Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Aktenzeichen 23 B 99.32902) |
Tenor
Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 21. September 2000 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten in der Hauptsache bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der vorbehaltenen Kostenentscheidung in der Hauptsache.
Gründe
Die zulässige Beschwerde ist mit der Rüge eines Verfahrensmangels (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) begründet. Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung verweist der Senat die Sache nach § 133 Abs. 6 VwGO unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das Berufungsgericht zurück.
Die Beschwerde rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht einen Beweisantrag des Beigeladenen verfahrensfehlerhaft unter Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) abgelehnt hat. Die Ablehnungsgründe finden im Gesetz keine Stütze.
Der Beigeladene hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht hilfsweise u.a. beantragt, Beweis darüber zu erheben,
„dass die PUK und KDP im Nordirak in den jeweils von ihnen beherrschten Gebieten eine staatsähnliche Gewalt ausüben im Sinne einer dauerhaft verfestigten Gebietsherrschaft nach außen …”
Als Beweismittel hat er Auskünfte des Deutschen Orient-Instituts, des Auswärtigen Amtes und von Pro-Asyl sowie des Zeugen Herrn T. U. angegeben. Das Berufungsgericht ist dem Beweisantrag nicht nachgekommen und hat dies in dem angefochtenen Urteil damit begründet, dass der Sachverhalt geklärt sei; die zum Gegenstand des Verfahrens gemachten, bis in die jüngste Zeit reichenden Erkenntnisquellen versetzten das Gericht in die Lage, sich über das Beweisthema ein umfassendes Bild zu verschaffen (UA S. 14). Darüber hinaus seien mit dem Beweisantrag keine konkreten und individualisierten Tatsachen in das Wissen des benannten sachverständigen Zeugen und damit unter Beweis gestellt worden; es handele sich vielmehr um „unbestimmte Rechtsbegriffe und allgemeine Sentenzen”, womit die Beweisanregungen nicht auf einen hinreichend konkreten Sachverhalt bezogen seien (UA a.a.O.).
Zu Recht beanstandet die Beschwerde, das Berufungsgericht hätte die Einholung der beantragten sachverständigen Auskünfte zur Quasistaatlichkeit der großen kurdischen Organisationen im Nordirak nicht unter Hinweis darauf ablehnen dürfen, der Sachverhalt sei geklärt. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts können die Tatsacheninstanzen allerdings einen Beweisantrag auf Einholung von Sachverständigengutachten oder einer amtlichen Auskunft im Allgemeinen nach tatrichterlichem Ermessen gemäß § 98 VwGO in entsprechender Anwendung des § 412 ZPO oder mit dem Hinweis auf eigene Sachkunde verfahrensfehlerfrei ablehnen (vgl. zuletzt BVerwG, Beschluss vom 27. März 2000 – BVerwG 9 B 518.99 – InfAuslR 2000, 412; Beschluss vom 10. Juni 1999 – BVerwG 9 B 81.99 – ≪juris≫; Beschluss vom 11. Februar 1999 – BVerwG 9 B 381.98 – Buchholz 310 § 86 Abs. 2 VwGO, Nr. 42 = DVBl 1999, 1206; jeweils m.w.N.). Das Tatsachengericht muss seine Entscheidung für die Beteiligten und das Rechtsmittelgericht aber nachvollziehbar begründen und insbesondere angeben, woher es seine Sachkunde hat. Wie konkret der Nachweis der eigenen Sachkunde des Gerichts zu sein hat, hängt dabei von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls, insbesondere den jeweils in tatsächlicher Hinsicht in Streit befindlichen Tatsachenfragen ab; jedenfalls muss der Nachweis plausibel und nachvollziehbar sein. Schöpft das Gericht seine besondere Sachkunde aus vorhandenen Gutachten und amtlichen Auskünften, so muss der Verweis hierauf dem Einwand der Beteiligten standhalten, dass in diesen Erkenntnisquellen keine, ungenügende oder widersprüchliche Aussagen zur Bewertung der aufgeworfenen Tatsachenfragen enthalten sind (BVerwG, Beschluss vom 27. März 2000, a.a.O.).
