Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Urteil vom 25.01.2005; Aktenzeichen 7 KS 139/02) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 25. Januar 2005 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 45 000 € festgesetzt.
Gründe
Die auf Verfahrensrügen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
1. Der von der Beschwerde geltend gemachte Verstoß nach § 138 Nr. 6 VwGO liegt nicht vor. Der in dieser Bestimmung geregelte absolute Revisionsgrund einer nicht mit Gründen versehenen Entscheidung ist dann gegeben, wenn ein bei Verkündung noch nicht vollständig abgefasstes Urteil nicht binnen fünf Monaten nach der Verkündung mit Tatbestand und Entscheidungsgründen von den Richtern unterschrieben der Geschäftsstelle des Gerichts übergeben worden ist (GmS-OGB, Beschluss vom 27. April 1993 – GmS-OGB 1/92 – BVerwGE 92, 367; BVerwG, Beschluss vom 26. April 1999 – BVerwG 8 B 67.99 – Buchholz 428 § 3 VermG Nr. 30 S. 6 f.; Beschluss vom 11. Juni 2001 – BVerwG 8 B 17.01 – Buchholz 310 § 116 VwGO Nr. 26; stRspr). Dieser Zeitraum ist hier, was die Beschwerde im Grunde auch erkennt, nicht überschritten. Das am 25. Januar 2005 verkündete Urteil wurde der Klägerin am 22. Juni 2005 zugestellt und damit notwendig bereits zuvor in der vorgeschriebenen Form der Geschäftsstelle übergeben.
Anhaltspunkte dafür, dass dem Gericht trotz Einhaltung dieser äußersten “Absetzungsfrist” bei Abfassung des Urteils die Gründe der Entscheidungsfindung nicht mehr hinreichend gegenwärtig waren, vermag die Beschwerde nicht aufzuzeigen. Ihre Einwände, das Urteil “reflektiert die mehrstündige mündliche Verhandlung praktisch gar nicht”, von der Power-Point-Präsentation der Kläger über die von ihnen als vorzugswürdig angesehene Trassenvariante der Westumgehung finde sich im Urteil nichts und auch die eingehende Erörterung der Kompensationsmaßnahmen mit Bezug auf die Betroffenheit der Klägerin im Hinblick auf ihren Jagdbezirk schienen im Urteil “verflogen” zu sein (Beschwerdebegründung S. 3), lassen außer Acht, dass die damit angesprochenen Fragen der Variantenauswahl und Beeinträchtigung der Klägerin in ihren schutzwürdigen Belangen, insbesondere auch hinsichtlich der Auswirkungen des Vorhabens auf ihren Eigenjagdbezirk, in dem angefochtenen Urteil durchaus näher erörtert werden, soweit sie für das Gericht entscheidungserheblich sind (UA S. 19 f., 21). Dass dies nicht in der Breite geschieht, in der diese Fragen offenbar in der mündlichen Verhandlung erörtert wurden, rechtfertigt nicht die Annahme, die Entscheidung sei im Sinne des § 138 Nr. 6 VwGO nicht mit Gründen versehen.
2. Ohne Erfolg rügt die Beschwerde einen Verstoß gegen die richterliche Sachaufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) im Hinblick auf die Beurteilung der Variantenentscheidung durch das Oberverwaltungsgericht. Die Einwände der Beschwerde, das Oberverwaltungsgericht hätte die “Akten aus den vorgestuften Verfahren” (Beschwerdebegründung S. 4), insbesondere die “Berliner Vorgänge” (S. 5), zur Bedarfsfeststellung beiziehen müssen, um aufzuklären ob bei der Fortschreibung des Bedarfsplanes die “bereits teilweise realisierte Westumgehung” (S. 6) von Norden berücksichtigt worden sei, gehen ins Leere. Das Oberverwaltungsgericht hat zwar zunächst in Erwägung gezogen, ob aus der zeichnerischen Darstellung einer Ostumgehung von Norden im Bedarfsplan zum Fernstraßenausbaugesetz aus dem Jahr 1993, die sich in gleicher Weise in der Fortschreibung des Bedarfsplanes des Jahres 2004 wieder findet, eine für die Planfeststellungsbehörde und die Gerichte gesetzlich verbindliche Festlegung auf die Ostumgehung zu sehen ist, dies dann aber ausdrücklich offen gelassen und die Abwägungsfehlerfreiheit der Trassenauswahl für die Ostumgehung von Norden unter Verzicht auf die Annahme einer solchen Bindungswirkung geprüft (UA S. 19 f.). Die von der Beschwerde vermissten Aufklärungsmaßnahmen, insbesondere zur Aufnahme der entsprechenden Festsetzung im Bedarfsplan, erweisen sich danach aus der insoweit maßgeblichen Sicht des Oberverwaltungsgerichts als nicht entscheidungserheblich. Es kann deshalb offen bleiben, ob die Beschwerde insoweit den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügt.
