Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Beschluss vom 14.06.2012; Aktenzeichen 2 B 379/12.NE) |
Tenor
Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 14. Juni 2012 – 2 B 379/12.NE – wird geändert. Der Bebauungsplan Nr. V 18 „Holtkamp” der Antragsgegnerin, bekannt gemacht am 7. Dezember 2011, wird bis zum rechtskräftigen Abschluss des Normenkontrollverfahrens außer Vollzug gesetzt.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Abänderungsverfahrens.
Der Streitwert wird auf 5 000 EUR festgesetzt.
Tatbestand
I
Rz. 1
Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit des am 7. Dezember 2011 bekannt gemachten Bebauungsplans Nr. V 18 „Holtkamp” der Antragsgegnerin (im Folgenden „Bebauungsplan”). Dieser setzt auf einem ca. 10,1 ha großen Areal südlich der He. Straße (Landesstraße L 778) und westlich der Ho. Straße vier sich von Osten nach Westen erstreckende Gewerbegebiete fest. In den Gewerbegebieten zulässig sind nach der textlichen Festsetzung C.2 Gewerbebetriebe aller Art, Lagerhäuser, Lagerplätze und öffentliche Betriebe sowie Geschäfts-, Büro- und Verwaltungsgebäude. Des Weiteren sind im Einzelnen genannte weitere gewerbliche Nutzungen ausnahmsweise zulässig oder ausgeschlossen. Ferner setzt der Bebauungsplan Straßenverkehrsflächen fest, und zwar teilweise auf der Ho. Straße, von der aus das Gewerbegebiet an das öffentliche Verkehrsnetz angebunden ist, und teilweise entlang der Grenze des Plangebiets (im Norden) zur He. Straße. Eine innere Erschließung der Baugebiete sieht der Bebauungsplan nicht vor. Entlang der südlichen, nördlichen und östlichen Grenze des Plangebiets sind Flächenstreifen zum Anpflanzen von Bäumen, Sträuchern und sonstige Bepflanzungen vorgesehen (im folgenden „Grünstreifen”). Nach der Begründung des Bebauungsplans ist Anlass der Planung eine private, betriebsbezogene Projektentwicklung, die der Standortsicherung eines vorhandenen arbeitsplatzintensiven Gewerbebetriebs (im folgenden „Projektträger”) dient und die nachhaltige Entwicklung des Betriebs an dem gewachsenen Standort vorsieht.
Rz. 2
Die Antragstellerin ist Eigentümerin der Hofstelle He. Straße 244/246 (Gemarkung …, Flur 18, Flurstücke 186 und 32), die östlich des Plangebiets an der Ho. Straße liegt und in der sich mehrere Wohnungen befinden. Der landwirtschaftliche Betrieb der Antragstellerin umfasst ca. 33 ha. Dazu gehört auch das ca. 2,5 ha große Grundstück Flur 41, Flurstück 27, Gemarkung …. Dieses liegt innerhalb des Plangebiets, teilweise im so bezeichneten GE 3, teilweise im GE 4. Es ist an einen Landwirt verpachtet, der es bewirtschaftet. Es wird derzeit über eine landwirtschaftliche Zu-/Ausfahrt zur He. Straße erschlossen.
Rz. 3
Den gleichzeitig mit dem Normenkontrollantrag am 21. März 2012 gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung lehnte das Oberverwaltungsgericht mit Beschluss vom 14. Juni 2012 – 2 B 379/12.NE – ab. Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 27. Mai 2013 wies es auch den Normenkontrollantrag zurück.
Rz. 4
Auf die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Nichtzulassung der Revision durch das Oberverwaltungsgericht hat der Senat mit Beschluss vom 16. Januar 2014 die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Frage zugelassen, welche Mindestfestsetzungen ein projektbezogener Angebotsbebauungsplan im Hinblick auf die nach § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB erforderliche Vollzugsfähigkeit enthalten müsse, wenn der Bebauungsplan nicht nur Grundstücke des Projektträgers erfasse. Von dem Rechtsmittel hat die Antragstellerin in zulässiger Weise Gebrauch gemacht. Über die Revision (BVerwG 4 CN 4.14) ist noch nicht entschieden.
