Entscheidungsstichwort (Thema)
Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde. Neuregelung der Grundsatzzulassung. intertemporales Prozessrecht
Leitsatz (amtlich)
Ist die Entscheidung des Beschwerdegerichts vor dem 1. Januar 2005 verkündet oder zugestellt worden und lief zu diesem Zeitpunkt die Frist für die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde noch, so sind die – namentlich in Bezug auf die Statthaftigkeit der Grundsatzrüge – günstigeren Bestimmungen in Art. 7 des Anhörungsrügengesetzes vom 9. Dezember 2004, BGBl I S. 3220, anzuwenden.
Normenkette
NWPersVG § 79; ArbGG §§ 72, 72a, 92, 92a
Verfahrensgang
Tenor
Die Entscheidung über die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde im Beschluss des Fachsenats für Landespersonalvertretungssachen des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 1. Dezember 2004 wird aufgehoben.
Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
Gründe
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde hat Erfolg. Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen.
1. Die Beschwerde ist zulässig.
a) Die hier allein erhobene Grundsatzrüge ist statthaft. Die Beantwortung der Frage richtet sich nach den Vorschriften des Arbeitsgerichtsgesetzes über das Beschlussverfahren, die nach § 79 Abs. 2 Satz 1 NWPersVG entsprechend gelten.
Die Grundsatzrüge konnte allerdings nach § 72 Abs. 2 Nr. 1, § 92 Abs. 1 Satz 2, § 92a Satz 1 ArbGG in der bis zum 31. Dezember 2004 geltenden Fassung nur erhoben werden, wenn die Rechtssache Streitigkeiten über die Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit einer Vereinigung betraf. Darum geht es im vorliegenden Fall nicht. Nach den vorgenannten Bestimmungen in ihrer seit 1. Januar 2005 geltenden Fassung von Art. 7 des Anhörungsrügengesetzes vom 9. Dezember 2004, BGBl I S. 3220, kann die Nichtzulassungsbeschwerde nunmehr uneingeschränkt darauf gestützt werden, dass eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat. Diese Bestimmungen sind hier ungeachtet dessen anzuwenden, dass der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts am 1. Dezember 2004 verkündet und am 9. Dezember 2004 zugestellt worden ist.
aa) Wie sich aus Art. 22 Satz 2 des Anhörungsrügengesetzes ergibt, ist Art. 7 dieses Gesetzes – wie auch die allermeisten seiner sonstigen Bestimmungen – am 1. Januar 2005 in Kraft getreten. Davon sind somit auch alle Vorschriften erfasst, welche die Nichtzulassungsbeschwerde im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren neu regeln. Der Wortlaut der – durch eine Übergangsbestimmung nicht ergänzten – In-Kraft-Tretens-Bestimmung lässt es ohne Weiteres zu, die Neuregelung auf Verfahren anzuwenden, in denen wie hier die zweitinstanzliche Entscheidung zwar vor dem 1. Januar 2005 verkündet oder zugestellt wurde, die unverändert geltende Beschwerdebegründungsfrist von zwei Monaten nach § 72a Abs. 3 Satz 1, § 92a Satz 2 ArbGG aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht abgelaufen war.
bb) Durchgreifende rechtssystematische Bedenken dagegen bestehen nicht. Zwar hatte die Beschwerdebegründungsfrist in Fällen der hier in Rede stehenden Art bereits zu laufen begonnen, als die Neuregelung noch nicht galt. Da die Begründungsfrist aber bis zum Ablauf ihres letzten Tages ausgeschöpft werden kann, ist es durchaus folgerichtig, die zu diesem Zeitpunkt bereits geltenden günstigeren Bestimmungen anzuwenden.
cc) Entstehungsgeschichte sowie Sinn und Zweck der Neuregelung sprechen ebenfalls dafür. Mit ihr verfolgt der Gesetzgeber die Absicht, den Gleichklang zwischen der Zulassung der Rechtsbeschwerde durch das Beschwerdegericht (§ 72 Abs. 2 Nr. 1, § 92 Abs. 1 Sätze 1 und 2 ArbGG) und der vom Rechtsbeschwerdegericht zu bescheidenden Nichtzulassungsbeschwerde (§ 72 Abs. 2 Nr. 1, § 92a ArbGG) herzustellen, wenn eine entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat (vgl. BTDrucks 15/3706 S. 22). Da die Beschwerdegerichte bereits vor dem 31. Dezember 2004 bei grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache die Rechtsbeschwerde zuzulassen hatten – die Neufassung auch der Regelung in § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG beinhaltet keine wesentliche Veränderung des Rechtszustandes (vgl. BTDrucks 15/3706 S. 20 zu Nr. 2 Buchst. a) –, wird der angestrebte Gleichklang sofort und effektiv zum 1. Januar 2005 erreicht, wenn das Rechtsbeschwerdegericht bei noch laufender Begründungsfrist die Neuregelung anzuwenden hat. Dass der Gesetzgeber die gewünschte Harmonisierung als dringlich betrachtet hat, wird an der Begründung deutlich, die er für die parallele Neuregelung der Revisionsnichtzulassungsbeschwerde in § 72a ArbGG gegeben hat. Er hat dabei auf den bereits bestehenden Gleichklang in anderen Verfahrensordnungen hingewiesen und die bisherige Beschränkung der Nichtzulassungsbeschwerde vor allem auf tarifvertragliche Rechtsstreitigkeiten als “sachlich kaum zu rechtfertigen” bezeichnet (vgl. BTDrucks 15/3706 S. 20 zu Nr. 3 Buchst. a).