3. Die Beschwerde hat auch keinen Erfolg mit ihrer weiteren Aufklärungsrüge, die darauf zielt, dass das Oberverwaltungsgericht zumindest die Planungsakten der Stadt Norden hätte beiziehen oder ein verkehrsplanerisches Sachverständigengutachten hätte einholen müssen zur Klärung der Frage, ob die Ostumgehung überhaupt gerechtfertigt oder jedenfalls in der vorgesehenen Weise und dem geplanten Umfang nicht erforderlich ist (Beschwerdebegründung S. 8 f.).
Keine dieser Aufklärungsmaßnahmen musste sich dem Oberverwaltungsgericht aufdrängen. Es hat im Rahmen der ohnehin gerichtlich nur eingeschränkt nachprüfbaren Variantendiskussion im Einzelnen dargelegt, dass die von der Klägerin favorisierte Westumgehung von Norden aus verkehrlichen Gründen die mit der Ostumgehung beabsichtigte Erschließungs-, Verteilungs- und Stadtentlastungsfunktion gerade auch im Hinblick auf den überregionalen Verkehr von vornherein nicht erfüllen kann. Eine kommunale Westerschließung der Stadt könnte hieran im Grundsatz nichts ändern (UA S. 19 ff.). Unabhängig hiervon hat das Gericht nach Anhörung des städtischen Baudirektors der Stadt Norden in der mündlichen Verhandlung (Niederschrift S. 4) festgestellt, dass die Stadt Norden entgegen der Behauptung der Kläger keine Westumgehung plane und diese auch nicht bereits teilweise ins Werk gesetzt habe. Richtig sei lediglich, dass ein Gewerbegebiet im Südwesten der Stadt durch einen Zubringer an die B 72 angeschlossen worden sei. Dieser Zubringer sei jedoch nicht Teil einer geplanten “Westumgehung”. Die von den Klägern vorgelegten Pläne gäben demgegenüber lediglich einen bislang unverbindlichen Verkehrsentwicklungsvorschlag wieder (UA S. 20).
Angesichts dieser aktuellen Auskünfte durch einen Vertreter der Stadt Norden, dessen Glaubwürdigkeit von der Beschwerde im Übrigen auch nicht angegriffen wird, brauchten sich dem Oberverwaltungsgericht weder die Beiziehung von Planunterlagen der Stadt noch die Einholung eines Verkehrsgutachtens zur Beurteilung etwaiger Folgewirkungen einer Westumgehung auf die geplante Ostumfahrung aufzudrängen. Dass die westliche Umgehung von Norden im Planfeststellungsverfahren zwar nochmals erwogen, aber wegen eindeutig überwiegender, insbesondere verkehrlicher Nachteile – ebenso wie bereits in den Vorplanungen – von der weiteren vertieften Variantenprüfung ausgeschieden wurde, ergibt sich entgegen der Auffassung der Beschwerde unmittelbar aus dem Planfeststellungsbeschluss (S. 19 f.). Soweit die Beschwerde in diesem Zusammenhang eine stärkere planerische Abstimmung zwischen der kommunalen Verkehrsentwicklungsplanung und der überregionalen Fernstraßenplanung fordert, zielen ihre Einwände auf das behördliche Verfahren im Vorfeld und im Zuge der Planfeststellung und können damit von vornherein keinen Fehler des gerichtlichen Verfahrens im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO begründen.
