Verfahrensgang
OVG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 11.06.2013; Aktenzeichen 1 B 66.11) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 11. Juni 2013 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 EUR festgesetzt.
Gründe
Die Klägerin ist ein privates Krankentransportunternehmen und führt im Land Berlin seit mehreren Jahren qualifizierte Krankentransporte durch. Mit Schreiben vom 12. Oktober 2009 beantragte sie bei dem Beklagten erfolglos die Übertragung von Aufgaben der Notfallrettung nach dem Gesetz über den Rettungsdienst für das Land Berlin (RDG). Das Verwaltungsgericht hat der Klage auf Neubescheidung des Antrags der Klägerin stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht das erstinstanzliche Urteil geändert und die Klage abgewiesen. Die Notfallrettung werde nach § 5 Abs. 1 Satz 1 RDG von der Berliner Feuerwehr als Ordnungsaufgabe wahrgenommen. Daneben könnten den Hilfsorganisationen Aufgaben der Notfallrettung übertragen werden (Satz 2). Nur ausnahmsweise komme gemäß § 5 Abs. 1 Satz 3 RDG eine Übertragung an andere geeignete private Einrichtungen in Betracht. Die Voraussetzungen hierfür seien im Fall der Klägerin nicht erfüllt. Der Bedarf an Leistungen der Notfallrettung im Land Berlin könne mit den Kräften der Berliner Feuerwehr und der Hilfsorganisationen hinreichend bewältigt werden. Die Klägerin werde auch nicht dadurch in ihrem Anspruch auf Gleichbehandlung verletzt, dass der Beklagte eine Vereinbarung über den Einsatz von Rettungswagen der Bundeswehr im Rettungsdienst des Landes Berlin geschlossen habe. Die Bundeswehr sei keine private Einrichtung im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 3 RDG oder einer solchen gleichzusetzen; denn nach der Konzeption der getroffenen Vereinbarung sei sie mit ihren Rettungsmitteln vollständig in die Berliner Feuerwehr eingegliedert.
Die auf alle drei Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Berufungsurteil hat keinen Erfolg.
1. Der Rechtssache kommt nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zu.
Die Beschwerde hält die berufungsgerichtliche Auslegung und Anwendung des § 5 Abs. 1 RDG für nicht vereinbar mit Art. 12 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG und bezeichnet folgende Fragestellungen als grundsätzlich bedeutsam:
„Erfordern die Gewährleistungen nach Art. 12 Abs. 1 GG unabhängig von der generellen verfassungsrechtlichen Vereinbarkeit eines gesetzlichen objektiven Berufszugangshindernisses bei Auslegung und Anwendung der in der Privilegierungsbestimmung enthaltenen unbestimmten Rechtsbegriffe sowie bei der Ausübung von Ermessen die Einbeziehung der grundrechtlich geschützten Rechtspositionen und Interessen eines nicht privilegierten an einem potentiellen Marktzutritt interessierten Dritten?”
und
„Kann sich im Anwendungsbereich einer gesetzlichen Privilegierungsvorschrift ein Anspruch auf Gleichbehandlung aus der Gewährleistung des Art. 3 Abs. 1 GG nur dann ergeben, wenn es sich bei der festzustellenden Bevorzugung eines Dritten, mit dem die Gleichbehandlung eingefordert wird, um eine Subsumtion unter die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale der Privilegierung und nicht um eine Ungleichbehandlung in sonstiger, nicht gesetzlich geregelter Weise handelt?”
Den behaupteten Klärungsbedarf leitet die Klägerin daraus ab, dass Gegenstand der höchstrichterlichen Rechtsprechung bislang lediglich die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit der Einführung des § 5 Abs. 1 RDG gewesen sei. Hingegen sei noch ungeklärt, welche grundrechtlichen Anforderungen bei der dauerhaften Anwendung einer solchen Privilegierungsvorschrift gelten würden. Damit zeigt die Klägerin nicht auf, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO hat.