Entsprechendes gilt, wenn das Tatsachengericht – wie hier – ein konkretes Beweisbegehren unter Hinweis auf die nach seiner Auffassung durch die vorliegenden Erkenntnismittel geklärte Sachlage zurückweist. Das dem Tatsachengericht beim Antrag auf Einholung weiterer Sachverständigengutachten zustehende Ermessen findet jedenfalls dort seine vom Rechtsmittelgericht nachprüfbare Grenze, wo sich weitere Ermittlungen aufdrängen. Die Beschwerde weist in diesem Zusammenhang zu Recht darauf hin, dass der vom Berufungsgericht für seine tatrichterliche Würdigung herangezogene Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 25. Oktober 1999 entgegen der vom Berufungsgericht gezogenen Schlussfolgerung von einer „de facto staatsähnlichen Gewalt” der kurdischen Parteien KDP und PUK ausgeht, die diese im Nordirak ausüben (a.a.O., S. 5). Auch die anderen vom Berufungsgericht hierbei in Bezug genommenen Erkenntnismittel – die Auskünfte des DOI vom 30. Juni 1998 an das VG Stuttgart und vom 21. Mai 1999 an das VG Sigmaringen sowie der Bericht von Pro-Asyl vom August 1999 – enthalten keine detaillierten Tatsachenangaben oder sachverständige Wertungen zu Elementen der Quasistaatlichkeit dieser Organisationen, jedenfalls keine, die gegen deren Staatsähnlichkeit sprechen. Hinzu kommt, dass das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 10. August 2000 – 2 BvR 260/98 und 1353/98 – (NVwZ 2000, 265), auf den sich der Beigeladene im Berufungsverfahren ausdrücklich berufen hat, die Anforderungen des Bundesverwaltungsgerichts an die Annahme der Staatsähnlichkeit von Herrschaftsorganisationen in Bürgerkriegsgebieten als zu eng beanstandet hat. Vor diesem Hintergrund trägt der nicht näher substantiierte, von den ausdrücklich verwerteten Erkenntnismitteln nicht hinreichend gestützte Hinweis des Berufungsgerichts, der Sachverhalt sei im Hinblick auf die Fragen der Staatsähnlichkeit von PUK und KDP im Nordirak geklärt, die Ablehnung des Beweisantrags nicht.
Auch der zweite vom Berufungsgericht hierfür angegebene Grund, der Beweisantrag beschränke sich auf die Anführung unbestimmter Rechtsbegriffe und allgemeiner Sentenzen und sei damit nicht auf einen hinreichend konkreten Sachverhalt bezogen (UA S. 14), rechtfertigt – soweit er sich auch auf den beantragten Sachverständigenbeweis beziehen sollte – seine Ablehnung nicht. Als unzulässigen Ausforschungsbeweis, bezogen auf Tatsachenbehauptungen, für deren Wahrheitsgehalt nicht wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht, will das Berufungsgericht den Antrag damit offenbar nicht ablehnen. Dies träfe auch nicht zu (zu diesem Beweisablehnungsgrund vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. März 2000, a.a.O.; Beschluss vom 2. Juli 1998 – BVerwG 11 B 30.97 – Buchholz 451.171 § 6 AtG Nr. 2 = NVwZ 1999, 654). Das Berufungsgericht zielt mit dieser Erwägung vielmehr erkennbar zum einen darauf, dass der Sachverständige dem Gericht die rechtliche Bewertung des Sachverhalts – die Subsumtion unter Rechtsbegriffe – nicht abnehmen kann und darf, zum anderen darauf, dass das Beweisthema nicht hinreichend substantiiert sei. Auf die Ersetzung der richterlichen Subsumtion war der Antrag indessen bei verständiger Würdigung nicht gerichtet. Die Annahme unzureichender Substantiierung trägt dem Umstand nicht ausreichend Rechnung, dass der auf einen Sachverständigenbeweis gerichtete Antrag – anders als bei einem Zeugenbeweis – nicht voraussetzt, dass