Rz. 5
Unter dem 6. November 2014 stellte der Projektträger einen Antrag auf Erteilung eines Vorbescheides für ein Vorhaben „1. Bauabschnitt Werk III”. Danach soll praktisch der gesamte im Bebauungsplan mit GE 1 und 2 ausgewiesene Bereich überbaut werden.
Rz. 6
Die Antragstellerin hat mit Schriftsatz vom 23. Oktober 2014 ihren Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wiederholt. Sie befürchtet, auch mit Blick auf den anhängigen Vorbescheidsantrag, dass der Bebauungsplan zumindest teilweise vollzogen werden könnte und ihr dadurch schwere Nachteile für die Nutzung ihres im Plangebiet belegenen Grundstücks entstünden. Selbst wenn der Bebauungsplan im Revisionsverfahren für unwirksam erklärt würde, sei eine Erschließung ihres Grundstücks allein vom Willen und der Zustimmung des Projektträgers abhängig.
Rz. 7
Die Antragsgegnerin ist dem Antrag entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II
Rz. 8
Der Senat macht von seiner Befugnis Gebrauch, den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 14. Juni 2012 – 2 B 379/12.NE – von Amts wegen zu ändern.
Rz. 9
1. Die prozessualen Voraussetzungen für eine Entscheidung nach § 47 Abs. 6 i.V.m. § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO analog liegen vor. Danach kann das Gericht der Hauptsache (auch) Beschlüsse nach § 47 Abs. 6 VwGO jederzeit ändern oder aufheben (Ziekow, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 47 Rn. 409; Schoch, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand März 2014, § 47 Rn. 186). Der Senat ist hierfür als Gericht der Hauptsache zuständig (BVerwG, Beschluss vom 7. September 2005 – 4 B 49.05 – BVerwGE 124, 201 ≪203≫ = juris Rn. 3).
Rz. 10
2. Das Gericht der Hauptsache hat analog § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO i.V.m. § 47 Abs. 6 VwGO unabhängig von etwaigen Anträgen oder Anregungen der Beteiligten auf der Grundlage seiner Rechtserkenntnis über den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu entscheiden; es gelten insofern die gleichen Grundsätze wie für eine (Erst-)Entscheidung über einen Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO. Denn hierbei handelt es sich nicht um eine Rechtsmittelentscheidung (BVerwG, Beschluss vom 7. September 2005 – 4 B 49.05 – BVerwGE 124, 201 ≪204≫ = juris Rn. 4 m.w.N.). Bei der Beurteilung der Frage, ob die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung gegeben sind, kann das Bundesverwaltungsgericht als Revisionsgericht allerdings keine anderen Tatsachen als sie vom Oberverwaltungsgericht festgestellt worden sind, zugrunde legen, wenn – wie vorliegend – im Revisionsverfahren keine (zulässigen und begründeten) Verfahrensrügen in Bezug auf den vom Normenkontrollgericht festgestellten Sachverhalt erhoben worden sind (BVerwG, Beschluss vom 18. Mai 1998 – 4 VR 2.98 – Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 125 = juris Rn. 4).
Rz. 11
3. Nach § 47 Abs. 6 VwGO kann das Gericht auf Antrag eine einstweilige Anordnung erlassen, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten ist.
