Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Beschluss vom 09.11.2001; Aktenzeichen 4 S 2257/01) |
Tenor
Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 9. November 2001 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 4 090 EUR festgesetzt.
Gründe
Die zulässige Beschwerde ist begründet. Der angefochtene urteilsvertretende sowie Prozesskostenhilfe versagende Beschluss ist (zur Gänze) aufzuheben, weil er – nicht anders als der Beschluss vom 9. November 2001 (4 S 2256/01), über den der beschließende Senat mit Beschluss vom 17. April 2002 (BVerwG 3 B 137.01) befunden hat – unter einem Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO leidet. Deshalb ist gemäß § 133 Abs. 6 VwGO zu verfahren; der Rechtsstreit ist zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückzuverweisen.
1. Soweit der Kläger die Einlegungsfrist im Sinne des § 133 Abs. 2 VwGO sowie die Begründungsfrist im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO versäumt hat, ist ihm gemäß § 60 Abs. 1 VwGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Kläger war nämlich infolge seiner Minderbemittlung ohne Verschulden verhindert, die gesetzlichen Fristen einzuhalten, die mit der Zustellung der angefochtenen Entscheidung am 15. November 2001 in Lauf gesetzt worden sind.
Erst als Folge des bewilligenden Prozesskostenhilfe-Beschlusses vom 9. Januar 2002, der dem beigeordneten Rechtsanwalt am 21. Januar 2002 – und damit nach Ablauf beider Fristen – zugegangen ist, war der Kläger im Stande, eine sowohl den Erfordernissen des § 67 Abs. 1 Sätze 1 und 2 VwGO als auch des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügende Beschwerde anzubringen.
a) Dabei kann zunächst nicht zweifelhaft sein, dass der Klägerbevollmächtigte durch seinen mit einem Wiedereinsetzungsbegehren verbundenen Beschwerdeschriftsatz vom 25. Januar 2002, der am 1. Februar 2002 eingegangen ist, im Sinne des § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO fristwahrend (vgl. lediglich Pietzner in: Schoch u.a., VwGO, § 133 Rn. 62) und auch im Übrigen ordnungsgemäß hinsichtlich der Einlegungsfrist tätig geworden ist. Im Ergebnis gilt Entsprechendes für die Begründungsfrist:
b) Nach herrschender Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum (vgl. Pietzner a.a.O. Rn. 62 f. m.w.N.) steht einem Beschwerdeführer, der zwar bereits die Einlegungsfrist versäumt hatte, dem aber als Folge einer Bewilligung von Prozesskostenhilfe insoweit Wiedereinsetzung gewährt worden ist, eine mit der Zustellung des Wiedereinsetzungsbeschlusses laufende (weitere) Frist von einem Monat zur Beschwerdebegründung zu. Ob dieser Auffassung in allen Fällen zu folgen ist, kann dahinstehen, weil der beschließende Senat von einer gesonderten Wiedereinsetzung in die Einlegungsfrist abgesehen hat und der Klägerbevollmächtigte die in einem solchen Fall zu erfüllenden Mindestanforderungen gewahrt hat.
In Fällen der vorliegenden Art muss nämlich einem im Prozesskostenhilfeverfahren erfolgreichen Rechtsmittelführer die vollständige Begründungsfrist im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO verbleiben, wobei die Frist von zwei Monaten für die Begründung mit der Zustellung der PKH-Bewilligung zu laufen beginnt. Diese Frist kann ein solcher Beschwerdeführer beanspruchen, um keinen unzulässigen Nachteil gegenüber bemittelten Rechtsbehelfsführern (vgl. im Einzelnen nachfolgend 2. b) erleiden zu müssen (vgl. die tragenden Gründe im Beschluss vom 18. März 1992 – BVerwG 5 B 29.92 – Buchholz 310 § 133 n.F. VwGO Nr. 3 m.w.N.; s. ferner Pietzner a.a.O. Rn. 63). Denn wenngleich es einem im Wege der PKH-Bewilligung beigeordneten Rechtsanwalt regelmäßig zumutbar ist, innerhalb der zweiwöchigen Frist des § 60 Abs. 2 Satz 1 VwGO selbst dann eine ordnungsgemäße Beschwerdeeinlegung nachzuholen, wenn er erstmals durch die PKH-Bewilligung mit dem Verfahren befasst worden sein sollte, gilt Entsprechendes nicht für die ordnungsgemäße Nachholung einer Beschwerdebegründung. Vielmehr ist einem solchen Bevollmächtigten jedenfalls dann, wenn er – wie im Streitfall – nicht durch eine bezüglich der Beschwerdeeinlegung positive Wiedereinsetzungsentscheidung auf die vorstehend dargelegte Monatsfrist ab Wiedereinsetzung aufmerksam gemacht worden ist, die – gerechnet von der Zustellung der PKH-Bewilligung – gleiche Frist für Überlegungen, Beratungen und das Abfassen eines Begründungsschriftsatzes zuzubilligen, wie sie dem gewöhnlichen Bevollmächtigten nach Kenntnisnahmemöglichkeit von den Gründen der angefochtenen Entscheidung nach deren Zustellung zusteht.