einzelne konkrete Tatsachen in das Wissen der Auskunft gebenden Stelle gestellt werden, da der Sachverständige sein Gutachten über das Beweisthema gegebenenfalls aufgrund von Tatsachenermittlungen zu erstatten hat. Zudem ist es gerade die Aufgabe des Sachverständigen, (sachverständige) „Wertungen” vorzunehmen und gegebenenfalls auch eigene Einschätzungen aufgrund der besonderen Sachkunde abzugeben (BVerwG, Beschluss vom 27. März 2000, a.a.O.). Hierauf war der Beweisantrag des Beigeladenen erkennbar gerichtet. Mit dem Ziel zu ermitteln, „dass die PUK und KDP im Nordirak in den jeweils von ihnen beherrschten Gebieten eine staatsähnliche Gewalt ausüben”, sollten geeignete sachkundige Stellen zur Angabe der hierfür aussagekräftigen Hilfstatsachen und zur Abgabe entsprechender sachverständiger Wertungen veranlasst werden. Die weitergehende Substantiierung eines solchen Beweisantrags mag geboten sein, wenn im konkreten Fall um bestimmte Merkmale der Quasistaatlichkeit einer Organisation gestritten wird. Bei dem vorliegenden Streitstand war indes der Antrag hinreichend konkret und durfte daher nicht mit der vom Berufungsgericht angeführten Begründung abgelehnt werden. Das gilt allerdings nicht für den Antrag auf Vernehmung eines sachverständigen Zeugen; insoweit fehlte jegliche Substantiierung. Das ändert aber nichts an der Unzulässigkeit der Ablehnung des Beweisantrags im Übrigen.
Die fehlerhafte Ablehnung des Beweisantrags ist auch – jedenfalls im Hinblick auf die PUK – für die Entscheidung über die Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG entscheidungserheblich. Denn das Berufungsgericht hat bisher ausdrücklich offen gelassen, ob dem Beigeladenen, wie von ihm behauptet, im Falle seiner Rückkehr Verfolgung seitens der PUK drohen würde (UA S. 15), und auch keine Erwägungen dazu angestellt, ob er sich in diesem Fall auf das Herrschaftsgebiet der KDP verweisen lassen müsste.
Da bereits die verfahrensfehlerhafte Ablehnung dieses Beweisantrags zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht führt, bedarf es keiner Entscheidung, ob die weiteren Verfahrensrügen der Beschwerde durchgreifen.
Ob die übrigen Revisionszulassungsgründe gegeben sind, kann ebenfalls dahinstehen. Das Berufungsgericht wird bei seiner erneuten Entscheidung ohnehin den vom Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 20. Februar 2001 – 9 C 20.00 – (zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE bestimmt) auf der Grundlage des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 10. August 2000 (a.a.O.) teilweise neu gefassten Maßstab zur Bestimmung einer staatsähnlichen Herrschaftsgewalt zu berücksichtigen haben. Die von der Beschwerde hierzu vorgebrachten Rügen vermögen im Übrigen weder die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache noch eine Divergenz zur genannten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hinreichend darzutun. Dies gilt auch im Hinblick auf die von der Beschwerde geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Frage, ob der Beigeladene den Nordirak als inländische Fluchtalternative ungefährdet erreichen kann. Sie zielt in erster Linie auf die Klärung der tatsächlichen Gegebenheiten. Die dahinterstehenden Rechtsfragen sind im Übrigen durch das Urteil des Senats vom 16. Januar 2001 – BVerwG 9 C 16.00 – (zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung BVerwGE bestimmt) geklärt.
Unterschriften
Hund, Beck, Dr. Eichberger
Fundstellen