Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 11.09.2007; Aktenzeichen 8 A 2697/06) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 11. September 2007 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 46 016 € festgesetzt.
Tatbestand
I
Die Klägerin begehrt die Erteilung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb einer Windenergieanlage des Typs Enercon E-112 (Nabenhöhe: 124, 60 m/Rotordurchmesser: 112 m/Gesamthöhe: 160, 60 m). Der Standort des Vorhabens liegt innerhalb des Europäischen Vogelschutzgebiets “Hellwegbörde” nordöstlich des Kernorts der Beigeladenen und außerhalb der von dieser in ihrem Flächennutzungsplan dargestellten Konzentrationszone für Windenergienutzung. Zweck der Unterschutzstellung des Gebiets ist die Erhaltung und Entwicklung der durch Offenheit und Großräumigkeit “geprägten Agrarlandschaft als Brutgebiet insbesondere für Wiesenweihe, sowie als Durchzugsgebiet insbesondere für Goldregenpfeifer und Rotmilan” (MBl NRW 2005, 66 Nr. 13).
Das Verwaltungsgericht hat die erhobene Untätigkeitsklage wegen Fehlens der Genehmigungsvoraussetzungen gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG abgewiesen. Das Vorhaben sei bauplanungsrechtlich unzulässig, weil es das Landschaftsbild verunstalte und damit öffentliche Belange im Sinne von § 35 Abs. 3 Nr. 5 BauGB beeinträchtige. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Klägerin nach Anhörung mehrerer Sachverständiger zurückgewiesen. Dem Vorhaben stehe der Schutzzweck des Europäischen Vogelschutzgebiets “Hellwegbörde” entgegen. Es sei nicht auszuschließen, dass es zu einer erheblichen Beeinträchtigung der für den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteile kommen werde. Das Vorhaben bewirke eine teilweise Verriegelung einer Kernzone des Schutzgebiets. Für die Wiesenweihe würde die Habitatfunktion beeinträchtigt. Besondere Bedeutung habe das Schutzgebiet als Rast- und Durchzugsquartier für den Rotmilan und den Goldregenpfeifer.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen; hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin.
Entscheidungsgründe
II
Die Beschwerde ist unbegründet. Die Rechtssache weist weder die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf (1.), noch sind die von der Klägerin nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO gerügten Verfahrensmängel erkennbar (2.).
1. Grundsätzlich bedeutsam im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache nur dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich nicht entschiedenen, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausreichenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts zu erwarten ist. Dabei steht vorliegend § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO der Zulassung der Revision nicht entgegen. Zwar hat das Berufungsgericht seine angegriffene Entscheidung auf die nicht revisiblen Bestimmungen des nordrhein-westfälischen Landschaftsgesetzes (LG NRW) gestützt. Doch sind diese nach der angegriffenen Entscheidung der Zulässigkeit des streitigen Vorhabens entgegenstehenden Regelungen des § 48c Abs. 5 Nr. 1 sowie des § 48d Abs. 4 LG NRW ebenso wie die inhaltlich und weitgehend auch im Wortlaut identische Bestimmung des § 34 Abs. 2 BNatSchG innerstaatliche Umsetzungen des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL. Soweit in der Nichtzulassungsbeschwerde dargelegte Rechtsfragen aber solche aus umgesetztem Gemeinschaftsrecht zum Gegenstand haben, betreffen sie revisibles Bundesrecht (BVerfG, Kammerbeschluss vom 22. Dezember 1992 – 2 BvR 557/88 – NVwZ 1993, 883).
1.1 Die Klägerin hält die Frage für rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig,
ob einem Vorhaben innerhalb eines Europäischen Vogelschutzgebiets aus wissenschaftlicher Sicht “vernünftige Zweifel” im Sinne des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 17. Januar 2007 entgegenstehen, wenn diese Zweifel allein auf den persönlichen Einschätzungen und nicht belegten eigenen Beobachtungen vom Gericht als Sachverständige vernommener Personen beruhen, die ihrerseits nicht durch wissenschaftliche Veröffentlichungen gestützt werden.
