Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Aktenzeichen 19 B 97.32011) |
Tenor
Der Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren und Beiordnung eines Rechtsanwalts wird abgelehnt.
Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 19. Januar 2001 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung in der Hauptsache bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der Kostenentscheidung in der Hauptsache.
Gründe
Der Klägerin kann für das Beschwerdeverfahren keine Prozesskostenhilfe bewilligt werden, weil sie nach der von ihr vorgelegten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse die Kosten der Prozessführung für das Beschwerdeverfahren (etwa 330 DM) aus ihrem Einkommen bestreiten kann (§ 166 VwGO i.V.m. §§ 114, 115 ZPO). Selbst bei großzügiger Absetzung von Belastungen ist das nach § 115 Abs. 1 ZPO inzwischen monatliche Einkommen der Klägerin so hoch, dass die davon zu zahlenden vier Monatsraten die Kosten des Beschwerdeverfahrens bei weitem übersteigen würden (§ 115 Abs. 3 ZPO).
Die Beschwerde hat aber in der Sache mit der Verfahrensrüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs der Klägerin Erfolg (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG). Die Klägerin beanstandet unter anderem, sie sei zu dem vom Berufungsgericht als entscheidend bezeichneten Widerspruch hinsichtlich des Datums ihrer Ankunft mit dem Flugzeug der Iran-Air aus Teheran – 2. oder 3. Juni 1996 – und des Wochentages – Sonntag oder Montag – nicht gehört worden. Sie macht damit der Sache nach zu Recht geltend, dass das Berufungsgericht seine Entscheidung auf tatsächliche Grundlagen gestützt hat, die nicht in das Verfahren eingeführt worden sind und zu denen sie sich folglich nicht äußern konnte.
Das Berufungsgericht hat den Asylanspruch der Klägerin wegen fehlenden Nachweises der Einreise auf dem Luftweg und damit ohne Kontakt zu einem sicheren Drittstaat (Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 GG) verneint. Diese Entscheidung hat es maßgeblich darauf gestützt, dass das von der Klägerin angegebene Einreisedatum – 13.03.1375 des persischen Kalenders – nicht zutreffen könne. Dieses Datum sei nämlich nach dem vom Senat seit Jahren benutzten Umrechnungskalender vom Bundesamt richtig mit „3. Juni 1996” (Montag) übertragen worden. Das anlässlich der Anfrage des Verwaltungsgerichts vom Büro der Iran-Air angegebene und vom Verwaltungsgericht übernommene Umrechnungsdatum „2. Juni 1996” (Sonntag) sei dagegen unzutreffend. Da die Maschinen der Iran-Air jeweils nur Donnerstag und Sonntag in Hamburg landeten, sei das Vorbringen der Klägerin zu ihrer Einreise nicht mit den tatsächlichen Verhältnissen in Einklang zu bringen und deshalb unschlüssig.
Das Berufungsgericht hat damit seine Überzeugungsbildung wesentlich auf tatsächliche Grundlagen, nämlich einen Umrechnungskalender, gestützt, die es zuvor nicht offen gelegt hat. Auch mit den beiden Anhörungsmitteilungen des Berufungsgerichts zu § 130 a VwGO ist die Klägerin lediglich aufgefordert worden, weitere Angaben zu ihrer Einreise zu machen und Nachweise hierfür vorzulegen, nicht aber über die Grundlagen für die vom Senat beabsichtigte, von der des Verwaltungsgerichts abweichende Umrechnung des Einreisedatums unterrichtet worden. Dies wäre aber zur Wahrung des rechtlichen Gehörs der Klägerin erforderlich gewesen. Ein entsprechender Hinweis durfte auch nicht etwa wegen Allgemeinkundigkeit unterbleiben (zur Verwertung allgemeinkundiger Tatsachen vgl. Beschluss vom 11. Februar 1982 – BVerwG 9 B 429.81 – Buchholz 402.24 § 28 AuslG Nr. 36). Denn die hier streitigen Grundlagen der Umrechnung des persischen Kalenders können schon angesichts der auch im vorliegenden Fall zu Tage getretenen Differenzen nicht als allgemeinkundig angesehen werden. Als gerichtskundige oder auf besonderer Sachkunde beruhende Tatsachengrundlage hätte der Umrechnungskalender aber in jedem Fall zur Wahrung des rechtlichen Gehörs in das Verfahren eingeführt werden müssen, um verwertet werden zu können (vgl. allgemein zu dieser Verpflichtung Beschluss vom 26. November 1979 – BVerwG 7 C 44.79 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 111). Das Berufungsgericht wird daher die Frage der richtigen Umrechnung erneut zu prüfen haben, erforderlichenfalls – etwa wegen der Problematik von Schaltjahren – sogar unter Heranziehung eines Sachverständigen (vgl. beispielhaft die Auskunft des Deutschen Orient-Instituts an das VG Braunschweig vom 7. September 1998 zur Umrechnung für das Jahr 1375 persischer Zeitrechnung ≪juris, Asylfact[i]/VG Wiesbaden≫).