Rz. 12
Prüfungsmaßstab im Verfahren nach § 47 Abs. 6 VwGO sind, jedenfalls bei Bebauungsplänen, zunächst die Erfolgsaussichten des in der Sache anhängigen Normenkontrollantrages, soweit sich diese im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes bereits absehen lassen (ebenso Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl. 2014, § 47 Rn. 153 m.w.N.; Schoch, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand März 2014, § 47 Rn. 161 ff. ≪162≫; Dombert, in: Finkelnburg/ Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 6. Aufl. 2011, Rn. 601; Jäde, in: Jäde/Dirnberger/Weiß, BauGB, 7. Aufl. 2013, § 30 Rn. 123 ff. ≪126≫ m.w.N.; Kalb/Külpmann, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/ Krautzberger, BauGB, Stand Juli 2014, § 10 Rn. 343). Ergibt diese Prüfung, dass der Normenkontrollantrag voraussichtlich unzulässig oder unbegründet sein wird, ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht im Sinne von § 47 Abs. 6 VwGO zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus anderen wichtigen Gründen dringend geboten. Erweist sich dagegen, dass der Antrag nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO zulässig und (voraussichtlich) begründet sein wird, so ist dies ein wesentliches Indiz dafür, dass der Vollzug des Bebauungsplans bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache suspendiert werden muss. In diesem Fall kann eine einstweilige Anordnung ergehen, wenn dessen (weiterer) Vollzug vor einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren Nachteile befürchten lässt, die unter Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, betroffener Dritter und/oder der Allgemeinheit so gewichtig sind, dass eine vorläufige Regelung mit Blick auf die Wirksamkeit und Umsetzbarkeit einer für den Antragsteller günstigen Hauptsacheentscheidung unaufschiebbar ist. Lassen sich die Erfolgsaussichten des Normenkontrollverfahrens nicht abschätzen, ist über den Erlass einer beantragten einstweiligen Anordnung im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden: Gegenüberzustellen sind die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, der Normenkontrollantrag aber Erfolg hätte, und die Nachteile, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Antrag nach § 47 Abs. 1 Nr. 1 VwGO aber erfolglos bliebe. Die für den Erlass der einstweiligen Anordnung sprechenden Erwägungen müssen die gegenläufigen Interessen dabei deutlich überwiegen (Ziekow, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 47 Rn. 396), mithin so schwer wiegen, dass der Erlass der einstweiligen Anordnung – trotz offener Erfolgsaussichten der Hauptsache – dringend geboten ist.
Rz. 13
Unter Anwendung dieser Grundsätze ist der Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO vorliegend dringend geboten.
Rz. 14
a) Nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nur möglichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung wird die Revision der Antragstellerin voraussichtlich erfolgreich sein. Das angefochtene Urteil des Oberverwaltungsgerichts verstößt gegen Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO); der Bebauungsplan weist Fehler auf, die zu seiner Gesamtunwirksamkeit führen.
Rz. 15
aa) Der Bebauungsplan ist städtebaulich nicht erforderlich; er verstößt gegen § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB, jedenfalls gegen § 1 Abs. 7 BauGB.
