Leitsatz (amtlich)
Zu den Anforderungen an die Rüge eines Ermittlungs- oder Bewertungsfehlers nach § 215 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB.
Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 22.10.2018; Aktenzeichen 8 S 647/13) |
Gründe
Rz. 1
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beschwerde beimisst.
Rz. 2
Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. Daran fehlt es hier.
Rz. 3
1. Die Beschwerde hält für grundsätzlich klärungsbedürftig,
ob ein Antragsteller eine Rüge gemäß § 215 Abs. 1 Satz 1 BauGB auch dann vollständig erneut schriftlich ausformulieren muss, wenn er für die Gemeinde ersichtlich an denjenigen Rügen festhält und diese weiter verfolgt, die er bereits im Zuge der Offenlage des Bebauungsplans detailliert schriftlich geltend gemacht hat, oder ob es nicht in diesem Fall ausreichend ist, wenn die Gemeinde aus dem innerhalb der Jahresfrist erfolgten schriftlichen Vorbringen des Antragstellers erkennen kann, dass dieser an seinen im Zuge der Offenlage schriftlich geäußerten Bedenken weiterhin festhält und die dort angeführten Mängel weiterhin rügt,
und
ob eine Bezugnahme eines Antragstellers auf in der hinreichenden Konkretheit und Substantiiertheit im Zuge der Offenlage erhobene Einwände dem Rügeerfordernis nach § 215 Abs. 1 Satz 1 BauGB genügt, wenn für die Gemeinde und für den objektiven Leser erkennbar ist, dass eben diejenigen Fehler weiterhin gerügt werden, die bereits Gegenstand der vorherigen erhobenen Einwände waren.
Rz. 4
Die Fragen führen nicht zur Zulassung der Revision. Auf sie lässt sich - soweit sie überhaupt einer über den konkreten Einzelfall hinausgehenden Antwort zugänglich sind - auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation antworten, ohne dass es der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf (stRspr, vgl. etwa BVerwG, Beschlüsse vom 28. Mai 1997 - 4 B 91.97 - NVwZ 1998, 172, vom 24. August 1999 - 4 B 72.99 - BVerwGE 109, 268 ≪270≫, vom 23. Januar 2003 - 4 B 79.02 - Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 114 und vom 16. Juli 2019 - 4 B 9.19 - juris Rn. 4).
Rz. 5
Unbeachtlich wird nach § 215 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB u.a. eine nach § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB beachtliche Verletzung der aus § 2 Abs. 3 BauGB folgenden Verpflichtung der Gemeinde, bei der Aufstellung eines Bauleitplans die Belange, die für die Abwägung von Bedeutung sind, zu ermitteln und zu bewerten, wenn sie nicht innerhalb eines Jahres seit Bekanntmachung der Satzung, hier eines Bebauungsplans, schriftlich gegenüber der Gemeinde unter Darlegung des die Verletzung begründenden Sachverhalts geltend gemacht worden ist. Dabei verlangt § 215 Abs. 1 Satz 1 BauGB Substantiierung und Konkretisierung. Der Gemeinde soll durch die Darlegung die Prüfung ermöglicht werden, ob Anlass besteht, in eine Fehlerbehebung einzutreten ("Anstoßfunktion" der Rüge; vgl. Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand Mai 2019, § 215 Rn. 34). Darüber hinaus wird durch die schriftliche Darlegung der Kreis der präkludierten Rügen bestimmt (BVerwG, Beschluss vom 19. Januar 2012 - 4 BN 35.11 - ZfBR 2012, 261 = juris Rn. 4). Das schließt eine nur pauschale Rüge aus (BVerwG, Beschlüsse vom 8. Mai 1995 - 4 NB 16.95 - Buchholz 406.11 § 244 BauGB Nr. 1, vom 19. Januar 2012 a.a.O. und vom 16. Dezember 2014 - 4 BN 25.14 - ZfBR 2015, 270 Rn. 6).
