus dem Zeitraum von Juli 2012 bis August 2016, also aus der Zeit vor Beginn seiner Freistellung. Die Zuweisung des Kompetenzbereichs "Organisation" war bei der Neubildung der Referenzgruppe zu berücksichtigen, weil die förmliche Zuerkennung vor der Neubildung erfolgte und sich auf einem im Zeitpunkt der Freistellung schon vorliegenden Sachverhalt stützte. Hiervon ging ersichtlich auch das Bundesamt für das Personalmanagement aus, indem es in der tabellarischen Reihung der Referenzgruppe in der Spalte Kompetenzbereich für den Antragsteller - zutreffend - beide Kompetenzbereiche ("FüEins/Org") vermerkte.
Rz. 33
(3) Sind einem freigestellten Soldaten zwei Kompetenzbereiche zuerkannt, so erfordert eine realitätsgerechte Laufbahnnachzeichnung grundsätzlich, dass auch die als Referenzpersonen herangezogenen Soldaten über diese doppelte Qualifikation verfügen.
Rz. 34
Die Zuweisung von nicht nur einem, sondern zwei Kompetenzbereichen eröffnet dem betreffenden Soldaten Entwicklungs- und Förderchancen in beiden Feldern und damit in einem insgesamt weitergefassten Aufgabenspektrum. Entsprechend erhöht sich insbesondere auch die Chance, bei der Besetzung höherwertiger Dienstposten, für die die jeweiligen Kompetenzbereiche nach dem jeweiligen Anforderungsprofil gefordert werden, zum Zuge zu kommen. Hinzu kommt, dass der Zuweisung eines weiteren Kompetenzbereichs zumeist die Einschätzung zugrunde liegt, dass der entsprechend "breit aufgestellte" Soldat über deutliches Entwicklungspotenzial, günstigstenfalls bis in Spitzenverwendungen, verfügt.
Rz. 35
Nach dem Ziel der Referenzgruppenbildung, eine "fiktive laufbahngerechte Fortschreibung der Fortentwicklung gemessen an der Fortentwicklung vergleichbarer Soldatinnen und Soldaten" zu gewährleisten bzw. abzubilden, "wie eine laufbahngerechte Fortentwicklung einer freigestellten Person verlaufen wäre" (Nr. 301 Satz 2 und 4 AR A-1336/1), darf dem freigestellten Soldaten die aus der Zuweisung von zwei Kompetenzbereichen folgende verbesserte Ausgangssituation grundsätzlich nicht verloren gehen. Die Referenzgruppe ist deshalb vorrangig aus Soldaten zu bilden, die über dieselbe zweifache Kompetenzbereichszuweisung verfügen. Da Kompetenzbereiche bundeswehrgemeinsam vergeben werden und Referenzpersonen damit aus allen Teilstreitkräften bzw. Uniformträgerbereichen herangezogen werden können (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Januar 2023 - 1 WB 45.22 - juris Rn. 39), erscheint es durchaus möglich, auf diese Weise, ggf. auch mittels nachrangiger Kriterien (Nr. 309 AR A-1336/1), eine hinreichend große Referenzgruppe zu bilden. Die Bildung einer Referenzgruppe auf der Basis nur eines der beiden Kompetenzbereiche kommt jedenfalls erst dann in Betracht, wenn sich keine ausreichende Zahl doppelt qualifizierter Referenzpersonen identifizieren lässt. Auch in diesem Fall ist die Wahl des konkret herangezogenen Kompetenzbereichs zumindest plausibel zu begründen.
Rz. 36
(4) Diesen Anforderungen genügt die hier gegenständliche Referenzgruppe vom 17. August 2021 nicht.
Rz. 37
Dem vorliegenden Datenblatt zur Neubildung der Referenzgruppe lässt sich, was das hier interessierende Kriterium des Kompetenzbereichs betrifft, nur das Ergebnis entnehmen, nicht aber das Verfahren und die dabei zugrundeliegenden Ermessenserwägungen nachvollziehen. Im Ergebnis besteht die Referenzgruppe aus insgesamt elf Soldaten, für die in der Spalte Kompetenzbereich nur für den Antragsteller zwei Bereiche ("Führung und Einsatz" sowie "Organisation") genannt sind, während für alle anderen Referenzpersonen allein der Kompetenzbereich "Führung und Einsatz" aufgeführt ist. Ersichtlich wurde die Referenzgruppe damit (nur) auf der Grundlage des Kompetenzbereichs Führung und Einsatz gebildet.
