Verfahrensgang
VG Dresden (Urteil vom 23.08.2017; Aktenzeichen 6 K 2010/15) |
Gründe
Rz. 1
Die Klägerin begehrt die Rückgabe von Gegenständen aus der Pfarrkirche K. Diese steht auf einem früher zum Rittergut K. gehörenden Grundstück und war der Kirche als Lehn überlassen worden. Die Rückübertragung des 1947 auf besatzungsrechtlicher Grundlage enteigneten Rittergutes wurde 1992 rechtskräftig abgelehnt. Der Klägerin wurde 2005 eine Ausgleichsleistung für das ehemalige Rittergut einschließlich des Grundbesitzes, des toten und lebenden Inventars und des Kartoffelbrennrechts zuerkannt.
Rz. 2
2014 beantragte die Klägerin die Rückgabe von 25 einzeln aufgelisteten Gegenständen aus der Pfarrkirche (u.a. Altar und Altargeräte, Kanzel, Taufgestell, Emporen, Orgel, Epitaphe, ein Grabmal und mehrere Grabplatten, Handschriften und Drucke, Pfarrarchiv) nach Ausgleichsleistungsrecht. Die Kirche habe als sog. Eigenkirche im Eigentum des jeweiligen Rittergutsbesitzers gestanden und sei zusammen mit dem Rittergut enteignet worden. Während des von der Klägerin eingeleiteten Untätigkeitsklageverfahrens hat die Beklagte den Antrag mit Bescheid vom 17. November 2016 abgelehnt. Das Verwaltungsgericht hat die Klage dagegen abgewiesen. Die Restitution der begehrten Gegenstände sei nicht fristgerecht beantragt worden. Der rechtskräftig beschiedene Restitutionsantrag für das Rittergut habe sie nicht erfasst. Unabhängig hiervon stehe der Klägerin kein Anspruch nach § 5 Ausgleichsleistungsgesetz (AusglLeistG) auf ihre Rückgabe zu. Es handele sich teilweise schon nicht um bewegliche Gegenstände. Jedenfalls sei nicht nachgewiesen, dass sie zum Zeitpunkt der Enteignung im Eigentum des Rittergutsbesitzers gestanden hätten.
Rz. 3
Das Verwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Die hiergegen gerichtete, auf die Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und des Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg.
Rz. 4
1. Der Rechtssache kommt nach den Darlegungen der Klägerin keine grundsätzliche Bedeutung zu. Die Revision ist wegen grundsätzlicher Bedeutung zuzulassen, wenn die Rechtssache eine Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die der - gegebenenfalls erneuten oder weitergehenden - höchstrichterlichen Klärung bedarf, sofern diese Klärung in dem angestrebten Revisionsverfahren zu erwarten steht und dies zu einer Fortentwicklung der Rechtsprechung über den Einzelfall hinaus führen wird. Der Rechtsmittelführer hat darzulegen, dass diese Voraussetzungen vorliegen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Diesen Anforderungen genügt die Beschwerde nicht.
Rz. 5
Die von der Klägerin aufgeworfene Frage,
wie im Rahmen der §§ 133, 157 BGB der objektivierte Empfängerhorizont zu definieren ist,
bezeichnet keine mit Blick auf das angestrebte Revisionsverfahren entscheidungserhebliche Frage, sondern zielt lediglich auf eine rechtliche Definition eines Elements der aus diesen Vorschriften abzuleitenden Auslegungsregel. Darüber hinaus ist höchstrichterlich geklärt, dass sich die Auslegung einer Erklärung unter Zugrundelegung der §§ 133, 157 BGB nach dem Willen des Erklärenden richtet, wie ihn der Empfänger der Erklärung bei objektiver Würdigung verstehen konnte (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschluss vom 11. Januar 2000 - 11 VR 4.99 - Buchholz 316 § 42 VwVfG Nr. 4 S. 1 ff. = juris Rn. 35).
