Verfahrensgang
Sächsisches OVG (Beschluss vom 06.11.2003; Aktenzeichen 4 B 451/03) |
Tenor
Die Beschwerde der Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluss des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 6. November 2003 wird zurückgewiesen.
Die Beigeladene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Berufungsgericht hat die nicht innerhalb der Berufungsfrist erhobene Berufung der Beigeladenen zu Recht gemäß § 125 Abs. 2 Satz 1 VwGO als unzulässig verworfen und die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist gemäß § 60 VwGO zutreffend verneint. Der von der Beigeladenen geltend gemachte Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) liegt daher nicht vor.
1. Das mit einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung versehene Urteil des Verwaltungsgerichts vom 6. März 2003 ist der Beigeladenen laut Empfangsbekenntnis am 25. April 2003 zugestellt worden. Die Berufungsschrift der Beigeladenen vom 6. Juni 2003 ist am 10. Juni 2003 – verfristet – beim Verwaltungsgericht eingegangen.
Das Oberverwaltungsgericht hat der Beigeladenen die begehrte Wiedereinsetzung im Wesentlichen mit der Begründung versagt, sie habe zwar vorgetragen, dass die Vertreterin der erkrankten Leiterin der Rechtsstelle im Sozialamt der Beigeladenen, welche das Empfangsbekenntnis unterschrieben hatte, zusätzlich zu ihren normalen Aufgaben über das normale Maß in Anspruch genommen gewesen sei, so dass sie versehentlich vergessen habe, den Zeitpunkt der Zustellung des angefochtenen Urteils zu vermerken; auch sei aus diesem Grunde eine – sonst übliche – Rücksprache mit dem Bereich Recht über das weitere Vorgehen hinsichtlich des Urteils nicht erfolgt. Dem Wiedereinsetzungsantrag vom 20. Juni 2003 seien jedoch bereits die näheren Umstände nicht zu entnehmen, die zu der übermäßigen Inanspruchnahme geführt hätten. Zudem habe die Beigeladene mit ihrem Wiedereinsetzungsantrag nicht dargetan, welche organisatorischen Maßnahmen von Seiten der Behördenleitung getroffen worden seien, um nachteiligen Folgen einer Arbeitsüberlastung der Mitarbeiter wie im vorliegenden Vertretungsfall zu begegnen.
2. Die hiergegen erhobenen Einwendungen der Beigeladenen greifen nicht durch, weil sie ein Organisationsverschulden auf Seiten der Beigeladenen im Zusammenhang mit der Sicherstellung der Beachtung von Rechtsmittelfristen nicht ausschließen, im Gegenteil sogar nahe legen. Wie im Falle einer Prozessvertretung durch Rechtsanwälte fällt auch einer Behörde ein die Sorgfaltspflichten im Rahmen der Prozessführung verletzendes Organisationsverschulden zur Last, wenn sie nicht durch allgemeine Anweisungen dafür Sorge trägt, dass der Ablauf von Rechtsmittelfristen zuverlässig rechtzeitig bemerkt wird (zu den Anforderungen an behördliche Vorkehrungen zur Sicherstellung der Einhaltung von Rechtsmittelfristen vgl. Bundesverwaltungsgericht, Beschlüsse vom 22. Dezember 2000 – BVerwG 11 C 10.00 – Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 237 und vom 31. Januar 2000 – BVerwG 1 C 21.99 – Buchholz a.a.O. Nr. 232).
Die von der Beigeladenen in den Schriftsätzen vom 20. Juni und 18. August 2003 zur Begründung des Wiedereinsetzungsgesuchs vorgetragenen Umstände reichen zur Glaubhaftmachung, dass sie kein Organisationsverschulden hinsichtlich der Versäumung der Berufungsfrist trifft, nicht aus. Nach dem Vorbringen der Beigeladenen und ausweislich der Eingangsstempel ist das Urteil des Verwaltungsgerichts am 23. April 2003 im Büro des Oberbürgermeisters eingegangen und über den Bereich Recht – dessen Einbeziehung, nach Angaben der Beigeladenen “in Fällen wie dem vorliegenden, bei denen Vertretung durch Volljuristen bzw. Diplomjuristen zwingend vorgeschrieben ist”, absprachegemäß vorgesehen ist, bei dem das vorliegende Verfahren aber nicht registriert gewesen sei – zum Bereich “Soziales” gelangt, wo es unter dem 25. April 2003 mit einem handschriftlichen Vermerk (“Rechtliche Würdigung? 