Entscheidungsstichwort (Thema)
Planfeststellungsfiktion. Duldungswirkung. nachträgliche Schutzansprüche. aktiver und passiver Lärmschutz. (Teil-)Widerruf des Planfeststellungsbeschlusses. Gesundheitsbeeinträchtigung
Leitsatz (amtlich)
Die Planfeststellungsfiktion des § 71 Abs. 2 Satz 1 LuftVG erfasst auch Flugplätze, die bis zum 31. Dezember 1958 genehmigt, aber erst danach baulich hergestellt worden sind (hier: Hauptstart- und -landebahn des Flughafens Köln/Bonn).
Normenkette
LuftVG § 6 ff., § 71 Abs. 2 S. 1; VwVfG § 75 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Teilurteil vom 10.07.2003; Aktenzeichen 20 D 78/00.AK) |
Tenor
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Teilurteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 10. Juli 2003 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu je einem Drittel.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 45 000 € festgesetzt.
Gründe
Die auf § 132 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 VwGO gestützte Beschwerde ist zulässig, aber unbegründet.
1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Kläger beimessen.
a) Die Kläger halten folgende Frage für klärungsbedürftig: “Besteht für Anwohner eines fiktiv planfestgestellten Flughafens, die durch den nächtlichen Fluglärm in ihrer durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geschützten körperlichen Unversehrtheit verletzt werden, die … aus § 71 LuftVG i.V.m. § 75 Abs. 2 Satz 1 VwVfG, § 9 Abs. 3 LuftVG abgeleitete Duldungswirkung mit der Folge, dass die Anwohner allein auf nachträgliche Schutzansprüche aus § 75 Abs. 2 Sätze 2 bis 4 VwVfG i.V.m. § 9 Abs. 2 LuftVG verwiesen sind und einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über aktive Lärmschutzmaßnahmen, insbesondere in Form von Betriebsregelungen im Wege eines (Teil-)Widerrufes der Genehmigung, nicht geltend machen können?” Diese Frage lässt sich auf der Grundlage der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung unschwer beantworten, ohne dass es der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf.
Die Anwohner eines auf der Grundlage eines Planfeststellungsbeschlusses angelegten Flughafens sind unter den in § 9 Abs. 3 LuftVG bezeichneten Voraussetzungen mit Beseitigungs- oder Änderungsansprüchen gegenüber festgestellten Anlagen ausgeschlossen. Diese Duldungspflicht hat indes gegebenenfalls zurückzutreten, wenn die mit dem Anlagenbetrieb verbundenen Fluglärmimmissionen ein Ausmaß erreichen, durch das der Gewährleistungsgehalt des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG oder des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG angetastet wird. Die staatlichen Organe sind verpflichtet, sich schützend und fördernd vor Rechtsgüter zu stellen, die Verfassungsrang genießen. An der Entstehung oder der Aufrechterhaltung verfassungswidriger Zustände dürfen sie nicht mitwirken (vgl. BVerwG, Urteile vom 28. Oktober 1998 – BVerwG 11 A 3.98 – BVerwGE 107, 350 und vom 15. September 1999 – BVerwG 11 A 22.98 – Buchholz 442.40 § 8 LuftVG Nr. 17). Als eine zur Abwehr fluglärmbedingter Gesundheits- oder Eigentumsbeeinträchtigungen geeignete Maßnahme stellt sich nach § 49 VwVfG der (Teil-)Widerruf des Planfeststellungsbeschlusses dar. Von dieser für den Flughafenunternehmer einschneidenden Möglichkeit darf die Luftfahrtbehörde allerdings mit Rücksicht auf die Anforderungen, die sich aus dem ebenfalls mit Verfassungsrang ausgestatteten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergeben, nur Gebrauch machen, wenn sich der Grundrechtsverstoß nicht unter Einsatz schonenderer Mittel beseitigen lässt. Als weniger belastender Eingriff kommen nachträgliche Lärmschutzauflagen in Anwendung des § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG in Betracht. Erst wenn Lärmschutzvorkehrungen auf der Grundlage dieser Vorschrift nicht ausreichen, um dem aus der Verfassung ableitbaren Schutzanspruch gerecht zu werden, darf sich die Luftfahrtbehörde des (Teil-)Widerrufs als letzten Mittels bedienen (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Mai 1997 – BVerwG 11 C 1.96 – BVerwGE 105, 6; Beschlüsse vom 19. August 1997 – BVerwG 11 B 2.97 – Buchholz 442.40 § 9 LuftVG Nr. 8, vom 10. Oktober 2003 – BVerwG 4 B 83.03 – und vom 16. Dezember 2003 – BVerwG 4 B 75.03 – zur Veröffentlichung vorgesehen).