Diese Frage rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Ausgehend von den bundes- (§ 34 Abs. 2 BNatSchG) und landesrechtlich (§ 48d Abs. 4 LG NRW) niedergelegten und Art. 6 Abs. 3 FFH-RL inhaltlich umsetzenden Schutzanforderungen darf die geplante Windenergieanlage der Klägerin das Europäische Vogelschutzgebiet “Hellwegbörde” in seinen für die Erhaltung und den Schutzzweck maßgeblichen Bestandteilen nicht erheblich beeinträchtigen. Das Ausmaß und die Dichte der damit gebotenen Verträglichkeitsprüfung des Vorhabens sind in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt (Urteil vom 17. Januar 2007 – BVerwG 9 A 20.05 – BVerwGE 128, 1). Danach ist jede Beeinträchtigung von Erhaltungszielen erheblich und muss als Gefährdung des Gebiets als solches gewertet werden. Umgekehrt sind Beeinträchtigungen im Sinne von Art. 6 Abs. 3 FFH-RL nur dann unerheblich, wenn Erhaltungsziele nicht nachteilig berührt werden. Ob gemäß diesem Prüfungsmaßstab die Errichtung und der Betrieb der streitigen Windenergieanlage zu erheblichen Beeinträchtigungen führen kann, ist vorrangig eine naturschutzrechtliche Fragestellung, die an Hand der Umstände dieses Einzelfalls geprüft und beantwortet werden muss (Urteil vom 17. Januar 2007 a.a.O. S. 22). Allein von den konkreten Umständen des einzelnen Falls hängt es somit ab, ob sich ein Vorhaben gegen den Habitatschutz durchsetzt (Beschluss vom 23. November 2007 – BVerwG 9 B 38.07 – juris). Verbleibt nach Abschluss der FFH-Verträglichkeitsprüfung kein vernünftiger Zweifel, dass nachhaltige Auswirkungen auf das Schutzgebiet vermieden werden, ist das Vorhaben zulässig. Die Behörde hat sich hierüber Gewissheit zu verschaffen, die nur dann vorliegt, wenn aus wissenschaftlicher Sicht keine vernünftigen Zweifel an fehlenden Auswirkungen des Vorhabens bestehen.
Hierauf abhebend ist die Frage der Beschwerde wie folgt zu beantworten: Fehlt es an empirisch gesicherten und wissenschaftlich niedergelegten Erkenntnissen über die Auswirkungen von Vorhaben der vorliegenden Art auf den Bestand eines Vogelschutzgebiets (im Sinne dessen “günstiger Erhaltung”), insbesondere auf dessen Funktion als Nahrungs- und Bruthabitat (Wiesenweihe) bzw. als Rast- und Durchzugsgebiet (Rotmilan und Goldregenpfeifer), so muss und kann sich das Gericht zur Überprüfung der behördlichen Entscheidung hierüber nur durch die Anhörung von Sachverständigen Gewissheit verschaffen. Dem ist das Berufungsgericht nachgekommen. Wenn die Beschwerde nun das durch die richterliche Beweiserhebung gewonnene Ergebnis in Frage stellt, wendet sie sich allein gegen die tatrichterliche Sachverhalts- und Beweiswürdigung, benennt aber keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Ob das Berufungsgericht mit seiner Entscheidung den Vorgaben des Art. 6 Abs. 3 FFH-RL und der in dessen Umsetzung ergangenen nationalen Bestimmungen entsprochen hat, ist keine Frage von rechtsgrundsätzlicher Klärungsbedürftigkeit, sondern deren korrekter Anwendung im Einzelfall. Diese materiell-rechtliche Prüfung ist aber nicht Gegenstand des Zulassungsverfahrens (Beschluss vom 30. Juni 2003 – BVerwG 4 B 35.03 – Buchholz 310 § 108 Abs. 1 VwGO Nr. 26; Beschluss vom 21. Dezember 1994 – BVerwG 4 B 266.94 – Buchholz 406.401 § 8a BNatSchG Nr. 2).
1.2 Nicht anders verhält es sich mit den weiteren, als rechtgrundsätzlich klärungsbedürftig erachteten Fragen,
ob die Möglichkeit eines direkten Flächenverlustes bzw. eines Verlustes von Einzelindividuen einer durch ein Europäisches Vogelschutzgebiet besonders geschützten Vogelart unter Berufung auf Bagatellschwellen zu rechtfertigen ist und
ob bejahendenfalls dann der Grad der Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines direkten Flächen- oder Individuenverlustes in dem Sinne Einfluss auf die Höhe der Bagatellschwelle hat, dass letztere um so niedriger anzusetzen ist, je wahrscheinlicher der Eintritt eines entsprechenden Verlustes erscheint.