Die Berufungsentscheidung beruht auch auf diesem Verfahrensmangel (§ 138 Nr. 3 VwGO). Insbesondere kann der Senat den Entscheidungsgründen nicht entnehmen, dass das Berufungsgericht sein Ergebnis unabhängig von dem Widerspruch hinsichtlich des Einreisedatums auf selbständig tragende andere Gründe gestützt hat. Denn die von ihm angeführten weiteren Gesichtspunkte – wie etwa das Fehlen von Reiseunterlagen, die angebliche Unkenntnis des bei der Einreise benutzten (falschen) Namens und der verbleibende Widerspruch bei der genauen Ankunftszeit – haben ersichtlich nur in Verbindung mit dem als entscheidend bezeichneten Widerspruch hinsichtlich des Einreisedatums zu der vom Gericht gewonnenen Überzeugung geführt. Insbesondere ist die Berufungsentscheidung trotz der etwas unklaren Formulierung (BA S. 7) nicht so zu verstehen, dass allein das Fehlen eines urkundlichen Nachweises der Einreise auf dem Luftweg ohne Rücksicht auf das inhaltliche Vorbringen der Klägerin für ausreichend gehalten worden ist, um die Klage abzuweisen. Dagegen spricht nämlich u.a. der Umstand, dass das Berufungsgericht sich im Folgenden eingehend mit dem Vorbringen der Klägerin auseinander gesetzt und es im Grundsatz offenbar auch nicht für ausgeschlossen gehalten hat, die Überzeugung von einer Einreise auf dem Luftweg allein aufgrund glaubhafter Angaben des Asylbewerbers zu gewinnen. Eine andere Auffassung stünde im Übrigen mit den Grundsätzen der Amtsermittlung und der richterlichen Überzeugungsbildung nicht in Einklang. Denn in jedem Fall hat das Tatsachengericht die Angaben des Asylsuchenden über seinen Einreiseweg bei seiner Überzeugungsbildung zu berücksichtigen und den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln. Zu einer Beweislastentscheidung zu Ungunsten des Asylsuchenden kann es erst dann kommen, wenn das Gericht nach Ausschöpfung aller Aufklärungsmöglichkeiten weder die Überzeugung gewonnen hat, dass der Asylsuchende auf dem Luftweg eingereist ist, noch, dass er auf dem Landweg über einen sicheren Drittstaat nach Deutschland gelangt ist (vgl. zum Vorstehenden im Einzelnen Urteil vom 29. Juni 1999 – BVerwG 9 C 36.98 – BVerwGE 109, 174, 176 ff.; ferner Beschluss vom 30. März 1999 – BVerwG 9 B 31.99 – Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 1).
Im Interesse der Beschleunigung macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, das Verfahren gemäß § 133 Abs. 6 VwGO unter Aufhebung der angefochtenen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Bei der erneuten Verhandlung und Entscheidung wird das Berufungsgericht gegebenenfalls auch beachten müssen, dass es sich einen persönlichen Eindruck von der Klägerin verschaffen muss, wenn es ihre Glaubwürdigkeit anders beurteilen will als das Verwaltungsgericht (vgl. Urteil vom 29. Juni 1999 a.a.O. S. 179; Beschluss vom 27. Januar 2000 – BVerwG 9 B 613.99 – ≪juris≫ und vom 21. November 1994 – BVerwG 9 B 473.94 – ≪unveröffentlicht≫).
Auf die übrigen von der Beschwerde erhobenen Verfahrensrügen wegen Unterbleibens der beantragten förmlichen Parteivernehmung kommt es deshalb nicht mehr an.
Unterschriften
Dr. Paetow, Beck, Dr. Eichberger
Fundstellen