Rz. 6
Die weitere Frage,
ob das Verwaltungsgericht sich im Rahmen einer Antragsauslegung über ein bekanntes (weil mitgeteiltes) Verständnis der Behörde vom Antragsinhalt hinwegsetzen und den für die Auslegung maßgeblichen Empfängerhorizont abweichend definieren darf,
wäre in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht klärungsfähig, weil sie einen Sachverhalt unterstellt, den das Verwaltungsgericht nicht festgestellt hat. Die Beklagte hat das Begehren der Klägerin auf Herausgabe von Gegenständen aus dem Inventar der Pfarrkirche ausweislich ihres Bescheides nicht als von dem fristgerecht eingereichten Antrag auf Restitution des Rittergutes erfasst angesehen. Sie hat diesen Antrag damit genau so verstanden wie das Verwaltungsgericht durch Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont. Im Übrigen bedarf es keiner weitergehenden Klärung, dass ein Verwaltungsgericht, welches die behördliche Auslegung eines Antrages nach dem objektiven Empfängerhorizont zu überprüfen hat, von dem konkreten Verständnis des Antrages durch die Behörde abweichen darf und gegebenenfalls muss.
Rz. 7
Die Revision ist auch nicht im Hinblick auf die von der Klägerin aufgeworfene Frage zuzulassen,
ob das Verwaltungsgericht bei der Ermittlung des auslegungsrelevanten Empfängerhorizonts Umstände berücksichtigen darf, die weder der Behörde noch dem Antragsteller im Antragszeitpunkt bekannt waren.
Rz. 8
Welche Umstände bei der Auslegung einer Erklärung zu berücksichtigen sind, ist vom Einzelfall abhängig und entzieht sich einer allgemeinen, fallübergreifenden Klärung. Außerdem geht die Frage an den Erwägungen des Verwaltungsgerichts vorbei und wäre daher in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht klärungsfähig. Die Klägerin meint, das Verwaltungsgericht hätte bei seiner Auslegung berücksichtigen müssen, dass zum Zeitpunkt der Einreichung des Restitutionsantrages bezüglich des Rittergutes weder ihre Rechtsvorgänger noch die Beklagte Kenntnis von dem Kirchenpatronat gehabt hätten. Das Verwaltungsgericht habe seine Auffassung, dass dieser fristgerechte Restitutionsantrag das Inventar der Kirche nicht umfasste, deshalb nicht darauf stützen dürfen, dass die Zweckbestimmung eines kirchlichen Patronats die Herausgabe von Gegenständen verbiete, die einem religiösen Zweck dienten. Die Klägerin gibt die Erwägungen des Verwaltungsgerichts mit dieser Rüge nur unvollständig wieder. Es hat das Kirchengebäude und sein Inventar nicht als vom Antrag umfasst angesehen, weil die in ihm genannten Vermögenswerte entweder dem wirtschaftlichen Zweck des Rittergutes dienten oder einen persönlichen Bezug zu dessen Eigentümer hatten. Auf die nun herausverlangten Gegenstände treffe beides ersichtlich nicht zu, weil sie religiösen Zwecken dienten (UA S. 11). Dass sie den Zwecken der Erfüllung der Patronatsverpflichtungen dienten, führt das Urteil als eines von mehreren Argumenten für die Unterschiede zwischen den im Antrag genannten und den nun streitgegenständlichen Vermögenswerten an. Es hat seine Auslegung ferner dadurch bestätigt gesehen, dass kirchliche Gegenstände in dem durch diesen Antrag eingeleiteten vermögensrechtlichen Verfahren des Rechtsvorgängers der Klägerin keinerlei Rolle gespielt hätten.
Rz. 9
2. Unabhängig hiervon ist die Revision nicht zuzulassen, weil die gegen die selbständig tragende weitere Erwägung des Verwaltungsgerichts, wonach die Klägerin keinen materiell-rechtlichen Anspruch nach § 5 AusglLeistG habe, gerichteten Rügen nicht durchgreifen. Die von der Klägerin behaupteten Verfahrensmängel liegen nicht vor.