Rz. 16
Nach § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB dürfen u.a. Bebauungspläne nur aufgestellt werden, sobald und soweit dies für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist. Das ist dann der Fall, wenn die Pläne nach der planerischen Konzeption der Gemeinde als erforderlich angesehen werden können, weil sie „objektiv vernünftigerweise geboten sind” (BVerwG, Urteil vom 22. Januar 1993 – 8 C 46.91 – BVerwGE 92, 8 ≪15 f.≫ = juris Rn. 21 m.w.N.). Ein Bebauungsplan bedarf somit einer Rechtfertigung durch städtebauliche Gründe, wobei sich Anhaltspunkte aus den Planungsleitlinien des § 1 Abs. 5 und 6 BauGB ergeben (BVerwG, Beschluss vom 18. Oktober 2006 – 4 BN 20.06 – BauR 2007, 331 = juris Rn. 8; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Juli 2014, § 1 Rn. 31, 37). Aus § 1 Abs. 5 Satz 1 BauGB folgt dabei u.a., dass eine Bebauungsplanung auf eine geordnete städtebauliche Entwicklung ausgerichtet ist und diese zu gewährleisten hat (BVerwG, Urteile vom 7. Mai 1971 – 4 C 76.68 – BRS 24 Nr. 15 = BauR 1971, 182 und vom 22. Januar 1993 – 8 C 46.91 – BVerwGE 92, 8 ≪15≫; Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, § 1 Rn. 26). Ein Bebauungsplan, der städtebauliche „Unordnung” schafft, ist nicht erforderlich (BVerwG, Beschluss vom 20. November 1995 – 4 NB 23.94 – Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 87 S. 34 = juris Rn. 13 m.w.N.; siehe auch Urteil vom 17. September 2003 – 4 C 14.01 – BVerwGE 119, 25 ≪31≫ = juris Rn. 14; ferner Ziekow, VerwArch 2006, 115 ≪121≫). Nicht erforderlich im Sinne des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB sind auch Pläne, die einer positiven Planungskonzeption entbehren und ersichtlich der Förderung von Zielen dienen, für deren Verwirklichung die Planungsinstrumente des Baugesetzbuches nicht bestimmt sind; § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB ist ferner verletzt, wenn ein Bebauungsplan, der aus tatsächlichen oder Rechtsgründen auf Dauer oder auf unabsehbare Zeit der Vollzugsfähigkeit entbehrt, die Aufgabe der verbindlichen Bauleitplanung nicht zu erfüllen vermag (BVerwG, Urteil vom 21. März 2002 – 4 CN 14.00 – BVerwGE 116, 144 ≪146 f.≫ m.w.N.). In dieser Auslegung setzt § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB der Bauleitplanung eine erste, wenn auch strikt bindende Schranke, die lediglich grobe und einigermaßen offensichtliche Missgriffe ausschließt. Sie betrifft die generelle Erforderlichkeit der Planung, nicht hingegen die Einzelheiten einer konkreten planerischen Lösung. Dafür ist das Abwägungsgebot maßgeblich, das im Hinblick auf gerichtliche Kontrolldichte, Fehlerunbeachtlichkeit und heranzuziehende Erkenntnisquellen abweichenden Maßstäben unterliegt. Deswegen kann die Abgewogenheit einer Bebauungsplanung und ihrer Festsetzungen nicht bereits zum Maßstab für deren städtebauliche Erforderlichkeit gemacht werden (zuletzt zusammenfassend: BVerwG, Urteil vom 27. März 2013 – 4 C 13.11 – BVerwGE 146, 137 Rn. 9).
Rz. 17
Nach den (bindenden) Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts weist der Bebauungsplan die Besonderheit auf, dass die Erschließung der vier Gewerbegebiete ausschließlich von Osten von der Ho. Straße aus über das Grundstück des Projektträgers erfolgen soll. Im Süden wird das Baugebiet durch einen breiten Grüngürtel begrenzt (Flächen für Maßnahmen zum Schutz, zur Pflege und zur Entwicklung von Boden, Natur und Landschaft nach § 9 Abs. 1 Nr. 20 BauGB), der das Baugebiet insofern gegenüber einem sich dort befindenden „Siek” abgrenzt. Im westlichen und nördlichen Teil des Bebauungsplans sind an den Plangrenzen Flächen zum Anpflanzen von Bäumen, Sträuchern und sonstigen Bepflanzungen (§ 9 Abs. 1 Nr. 25a BauGB) festgesetzt, im Norden zudem auf der gesamten Länge des Plangebietes eine öffentliche Verkehrsfläche zur Verbreiterung der He. Straße. Das Grundstück der Antragstellerin liegt in der Mitte des Plangebiets; es wird derzeit landwirtschaftlich genutzt und ist über eine landwirtschaftliche Ausfahrt zur He. Straße erschlossen. Wird die Verbreiterung der He. Straße durchgeführt und der Grüngürtel angelegt, wird hierdurch das Grundstück der Antragstellerin von jeglicher Erschließung abgeschnitten. Nicht nur, dass die Antragstellerin schon jetzt die im Bebauungsplan festgesetzte gewerbliche Nutzung mangels Erschließung nicht aufnehmen kann, ginge ihr dann auch die landwirtschaftliche Nutzbarkeit verloren, weil eine Zu-/Abfahrt auch über die He. Straße nicht mehr möglich wäre. Es entstünde eine nicht nutzbare „Gewerbegebietsinsel” (das gilt im Übrigen auch für das westlichste Grundstück des Plangebietes; auch dieses wäre von jeglicher Erschließung abgeschnitten), weil dem Grundstück die zur ordnungsgemäßen Benutzung notwendige Verbindung mit einem öffentlichen Weg fehlt. Eine solche Planung ist mit einer geordneten städtebaulichen Entwicklung nicht vereinbar; sie erzeugt einen städtebaulichen Missstand.
