Entscheidungsstichwort (Thema)
Bauvorbescheid. Bahngelände. Planungshoheit. Gemeinde. bahnfremde Nutzung. Entwidmung. Zurückstellung. Veränderungssperre
Leitsatz (amtlich)
Ein Bauvorbescheid für eine bahnfremde Nutzung auf planfestgestelltem Bahngelände (§ 38 BauGB) kann vor dem Verlust der Zweckbestimmung der Fläche als Bahnanlage (Entwidmung) nicht erteilt werden, wenn die Gemeinde nicht in der Lage ist, ihre Planungshoheit in bezug auf das zur Beurteilung gestellte Vorhaben wahrzunehmen (im Anschluß an BVerwGE 81, 111). Dies schließt insbesondere die Erteilung eines Vorbescheids unter dem Vorbehalt aus, daß das Vorhaben bebauungsrechtlich zulässig sei, wenn das Grundstück als Bahngelände entwidmet ist.
Normenkette
BauGB §§ 14-15, 38
Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 19.12.1997; Aktenzeichen 7 A 6271/95) |
VG Aachen (Entscheidung vom 12.09.1995; Aktenzeichen 5 K 7848/93) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Nordrhein-Westfalen vom 19. Dezember 1997 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Klägerin mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 40 000 DM festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die Klägerin begehrt im Einvernehmen mit der Deutschen Bundesbahn und ihrer Rechtsnachfolger einen Bauvorbescheid für eine Tankstelle auf einem Gelände im Bereich des Güterbahnhofs der beklagten Stadt. Das Grundstück wird schon seit Jahrzehnten als privates Garagengrundstück genutzt, ist jedoch bisher nicht entwidmet worden. Der Bauvorbescheid soll mit dem Vorbehalt erteilt werden, daß die für das Vorhaben benötigte Baufläche ihre Zweckbestimmung demnächst verlieren werde. Die Beklagte versagte den Bauvorbescheid. Zur Begründung führte sie aus, die vorgesehene Tankstelle beeinträchtige die von ihr beabsichtigte städtebauliche Planung; mangels eindeutiger Freigabeerklärungen sei sie nicht in der Lage, ihre Planungshoheit hinsichtlich des zu beurteilenden Vorhabens wahrzunehmen. Das Berufungsgericht hat die auf die Verpflichtung zur Erteilung eines Bauvorbescheids gerichtete Klage abgewiesen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt erfolglos.
Dahinstehen kann, ob die Grundsatzrüge den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügt. Daran bestehen erhebliche Zweifel, weil sich die Beschwerde mit der Frage, “ob bzw. unter welchen Vorgaben ein Bauvorbescheid über die planungsrechtliche Zulässigkeit eines Bauvorhabens erteilt werden kann bzw. erteilt werden muß, betreffend ein Grundstück, welches formal noch dem Anwendungsbereich des § 38 Abs. 1 Satz 1 BauGB unterliegt, seit Jahrzehnten als Bahnbetriebsgrundstück aber nicht mehr genutzt wird und dessen Verkauf seitens der Deutschen Bahn AG an den privaten Erwerber für den Fall der positiven Genehmigung der Bauvoranfrage beabsichtigt ist”, in einer bruchstückartigen Beschreibung des konkreten Falles erschöpft, jedoch keine abstrakte und zugleich entscheidungserhebliche Rechtsfrage herausarbeitet.