Bei den Bestimmungen des Berliner Rettungsdienstgesetzes handelt es sich um irrevisibles Landesrecht, auf dessen Verletzung die Revision nicht gestützt werden kann (§ 137 Abs. 1 VwGO). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vermag die Nichtbeachtung von Bundesrecht bei der Auslegung und Anwendung von Landesrecht die Zulassung der Revision allenfalls dann zu begründen, wenn die Auslegung der bundesrechtlichen Norm ihrerseits ungeklärte Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft. Von dem Beschwerdeführer ist im Einzelnen darzulegen, gegen welche bundesrechtliche Norm verstoßen wird und ob sich bei ihrer Auslegung Fragen grundsätzlicher Bedeutung stellen, die sich nicht aufgrund bisheriger höchstrichterlicher Rechtsprechung beantworten lassen (vgl. z.B. BVerwG, Beschlüsse vom 27. August 2003 – BVerwG 6 B 53.03 – Buchholz 422.2 Rundfunkrecht Nr. 38 S. 30 f. m.w.N. und vom 8. November 2004 – BVerwG 3 B 36.04 – juris Rn. 5 [insoweit nicht abgedruckt in Buchholz 418.15 Rettungswesen Nr. 12]). Diese Anforderungen erfüllt die Beschwerdebegründung der Klägerin nicht. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass die Bestimmung der Notfallrettung zur Ordnungsaufgabe und ihre Zuweisung an die staatliche Feuerwehr in § 5 Abs. 1 Satz 1 RDG sowie die bevorzugte Übertragung der Durchführung der Notfallrettung auf Hilfsorganisationen nach § 5 Abs. 1 Satz 2 und 3 RDG mit Art. 12 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG in Einklang stehen (Urteil vom 3. November 1994 – BVerwG 3 C 17.92 – BVerwGE 97, 79 ≪84 ff.≫; Beschluss vom 8. November 2004 – BVerwG 3 B 36.04 – Buchholz 418.15 Rettungswesen Nr. 12 S. 13 f.). Der erkennende Senat hat die in § 5 Abs. 1 Satz 3 RDG genannten Voraussetzungen für eine ausnahmsweise Aufgabenübertragung auf sonstige private Dritte – „in besonderen Fällen und soweit ein Bedarf besteht” – als verfassungsrechtlich unbedenklich angesehen (Urteil vom 3. November 1994 a.a.O. S. 86 ff.). Diese Feststellung beschränkt sich nicht auf die Einführung der Privilegierungsregelung, sondern gilt gleichermaßen für deren künftige Anwendung. Danach ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch geklärt, dass die Ablehnung eines auf § 5 Abs. 1 Satz 3 RDG gestützten Antrages eines privaten Krankentransportunternehmens mit Art. 12 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist, wenn und soweit die Berliner Feuerwehr und die Hilfsorganisationen über die persönlichen und sächlichen Mittel verfügen, um im Sinne von § 2 Abs. 1 RDG die bedarfs- und fachgerechte Versorgung der Bevölkerung mit Leistungen der Notfallrettung sicherzustellen. Soweit die Klägerin beanstandet, dass das Berufungsgericht die Tatbestandsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 Satz 3 RDG zu Unrecht verneint habe, verhilft das der Grundsatzrüge ebenfalls nicht zum Erfolg. Ob ein besonderer Fall und ein von Feuerwehr sowie Hilfsorganisationen nicht zu deckender Bedarf nach § 5 Abs. 1 Satz 3 RDG gegeben sind, beurteilt sich anhand der Umstände des Einzelfalls. Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass zwar die Alarmierungszahlen in den vergangenen Jahren stetig zugenommen hätten und auch künftig mit einer weiteren Steigerung zu rechnen sei, jedoch nicht ersichtlich sei, dass die Zunahme der Notfallrettungseinsätze mit den Kräften der Berliner Feuerwehr und der Hilfsorganisationen nicht bewältigt werden könnte (Urteilsabdruck S. 13 f.). Zu den Rettungsmitteln der Feuerwehr hat es unter Würdigung der Vereinbarung zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Beklagten vom 29. Juli 2009 auch die Rettungswagen der Bundeswehr gezählt (Urteilsabdruck S. 15). Ausgehend von diesen Tatsachenfeststellungen, die mangels einer begründeten Verfahrensrüge für das Revisionsgericht bindend sind (vgl. § 137 Abs. 2 VwGO), lässt sich dem Beschwerdevorbringen kein grundsätzlicher Klärungsbedarf entnehmen. Nichts anderes ergibt sich, soweit die Klägerin geltend macht, erst jüngst habe der Bayerische Verfassungsgerichtshof die Privilegierungsvorschrift im Bayerischen Rettungsdienstgesetz für nichtig erklärt. Es fehlt jegliche Darlegung (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), warum diese Entscheidung (vgl. BayVerfGH, Urteil vom 24. Mai 2012 – Vf. 1-VII-10 – BayVBl 2013, 431) Veranlassung gäbe, dem Streitfall der Klägerin grundsätzliche Bedeutung beizumessen.