4. Die Beschwerde beanstandet, dass die durch das Vorhaben für den Eigenjagdbezirk der Klägerin hervorgerufenen Probleme – insbesondere durch die Zerschneidung des Bezirks, durch die mit den angeordneten Wildschutzzäunen einhergehenden “Abriegelungseffekte” und durch die “Schwierigkeiten der Bejagung ohne Drittgefährdung im Hinblick auf die diagonale Revierzerschneidung” (Beschwerdebegründung S. 9 f.) – im Planfeststellungsbeschluss nicht annähernd geklärt worden seien. Deshalb hätte das Oberverwaltungsgericht einen Jagdsachverständigen einschalten müssen, um die “Abschichtung und Lösung aller Probleme zu suchen” (Beschwerdebegründung S. 10). Einen Verstoß gegen die richterliche Sachaufklärungspflicht kann die Beschwerde mit diesem allgemeinen Wunsch auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zur umfassenden Klärung “aller Probleme” im Zusammenhang mit der Beeinträchtigung des Eigenjagdbezirks nicht aufzeigen. Insbesondere lässt sie nicht erkennen, welche Ergebnisse die vermisste Beweiserhebung hätte erwarten lassen, die aus der insoweit maßgeblichen Sicht des Oberverwaltungsgerichts erhebliche Abwägungsfehler (vgl. § 17 Abs. 6c Satz 1 FStrG) begründen könnten, obwohl das Oberverwaltungsgericht es nicht beanstandet hat, dass der Planfeststellungsbeschluss etwaige nicht ausgleichbare Beeinträchtigungen des Eigenjagdbezirks der Klägerin durch die neue Trasse in Anbetracht der Bedeutung des Vorhabens für die Öffentlichkeit als hinnehmbar gewürdigt und eine finanzielle Entschädigung vorgesehen hat (UA S. 21).
5. Die Rüge der Beschwerde, das Oberverwaltungsgericht sei den gegen die Sachverhaltsermittlungen und -bewertungen durch den Landschaftspflegerischen Begleitplan vorgebrachten Einwänden der Kläger nicht nachgegangen, habe “die Ermittlungs- und Therapiedefizite nicht (…) aufarbeiten lassen” und erweise sich deshalb wiederum als verfahrensfehlerhaft im Sinne von § 86 Abs. 1 VwGO (Beschwerdebegründung S. 11), genügt schon nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 2 Satz 3 VwGO für eine ordnungsgemäße Verfahrensrüge (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 VwGO n.F. Nr. 26). Mit dem pauschalen Verweis auf die insbesondere im Verfahren des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes vorgebrachten Einwände legt die Beschwerde nicht, wie erforderlich, substantiiert dar, im Hinblick auf welche konkreten Tatsachenfragen die Erhebung welcher Beweismittel sich dem Oberverwaltungsgericht hätte aufdrängen müssen, weil sie möglicherweise entscheidungserhebliche Erkenntnisse hätten erbringen können. Die von der Beschwerde in diesem Zusammenhang genannten Einzelbeispiele zielen weniger auf ein Ermittlungsdefizit des Tatsachengerichts als auf eine inhaltliche Kritik der Beschwerde an der Tatsachenwürdigung und rechtlichen Bewertung durch das Oberverwaltungsgericht. Eine Aufklärungsrüge und auch eine Gehörsrüge lassen sich damit nicht begründen.
6. a) Den “weiter hilfsweise” gestellten Antrag 4, “den PFB nicht vor planerischer Durchführung der – teilweise bereits gebauten – westlichen Entlastungsstraße als Alternative wie auch nur als Einflussfaktor zu bestätigen”, hat das Oberverwaltungsgericht als Antrag auf Aussetzung oder auf Anordnung des Ruhens des Verfahrens interpretiert. Als Sachaufklärungsantrag, wie die Beschwerde meint, brauchte ihn das Oberverwaltungsgericht bei dieser Formulierung nicht zu verstehen. Da nach den Feststellungen des Gerichts eine Weiterführung der Zubringerstraße bis in das Gewerbegebiet Nord auf der westlichen Seite von Norden bislang nicht über das Stadium eines unverbindlichen Verkehrsentwicklungsvorschlags hinaus gelangt ist, hat es im Übrigen zu Recht die Aussetzung oder die Anordnung des Ruhens des Verfahrens abgelehnt.