Dieser Regel-Ausnahme-Mechanismus kommt auch im Anwendungsbereich des § 71 Abs. 2 Satz 1 LuftVG zum Tragen. Soweit diese Vorschrift i.V.m. § 71 Abs. 1 Satz 1 LuftVG tatbestandlich eingreift, “gilt” der Flugplatz “als im Plan festgestellt”. Ein Flughafen, der dieser Regelung unterfällt, steht aufgrund der gesetzlichen Fiktion einem Flughafen gleich, für den ein Planfeststellungsbeschluss im Sinne des § 8 Abs. 1 LuftVG ergangen ist. Dies rechtfertigt es, ihn dem gleichen Rechtsregime zu unterstellen (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 24. Oktober 2000 – 1 BvR 389/00 – NVwZ-RR 2001, 209; BVerwG, Urteil vom 28. Juni 2000 – BVerwG 11 C 13.99 – BVerwGE 111, 276). Sind der (Teil-)Widerruf und Schutzvorkehrungen auf der Grundlage des § 75 Abs. 2 Satz 2 VwVfG zur Abwehr von Gefahren für grundrechtlich geschützte Rechtsgüter gleichermaßen geeignet, so gebietet der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch in den Fällen des § 71 Abs. 2 Satz 1 LuftVG vorrangig die Anordnung von Auflagen, weil der Anlagenbetreiber hierdurch weniger belastet wird. Dies bedarf nicht eigens einer Bekräftigung in einem Revisionsverfahren.
b) Auch die Frage, ob “bis zum 31. Dezember 1958 genehmigte, jedoch zu diesem Zeitpunkt noch nicht angelegte Flugplatzanlagen, mit deren Bau auch zu diesem Zeitpunkt noch nicht begonnen wurde, von der Planfeststellungsfiktion des § 71 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 LuftVG erfasst (werden)”, nötigt nicht zur Zulassung der Revision auf der Grundlage des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Wie weit die Fiktionswirkung des § 71 Abs. 2 Satz 1 LuftVG reicht, wird in der Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte freilich unterschiedlich beurteilt, ohne dass sich das Bundesverwaltungsgericht zu diesem Themenkreis eingehender geäußert hätte. Während der Hessische Verwaltungsgerichtshof (Urteil vom 2. April 2003 – 2 A 2646/01 – NVwZ-RR 2003, 729) auf dem Standpunkt steht, für die Anwendung des § 71 Abs. 2 Satz 1 LuftVG genüge es, dass bis zu dem gesetzlich festgelegten Stichtag, dem 31. Dezember 1958, überhaupt ein Flugplatz vorhanden war, der nach dem ab 1. Januar 1959 geltenden Recht der Planfeststellung bedurfte, hält es die Vorinstanz für erwägenswert, die Planfeststellungsfiktion nur auf die Anlagenteile zu erstrecken, die bis zum 31. Dezember 1958 angelegt waren. Einem weiten Verständnis des § 71 Abs. 2 Satz 1 LuftVG redet das Erstgericht allenfalls insofern das Wort, als es – wie dies im anhängigen Rechtsstreit für die Hauptstart- und -landebahn (14 L/32 R) zutrifft – auch solche Anlagenteile als “angelegt” im Sinne dieser Vorschrift ansieht, die vor dem maßgeblichen Stichtag genehmigt, aber erst nach dem 31. Dezember 1958 hergestellt wurden. Es bedarf nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens, um zu bestätigen, dass jedenfalls diese engere Sichtweise dem mit der Fiktionsregelung des § 71 Abs. 2 Satz 1 LuftVG verfolgten gesetzgeberischen Zweck entspricht.