Jedenfalls enthält diese Frage keine klärungsbedürftige Rechtsfrage. Das Berufungsurteil folgt nämlich der Rechtsauffassung des Senats in seinem Urteil vom 16. Dezember 1988 – BVerwG 4 C 48.86 – (BVerwGE 81, 111 ≪120≫ – DVBl 1989, 458), nach dem die Erteilung eines Bauvorbescheids für bahnfremde Nutzungen auf Bahngelände zwar schon vor dem Verlust seiner Zweckbestimmung als Bahnanlage nicht prinzipiell ausgeschlossen ist, jedoch nur erteilt werden kann, wenn die Gemeinde in der Lage ist, ihre Planungshoheit in bezug auf das zu beurteilende Vorhaben wahrzunehmen. Im Hinblick auf das Baugrundstück verneint das Berufungsgericht die Möglichkeit der beklagten Stadt, ihren planerischen Vorstellungen Geltung zu verschaffen. Zwar könne sie schon vor der Entwidmung der Fläche einen Aufstellungsbeschluß fassen und eine Veränderungssperre erlassen oder die Zurückstellung der Bauvoranfrage erreichen. Sie könne aber nicht verhindern, daß der Fachplanungsträger nach Stellung eines bedingten Bauantrags den Fristablauf der Zurückstellung oder der Veränderungssperre abwarte und erst dann die Fläche entwidme; in diesem Fall hätten einerseits die ergriffenen Sicherungsmittel ihre Effektivität eingebüßt, andererseits werde die Beklagte an der rechtzeitigen Neuplanung durch den Fachplanungsvorbehalt nach § 38 BauGB gehindert.
Diese Ausführungen stehen mit der Rechtsprechung des Senats in Einklang. In § 38 BauGB kommt zum Ausdruck, daß die Fachplanung gegenüber der Planungshoheit der Gemeinde grundsätzlich Vorrang hat. Das bedeutet auch, daß die Gemeinde durch die fachplanerische Zweckbestimmung des (Bahn-)Geländes an einer mit ihr unvereinbaren Planung gehindert wird, solange die Bahn eine Bahnanlage nicht durch eine eindeutige Erklärung gleichsam freigegeben und in die Planungshoheit der Gemeinde zurückgeführt hat. Mit der Planungshoheit der Gemeinde unvereinbar ist dagegen andererseits jede Lösung, die der Gemeinde nach der fachplanerischen Freigabe rechtlich oder auch nur faktisch eine bauliche Nutzung aufzwingt, die nicht ihren planerischen Vorstellungen entspricht. Gerade dies würde jedoch geschehen können, wenn die Gemeinde zwar noch an der planerischen Umsetzung ihrer städtebaulichen Vorstellungen gehindert wäre, jedoch schon auf der Grundlage der bestehenden Sach- und Rechtslage – aber unter Ausklammerung des § 38 BauGB – die Erteilung eines Bauvorbescheids hinnehmen müßte, der über den Zeitpunkt der Freigabe hinaus wirkt, weil sich der Vorbescheid auch gegenüber einer geänderten planungsrechtlichen Rechtslage durchsetzt.
Das vorliegende Verfahren zeigt mit Deutlichkeit, daß die von der klagenden Bauherrin und der beigeladenen Deutsche Bahn AG vertretene Rechtsauffassung geeignet ist, die gemeindliche Planungshoheit der beklagten Stadt einseitig ihren – insbesondere der Deutsche Bahn AG – wirtschaftlichen Interessen unterzuordnen. Denn wenn die mit dem Zweck der eisenbahnrechtlichen Fachplanung unvereinbare Tankstelle planungsrechtlich nicht nach § 38 BauGB (als gegenwärtig unzulässig) zu beurteilen wäre, sondern mit Rücksicht auf eine für später in Aussicht genommene Entwidmung am Maßstab des allgemeinen Bauplanungsrechts geprüft werden müßte, dürfte die Beklagte rechtlich nicht in der Lage sein, ihre Errichtung auf Dauer zu verhindern, auch wenn sie legitimerweise andere Vorstellungen für eine künftige Nutzung des Grundstücks hat. Bei einer Beurteilung nach § 34 BauGB dürften nämlich zur Zeit keine Bedenken gegen die geplante Tankstelle bestehen. Und durch eine Zurückstellung nach § 15 BauGB oder durch den Erlaß einer Veränderungssperre ließen sich zwar planerische Vorstellungen der Beklagten, die vom gegenwärtigen Zustand abweichen, vorübergehend sichern. Da diese planerischen Vorstellungen aber erst in eine verbindliche Bauleitplanung umgesetzt werden können, wenn die Baufläche aus der Fachplanung entlassen ist, hätte es die Deutsche Bahn AG in der Hand, durch bloße Untätigkeit die bauplanungsrechtlichen Sicherungsmittel der Gemeinde zu unterlaufen.