Rz. 18
Die Lösung des Problems der fehlenden Innenerschließung konnte – anders als das Oberverwaltungsgericht meint – nicht einem nachfolgenden Umlegungsverfahren vorbehalten werden. Fragen der verkehrlichen Erschließung planbetroffener Grundstücke sind im Regelfall im Bebauungsplan zu klären; denn das im Abwägungsgebot des § 1 Abs. 7 BauGB verankerte Gebot der Konfliktbewältigung verlangt, dass die vom Plan aufgeworfenen Konflikte grundsätzlich auch vom Plan selbst zu lösen sind. Ein Konflikttransfer ist nur zulässig, wenn die Durchführung der Maßnahmen zur Konfliktbewältigung auf einer nachfolgenden Stufe möglich und sichergestellt ist. Das Umlegungsverfahren ist jedoch kein Verfahren, in dem Konflikte, die im Bebauungsplan unbewältigt geblieben sind, gelöst werden können. Die Umlegung ist, wie sich aus § 45 Satz 2 Nr. 1 BauGB ergibt, eine dem Vollzug des Bebauungsplans dienende Maßnahme (vgl. BGH, Urteil vom 12. März 1987 – III ZR 29/86 – BGHZ 100, 148 ≪150≫). Sie ist planakzessorisch (Breuer, in: Schrödter, BauGB, 7. Aufl. 2006, § 45 Rn. 30) und dient dazu, den Grund und Boden entsprechend den Festsetzungen des Bebauungsplans so zu gestalten, dass dessen Verwirklichung möglich ist (BT-Drs. 3/336 S. 73). Im Wege des Tauschs sollen Grundstücke, deren Lage, Form und Größe sich für eine Bebauung oder sonstige Nutzung nach Maßgabe des Bebauungsplans als ungeeignet oder unzweckmäßig erweisen, in der Weise neu gestaltet werden, dass die im Bebauungsplan festgesetzte Nutzung durchführbar ist. Auch eine Umlegung zur Bereitstellung von Verkehrsflächen kann danach nur unter der Voraussetzung zulässig sein, dass die Flächen im Bebauungsplan ausgewiesen sind (vgl. auch Dieterich, Baulandumlegung, 4. Aufl. 2000, Rn. 31).
Rz. 19
bb) Der Fehler führt voraussichtlich zur Gesamtunwirksamkeit des Bebauungsplans.
Rz. 20
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass die Unwirksamkeit einzelner Festsetzungen – nach den allgemeinen Grundsätzen über die teilweise Nichtigkeit von Gesetzen und anderen Rechtsvorschriften (vgl. auch § 139 BGB) – dann nicht zur Gesamtunwirksamkeit eines Bebauungsplans führt, wenn die übrigen Festsetzungen für sich betrachtet noch eine den Anforderungen des § 1 Abs. 3 Satz 1 BauGB gerecht werdende, sinnvolle städtebauliche Ordnung bewirken können und wenn außerdem hinzukommt, dass die Gemeinde nach ihrem im Planungsverfahren zum Ausdruck gekommenen Willen im Zweifel auch einen Plan dieses eingeschränkten Inhalts beschlossen hätte (stRspr, vgl. BVerwG, Urteil vom 19. September 2002 – 4 CN 1.02 – BVerwGE 117, 58 ≪61≫; Beschluss vom 24. April 2013 – 4 BN 22.13 – BRS 81 Nr. 77 = juris Rn. 3).