Daher sind sowohl der mit einem Wiedereinsetzungsbegehren verbundene Beschwerdeschriftsatz des Bevollmächtigten vom 1. Februar 2002 als auch der Begründungsschriftsatz vom 14. März 2002, der am gleichen Tage eingegangen ist, mit Blick auf die am 21. Januar 2002 zugestellte PKH-Bewilligung als im vorstehenden Verständnis fristwahrend zu beurteilen.
2. Die Beschwerde ist auch begründet. Zu Recht macht sie geltend, dass der Verwaltungsgerichtshof die Klage nicht als unzulässig hätte abweisen dürfen, sondern das Verfahren an das erstinstanzliche Verwaltungsgericht hätte verweisen müssen (§ 83 VwGO i.V.m. § 17 a Abs. 2 GVG). Von dieser prozessrechtlich ungenügenden Verfahrensweise wird auch die zeitgleich tenorierte Versagung der Prozesskostenhilfe erfasst, sodass ihre Aufhebung trotz ihrer fehlenden isolierten Anfechtbarkeit angezeigt ist.
a) Allerdings kann nicht ernstlich die Richtigkeit der Annahme des Verwaltungsgerichtshofs in Zweifel gezogen werden, seine erstinstanzliche Zuständigkeit sei für das Klagebegehren des Klägers ersichtlich nicht gegeben (§§ 45, 47 und 48 VwGO). Nach den Gründen des angefochtenen Beschlusses begehrt der Kläger – ähnlich wie im vorgenannten Parallelverfahren, über das durch den Beschluss vom 17. April 2002 (BVerwG 3 B 137.01) befunden worden ist – Rechtsschutz gegenüber Handlungen eines bei einem erstinstanzlichen Gericht der Verwaltungsgerichtsbarkeit tätigen Gerichtsamtsmanns, der ihm nach dem Klägervorbringen den Zugang zur dortigen Bibliothek verwehrt haben soll. Dieser Umstand rechtfertigt es jedoch – entgegen der ursprünglichen Annahme des Klägers – nicht, die erste Instanz zu übergehen und den Verwaltungsgerichtshof mit einer Klage anzurufen. Folglich hat der Verwaltungsgerichtshof zu Recht seine Zuständigkeit verneint und diejenige des Verwaltungsgerichts bejaht.
Im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend ist auch die Annahme des Verwaltungsgerichtshofs, dass eine Klage, die nicht dem in § 67 Abs. 1 VwGO normierten Vertretungserfordernis entspricht, regelmäßig mangels Postulationsfähigkeit des Klägers als unzulässig zu verwerfen ist (vgl. – allerdings für erhobenen Rechtsbehelf – Beschluss vom 31. März 1976 – BVerwG IV C 72 – 74.75 – Buchholz 310 § 143 VwGO Nr. 2). Indessen hätte der Verwaltungsgerichtshof erkennen müssen, dass es gemäß § 17 a Abs. 2 Satz 1 GVG sowie aus Gründen des Gebots effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) geboten gewesen wäre, den Rechtsstreit an das zuständige Verwaltungsgericht zu verweisen, womit zugleich das vom Verwaltungsgerichtshof neben seiner fehlenden Zuständigkeit für maßgeblich gehaltene Hindernis fehlender Postulationsfähigkeit behoben gewesen wäre:
b) aa) Das Grundrecht des Art. 19 Abs. 4 GG gewährleistet jedem, der behauptet, durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt zu sein, den Rechtsweg zu den Gerichten. Die nähere Ausgestaltung dieses Rechtsweges bleibt dabei der jeweiligen Prozessordnung überlassen. Sie darf die Beschreitung des Rechtsweges nicht in einer unzumutbaren, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigenden Weise erschweren und darf eine wirksame gerichtliche Kontrolle nicht verhindern (vgl. BVerfGE 78, 88 ≪99≫ m.w.N.). Nichts anderes gilt für die Anwendung und Auslegung der jeweiligen Bestimmungen durch die Gerichte.