§ 71 LuftVG wurde durch das Gesetz vom 25. August 1998 (BGBl I S. 2432) in das Luftverkehrsgesetz eingefügt. Als Vorbild diente § 2 Abs. 5 des Sechsten Überleitungsgesetzes vom 25. September 1990 (BGBl I S. 2106), der bestimmt, dass die aufgrund alliierten Rechts angelegten bzw. betriebenen Berliner Flughäfen als genehmigt und planfestgestellt im Sinne der §§ 6 bis 10 LuftVG gelten. Unmittelbarer Anlass für die Schaffung des § 71 LuftVG war das Ziel, für die in den neuen Bundesländern vorhandenen Flugplätze Rechtssicherheit zu schaffen. Fraglich war, ob die nach DDR-Recht erteilten Flugplatzgenehmigungen, die nach Maßgabe des Art. 19 des Einigungsvertrages wirksam blieben, den genehmigungs- und den planfeststellungsrechtlichen Anforderungen des Luftverkehrsgesetzes genügten, das seit dem 3. Oktober 1990 auch im Beitrittsgebiet galt (vgl. die Stellungnahme des Bundesrats zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BTDrucks 13/9513 S. 54/55). Unsicherheiten bestanden aber auch in den alten Bundesländern. Die Genehmigungs- und die Planfeststellungsregelungen, die dem heutigen Luftverkehrsrecht ihr Gepräge geben, wurden durch das Fünfte Gesetz zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes vom 5. Dezember 1958 (BGBl I S. 899) mit Wirkung ab 1. Januar 1959 eingeführt. Seit diesem Zeitpunkt ist für Flugplätze, die die in § 8 LuftVG bezeichneten Merkmale erfüllen, ein Planfeststellungsverfahren nach § 10 LuftVG erforderlich. Einige der heute genutzten Flugplätze, die nach geltendem Recht ohne Genehmigung weder angelegt noch betrieben werden dürften, wurden zu einer Zeit hergestellt, zu der sie keiner Zulassung bedurften, die den jetzigen Anforderungen der §§ 6 bis 10 LuftVG entspricht. Das mit § 71 Abs. 2 Satz 1 LuftVG verfolgte gesetzgeberische Ziel ist es, insoweit für die Flugplatzbetreiber Rechtssicherheit zu schaffen (vgl. die Stellungnahme des Bundesrats zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, a.a.O. S. 55). Dies geschieht dadurch, dass die Anlage – und die Betriebsvoraussetzungen der vor In-Kraft-Treten des heutigen Luftverkehrsgesetzes angelegten und noch heute betriebenen Flugplätze “auf eine sichere Rechtsgrundlage gestellt” werden (vgl. die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr vom 28. April 1998, BTDrucks 13/10530 S. 61). Ein anerkennenswertes Sicherungsbedürfnis erkennt der Gesetzgeber nur bei Flugplätzen an, die bis zum 31. Dezember 1958 “angelegt” wurden. Für die Zeit danach gibt es für eine Genehmigungsfiktion keinen Rechtfertigungsgrund mehr (vgl. die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, a.a.O. S. 61). Seit dem In-Kraft-Treten des Luftverkehrsgesetzes neuer Prägung ist die Situation nicht länger durch das Merkmal der Unsicherheit gekennzeichnet, das insoweit als tauglicher Anknüpfungspunkt dienen könnte. Ob ein Vorhaben zulässig ist, richtet sich nunmehr nach den §§ 6 bis 10 LuftVG. Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 LuftVG dürfen Flugplätze nur mit Genehmigung angelegt oder betrieben werden. § 6 Abs. 4 LuftVG stellt klar, dass die Genehmigung zu ergänzen oder zu ändern ist, wenn die Anlage oder der Betrieb des Flugplatzes wesentlich erweitert oder geändert werden soll. § 8 Abs. 1 Satz 1 LuftVG nennt für den Fall, dass Flughäfen oder Landeplätze mit beschränktem Bauschutzbereich nach § 17 LuftVG angelegt oder bestehende geändert werden, die Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens nach § 10 LuftVG als weitere Zulassungsvoraussetzung.