3128 Ich bitte um rechtliche Würdigung; Beigeladene … Praxis z.T. anders. Absprache mit Rechtsamt erforderlich”) an die dortige Rechtsstelle weitergeleitet worden ist. Nach dem Vorbringen der Beigeladenen (Schriftsätze vom 20. Juni und 18. August 2003) war dort in Vertretung der erkrankten Leiterin der Rechtsstelle eine andere Mitarbeiterin damit beauftragt, “die eingehende Post entgegen zu nehmen und entweder selbst zu bearbeiten oder an weitere Mitarbeiter zu verteilen oder auch den Bereich Recht mit einzubeziehen”; die gebotene Rücksprache mit dem Bereich Recht zur Frage der weiteren Vorgehensweise sei – wie sonst bei der Verhinderung der Leiterin der Rechtsstelle üblich – nicht erfolgt, da der Vertreterin, bei der es sich um keine gemäß § 67 Abs. 1 Satz 3 VwGO vertretungsberechtigte Person gehandelt habe, für deren Verschulden die Behörde entsprechend § 85 Abs. 2 ZPO einstehen müsste, im vorliegenden Fall “weder die Auswirkungen des Urteils in vollem Umfang noch die Möglichkeit der Berufungseinlegung durch die Beigeladene bewusst” gewesen seien. Die Vertreterin hat danach das Empfangsbekenntnis unterschrieben und zurückgeschickt, dies aber – überlastungsbedingt – versehentlich nicht auf dem Urteil vermerkt. In der Folge ist – davon muss mangels weiterer Angaben über den Geschäftsgang ausgegangen werden – die Sache bis zur Rückkehr der Leiterin der Rechtsstelle des Bereiches Soziales und der schließlichen Einschaltung des Bereichs Recht am 27./28. Mai 2003 liegen geblieben; der nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts am 26. Mai 2003 eingetretene Ablauf der Rechtsmittelfrist blieb bis zur Übermittlung des Empfangsbekenntnisses durch das Verwaltungsgericht am 11. Juni 2003 unentdeckt (vgl. Schriftsatz vom 20. Juni 2003).
Diese Darlegung des Geschäftsganges lässt erkennen, dass innerhalb der Behörde keine besonderen Vorkehrungen getroffen worden sind, um einem Fristversäumnis vorzubeugen. Seitens der Beigeladenen ist nichts dafür vorgetragen, dass bei Eingang des Fristen auslösenden Schriftstücks im Bereich Recht oder bei der Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses im Bereich Soziales für eine Notierung der Frist gesorgt und deren Wahrung kontrolliert wurde. Es gehört jedoch zu den Aufgaben eines Prozessbevollmächtigten bzw. Behördenleiters, durch allgemeine Anweisung dafür Sorge zu tragen, dass der Ablauf von Rechtsmittelfristen zuverlässig bemerkt und vom Aktenlauf, etwaigem persönlichen Wissen einzelner Mitarbeiter und ihrer Vertrautheit mit Rechtsmitteln und Rechtsmittelfristen unabhängige Vorkehrungen (etwa durch Anlage eines Fristenbuches) getroffen werden, die eine ordnungsgemäße Wahrnehmung der Aufgaben einer Prozessvertretung gewährleisten (vgl. Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 22. Dezember 2000 – BVerwG 11 C 10.00 – a.a.O.). Die Beigeladene hat insbesondere auch nichts dafür dargetan, dass – spätestens bei der Unterzeichnung des Empfangsbekenntnisses im Bereich Soziales oder auch zu einem früheren Zeitpunkt, etwa beim Eingang fristenrelevanter Schriftstücke in dem für die prozessuale Vertretung kompetenten Bereich Recht der Beigeladenen – für die Notierung der Fristen gesorgt und deren Einhaltung kontrolliert wird (vgl. Beschluss vom 31. Januar 2000 – BVerwG 1 C 21.99 – a.a.O.). Der Umstand, dass es bei der von der Beigeladenen praktizierten Verfahrensweise bislang “noch keine Probleme gegeben” habe, schließt ein Organisationsverschulden nicht aus, denn zu den Sorgfaltspflichten einer Behörde gehört es, dass – unabhängig vom Eintritt eines Vertretungsfalles und der juristischen Qualifikation des Vertreters – ausreichende Vorkehrungen getroffen sind, dass gerichtliche Entscheidungen, welche fristgebundene Prozesshandlungen auslösen können, den prozessführenden Beamten bzw. die zur Prozessführung zuständige Stelle erreichen und die Frist bei der Zustellung notiert und ausreichend überwacht wird. Das Unterlassen ausreichender organisatorischer Maßnahmen zur Sicherstellung eines Fristversäumnisse nach Möglichkeit ausschließenden Geschäftsgangs stellt ein Verschulden der Zustellungsadressaten dar und schließt die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Für die Beigeladene bedeutet dies, dass sichergestellt sein muss, dass die für die Prozessführung zuständige Stelle dem jeweiligen Fachbereich nicht nur auf Anfrage zur Verfügung steht, sondern dass fristenrelevante Vorgänge dort – unabhängig von Vertretungsfällen in den Fachbereichen – auch rechtzeitig vorgelegt werden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Gerichtskostenfreiheit auf § 188 Satz 2 VwGO.
Unterschriften
Dr. Säcker, Schmidt, Dr. Franke
Fundstellen