Rz. 38
Nicht erkennbar ist hingegen, ob - was nach dem Gesagten erforderlich wäre - zuvor die Möglichkeit geprüft wurde, eine Referenzgruppe auf der Basis beider Kompetenzbereiche des Antragstellers zu bilden. So ist nicht feststellbar, ob etwa die zehn gelisteten Referenzpersonen neben dem Kompetenzbereich "Führung und Einsatz" über einen weiteren zugewiesenen Kompetenzbereich verfügen. Nicht erkennbar ist auch, ob teilstreitkraft- bzw. uniformträgerbereichsübergreifend weitere Soldaten mit der Kompetenzbereichskombination des Antragstellers hätten identifiziert werden können, um - ggf. unter Rückgriff auf die nachrangigen Kriterien (Nr. 309 AR A-1336/1) - zu einer hinreichend großen Referenzgruppe zu gelangen. Aber auch die Auswahl des Kompetenzbereichs "Führung und Einsatz" - und nicht "Organisation" - als Basis der Referenzgruppenbildung ist nicht begründet. Dies gilt umso mehr, als unter den Grundlagen für die Bildung der Referenzgruppe (Buchst. D des Formulars) für den Antragsteller beide Kompetenzbereiche mit gleicher Priorität verzeichnet sind ("Fü/Eins und Org ≪2 KompBer mit Prio 1≫").
Rz. 39
An entscheidenden Stellen fehlt es damit an der erforderlichen Sachverhaltsermittlung und damit einhergehend an nachvollziehbaren, die Referenzgruppenbildung tragenden Ermessenserwägungen. Bereits dies macht die angefochtene Referenzgruppe ermessensfehlerhaft.
Rz. 40
bb) Die Referenzgruppe vom 17. August 2021 ist - zum anderen - auch deshalb rechtsfehlerhaft, weil sie unter Heranziehung eines Kriteriums der "mittigen Platzierung" gebildet wurde, das in der praktizierten Form keine rechtliche Grundlage hat.
Rz. 41
(1) Die Referenzgruppe soll neben dem freigestellten Soldaten grundsätzlich mindestens zehn weitere, nach den Kriterien der Nr. 308 bis 310 AR A-1336/1 identifizierte Soldatinnen und Soldaten (Referenzpersonen) umfassen (Nr. 303 Satz 1 AR A-1336/1; zu Möglichkeiten und Grenzen der Unterschreitung der Mindestgröße vgl. Nr. 303 Satz 3 und 4 AR A-1336/1). Die Mitglieder der Referenzgruppe sollen auf der Grundlage der aktuellen planmäßigen Beurteilungen gereiht werden (Nr. 304 AR A-1336/1), wobei der freigestellte Soldat gemessen an seiner Eignung, Befähigung und Leistung zu platzieren ist (Nr. 303 Satz 2 AR A-1336/1). Reihung und Platzierung sind ausschlaggebend für die Förderung. Erreicht bei Verwendungsentscheidungen die Anzahl der Auswahl von Angehörigen der Referenzgruppe für einen höher dotierten Dienstposten den Rangplatz der freigestellten Person, so ist diese fiktiv auf einen entsprechend dotierten Dienstposten zu versetzen (Nr. 320 Satz 1 AR A-1336/1). Das gleiche Prinzip greift bei Beförderungen bzw. Planstelleneinweisungen ein: Erreicht bei Beförderungen oder Einweisungen in eine höhere Besoldungsgruppe die Anzahl der Auswahlentscheidungen von Angehörigen der Referenzgruppe den Rangplatz der freigestellten Person, so ist auch diese zu befördern oder einzuweisen (Nr. 321 AR A-1336/1).
