Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Beschluss vom 31.07.2007; Aktenzeichen 14 S 1128/07) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 31. Juli 2007 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
Tatbestand
I
In dem Hauptsacheverfahren vor dem Verwaltungsgericht, das diesem Zwischenverfahren zugrunde liegt, begehrt der Kläger u.a. die Verpflichtung des Beklagten, Unterlagen des Landesamtes für Verfassungsschutz offen zu legen. Von der Einsicht in diese Dokumente erhofft sich der Kläger Erkenntnisse, die der besseren Beurteilung der Glaubwürdigkeit eines Mitangeklagten (K…) in einem Strafverfahren dienen, dessen Aussage den Kläger schwer belastet hat. Der Beigeladene legte als oberste Aufsichtsbehörde i.S.d § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO nur die in seiner Sperrerklärung vom 26. Juni 2007 (Gerichtsakte Bl. 57 ff.) aufgeführten Unterlagen vor, verweigerte aber die Vorlage der übrigen Aktenstücke mit der Begründung, deren Offenlegung würde dem beklagten Land Nachteile bereiten.
Der Kammervorsitzende des Verwaltungsgerichts hat die Sache auf Antrag des Klägers dem Fachsenat des Verwaltungsgerichtshofs zur Durchführung des Verfahrens nach § 99 Abs. 2 VwGO vorgelegt. Ein Beweisbeschluss ist nicht ergangen. Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluss vom 31. Juli 2007 festgestellt, dass die Verweigerung der Vorlage der zurückgehaltenen Akten des Landesamtes für Verfassungsschutz durch den Beigeladenen rechtmäßig ist.
Mit der Beschwerde macht der Kläger sinngemäß geltend, es sei für seine Verteidigung im Strafverfahren bedeutsam, die zurückgehaltenen Akten einzusehen. Es sei nach der Aussage eines Mitarbeiters des Landesamtes für Verfassungsschutz im Strafverfahren zu erwarten, dass in diesen Akten Erkenntnisse darüber festgehalten seien, ob der Mitangeklagte K… “glaubwürdig, rechtschaffen und vertrauenswürdig sei”.
Entscheidungsgründe
II
Die Beschwerde ist unbegründet. Der angefochtene Beschluss ist im Ergebnis nicht zu beanstanden.
Nach § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO sind Behörden zur Vorlage von Urkunden und Akten an das Gericht verpflichtet, das gemäß § 100 Abs. 1 VwGO den Prozessbeteiligten Einsicht in diese Akten zu gewähren hat. Die zuständige Aufsichtsbehörde kann die Vorlage von Urkunden oder Akten und die Erteilung von Auskünften verweigern, wenn das Bekanntwerden des Inhalts dieser Urkunden oder Akten und dieser Auskünfte dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde oder wenn die Vorgänge nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach geheim gehalten werden müssen.
Der vom Kläger begehrten Feststellung der Rechtswidrigkeit der Verweigerung der Aktenvorlage steht schon entgegen, dass nach dem derzeitigen Verfahrensstand offen ist, ob die Kenntnis des Hauptsachegerichts vom Inhalt der Akten zur Entscheidung über die im Hauptsacheverfahren geltend gemachte Klage erforderlich oder entbehrlich ist.
Ob bestimmte Urkunden oder Akten überhaupt der Vorlagepflicht des § 99 Abs. 1 VwGO unterliegen, weil sie deren Voraussetzungen erfüllen, entscheidet das Gericht der Hauptsache (vgl. Beschluss vom 24. November 2003 – BVerwG 20 F 13.03 – BVerwGE 119, 229). Dies geschieht in der Weise, in der das Gericht der Hauptsache auch sonst seiner Pflicht zur Erforschung des entscheidungserheblichen Sachverhalts vom Amts wegen (§ 86 Abs. 1 VwGO) nachkommt (vgl. Beschluss vom 9. November 1962 – BVerwG 7 B 91.62 – BVerwGE 15, 132 ≪133≫). Beruft sich die Behörde auf die Geheimhaltungsbedürftigkeit von Urkunden oder Akten, muss das Gericht der Hauptsache zunächst darüber entscheiden, ob es die zurückgehaltenen Unterlagen benötigt, um den entscheidungserheblichen Sachverhalt umfassend aufzuklären. Der Antrag eines Verfahrensbeteiligten auf Entscheidung des Fachsenats im selbständigen Zwischenverfahren, ob die Verweigerung der Vorlage der Urkunden oder – wie hier – der Sperrerklärung des Beigeladenen rechtmäßig ist, setzt voraus, dass das Gericht der Hauptsache deren Entscheidungserheblichkeit bejaht hat. Für den Zwischenstreit über die Rechtmäßigkeit muss klargestellt sein, was er zum Gegenstand haben soll. Dazu bedarf es gemäß § 98 VwGO in Verbindung mit § 358 ZPO grundsätzlich eines Beweisbeschlusses des Gerichts der Hauptsache, weil die Beweisaufnahme ein besonderes Verfahren erfordert (vgl. Beschlüsse vom 24. November 2003 a.a.O. S. 230 f., vom 22. Januar 2004 – BVerwG 20 F 6.03 – juris Rn. 4, vom 27. Februar 2004 – BVerwG 20 F 18.03 –, vom 12. Januar 2006 – BVerwG 20 F 12.04 – BVerwGE 125, 40 ≪42≫). Durch die Angabe des Beweisthemas verlautbart das Gericht förmlich, dass es diese Tatsachen als erheblich ansieht. Ferner legt sich das Gericht dadurch, dass es ein positives Zwischenurteil nach § 173 VwGO i.V.m. § 303 ZPO erlässt, darauf fest, dass dem Fortgang des Verfahrens nicht das Fehlen bestimmter, streitig gewordener Sachentscheidungsvoraussetzungen entgegensteht und der Inhalt der Behördenakten nicht bereits deshalb unerheblich für die anstehende Entscheidung ist.
