Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches OVG (Urteil vom 23.05.2007; Aktenzeichen 2 LB 26/06) |
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts vom 23. Mai 2007 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 23 463,13 € festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision hat keinen Erfolg; die von der Beschwerde geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) und der als Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) geltend gemachte Gehörsverstoß (Art. 103 Abs. 1 GG) sind nicht zu erkennen.
1. Das Oberverwaltungsgericht hat die Voraussetzungen des von der Klägerin geltend gemachten Kostenerstattungsanspruchs aus § 89a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII wegen Zuständigkeitswechsels nach § 86 Abs. 6 SGB VIII im Wesentlichen mit der Begründung bejaht, die Klägerin habe den Hilfefall gemäß der von Seiten des Beklagten wie der Klägerin protokollierten Besprechung vom 30. November 1999 über das “Verfahren zur Hilfegewährung” in Wahrnehmung ihrer gemäß § 86 Abs. 6 SGB VIII gesetzlich begründeten örtlichen Zuständigkeit zum 1. Januar 2000 übernommen. Diese Erklärung sei auch umgesetzt worden, indem die Klägerin die Hilfemaßnahmen in Hinblick auf Betreuung und Pflegegeldzahlung ab dem 1. Januar 2000 weitergeführt und der Beklagte die Betreuung eingestellt habe. Wenn der Beklagte gleichwohl nach dem 1. Januar 2000 seine monatlichen Pflegegeldzahlungen an die Pflegeeltern fortgesetzt habe – mit der Folge, dass die Pflegeeltern bis Juni 2003 sowohl von der Klägerin wie vom Beklagten Pflegegeld empfingen –, könne er dem Erstattungsanspruch der Klägerin nicht entgegenhalten, dass die pädagogisch ausgerichteten Fachdienste ohne Prüfung durch die wirtschaftliche Jugendhilfe eine so weitreichende Entscheidung nicht treffen könnten. Die Fortsetzung der Hilfe beruhe nicht auf einer Vereinbarung, die als öffentlich-rechtlicher Vertrag verstanden werden könne, sondern sei aufgrund gesetzlichen Zuständigkeitswechsels erfolgt, von dem alle Beteiligten Kenntnis gehabt hätten und der von der Klägerin auch beachtet worden sei, so dass es an einer fortdauernden Leistungsverpflichtung des Beklagten nach § 86c SGB VIII gefehlt habe.
Die Beschwerde greift diese rechtliche Würdigung des Oberverwaltungsgerichts als fehlerhaft an und macht dabei als rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig folgende Fragen geltend:
Durch welche Fakten und zu welchem Zeitpunkt wird die Übergabe einer Hilfe an den bisher nichtzuständigen Träger nach § 86c SGB VIII (KJHG) rechtsverbindlich wirksam?
Gibt es eine getrennte Übernahme im Sinne von § 86c KJHG von sozialpädagogischer Hilfeleistung und wirtschaftlicher (finanzieller) Hilfe, oder kann die Übergabe nur in einem Gesamtvorgang vonstatten gehen?
Welchem Träger fallen Fehler oder Zweifel über die rechtswirksame Übergabe im Sinne von § 86c KJHG zur Last – dem Erstzuständigen (Übergeber) oder dem Neuzuständigen (Übernehmer)?
1.1 Was die ersten beiden Fragenkomplexe (Bestimmung des Zeitpunktes des Wirksamwerdens der Hilfeübergabe nach § 86c SGB VIII; getrennte Übernahme sozialpädagogischer Hilfeleistungen oder einheitliche Übernahme in einem Gesamtvorgang) betrifft, macht die Beschwerde geltend, das Berufungsgericht habe den Sachverhalt “in seiner grundsätzlichen Bedeutung verkannt” und falsch gewürdigt; es habe verkannt, dass die protokollierte “Hilfeübergabekonferenz” vom 30.11.1999, auf der eine Übergabe zum 1.01.2000 festgelegt wurde, nur die für sozialpädagogische Leistungen zuständige Außenstelle N…, aber mangels Beteiligung und Kenntnis nicht die auf Seiten des Beklagten für die wirtschaftliche Hilfe zuständigen Stellen betroffen habe. Mangels Übergabevereinbarung auch in Hinblick auf die vom Beklagten bis Juni 2003 weiter geleistete finanzielle Hilfe liege insoweit keine Übernahme i.S. des § 86c SGB VIII vor, da diese einen beide Hilfeaspekte (pädagogische wie finanzielle Hilfe) umfassende Gesamtvereinbarung voraussetze.