Der Gesetzgeber macht die durch § 71 Abs. 2 Satz 1 LuftVG erzeugte Stabilisierungswirkung davon abhängig, dass der Flugplatz an dem von ihm genannten Stichtag “angelegt” war. Mit diesem Tatbestandsmerkmal kennzeichnet er alle Flugplätze, die bereits zum maßgeblichen Zeitpunkt die Voraussetzungen für einen Flugbetrieb erfüllten. Zu diesem Kreis gehören auch Flughäfen, die auf der Grundlage des § 7 des Luftverkehrsgesetzes in der Fassung vom 21. August 1936 (RGBl I S. 653) genehmigt waren, unabhängig davon, ob von dieser Genehmigung vor oder nach dem in § 71 Abs. 2 Satz 1 LuftVG erwähnten Stichtag Gebrauch gemacht wurde. Denn nach der bis zum 31. Dezember 1958 gültigen Fassung des Luftverkehrsgesetzes bedurfte es für die Anlegung und den Betrieb eines Flughafens außer der in § 7 LuftVG a.F. geregelten Genehmigung keiner zusätzlichen Zulassungsentscheidung. In Anwendung dieser Bestimmung erteilte Genehmigungen wirkten auch nach dem 31. Dezember 1958 für die Maßnahmen, die ihren Regelungsgegenstand bildeten, als Rechtsgrundlage fort, ohne dass hierfür weitere Rechtsakte nach neuem Recht nötig waren. Dies kommt in Art. 2 des Fünften Gesetzes zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes vom 5. Dezember 1958 zum Ausdruck. Danach erschöpfte sich der weitere Regelungsbedarf darin, dass bei den bei In-Kraft-Treten des Gesetzes bereits genehmigten Flughäfen in entsprechender Anwendung des § 10a Abs. 1 (jetzt § 12 Abs. 1 LuftVG) innerhalb eines Jahres gegebenenfalls eine Bauschutzbereichsfestlegung nachzuholen war. Sonstige rechtliche Nachbesserungen erübrigten sich. Wenn der Wortlaut des § 71 Abs. 2 Satz 1 LuftVG nicht ausdrücklich auf die Fälle gemünzt ist, in denen bis zum 31. Dezember 1958 auf der Grundlage des § 7 Abs. 1 LuftVG a.F. Genehmigungen erteilt wurden, dann beruht dies darauf, dass der Gesetzgeber in die durch diese Vorschrift erzeugte Fiktionswirkung neben den Flughäfen, für die am 1. Januar 1959 eine Zulassungsentscheidung vorlag, vor allem auch die Flugplätze einbeziehen wollte, die aus der Zeit der Geltung des alten Luftrechts vorhanden sind, ohne jemals einem förmlichen Genehmigungsverfahren unterlegen zu haben (vgl. die Stellungnahme des Bundesrats zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, a.a.O. S. 54). In der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Verkehr, auf dessen Initiative die jetzige Fassung des § 71 Abs. 2 Satz 1 LuftVG zurückgeht, wird dieses Anliegen in aller Deutlichkeit artikuliert: “Die Neuregelung betrifft im Wesentlichen Flugplätze (in der Regel Militärflugplätze) – wie es auch in der Stellungnahme des Bundesrates zum Ausdruck kommt – die in den 30er Jahren vom Deutschen Reich angelegt wurden und die heute (zum Teil seit vielen Jahren) als zivile Flugplätze weiter betrieben werden. Diese Flugplätze bedurften nach § 7 des damals geltenden Luftverkehrsgesetzes keiner Genehmigung. Heute jedoch könnten sie ohne Genehmigung weder angelegt noch betrieben werden” (a.a.O. S. 61). Vor dem Hintergrund dieser Entstehungsgeschichte liegt auf der Hand, dass es das Tatbestandsmerkmal “angelegt” nicht verwehrt, § 71 Abs. 2 Satz 1 LuftVG so auszulegen, dass von der Fiktionswirkung auch vor dem 1. Januar 1959 genehmigte, aber erst danach auf der Grundlage dieser Genehmigung hergestellte Anlagenteile erfasst werden.