b) Die mit dem weiteren Hilfsantrag 5 der Kläger unter Beweis gestellte Tatsache, dass die betriebsbedingten Immissionen einen 20 m breiten Streifen beiderseits der Trasse von jeglicher Nutzung ausschließen, hat das Oberverwaltungsgericht als nicht entscheidungserheblich angesehen, weil auch bei Annahme eines nicht nutzbaren Geländestreifens solcher Breite beiderseits der Fahrbahn kein anderes Abwägungsergebnis zu erwarten gewesen wäre. Die Mehrbeeinträchtigungen mit daraus eventuell erwachsenden weiteren Entschädigungsanforderungen würden sich in einem verkraftbaren Rahmen halten, da in weiten Bereichen der Trasse ein freizuhaltender Seitenstreifen von bereits 15 m angenommen und eine Wohnnutzung durch die Kläger in diesem Nahbereich der Trasse ohnehin nicht ausgeübt werde (UA S. 25 f.). Ein Verfahrensfehler liegt in der so begründeten Ablehnung des Beweisantrags nicht. Kommt es nach der insoweit maßgeblichen Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts auf die unter Beweis gestellte Tatsache nicht an, weil das Gericht – wie hier – auch bei der als wahr unterstellten Tatsache zu keiner anderen Entscheidung gelangen würde, braucht es den Beweis nicht zu erheben.
Das Beschwerdevorbringen lässt auch nicht erkennen, dass das Oberverwaltungsgericht die Wahrunterstellung nicht konsequent durchgehalten hätte. Die Behauptung der Beschwerde, der faktische Ausfall von Wirtschaftsflächen (gemeint ist offenbar bei der Annahme des 20 m breiten, nicht nutzbaren Streifens beiderseits der Trasse) wäre so groß, dass sich die Frage der Existenzgefährdung neu stellen würde, die Projektkosten jedenfalls signifikant steigen würden (Beschwerdebegründung S. 12 f.), vermag nicht die im Einzelnen begründete Annahme des Gerichts zu erschüttern, dass das Gesamtkonzept der Planung und deren Ausgewogenheit dadurch nicht in Frage gestellt würden, zumal ein Ausschluss jeglicher Nutzung in der behaupteten Breite auch an jeder anderen Stelle mit einer im Außenbereich verlaufenden Trasse verbunden wäre (UA S. 25 f.).
c) Soweit die Beschwerde beanstandet, dass das Oberverwaltungsgericht die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu ihrem Hilfsantrag 6 nicht hätte ablehnen dürfen, womit die Klägerin beantragt hat, durch ergänzende Auflagen sicherzustellen, dass die Straße nicht ohne die Einrichtung von Leichtstoffabscheidern (zum Schutz vor Einträgen kontaminierten Wassers in die Seitenstreifen der Trasse) gebaut und in Betrieb genommen werde, genügt ihr Vorbringen in mehrfacher Hinsicht nicht den Anforderungen an die ordnungsgemäße Darlegung eines Aufklärungsmangels (vgl. dazu BVerwG, Beschluss vom 19. August 1997, a.a.O.). So zeigt die Beschwerde insbesondere nicht auf, inwiefern der von der Klägerin vermisste und offenbar in erster Linie aus Gründen des Umweltschutzes geforderte Einbau von Leichtstoffabscheidern, wäre er denn antragsgemäß angeordnet worden, den Eingriff in das Eigentum der Klägerin durch den Planfeststellungsbeschluss verringern würde (vgl. zu diesem Erfordernis eines Ursachenzusammenhangs zwischen Mängeln des Planfeststellungsbeschlusses und der Eigentumsbetroffenheit BVerwG, Urteil vom 18. März 1983 – BVerwG 4 C 80.79 – BVerwGE 67, 74 ≪77≫).
Entsprechendes gilt im Hinblick auf die von der Klägerin mit dem Hilfsantrag 9 geforderte sachverständige Überprüfung der Qualität eines vorhabenbetroffenen Waldbestandes als “historischer alter Waldstandort”. Mit der Begründung des angefochtenen Urteils (UA S. 27), weshalb das Gericht angesichts der näheren Bewertung dieses Waldbestandes im Landschaftspflegerischen Begleitplan die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens für entbehrlich hielt, setzt sich die Beschwerde nicht auseinander. Ein Aufklärungsmangel ist damit auch insoweit nicht dargetan (zum grundsätzlichen Ermessen des Tatsachengerichts zur Einholung weiterer Auskünfte oder Sachverständigengutachten vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. Juni 1999 – BVerwG 9 B 81.99 – Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 302).
7. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht im Anschluss an die Bestimmung des Streitwerts durch das Oberverwaltungsgericht auf § 52 Abs. 1, § 47 Abs. 1 und 3 GKG.
Unterschriften
Dr. Storost, Vallendar, Prof. Dr. Eichberger
Fundstellen