Verfahrensgang
Sächsisches OVG (Urteil vom 05.04.2013; Aktenzeichen 1 A 247/12) |
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 5. April 2013 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 7 500 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Die auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr der Beklagte beimisst.
Rz. 2
Das Oberverwaltungsgericht hat die bauaufsichtliche Zustimmung nach § 77 SächsBO nebst Befreiung nach § 34 Abs. 2 i.V.m. § 31 Abs. 2 BauGB für die Änderung der Nutzung eines ehemaligen Wohnheims für Justizbedienstete in ein Freigängerhaus für Strafgefangene aus zwei Gründen aufgehoben. Zum einen verletze die Befreiung den Gebietserhaltungsanspruch der Klägerin aus § 34 Abs. 2 BauGB, weil Justizvollzugsanstalten in faktischen allgemeinen Wohngebieten unzulässig seien (UA Rn. 28 ff.). Zum anderen seien Justizvollzugsanstalten mit – wie hier – 60 Strafgefangenen mit der allgemeinen Zweckbestimmung eines allgemeinen Wohngebiets nicht vereinbar und berührten deshalb die Grundzüge der Planung (UA Rn. 41 ff.). Ist die vorinstanzliche Entscheidung auf mehrere selbständig tragende Begründungen gestützt, so kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser Begründungen ein Revisionszulassungsgrund aufgezeigt wird und vorliegt (vgl. Beschluss vom 9. Dezember 1994 – BVerwG 11 PKH 28.94 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 4; stRspr). Wenn nur bezüglich einer Begründung ein Zulassungsgrund gegeben ist, kann diese Begründung nämlich hinweggedacht werden, ohne dass sich der Ausgang des Verfahrens ändert. Vorliegend scheitert die Beschwerde schon daran, dass der Beklagte zur ersten Begründung keinen Grund für die Zulassung der Grundsatzrevision aufzeigt.
Rz. 3
In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass – erstens – bei einer fehlerhaften Befreiung von einer nachbarschützenden Festsetzung eines Bebauungsplans ein nachbarlicher Abwehranspruch gegeben ist, also bei nachbarschützenden Festsetzungen jeder Fehler bei der Anwendung des § 31 Abs. 2 BauGB zur Aufhebung der Baugenehmigung führen muss (Urteil vom 19. September 1986 – BVerwG 4 C 8.84 – Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 71 und Beschluss vom 8. Juli 1998 – BVerwG 4 B 64.98 – Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 153), dass – zweitens – Festsetzungen zur Art der baulichen Nutzung unabhängig davon nachbarschützend sind, ob der Nachbar durch die gebietswidrige Nutzung unzumutbar oder auch nur tatsächlich spür- und nachweisbar beeinträchtigt wird (Urteile vom 16. September 1993 – BVerwG 4 C 28.91 – BVerwGE 94, 151 ≪161≫ und vom 23. August 1996 – BVerwG 4 C 13.94 – BVerwGE 101, 364 ≪374 f.≫; Beschluss vom 18. Dezember 2007 – BVerwG 4 B 55.07 – Buchholz 406.12 § 1 BauNVO Nr. 32 Rn. 5), und dass sich – drittens – aus der Gleichstellung geplanter und faktischer Baugebiete im Sinne der Baunutzungsverordnung hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung durch § 34 Abs. 2 BauGB ergibt, dass ein identischer Nachbarschutz schon vom Bundesgesetzgeber festgelegt worden ist (Urteil vom 16. September 1993 a.a.O. S. 156 und Beschluss vom 22. Dezember 2011 – BVerwG 4 B 32.11 – BRS 78 Nr. 171).
Rz. 4
In der Rechtsprechung des Senats ist ferner geklärt, dass der Abwehranspruch grundsätzlich bereits durch die Zulassung eines mit der Gebietsfestsetzung unvereinbaren Vorhabens ausgelöst wird, weil hierdurch das nachbarliche Austauschverhältnis gestört und eine Verfremdung des Gebiets eingeleitet wird (Urteil vom 16. September 1993 a.a.O.). Die von dem Beklagten aufgeworfene Frage, ob das auch gilt, wenn das Vorhaben ein Solitär ist, das keine Gefahr einer schleichenden Umwandlung des Baugebiets in sich trägt, oder ob in einem solchen Fall der Abwehranspruch einen spürbaren oder störenden Eingriff in den nachbarlichen Interessenausgleich voraussetzt (Beschwerdebegründung S. 2), führt nicht zur Zulassung der Revision, weil sie von einer unzutreffenden Prämisse ausgeht. Nach Auffassung des Beklagten besteht die Gefahr des Beginns der Verfremdung eines Baugebiets und entsteht der Gebietserhaltungsanspruch nur dann, wenn das Vorhaben gleichgelagerte Bauwünsche anderer Nutzungsinteressenten erzeugen kann (Beschwerdebegründung S. 4 f.). Das trifft nicht zu. Der Gebietserhaltungsanspruch ist nicht davon abhängig, dass die Zulassung weiterer Vorhaben derselben Art droht. Es genügt die abstrakte Gefahr, dass ein gebietsfremdes Vorhaben weitere gebietsfremde Vorhaben gleich welcher Art nach sich zieht.
Rz. 5
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Dr. Gatz, Petz, Dr. Decker
Fundstellen
Haufe-Index 5337501 |
BauR 2013, 2011 |
IBR 2014, 108 |
ZfBR 2013, 783 |
GreifRecht 2014, 5 |