Einen Beweisbeschluss hat das Verwaltungsgericht nicht erlassen. Der Verwaltungsgerichtshof hat dies zwar beanstandet und zusätzlich die Entscheidungserheblichkeit der begehrten Aktenvorlage bezweifelt. Er hat den Feststellungsantrag des Klägers deswegen aber nicht abgelehnt. Er hat vielmehr festgestellt, dass die Sperrerklärung des Beigeladenen wegen der Geheimhaltungsbedürftigkeit der zurückgehaltenen Unterlagen gerechtfertigt sei. Dem ist entgegenzuhalten, dass schon die Klagebefugnis des Klägers zweifelhaft erscheint. Jedenfalls liegt es nicht auf der Hand, dass das Verwaltungsgericht für seine Entscheidung über die Aussagegenehmigung die umstrittenen Akten benötigt. Immerhin hat das Amtsgericht eine Aufklärung der früheren Tätigkeit des Mitangeklagten K… als V…-Mann für entbehrlich gehalten. Der Verwaltungsgerichtshof hätte daher nicht auf einen Beweisbeschluss oder ein Zwischenurteil des Verwaltungsgerichts über die Zulässigkeit der Klage verzichten dürfen.
Unabhängig von der Frage nach der Entscheidungserheblichkeit der umstrittenen Akten ist der angefochtene Beschluss auch aus den nachfolgenden Gründen im Ergebnis nicht zu beanstanden:
Bereitet das Bekanntwerden des Inhalts zurückgehaltener Dokumente dem Wohl des betroffenen Landes Nachteile, ist ihre Geheimhaltung ein legitimes Anliegen des Gemeinwohls (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 1999 – 1 BvR 385/90 – BVerfGE 101, 106 ≪127 f.≫; BVerwG, Beschluss vom 7. November 2002 – BVerwG 2 AV 2.02 – NVwZ 2003, 347). Ein Nachteil in diesem Sinne ist u.a. dann gegeben, wenn und soweit die Bekanntgabe des Akteninhalts die künftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden erschweren oder Leben, Gesundheit oder Freiheit von Personen gefährden würde (vgl. Beschluss vom 29. Juli 2002 – BVerwG 2 AV 1.02 – BVerwGE 117, 8 m.w.N.). Gemäß § 3 Abs. 1 LVSG ist es Aufgabe der Verfassungsschutzbehörde des Landes, Gefahren für die freiheitlich demokratische Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Länder abzuwehren. Dazu gehört es, diese Gefahren frühzeitig zu erkennen, um deren Abwehr durch die zuständigen Stellen zu ermöglichen. Dieses Ziel rechtfertigt die Geheimhaltung gewonnener verfassungsschutzdienstlicher Informationen und Informationsquellen, Arbeitsweisen und Methoden der Erkenntnisgewinnung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. Oktober 1999 a.a.O. S. 128; BVerwG, Beschluss vom 7. November 2002 a.a.O. m.w.N.). So liegt es hier. Dies hat die Durchsicht der dem beschließenden Senat vorgelegten Akten ergeben.
Unter Berücksichtigung der Geheimhaltung einerseits und der Begründungspflicht nach § 122 Abs. 2 Satz 1 VwGO andererseits (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. März 2006 – 1 BvR 2087, 2111/03 – BVerfGE 115, 205 ≪247≫) beschränkt sich der Senat auf die folgende Begründung: Die zurückgehaltenen Akten des Landesamtes für Verfassungsschutz, die den Mitangeklagten K… betreffen, sind entsprechend den Angaben des Beigeladenen in der nachgereichten Sperrerklärung vom 26. Juni 2007 Verschlusssachen unterschiedlicher Geheimhaltungsstufen. Sie enthalten persönliche Daten, schildern Verhältnisse und Eigenschaften von Informanten und machen Angaben über nachrichtendienstliche Verbindungen, über Hinweise und Informationen anderer Nachrichtendienste, über nachrichtendienstliche Hintergründe, Arbeitsmethoden und Grundsätze der Zusammenarbeit, über Dateiabfragen, über Ergebnisse interner Auswertungen und über operative Sachverhalte, insbesondere auch über den operativen Erkenntnisaustausch mit der Polizei. Würden diese Angaben Dritten zur Kenntnis gelangen, wäre die gesetzliche Aufgabenerfüllung des Landesamtes für Verfassungsschutz ernsthaft gefährdet.
Die oberste Aufsichtsbehörde hat zudem ihr Ermessen gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO ordnungsgemäß ausgeübt. Denn sie hat in der Sperrerklärung vom 26. Juni 2007 ausdrücklich das Interesse des Klägers an der Verfolgung seiner Rechte im Straf- und im Verwaltungsprozess sowie das von ihr zugunsten des Klägers unterstellte gleichgerichtete öffentliche Interesse an einer vollständigen Sachaufklärung gegen das Interesse des Landes an der Geheimhaltung der Akten abgewogen. Nicht von tragender Bedeutung war der obersten Aufsichtsbehörde die Fähigkeit des Strafgerichts, in der Hauptverhandlung einen persönlichen Eindruck von der Glaubwürdigkeit des Zeugen K… zu gewinnen. Dies ergibt sich aus ihrer Stellungnahme im Beschwerdeverfahren vom 4. Oktober 2007, die in entsprechender Anwendung des § 114 Satz 2 VwGO vom beschließenden Senat berücksichtigt werden kann.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts für das Zwischenverfahren ergibt sich aus § 52 Abs. 2 GKG.
Unterschriften
Dr. Bardenhewer, Prof. Dr. Kugele, Dr. Bumke
Fundstellen