Für die hier interessierende Frage hat sich die Rechtslage durch das Eisenbahnneuordnungsgesetz vom 27. Dezember 1993 (BGBl I, S. 2378) nicht geändert. Der von der Beigeladenen geltend gemachte gesetzliche Auftrag, nicht mehr für Eisenbahnzwecke benötigte Grundstücke zur Finanzierung der Eisenbahn des Bundes zu verwerten, rechtfertigt keine Verletzung der Planungshoheit der Gemeinden. Vielmehr kann er nur in Zusammenarbeit mit den Gemeinden realisiert werden. Dies setzt unverändert voraus, daß die Gemeinden durch eindeutige Erklärungen der Deutsche Bahn AG (oder ihrer zuständigen Tochterunternehmen) in die Lage versetzt werden, sachgerecht über die Aufstellung eines Bebauungsplans zu beschließen (vgl. BVerwG, Urteil vom 16. Dezember 1988 – BVerwG 4 C 48.86 – BVerwGE 81, 111 ≪121≫). Eine Erklärung, die die Freigabe von Bundesbahngelände nur für den Fall der positiven Bescheidung einer bestimmten Bauvoranfrage in Aussicht stellt, genügt nicht, weil sie offenläßt, ob – und wann – das Planaufstellungsverfahren abgeschlossen werden kann.
Aus diesen Ausführungen folgt zugleich, daß das Berufungsurteil auch nicht von dem Urteil des Senats vom 16. Dezember 1988 – BVerwG 4 C 48.86 – (BVerwGE 81, 111) abweicht. Ob das Berufungsgericht, wie die Beschwerde rügt, mit dem zusätzlichen Kriterium der “Bescheidungsfähigkeit” über die Vorgaben des genannten Urteils hinausgeht, kann offenbleiben. Aus seiner Kritik an den unklaren Erklärungen und Absichtsverlautbarungen der Deutschen Bundesbahn und ihrer Rechtsnachfolger ergibt sich zwar, daß die Beklagte nach seiner Auffassung auch deshalb ihre Planungshoheit nicht – sinnvoll – wahrnehmen kann, weil die Bahn andere Flächen im räumlichen Zusammenhang nicht freigeben wolle, obwohl sie sie nicht für bahnbetriebliche Zwecke reklamiere. Ein Widerspruch zur Rechtsauffassung des Senats läge darin jedoch nicht; ein gegenteiliger Rechtssatz ist in dem Urteil vom 16. Dezember 1988 nicht enthalten. Zudem kommt es auf diese Ausführungen nicht mehr entscheidungstragend an, weil das Berufungsgericht schon hinsichtlich des Baugrundstücks dargelegt hat, daß die Beklagte gegenwärtig nicht sicherstellen könne, daß im Falle einer Entwidmung nur die von der Beklagten gewünschte bauliche Nutzung realisiert werde.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Den Wert des Streitgegenstandes setzt der Senat gemäß § 14 Abs. 3, § 13 Abs. 1 GKG fest.
Unterschriften
Gaentzsch, Lemmel, Rojahn
Fundstellen
BauR 1998, 898 |
BauR 1998, 993 |
NVwZ-RR 1998, 542 |
DÖV 1999, 168 |
NuR 1999, 209 |
ZfBR 1998, 258 |
BRS 1999, 552 |
DVBl. 1998, 909 |
Städtetag 1998, 658 |
UPR 1998, 356 |
www.judicialis.de 1998 |