Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Urteil vom 08.05.2002; Aktenzeichen 23 B 02.30139) |
Tenor
Die Beschwerden des Beteiligten und der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 8. Mai 2002 werden zurückgewiesen.
Der Beteiligte und die Beklagte tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens je zur Hälfte.
Gründe
Die Beschwerde des Beteiligten, mit der er die Revisionszulassungsgründe der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) und der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) geltend macht, hat keinen Erfolg.
Die Beschwerde rügt zunächst, das Berufungsgericht weiche mit der Beurteilung, dass für einen aus dem Zentralirak stammenden Asylbewerber in einem vom UNHCR betreuten Flüchtlingslager im Nordirak das erforderliche Existenzminimum am Ort der inländischen Fluchtalternative nicht gewährleistet sei, von den in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hierzu entwickelten Maßstäben ab. Jedenfalls bedürften diese Fragen der grundsätzlichen höchstrichterlichen Klärung. Der Senat lässt offen, ob diese Rügen ordnungsgemäß erhoben sind und wie sie ggf. in der Sache zu bewerten sind (vgl. in diesem Zusammenhang auch Beschluss vom 31. Juli 2002 – BVerwG 1 B 128.02 – zur Veröffentlichung vorgesehen).
Denn die Beschwerde kann jedenfalls deshalb nicht zur Zulassung der Revision führen, weil das Berufungsurteil auf eine zweite, selbständig tragende Begründung gestützt ist, gegen die die Beschwerde keine durchgreifenden Zulassungsgründe geltend macht. Das Berufungsgericht hat angenommen, der Aufenthalt in einem Lager des UNHCR sei dem Kläger – unabhängig von der Frage des Existenzminimums – auch vor dem Hintergrund eines für möglich gehaltenen Wiedereinmarsches der zentralirakischen Machthaber in den Nordirak nicht zumutbar, weil der Lageraufenthalt den irakischen Behörden hinreichende Verdachtsmomente für die illegale Ausreise, den Auslandsaufenthalt und die Asylantragstellung liefere, die zu asylrelevanten strafrechtlichen Konsequenzen führen könnten (UA S. 15 f.). Die Beschwerde macht geltend, das Berufungsgericht sei bei der „durch nichts belegten” Annahme eines möglichen Wiedereinmarsches zentralirakischer Truppen in den Nordirak von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Anforderungen an die asylrechtliche Prognose abgewichen. Es habe nicht in nachprüfbarer und nachvollziehbarer Weise die Umstände offen gelegt, aus denen es nach seiner Überzeugung auf eine ernsthafte und nicht ganz fern liegende Gefahr für die Zukunft, wie sie auch beim Maßstab der hinreichenden Sicherheit vor politischer Verfolgung erforderlich sei, geschlossen habe. Damit ist eine Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO indes nicht dargetan. Die Beschwerde zeigt keinen abstrakten Rechtssatz aus der angegriffenen Entscheidung auf, mit dem sich das Berufungsgericht in Widerspruch zu den angeführten Rechtssätzen des Bundesverwaltungsgerichts gesetzt hat. So geht sie nicht auf die in diesem Zusammenhang vom Berufungsgericht in Bezug genommene eigene ständige Rechtsprechung und die hierzu zitierten Urteile ein und vermag schon aus diesem Grunde nicht darzutun, inwiefern das Berufungsgericht einen von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweichenden Rechtssatz aufgestellt haben soll. Auch mit ihren übrigen Ausführungen wendet sich die Beschwerde vor allem gegen die ihrer Ansicht nach unzureichende Überzeugungsbildung des Gerichts im Einzelfall, ohne damit einen Revisionszulassungsgrund aufzuzeigen.
Die Beschwerde der Beklagten, mit der sämtliche Revisionszulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO geltend gemacht werden, bleibt ebenfalls ohne Erfolg.
Die Beklagte rügt ähnlich wie der Beteiligte, das Berufungsgericht sei bei seiner „Hypothese” eines für möglich gehaltenen Wiedereinmarsches zentralirakischer Truppen in den Nordirak von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den Anforderungen an die asylrechtliche Prognose abgewichen. Damit ist – wie bei der Beschwerde des Beteiligten – eine Divergenz gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO nicht dargetan. Auch die Beklagte zeigt hinsichtlich dieser zweiten, selbständig tragenden Begründung keinen abstrakten Rechtssatz aus der angefochtenen Berufungsentscheidung auf, mit dem sich das Berufungsgericht in Widerspruch zu den angeführten Rechtssätzen des Bundesverwaltungsgerichts gesetzt hat. So geht sie gleichfalls nicht auf die in diesem Zusammenhang vom Berufungsgericht in Bezug genommene eigene ständige Rechtsprechung und die hierzu zitierten Urteile ein und vermag schon aus diesem Grunde nicht darzutun, inwiefern das Berufungsgericht einen von der höchstrichterlichen Rechtsprechung abweichenden Rechtssatz aufgestellt haben soll.