Rz. 10
a) Das Verwaltungsgericht musste den von der Klägerin schriftsätzlich benannten Zeugen F. nicht zur Dauer und zum Zweck der Demontage von Inventargegenständen der Kirche im Zuge der Kirchenrestaurierung vernehmen, um dem Aufklärungsgrundsatz zu genügen (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Auf die nach den Feststellungen des Gerichts zum Entscheidungszeitpunkt bereits beendete zwischenzeitliche Demontage von Gegenständen kam es nach dem für die Prüfung von Verfahrensfehlern maßgeblichen Rechtsstandpunkt des Verwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. Dezember 2010 - 5 B 38.10 - juris Rn. 18) nicht an. Das Urteil geht davon aus, dass die Eigenschaft einer Sache als wesentlicher Bestandteil eines Grundstücks nicht entfällt, wenn ihre feste Verbindung mit dem zum Grundstück gehörenden Gebäude lediglich für einen vorübergehenden Zweck gelöst wird. Das war hier nach den Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts der Fall, weil nach der Restaurierung wieder eine feste Verbindung derjenigen Gegenstände, die das Gericht nicht als beweglich eingestuft hat, mit dem Gebäude und damit dem Grundstück geschaffen worden ist. Im Übrigen hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht auch keinen Beweisantrag zu einer Zeugenvernehmung gestellt, obwohl dies die Aufklärungsrüge grundsätzlich erfordert (stRspr, BVerwG, vgl. Beschluss vom 29. Juli 2015 - 5 B 36.14 - juris Rn. 7 m.w.N.).
Rz. 11
b) Ferner meint die Klägerin, das Verwaltungsgericht hätte sie vor seiner Entscheidung darauf hinweisen müssen, dass es das Eigentum der Rechtsvorgänger der Klägerin an den als beweglich zu qualifizierenden Gegenständen als nicht nachgewiesen ansehe. Die hiermit gerügte Verletzung rechtlichen Gehörs durch eine Überraschungsentscheidung (vgl. § 108 Abs. 2 VwGO) ist nicht gegeben. Ein Überraschungsurteil liegt vor, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der alle oder einzelne Beteiligte nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten (BVerwG, Urteil vom 19. Juli 1985 - 4 C 62.82 - Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 170). Ansonsten besteht im Grundsatz keine Pflicht des Gerichts, den Beteiligten seine Auffassung jeweils vor dem Ergehen einer Entscheidung zu offenbaren (vgl. BVerfG, Beschluss vom 5. November 1986 - 1 BvR 706/85 - BVerfGE 74, 1 ≪5≫). Ein Gericht muss die Beteiligten grundsätzlich nicht vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffs hinweisen, weil sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung ergibt (stRspr, vgl. z.B. BVerwG, Beschlüsse vom 8. August 1994 - 6 B 87.93 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 335 = juris Rn. 5 und vom 26. Februar 2013 - 4 B 53.12 - juris Rn. 4).
Rz. 12
Es konnte den Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht überraschen, dass es für ein auf § 5 AusglLeistG gestütztes Begehren der Herausgabe beweglicher Gegenstände auf das Eigentum der Rechtsvorgänger der Klägerin an diesen Gegenständen im Enteignungszeitpunkt ankam. Dies gilt unabhängig davon, ob diese Anspruchsvoraussetzung in der mündlichen Verhandlung erörtert worden ist. Dass das Eigentum der Rechtsvorgänger der Klägerin an dem begehrten Inventar nicht nachgewiesen sei, hatte bereits die Beklagte in ihrem ablehnenden Bescheid vom 17. November 2016 mit eingehender Begründung vertreten (S. 9 f.) und im Rahmen der Klageerwiderung erneut vorgetragen (Schriftsatz vom 11. August 2017 S. 3 f.).