Namentlich gebietet Art. 19 Abs. 4 GG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 GG (sowie i.V.m. dem Rechtsstaatsgrundsatz), dass Vorkehrungen getroffen werden, die auch Unbemittelten – wie dem Kläger – einen weitgehend gleichen Zugang zum Gericht ermöglichen (vgl. BVerfGE 81, 347 ≪356 f.≫ m.w.N. sowie Kammerbeschluss vom 10. August 2001 – 2 BvR 569/01 – DVBl 2001, 1748 ff.). Dem trägt die Rechtsordnung u.a. dadurch Rechnung, dass zwar für ein Prozesskostenhilfebegehren, wie es der Kläger beim Verwaltungsgerichtshof angebracht hat, keine Prozesskostenhilfe gewährt werden kann, aber für das Prozesskostenhilfebewilligungs-Verfahren sogar vor den Rechtsmittelgerichten kein Vertretungszwang besteht, so dass der Unbemittelte immer ohne anwaltlichen Beistand die von ihm begehrte Prozesskostenhilfe-Bewilligung erstreiten kann (vgl. Beschlüsse vom 22. August 1990 – BVerwG 5 ER 639 und 640.90 – Buchholz 310 § 166 VwGO Nr. 21 m.w.N.).
bb) Hätte hiernach für den Verwaltungsgerichtshof bereits Anlass zur Prüfung bestanden, ob aufgrund des zulässigerweise ohne anwaltliche Vertretung gestellten Prozesskostenhilfeantrags des Klägers mit Blick hierauf eine Verweisung an das erstinstanzliche Gericht in Betracht zu ziehen war (vgl. etwa Ortloff, in: Schoch u.a., VwGO, § 83 Rn. 27; Redeker/von Oertzen, VwGO, 13. Aufl., § 166 Rn. 5; jeweils m.w.N. auch der Gegenmeinung), damit zumindest über das Prozesskostenhilfebegehren das für das Hauptsacheverfahren zuständige Gericht als Gericht i.S.d. Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG entscheiden konnte, anstatt den Antrag zeitgleich mit der getroffenen Entscheidung in der Hauptsache und mit gleicher Begründung abzulehnen, so stellt es auch unabhängig davon eine unrichtige gerichtliche Verfahrensweise dar, das Hauptsacheverfahren nicht an das zuständige Verwaltungsgericht zu verweisen, sondern die Klage als unzulässig abzuweisen (vgl. Beschluss vom 5. Februar 2001 – BVerwG 6 B 8.01 – Buchholz 300 § 17 a Nr. 18 S. 4 m.w.N.; vgl. auch BSG, Urteil vom 12. Mai 1998 – B 5 RJ 6/98 R – SozR 3-1500 § 51 SGG Nr. 23 S. 55). Dabei kann offen bleiben, ob die Vorgehensweise des Verwaltungsgerichtshofs dann als zulässig in Betracht zu ziehen wäre, wenn eine Verweisung etwa wegen eines gesetzlich angeordneten Vertretungszwangs für Prozesshandlungen vor dem Gericht, an das verwiesen wird, ebenfalls zu dem Ergebnis fehlender Postulationsfähigkeit und damit zu einem Prozessurteil führen müsste, weil im Streitfall mit einer Verweisung dieses aus der Sicht des Verwaltungsgerichtshofs weitere, einem Erfolg des Klägers entgegenstehende Hindernis entfallen wäre:
(1) Ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entspricht es, dass mittels eines Verweisungsbeschlusses nach Maßgabe von § 83 VwGO i.V.m. §§ 17 ff. GVG nicht nur ein örtlich zuständiges anderes Gericht der Verwaltungsgerichtsbarkeit bzw. eines anderen Gerichtszweiges bestimmt werden kann, sondern auch innerhalb der Verwaltungsgerichtsbarkeit das instanziell zuständige Gericht (vgl. grundlegend Beschluss vom 13. Februar 1964 – BVerwG VIII C 383.63 – BVerwGE 18, 53 ≪58≫ m.w.N., für instanzielle Unzuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts und Verweisung an das Berufungsgericht). Hieran ist auch und gerade in Ansehung der zwischenzeitlich erfolgten Veränderungen des Gerichtsverfassungsrechts festzuhalten; insbesondere aus dem Umstand, dass § 17 a Abs. 2 Satz 1 GVG die Verweisung auch ohne Antrag und von Amts wegen vorsieht, ist als Gesetzeszweck abzuleiten, dass Gründe der Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung sowie die Rücksicht darauf, dass Verfahrensbeteiligte nicht Opfer von Zuständigkeitsstreiten werden (vgl. BTDrucks 11/7030 S. 12 und 37), eine zugleich möglichst aufwandlose sowie den Geboten des Art. 19 Abs. 4 GG entsprechende Verweisungspraxis fordern. Zu Recht wird daher im Schrifttum davon gesprochen, dass das angerufene unzuständige Gericht den Rechtsstreit verweisen muss (vgl. Wolf, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 2. Aufl., § 17 a GVG Rn. 13).
(2) Ob von diesem Gebot bei trotz einer Verweisung absehbaren sowie unbehebbaren Erfolgshindernissen für das Begehren Ausnahmen zuzulassen sind, bedarf keiner Erörterung. Jedenfalls in der hier vorliegenden Konstellation, die dadurch gekennzeichnet ist, dass die Gründe, die nach Auffassung des angerufenen Gerichts bei ihm – alternativ oder kumulativ – einem Erfolg der Klage zwingend entgegenstehen (hier: instanzielle Unzuständigkeit sowie fehlende Postulationsfähigkeit), in dem Verfahren vor dem ermittelbaren zuständigen Gericht keine Rolle mehr spielen, geht zur Überzeugung des beschließenden Senats mit der gesetzlich vorgesehenen Möglichkeit einer Verweisung von Amts wegen auch ein entsprechendes, von Art. 19 Abs. 4 GG verstärktes Gebot einher. Es gibt dann nämlich keinen im vorstehend dargelegten Verständnis rechtfertigenden sachlichen Grund dafür, einem Kläger die weitere Beschreitung des Rechtswegs durch ein Prozessurteil zu verwehren, anstatt sie ihm durch eine Verweisung an das zuständige Gericht zu ermöglichen.
cc) Dem könnte im Streitverfahren auch nicht entgegengehalten werden, es sei Sache der Partei gewesen, entweder von Anfang an das zuständige Gericht anzurufen oder jedenfalls auf den Hinweis des Verwaltungsgerichtshofs (vom 12. Oktober 2001) hinsichtlich der Unzulässigkeit der erhobenen Klage entsprechend zu reagieren. Denn weder war der Kläger aufgrund einer – naturgemäß nicht – erteilten Rechtsmittelbelehrung ohne weiteres in der Lage, von sich aus das zuständige Gericht zu ermitteln, noch war es ihm als Unbemitteltem zumutbar, sich insoweit sogleich anwaltlicher Hilfe zu versichern, noch war es ihm zumindest vor einer Entscheidung über seinen Prozesskostenhilfeantrag zumutbar, die Klage zurückzunehmen und damit ein nicht unerhebliches Kostenrisiko zu übernehmen.
Es bedarf – nicht anders als im vorgenannten Parallelverfahren – als selbstverständlich keiner Ausführungen dazu, dass mit dem vorliegenden Beschluss keine Beurteilung der Erfolgsaussichten der Klage des Klägers verbunden ist.
Unterschriften
Prof. Dr. Driehaus, van Schewick, Dr. Brunn
Fundstellen