Rz. 42
Ausweislich des Datenblatts für die Referenzgruppenbildung sowie der Erläuterungen in dem Beschwerdebescheid vom 9. Juni 2022 (Seite 5 unten/Seite 6 oben) bestand die für den Antragsteller neu zu bildende Referenzgruppe zunächst aus insgesamt 16 Mitgliedern (dem Antragsteller und fünfzehn gemäß Nr. 308 und 309 AR A-1336/1 identifizierten Referenzpersonen). Um "durch eine möglichst mittige Positionierung innerhalb der Referenzgruppe" die "Fortentwicklung bestmöglich nachzeichnen" zu können, wurden im Anschluss die Referenzpersonen ausgeschlossen, die in der zugrunde zu legenden Beurteilung mit einem Durchschnittswert schlechter als "7,10" beurteilt wurden. In der so gebildeten Referenzgruppe nahm der Antragsteller (mit einem Durchschnittswert der Aufgabenerfüllung von "7,29") danach den sechsten Rangplatz von insgesamt elf Referenzgruppenmitgliedern ein. Gestrichen wurden mithin die ursprünglich auf Rang 12 bis 16 platzierten Referenzpersonen.
Rz. 43
(2) Diese Vorgehensweise lässt sich nicht mit dem geltenden Referenzgruppenmodell vereinbaren.
Rz. 44
Ein Gebot der "möglichst mittigen Platzierung" besteht danach nur in den Fällen, in denen der freigestellte Soldat eine identische Bewertung aufweist wie eine oder mehrere der Referenzpersonen (Nr. 306 AR A-1336/1). Über eine in diesem Sinne identische Bewertung verfügen hier etwa die Referenzpersonen auf Rangplatz 1 bis 5 (identischer Durchschnittswert der Aufgabenerfüllung "7,30"/identische Entwicklungsprognose "2"), 8 und 9 (jeweils "7,20"/"2") sowie 10 und 11 (jeweils "7,10"/"2"). Der Antragsteller selbst weist mit einem Durchschnittswert der Aufgabenerfüllung von "7,29" und einer Entwicklungsprognose von "2" jedoch keine identische Bewertung mit einer anderen Referenzperson auf. Seine Platzierung ergibt sich ohne Besonderheiten aus der allgemeinen Vorschrift über die Reihung gemäß Nr. 303 Satz 2 und Nr. 304 AR A-1336/1.
Rz. 45
Dementsprechend gibt es keine rechtliche Grundlage für eine Verkleinerung der Referenzgruppe, um eine "mittige Platzierung" des freigestellten Soldaten herzustellen. Eine Verkleinerung der Referenzgruppe ist nur vorgesehen, wenn sich bei der Heranziehung von Hilfskriterien bei der Referenzgruppenbildung eine "zu große" Anzahl von Referenzpersonen ergibt (Nr. 309 Satz 2 AR A-1336/1). Davon kann bei einer Gesamtzahl von fünfzehn Referenzpersonen keine Rede sein. Im Gegenteil ist eine gewisse Überschreitung der Mindestzahl von zehn Referenzpersonen (Nr. 303 Satz 1 AR A-1336/1) sogar wünschenswert, weil sie den Einfluss von zufälligen oder atypischen Ereignissen im Karriereverlauf einzelner Referenzpersonen auf die Laufbahnnachzeichnung des freigestellten Soldaten statistisch mindert. Der Antragsteller beanstandet deshalb zu Recht, dass die Streichung von fünf Referenzpersonen letztlich nur dazu geführt hat, seine Förderchancen erheblich zu mindern. Denn auch die in der Reihung nach ihm platzierten Referenzpersonen wären geeignet gewesen, ihn bei der Förderung nach Nr. 320 und Nr. 321 AR A-1336/1 "mitzuziehen".
Rz. 46
(3) Hinter der hier angewandten Vorgehensweise ("mittige Platzierung" der freigestellten Person, ggf. in Verbindung mit der dazu erforderlichen Anpassung der Gruppengröße) steht damit eine andere Konzeption, als sie dem Referenzgruppenmodell der geltenden Allgemeinen Regelung A-1336/1 entspricht. Auch wenn eine solche Konzeption Vorzüge haben mag, stellt sich ihre Verwirklichung im Einzelfall - ohne generellen Wechsel des Modells der Laufbahnnachzeichnung - als gleichheitswidrig dar.
Rz. 47
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 21 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 20 Abs. 1 Satz 1 WBO.
Fundstellen