Rz. 13
Gleiches gilt in Bezug auf das von der Klägerin begehrte Steinkreuz, an dem das Verwaltungsgericht ebenfalls das Eigentum der Rechtsvorgänger der Klägerin im Enteignungszeitpunkt selbständig entscheidungstragend als nicht nachgewiesen angesehen hat. Auf die weitere Rüge der Klägerin, das Gericht habe insoweit überraschend und unter Verletzung seiner Aufklärungspflicht den möglichen Untergang des Kreuzes angenommen und ihr den Vortrag zu möglichen Ansprüchen nach § 10 VermG abgeschnitten, kommt es deshalb nicht an.
Rz. 14
Darüber hinaus hat die Klägerin in ihrer Beschwerdebegründung nicht dargelegt, welche Tatsachen sie zum Nachweis des behaupteten Eigentums an den herausverlangten Gegenständen vorgetragen hätte, wenn das Gericht vor seiner Entscheidung auf seine Zweifel daran hingewiesen hätte. Eine zulässige Gehörsrüge erfordert regelmäßig die substantiierte Darlegung, was der Beteiligte bei ausreichender Gewährung rechtlichen Gehörs noch vorgetragen hätte und inwiefern der weitere Vortrag zur Klärung des geltend gemachten Anspruchs geeignet gewesen wäre (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 ≪n.F.≫ VwGO Nr. 26 S. 15 und vom 16. August 2011 - 6 B 18.11 - juris Rn. 4 und 8). Daran fehlt es hier. Die in der Beschwerdebegründung aufgeführte allgemeine Vermutung, Kirchenpatrone hätten regelmäßig bewegliche Ausstattungsgegenstände zur Verfügung gestellt, genügt der Darlegungspflicht der Klägerin nicht.
Rz. 15
c) Das Verwaltungsgericht hat im Rahmen seiner Sachverhaltswürdigung auch nicht gegen den Überzeugungsgrundsatz verstoßen, indem es einen Nachweis des Eigentums der Rechtsvorgänger der Klägerin im Enteignungszeitpunkt an dem seit 1912 an das Stadtmuseum ausgeliehenen Beichtstuhl verneint hat.
Rz. 16
Nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO hat das Gericht seiner Überzeugungsbildung das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde zu legen. Es darf zur Überzeugungsbildung die ihm vorliegenden Tatsachen und Beweise frei würdigen. Die Grenzen freier Beweiswürdigung sind erst dann überschritten, wenn das Gericht nach seiner Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Akteninhalt übergeht oder aktenwidrige Tatsachen annimmt, oder wenn die von ihm gezogenen tatsächlichen Schlussfolgerungen gegen die Denkgesetze verstoßen. (vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. Februar 2017 - 6 B 31.16 - juris Rn. 10 m.w.N.).
Rz. 17
Es war weder aktenwidrig noch verstößt es gegen Denkgesetze, aus der mangelnden Beteiligung des damaligen Eigentümers des Rittergutes an den Dokumenten über die Leihe des Beichtstuhls an das Stadtmuseum zu folgern, dass seine Berechtigung unwahrscheinlich sei. Die Erwägung des Gerichts, die an der Vereinbarung beteiligten Vertreter der Kirche und der Königlichen Kommission zur Erhaltung der Kunstdenkmäler sowie der Königlichen Kreishauptmannschaft hätten wahrscheinlich einen anderweitigen Eigentümer nicht übergangen, ist zwar nicht zwingend, aber keineswegs denkgesetzwidrig. Sie liegt vielmehr innerhalb der Bandbreite der zulässigen materiell-rechtlichen Bewertungen des Tatsachengerichts. Den von der Klägerin dem Urteil unterstellten Erfahrungssatz, kirchliche Stellen nähmen grundsätzlich keine Verfügungen als Nichtberechtigte vor, hat das Verwaltungsgericht nicht aufgestellt.
Rz. 18
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Fundstellen
Dokument-Index HI11956612 |