dd) Die Anwendung der Neuregelung folgt dem allgemeinen Grundsatz des intertemporalen Prozessrechts, wonach Änderungen des Verfahrensrechts mit ihrem In-Kraft-Treten grundsätzlich auch anhängige Rechtsstreitigkeiten erfassen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Juli 1992 – 2 BvR 1631, 1728/90 – BVerfGE 87, 48, 64 m.w.N.; BVerwG, Beschluss vom 11. November 2002 – BVerwG 7 AV 3.02 – Buchholz 310 § 124 VwGO Nr. 31 S. 2). Vom Erlass dem Gesetzgeber durchaus geläufiger Übergangsregelungen, wonach von der Anwendung neuen Verfahrensrechts Rechtsmittel gegen gerichtliche Entscheidungen ausgenommen sind, die vor dem Stichtag verkündet oder statt einer Verkündung zugestellt worden sind (vgl. etwa Art. 10 Abs. 1 und 2 6. VwGOÄndG vom 1. November 1996, BGBl I S. 1626; § 194 Abs. 1 und 2 VwGO i.d.F. des Änderungsgesetzes vom 20. Dezember 2001, BGBl I S. 3987), hat er im vorliegenden Zusammenhang abgesehen. Deswegen entspricht die Anwendung des neuen Verfahrensrechts dem rechtsstaatlichen Postulat der Rechtsmittelklarheit, welche das Gebot umschließt, die Regelungen über den Zugang zu Rechtsmittelgerichten für den Rechtsuchenden möglichst klar erkennbar und bestimmt zu halten (vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. August 1978 – 2 BvR 831/76 – BVerfGE 49, 148, 162; Beschluss vom 11. Juni 1980 – 1 PBvU 1/79 – BVerfGE 54, 277, 292 f.). Angesichts des im Gesetzestext deutlich erkennbar gewordenen Willens des Gesetzgebers, die Entscheidung des Beschwerdegerichts über die Zulassung der Rechtsbeschwerde und die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts über die Nichtzulassungsbeschwerde zum 1. Januar 2005 zu harmonisieren, und mangels einer abweichenden Übergangsregelung wäre es für die Rechtsuchenden im arbeitsgerichtlichen und personalvertretungsrechtlichen Beschlussverfahren schwer verständlich, wenn sie sich auch nach dem 1. Januar 2005 noch an die zuvor geltenden restriktiven Bestimmungen zur Grundsatzzulassung halten müssten.
b) Den Anforderungen an die Beschwerdebegründung nach § 72 a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1, § 92a Satz 2 ArbGG hat der Antragsteller genügt. Er hat sinngemäß die entscheidungserhebliche Rechtsfrage aufgeworfen, ob der Personalrat die Ladung einzelner Beschäftigter oder Gruppen von ihnen zu einer Besprechung mit dem Dienststellenleiter abstimmen muss oder ob es genügt, wenn er dem Dienststellenleiter die Ladung so rechtzeitig mitteilt, dass dieser Einwände erheben kann. Die Beschwerdebegründung enthält Erläuterungen dazu, weshalb nach Auffassung des Antragstellers im letztgenannten Sinne zu entscheiden ist. Weitergehende Darlegungen waren hier nicht angezeigt.
2. Die Beschwerde ist begründet. Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, weil die genannte entscheidungserhebliche Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung hat (§ 72 Abs. 2 Nr. 1, § 92 Abs. 1 Satz 2 ArbGG). Die vorliegende Rechtssache gibt dem Senat Gelegenheit, seine Rechtsprechung zum hier in Rede stehenden Fragenkreis fortzubilden (vgl. Beschluss vom 9. März 1990 – BVerwG 6 P 15.88 – BVerwGE 85, 36) und dabei etwaige Besonderheiten des nordrhein-westfälischen Personalvertretungsrechts einzubeziehen (vgl. § 39 Abs. 1 Satz 2, § 45 Abs. 2 Satz 2, § 49 Satz 2 NWPersVG).
Unterschriften
Bardenhewer, Büge, Vormeier
Fundstellen