c) Bei dieser rechtlichen Ausgangslage erübrigen sich Ausführungen zur Frage, ob die “Befugnis der Luftfahrtbehörde, die Regelung des Flughafenbetriebes bei Vorliegen der Voraussetzungen von Amts wegen – regelmäßig im Wege des (Teil-)Widerrufes – einzuschränken, den Drittbetroffenen bei einer durch nächtlichen Fluglärm verursachten Gesundheitsbeeinträchtigung ein subjektives Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung über weitergehende nächtliche Betriebsbeschränkungen (gewährt)”. Ob ein Anspruch auf weitergehende nächtliche Betriebsbeschränkungen besteht, hängt, wie dargelegt, davon ab, ob sich Gesundheitsgefährdungen mit Maßnahmen abwenden lassen, die den Lufthafenunternehmer weniger als der (Teil-)Widerruf des fingierten Planfeststellungsbeschlusses belasten. Zu einer Klärung, die über diese allgemeine Aussage hinausgeht, bietet die Fragestellung keine Gelegenheit.
d) Aus den gleichen Gründen lässt auch die Frage, inwieweit “vom Fluglärm Betroffene gegen den von einem – tatsächlich oder fingiert – bestandskräftig planfestgestellten Flughafen ausgehenden Luftlärm Rechtsschutz mit der Behauptung beanspruchen (können), die Betriebsbeschränkungen gingen nicht weit genug”, keine Erkenntnisse erwarten, die nicht schon durch die bisherige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vermittelt werden. Der Nachweis, dass vorhandene Betriebsbeschränkungen im Sinne der Fragestellung “nicht weit genug” gehen, rechtfertigt für sich genommen keine zusätzlichen Beschränkungen, wenn das Schutzdefizit mit Maßnahmen beseitigt werden kann, die sich für den Adressaten als milderer Eingriff erweisen. Davon ist auszugehen, wenn sich der Zweck, den Fluglärm auf ein hinnehmbares Maß zu reduzieren, nicht bloß mit Hilfe eines (Teil-)Widerrufes der luftrechtlichen Zulassungsentscheidung, sondern auch mit den Mitteln des passiven Schallschutzes erreichen lässt.
e) Die Frage, ob die “aus § 71 LuftVG i.V.m. § 75 Abs. 2 Satz 1 VwVfG, § 9 Abs. 3 LuftVG abgeleitete Duldungswirkung verfassungsgemäß (ist)”, verleiht der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Die gesetzlich angeordnete Fiktion dient, wie dargelegt, dazu, für die vor dem 1. Januar 1959 zugelassenen oder genehmigungsfrei angelegten und heute noch betriebenen Flugplätze eine sichere Rechtsgrundlage auch für die Zeit vor In-Kraft-Treten des heutigen Luftverkehrsgesetzes zu schaffen. Sie hat nicht den Charakter einer allgemeinen Heilungsklausel, die über rechtliche Versäumnisse unter der Geltung des seit dem 1. Januar 1959 maßgeblichen Rechts hinweghilft. Insbesondere lässt sie etwaige nachteilige Folgen unberührt, die sich aus der Nichtbeachtung der in den §§ 6 ff. LuftVG normierten Verpflichtungen ergeben. Wieso sie trotz des engen Anwendungsfeldes, das ihr der Gesetzgeber in Wahrnehmung eines billigenswerten Interesses aus Gründen der Rechtssicherheit zuweist, gegen die Verfassung verstoßen soll, lässt sich dem Beschwerdevorbringen nicht entnehmen und ist auch sonst nicht ersichtlich.