Rz. 21
Gemessen an diesen Grundsätzen ist von der Gesamtunwirksamkeit des verfahrensgegenständlichen Bebauungsplans auszugehen. Eine bloße Teilunwirksamkeit scheidet jedenfalls deshalb aus, weil dann ein Planungstorso zurück bliebe. Es entstünde ein nach Westen offenes Gewerbegebiet; ebenso würden die festgesetzten „Grünstreifen” unvermittelt an der Grenze zum Grundstück der Antragstellerin enden. Gleiches gilt für die vorgesehene Verbreiterung der He. Straße, die unvermittelt hinter dieser Grundstücksgrenze beginnen würde, westlich davon aber auf die vorhandene Breite festgeschrieben wäre. Ein solcher Planungstorso kann keine sinnvolle städtebauliche Ordnung bewirken.
Rz. 22
b) Der Erlass einer einstweiligen Anordnung ist auch i.S.v. § 47 Abs. 6 VwGO dringend geboten. Die Antragstellerin hat glaubhaft dargelegt, dass der Projektträger zwischenzeitlich einen Antrag auf Erteilung eines Vorbescheides beim Kreis H. gestellt hat. Auch wenn in diesem Antrag – nach Aktenlage – keine Fragen formuliert wurden (vgl. § 71 Abs. 1 BauO NRW), ist anhand der diesem beigefügten Pläne davon auszugehen, dass (mindestens) die bauplanungs-rechtliche Situation geklärt werden soll. Mit Erlass des Vorbescheides steht die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens des Projektträgers unabhängig vom Ausgang des Revisionsverfahrens über die Wirksamkeit des Bebauungsplans fest, weil nachbarschützende Vorschriften durch den Vorbescheid voraussichtlich nicht verletzt wären und der Vorbescheid von der Antragstellerin daher nicht mit Erfolg angefochten werden könnte. Aufgrund der dem Senat vorliegenden Pläne für das den Gegenstand des Vorbescheidverfahrens bildende Vorhaben stünde dann aber auch fest, dass das Grundstück der Antragstellerin (Flur 41, Flurstück 27), das im Bebauungsplangebiet liegt, nicht mehr über die Ho. Straße erschlossen werden kann. Da eine Erschließung über die He. Straße nach den Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts von der Antragsgegnerin ausdrücklich ausgeschlossen wurde, wäre damit das Grundstück der Antragstellerin nicht erschlossen bzw. nicht erschließbar. Damit könnten vollendete Tatsachen entstehen, die den von der Antragstellerin nachgesuchten Rechtsschutz leerlaufen ließen. Eine solche Situation erfordert den Erlass der beantragten einstweiligen Anordnung (vgl. Dombert, in: Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 6. Aufl. 2011, Rn. 551 m.w.N.).
Rz. 23
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 1 GKG, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG. Dabei legt der Senat für das vorliegende Eilverfahren die Hälfte des nach Nr. 9.8.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der am 31. Mai/1. Juni 2012 und am 18. Juli 2013 beschlossenen Änderungen im Hauptsacheverfahren festzusetzenden Streitwertes zugrunde (vgl. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs).
Unterschriften
Prof. Dr. Rubel, Dr. Gatz, Dr. Decker
Fundstellen
Haufe-Index 7674174 |
BauR 2015, 968 |
ZfBR 2015, 381 |
FSt 2016, 218 |