Die Rügen der Beklagten, die sich auf Gefahren durch das zentralirakische Regime beziehen und damit auch im Zusammenhang mit der zweiten Begründung des Berufungsgerichts stehen, greifen nicht durch. Dies gilt zunächst für die Rüge, das Berufungsgericht sei hinsichtlich des Prognosemaßstabs inzident von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abgewichen; es habe angenommen, der Kläger sei unverfolgt aus dem Zentralirak ausgereist, sei dann aber offenbar gleichwohl nicht vom Maßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit, sondern vom Erfordernis hinreichender Sicherheit ausgegangen. Dieser Vorwurf trifft nicht zu. Das Berufungsgericht ist in dem von der Beklagten angesprochenen Fragenbereich mehrfach ausdrücklich vom Prognosemaßstab der beachtlichen Wahrscheinlichkeit ausgegangen und hat sich hierbei auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bezogen (UA S. 5, 7, 9 und 11; vgl. auch UA S. 12 und 13). Wie die von der Beschwerde zitierte Passage auf S. 10 des Berufungsurteils im Einzelnen zu verstehen ist und ob das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang den von ihm herangezogenen Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts zutreffend angewendet hat, kann auf sich beruhen. Für einen ausdrücklichen oder konkludenten Rechtssatzwiderspruch ist unter den gegebenen Umständen jedenfalls nichts ersichtlich. Aus denselben Gründen geht auch der Vorwurf ins Leere, dem Berufungsurteil fehle hinsichtlich der „Nichtanwendung des beachtlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstabes” eine Begründung im Sinne des § 138 Nr. 6 VwGO. Nicht tragfähig ist schließlich der Vorwurf unzureichender Sachaufklärung bzw. fehlerhafter Überzeugungsbildung. Die Beschwerde meint, das Berufungsgericht hätte sich im Zusammenhang mit der Frage von Amnestien mit dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 20. März 2002 auseinander setzen müssen. Tatsächlich befindet sich im Berufungsurteil eine eingehende Auseinandersetzung mit diesem Lagebericht (UA S. 11; vgl. ferner UA S. 5, 6, 9, 10, 12 und 13). Die Beschwerde rügt ferner, das Berufungsgericht hätte sich mit der divergierenden Ansicht des Oberverwaltungsgerichts Koblenz auseinander setzen müssen. Auch hierzu finden sich im Berufungsurteil Ausführungen (UA S. 16 f.). Im Übrigen würde diese Rüge auch nicht auf einen Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO führen, weil damit ein Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung geltend gemacht wird, der revisionsrechtlich regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem materiellen Recht zuzuordnen ist (vgl. Beschluss vom 6. Dezember 1995 – BVerwG 9 B 525.95 – ≪juris≫).
Da die Beklagte hinsichtlich der zweiten, selbständig tragenden Begründung des Berufungsgerichts keine durchgreifenden Zulassungsgründe geltend macht, bedarf es keiner Erörterung, wie die Rügen, die sich gegen den ersten Begründungsstrang richten, zu bewerten sind. Dies gilt vor allem für die Divergenz- und die Grundsatzrüge hinsichtlich der Frage des erforderlichen Existenzminimums am Ort der inländischen Fluchtalternative. Dies gilt aber auch für die Rüge unzureichender Sachaufklärung bzw. fehlerhafter Überzeugungsbildung. Die Beschwerde meint, das Berufungsgericht hätte bei der Frage des Existenzminimums auf die abweichende Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Magdeburg eingehen müssen. Auch dieser Vorwurf trifft weder zu (vgl. UA S. 8, 10, 13, 14 und 15) noch führt er auf einen Verfahrensmangel.
Der Senat sieht von einer weiteren Begründung ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83 b Abs. 1 AsylVfG nicht erhoben. Der Gegenstandswert ergibt sich aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG.
Unterschriften
Eckertz-Höfer, Richter, Beck
Fundstellen