f) Mit der Frage, ob die “aus § 71 LuftVG i.V.m. § 75 Abs. 2 Satz 1 VwVfG, § 9 Abs. 3 LuftVG abgeleitete Duldungswirkung auch dann noch verfassungsgemäß (ist), wenn passive Schallschutzmaßnahmen nicht geeignet sind, eine nicht gesundheitsgefährdende Situation herzustellen”, zeigen die Kläger keinen Klärungsbedarf im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf. Der Senat hätte keinen Anlass, in dem erstrebten Revisionsverfahren der von ihnen angesprochenen Thematik nachzugehen. Nach den Feststellungen des Erstgerichts sind bauliche Vorkehrungen des passiven Schallschutzes an den Wohngebäuden “geeignet und ausreichend”, um die Kläger vor Gesundheitsgefährdungen zu bewahren (UA S. 18). Dem widersprechen die Kläger zwar. Der Senat wäre aber an die im angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen nach § 137 Abs. 2 VwGO gebunden, da hierauf bezogene Verfahrensrügen nicht erhoben worden sind.
g) Aus ähnlichen Erwägungen würde es sich in einem etwaigen Revisionsverfahren erübrigen, zur Frage Stellung zu nehmen, ob “passiver Lärmschutz auch dann als ausreichend angesehen werden (kann), den Gefahren für Grundrechte zu begegnen, wenn die Betriebserlaubnis eines internationalen Verkehrsflughafens einen nahezu schrankenlosen nächtlichen Flugbetrieb zulässt”. Können Gesundheitsgefährdungen durch Maßnahmen des passiven Schallschutzes abgewandt werden, so hat es mit solchen Vorkehrungen grundsätzlich sein Bewenden, unabhängig davon, wie intensiv der Nachtflugbetrieb ist. Allenfalls erörterungsbedürftig ist, welches Maß an Lärmminderung hierbei erforderlich ist, um Gesundheitsrisiken wirksam vorzubeugen (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 16. Dezember 2003 – BVerwG 4 B 75.03 – zur Veröffentlichung vorgesehen). In dieser Richtung gibt das Beschwerdevorbringen indes nichts her.
2. Die Divergenzrügen greifen nicht durch.
a) Die Vorinstanz hat keinen Rechtssatz aufgestellt, der in Widerspruch zu Aussagen steht, die das Bundesverfassungsgericht im Kammerbeschluss vom 24. Oktober 2000 – 1 BvR 389/00 – (a.a.O.) getroffen hat. Nach dieser Entscheidung schließt § 71 Abs. 2 LuftVG nicht die Möglichkeit aus, nachträgliche Betriebsbeschränkungen anzuordnen oder dem Flughafenbetreiber in entsprechender Anwendung des § 9 Abs. 2 LuftVG und des § 75 Abs. 2 Sätze 2 bis 4 VwVfG die Errichtung von Schutzanlagen aufzuerlegen. Zu der vom Erstgericht vertretenen und von den Klägern bekämpften Auffassung, dass zwischen diesen Maßnahmen ein Rangverhältnis besteht, äußert sich das Bundesverfassungsgericht nicht.
b) Auch die geltend gemachte Abweichung vom Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Juni 2000 – BVerwG 11 C 13.99 – (a.a.O.) besteht nicht. Das Oberverwaltungsgericht hat nicht in Abrede gestellt, dass “ein (Teil-)Widerruf selbst dann in Betracht (kommt), wenn die Planfeststellungsfiktion nach § 71 Abs. 1 Satz 1 LuftVG für den Flughafen Köln/Bonn eingreifen und der Rückgriff auf die Widerrufsvorschrift des § 6 Abs. 2 Satz 4 LuftVG hierdurch ausgeschlossen sein sollte”. Es hat sich allerdings auf den Standpunkt gestellt, dass eine solche Maßnahme unverhältnismäßig ist, wenn nachträgliche Lärmschutzvorkehrungen als milderes Mittel ausreichen, um Gesundheitsgefährdungen vorzubeugen. Diese Auffassung steht, wie dargelegt, im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 14 Abs. 1 und 3 und § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Unterschriften
Dr. Paetow, Halama, Gatz
Fundstellen
Haufe-Index 1124954 |
ZfIR 2004, 309 |
DVBl. 2004, 664 |