Für die Beantwortung dieser Fragen ist von folgender, in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärter Rechtslage (Urteil vom 17. Januar 2007 a.a.O. S. 22 f., 25) auszugehen: In Bezug auf eine vom Erhaltungsziel eines Europäischen Vogelschutzgebiets erfasste Tierart soll langfristig gesehen eine Qualitätseinbuße vermieden werden. Stressfaktoren, wie sie mit der Errichtung, aber insbesondere mit dem Betrieb einer Windenergieanlage der vorgesehenen Art einhergehen, dürfen somit die artspezifische Populationsdynamik nicht in einem Ausmaß stören, dass die Tierart kein lebensfähiges Element des natürlichen Lebensraums mehr bilden kann. Die so beschriebene Belastungsschwelle, die bei einem Betrieb einer Windenergieanlage stets in Betracht zu nehmen ist, kann dabei unter Berücksichtigung der konkreten Gegebenheiten des Einzelfalls gewisse Einwirkungen zulassen, solange diese das Erhaltungsziel nicht nachteilig berühren (Urteil vom 17. Januar 2007 a.a.O. S. 23). Die Frage nach dem jeweiligen Umfang eines hinnehmbaren Flächenverlustes unter Berufung auf die Belastungsschwelle kann somit über das Ausgeführte hinaus wiederum nur an Hand der konkreten Gegebenheiten in einem konkreten Schutzgebiet beantwortet werden. Dasselbe gilt für die Bestimmung einer Bagatellschwelle zur Rechtfertigung eines unmittelbaren Flächenverlustes. Bei einer größeren, nach den jeweils unterschiedlichen Lebensräumen sich bemessenden Standortdynamik der betroffenen Art mag auch ein direkter Flächenverlust ausgleichbar und damit hinnehmbar sein, während ein derartiger in anders strukturierten Lebensräumen nicht ausgleichbar ist. Generelle Aussagen zum Ausmaß und zu einem Überschreiten der Bagatellschwelle sind somit nicht möglich. Wiederum steht diesbezüglich die Tatsachen- und Beweiswürdigung des Gerichts in Mitten, das sich zur Beurteilung dieser Fragen des Einzelfalls der Hilfe Sachverständiger versichern muss. Demzufolge konnte auch das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz in dem von der Beschwerde zuletzt in Bezug genommenen Urteil vom 7./8. November 2007 – 8 C 11523/06.OVG – nur auf Grund der umfangreichen tatrichterlichen Würdigung zu dem Ergebnis gelangen, dass die Straßenplanung gegenüber dem Habitatschutz sich durchsetzt. Mit derart tatrichterlichen Entscheidungsfindungen verbinden sich aber keine entscheidungserheblichen und rechtsgrundsätzlichen Fragen im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
Überdies hat das Oberverwaltungsgericht nicht festgestellt, dass die nicht auszuschließenden Beeinträchtigungen – wie in der aufgeworfenen Frage unterstellt – unterhalb der Bagatellgrenze lägen.
2. Die Revision ist auch nicht wegen Vorliegens eines Verfahrensmangels zuzulassen, § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Das Berufungsgericht hat im Rahmen seiner Beweiswürdigung gegen keine Denkgesetze verstoßen und damit auch keinen Verfahrensfehler begangen, § 108 Abs. 1 VwGO.
Selbst wenn man mit dem Vorbringen der Beschwerde einen Verstoß gegen Denkgesetze darin begründet sehen wollte, dass das Gericht abstellend auf eine (künftige) Zielpopulation von 50 – 60 Brutpaaren eine Gefährdung des Erhaltungszustandes der Wiesenweihe nicht habe folgern dürfen bzw. das Gericht in diesem Zusammenhang nicht hätte offenlassen dürfen, ob der Vorhabensstandort überhaupt als Brutareal in Frage kommt, würde sich hiermit aus der materiell-rechtlichen Sicht des Berufungsgerichts kein Verfahrensfehler verbinden, auf dem seine Entscheidung beruht. Denn das Oberverwaltungsgericht stellt in erster Linie und tragend auf den zwischen den Ortschaften Bettinghausen und Weslarn durch die Errichtung der Windenergieanlage entstehenden Barriereeffekt (mit Verriegelungswirkung) ab, was die Habitatfunktion des Schutzgebiets erheblich beeinträchtige. Hierzu verhält sich die Beschwerde nicht.
Von der Standorttreue des Goldregenpfeifers auf das Vorliegen einer Beeinträchtigung dessen günstigen Erhaltungszustandes zu schließen, beruht auf keinem Denkfehler des Berufungsgerichts. Auch insoweit stellt es auf eine Verriegelung des Flugraums zwischen den nördlich und südlich des geplanten Vorhabens gelegenen Rastplätzen des Goldregenpfeifers ab, die regelmäßig von Schwärmen mit mehreren tausend Einzelexemplaren aufgesucht werden. Dabei hält das Gericht es im Anschluss an die Auffassung des Sachverständigen für plausibel, dass das Vorhaben der Klägerin auf Dauer zu einer Aufgabe des nördlichen Rastplatzes führen wird. Die vom Gericht benannte Rastplatztreue des Goldregenpfeifers ist in diesem Zusammenhang zu sehen und zu verstehen; d.h. eine mögliche, erhebliche Beeinträchtigung dieser Vogelart durch das Vorhaben ergibt sich aus dem Fehlen hinreichender Grundlagen für die Annahme, dass ein im Schutzgebiet aufgegebener Rastplatz ohne Weiteres ersetzt werden könne.
Das Oberverwaltungsgericht konnte auch ohne Denkfehler zu dem Schluss gelangen, dass Einzelverluste an Rotmilanen populationsrelevant sind. Dies folgt bereits aus deren niedriger Reproduktionsrate (mit einer Geschlechtsreife erst nach drei oder vier Jahren). Jedem Verlust, sei es in der Brutzeit – im Frühjahr – oder in der Zugzeit – Ende August/September – kommt so verstandene Relevanz zu.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG (Nr. 19.1.1. des Streitwertkatalogs).
Unterschriften
Sailer, Herbert, Guttenberger
Fundstellen