Rz. 6
Bei der Rüge von Ermittlungs- und Bewertungsmängeln im Sinne von § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 3 BauGB ist es erforderlich, dass die Belange, die nach Ansicht des Rügenden nicht oder nicht ausreichend ermittelt bzw. nicht oder nicht zutreffend bewertet worden sind, mit ihrem Tatsachengehalt konkret und substantiiert dargelegt werden. Das erfordert einen Bezug zur Abwägungsentscheidung der Gemeinde. Damit wahrt eine Rüge, die lediglich pauschal auf die im Bebauungsplanverfahren erhobenen Einwendungen verweist, etwa dahingehend, dass alle Rügen aufrechterhalten werden, nicht die Frist des § 215 Abs. 1 Satz 1 BauGB, weil sie keinen Bezug zur gemeindlichen Abwägungsentscheidung herstellt und die Anstoßwirkung verfehlt. Wird im Rügeschreiben ein konkreter Ermittlungs- und Bewertungsmangel dagegen angesprochen, dann kann zur (weiteren) Substantiierung des Tatsachenvortrages auf die in einem Einwendungsschreiben insofern bereits gemachten Ausführungen verwiesen werden; deren Wiederholung im Rügeschreiben bedarf es nicht. Da sich das in Bezug genommene Einwendungsschreiben bei den Bebauungsplanakten befindet, muss es in diesem Fall auch nicht noch einmal gesondert beigefügt werden. Alles andere wäre reiner Formalismus ("copy and paste") und würde keinen zusätzlichen Erkenntnisgewinn erbringen.
Rz. 7
Die Feststellung, ob eine Rüge im konkreten Fall den dargestellten Anforderungen des § 215 Abs. 1 Satz 1 BauGB genügt, obliegt den Tatsachengerichten. Mehr ist verallgemeinernd nicht auszuführen.
Rz. 8
Von diesen Grundsätzen hat sich der Verwaltungsgerichtshof leiten lassen. Er hat mit bindender Wirkung für den Senat (§ 137 Abs. 2 VwGO) festgestellt, dass mit der Antragsschrift fristgerecht nur eine Verletzung des Abwägungsgebots (§ 1 Abs. 7 BauGB), d.h. eine unzureichende Berücksichtigung der Belange des Antragstellers, gerügt worden sei. Auf Ermittlungsfehler gerichtete Rügen (§ 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 2 Abs. 3 BauGB) ließen sich der Antragsschrift demgegenüber nicht - geschweige denn in den Anforderungen des § 215 Abs. 1 Satz 1 BauGB genügender Weise - entnehmen (UA S. 15). Die Antragsschrift beschränke sich vielmehr - auch soweit der Antragsteller auf die im Plan vorgesehene Erschließungsstraße nördlich seines Grundstücks und die Sondergebietsfestsetzung Bezug nehme - auf pauschale Angriffe gegen den streitgegenständlichen Bebauungsplan. Konkrete Verfahrensrügen könnten weder in der auf einen Abwägungsmangel zielenden Rüge der unzureichenden Einstellung, Gewichtung und Abwägung seiner Interessen noch in der pauschalen Rüge, seine Einwendungen hätten keinen Eingang in den Bebauungsplan gefunden, gesehen werden. Konkrete Fehler bei der Ermittlung des Abwägungsmaterials, zu deren Behebung die Antragsgegnerin hierdurch in die Lage versetzt würde, könnten dem nicht entnommen werden (UA S. 16).
Rz. 9
2. Die weiter für grundsätzlich bedeutsam gehaltene Frage,
ob der Hinweis auf das Unbeachtlichwerden von Abwägungsfehlern dann fehlerhaft sei, wenn - wie vorliegend - auf "Mängel in der Abwägung nach § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB" abgestellt werde,
vermag die Zulassung der Grundsatzrevision ebenfalls nicht zu rechtfertigen. Das folgt bereits daraus, dass der Verwaltungsgerichtshof die Frage der Fehlerhaftigkeit einer solchen Belehrung ausdrücklich offen gelassen (UA S. 23, 24) und das Vorliegen eines Fehlers im Abwägungsvorgang (§ 1 Abs. 7 BauGB) umfassend geprüft hat (UA S. 24 ff.). Eine Rechtsfrage, auf die die Vorinstanz nicht entscheidend abgehoben hat, kann regelmäßig - so auch hier - nicht zur Revisionszulassung nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO führen (BVerwG, Beschlüsse vom 14. November 2008 - 6 B 61.08 - Buchholz 422.2 Rundfunkrecht Nr. 47 Rn. 3, vom 5. Oktober 2009 - 6 B 17.09 - Buchholz 442.066 § 24 TKG Nr. 4 Rn. 7 und vom 4. Oktober 2013 - 6 B 13.13 - Buchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 181 Rn. 18 f.).
Rz. 10
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Fundstellen
IBR 2020, 44 |
JZ 2019, 854 |
BayVBl. 2020, 246 |
UPR 2020, 102 |