Was zunächst die rechtliche Grundannahme der Beschwerde betrifft, die gemäß § 86c SGB VIII zum Wegfall der Verpflichtung des bisher zuständigen Trägers führende Fortsetzung der Leistung durch den zuständig gewordenen örtlichen Träger setze eine Art rechtsgeschäftlicher Vereinbarung unter Beteiligung sowohl der sozialpädagogischen wie der für die wirtschaftliche Hilfe zuständigen Dienststellen voraus, folgt unmittelbar aus dem Gesetz, dass § 86c SGB VIII im Interesse des Leistungsberechtigten an der Kontinuität der Leistungserbringung an die Fortsetzung der Leistung durch den nunmehr zuständigen Träger, nicht aber an rechtsgeschäftliche Vereinbarungen zwischen den Trägern anknüpft. Das Gesetz sieht auch kein “Übergabeprotokoll” oder sonstige förmliche Unterrichtungen als Wirksamkeitsvoraussetzung einer Fortführung der Hilfe vor, für die es auch nicht der Übernahme der Hilfeakten bedarf, um im Rechtssinne beachtlich zu sein. Das wechselseitige Unterrichtungen oder Absprachen sinnvoll und in der Praxis üblich sein mögen, um ungewollten Unterbrechungen der Hilfegewährung entgegenzuwirken, ist bei tatsächlicher Hilfegewährung des nach übereinstimmender Rechtsauffassung zuständig gewordenen Leistungsträgers jedenfalls dann unerheblich, wenn – wie hier – zumindest keine eindeutigen und unmissverständlichen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der zuständig gewordene Leistungsträger seiner Leistungspflicht nicht nachkommen werde.
1.2. Die finanzielle Verpflichtung zur Sicherstellung des Lebensunterhalts des Kindes oder Jugendlichen außerhalb des Elternhauses (§ 39 SGB VIII) ist keine selbständige Aufgabe der Jugendhilfe, sondern eine Annexleistung im Rahmen einer Hilfe zur Erziehung in einer der Hilfearten der Jugendhilfe (hier Vollzeitpflege gemäß § 33 SGB VIII) (vgl. nur Kunkel in: Kunkel ≪Hrsg.≫, LPK-SGB VIII, 3. Aufl. 2006 § 39 Rz. 3; Fischer in: Schellhorn/Fischer/Mann, SGB VIII, 3. Aufl. 2007, § 39 Rz. 6 f.; Wiesner, SGB VIII, 3. Aufl. 2006, § 39 Rz. 1, 6 f.).
Zu den vorstehend aufgeworfenen Fragen ist die Revision auch deswegen nicht zuzulassen, wie sie in ihrer konkreten Ausgestaltung die Bewertung einzelfallspezifischer Umstände wie der Hilfeplankonferenz vom 30. November 1999 betreffend “Pflegestellenunterbringung auf Dauer; gem. §§ 27/33 KJHG” und der Kommunikationsdefizite zwischen den beteiligten Jugendämtern einerseits sowie innerhalb der auf Seiten des Beklagten beteiligten Dienststellen – unterbliebene Unterrichtung der für die wirtschaftliche Hilfe zuständigen Stelle des Beklagten – andererseits betreffen, ohne dass insoweit eine rechtsgrundsätzliche Bedeutung erkennbar wird.
1.3 Auch was die dritte Frage betrifft, mit welcher die Beschwerde konkret geltend macht, die Klägerin habe insbesondere durch Nichtbeantwortung des Schreibens des Beklagten vom 29. November 1999 zur Weiterleistung finanzieller Hilfe durch den Beklagten beigetragen, lässt die Beschwerde eine über den konkreten Einzelfall hinausweisende rechtsgrundsätzliche Bedeutung nicht erkennen. Jedenfalls bedarf es nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens, um zu klären, dass in Fällen unzureichender Kommunikation sowohl zwischen den verschiedenen von einem Zuständigkeitswechsel berührten Sozialleistungsträgern wie auch zwischen verschiedenen auf Seiten eines Sozialleistungsträgers beteiligten Dienststellen jedenfalls die letzteren Kommunikationsprobleme nicht dem jeweils anderen, hier dem die Hilfe fortsetzenden Sozialhilfeträger, entgegengehalten werden können.
2. Auch die als Verfahrensverstoß geltend gemachte Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG), welche die Beschwerde darin sieht, dass das Oberverwaltungsgericht nicht gewürdigt habe, dass die langfristige Überzahlung nicht eingetreten wäre, wenn die Klägerin auf das Schreiben des Beklagten vom 29.11.1999 geantwortet hätte, liegt nicht vor. Dem steht bereits entgegen, dass das Oberverwaltungsgericht das genannte Schreiben in seinem Urteil ausdrücklich erwähnt und berücksichtigt hat. Dass es dabei nicht zu der vom Beklagten gewünschten Schlussfolgerung gelangt ist, die Klägerin habe durch unterlassene Beantwortung des Schreibens und die unterbliebene schriftliche Erklärung ihrer Übernahmebereitschaft die langjährige Überzahlung selbst verursacht, begründet keinen Gehörsverstoß.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung in Höhe des streitigen Erstattungsbetrages auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 3 GKG.
Unterschriften
Hund, Dr. Franke, Prof. Dr. Berlit
Fundstellen