2. Die Revision ist auch nicht wegen der gerügten Abweichung des angefochtenen Urteils von der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom
3. November 1994 – BVerwG 3 C 17.92 – (BVerwGE 97, 79) zuzulassen.
Eine die Zulassung der Revision rechtfertigende Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegt nur vor, wenn sich die angefochtene Entscheidung mit einem sie tragenden abstrakten Rechtssatz in Widerspruch setzt zu einem ebensolchen Rechtssatz in der Entscheidung des Divergenzgerichts (stRspr z.B. Beschluss vom 11. August 1999 – BVerwG 11 B 61.98 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 19 m.w.N.). Die beanstandete Abweichung muss sich auf dieselbe Rechtsvorschrift beziehen und sie muss revisibles Recht betreffen (vgl. Beschlüsse vom 27. Mai 2011 – BVerwG 9 B 29.11 – juris Rn. 2, vom 11. März 2009 – BVerwG 4 BN 7.09 – juris Rn. 4 und vom 16. Februar 1976 – BVerwG 7 B 18.76 – Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 143 S. 23 f.). Hiernach sind die Voraussetzungen für eine Divergenzzulassung nicht gegeben, weil die von der Klägerin in Bezug auf die Auslegung und Anwendung des § 5 Abs. 1 RDG geltend gemachte Abweichung ausschließlich nichtrevisibles Recht betrifft. Zwar hat der Senat in der herangezogenen Entscheidung die in Rede stehende landesrechtliche Norm in der von ihm seinerzeit für richtig gehaltenen Auslegung als bundesrechtskonform beurteilt, er hat jedoch nicht entschieden, dass sie nur in dieser Auslegung bundesrechtlichen Vorgaben standhält, so dass eine abweichende Auslegung des Landesrechts durch das Oberverwaltungsgericht keinen bundesrechtlichen Widerstreit zu den Ausführungen des Senats begründet.
3. Die Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) greift ebenfalls nicht durch. Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass der behauptete absolute Revisionsgrund des § 138 Nr. 6 VwGO vorliegt.
Ein bei seiner Verkündung noch nicht vollständig abgefasstes Urteil ist im Sinne von § 138 Nr. 6 VwGO nicht mit Gründen versehen, wenn Tatbestand und Entscheidungsgründe nicht binnen fünf Monaten nach Verkündung schriftlich niedergelegt, von den Richtern unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben worden sind (Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 27. April 1993 – GmS-OGB 1/92 – BVerwGE 92, 367 ≪371 ff.≫; BVerwG, Urteil vom 30. Mai 2012 – BVerwG 9 C 5.11 – Buchholz 406.11 § 246a BauGB Nr. 1 Rn. 23). Wird die Frist von fünf Monaten eingehalten, kann ein Urteil gleichwohl als nicht mit Gründen versehen gelten. Das ist der Fall, wenn zu dem Zeitablauf besondere Umstände hinzutreten, die bereits wegen des Zeitablaufs bestehende Zweifel zu der Annahme verdichten, dass der gesetzlich geforderte Zusammenhang zwischen der Urteilsfindung und den schriftlich niedergelegten Gründen nicht mehr gewahrt ist (Urteil vom 30. Mai 2012 a.a.O. Rn. 24; Beschluss vom 9. August 2004 – BVerwG 7 B 20.04 – juris Rn. 17). Danach leidet die angefochtene Entscheidung nicht an einem Begründungsmangel. Das Berufungsgericht hat die Fünf-Monats-Frist nicht überschritten. Es hat sein Urteil am 11. Juni 2013 verkündet. Die vollständig abgefasste Entscheidung gelangte spätestens am 8. November 2011 zur Geschäftsstelle (vgl. Bl. 103 der Gerichtsakte). Hierauf und nicht auf die Zustellung des Urteils an die Klägerin am 14. November 2013 (ohne Verkündungsvermerk) oder auf die erneute Übersendung am 23. Dezember 2013 (mit Verkündungsvermerk) ist abzustellen (Beschluss vom 9. August 2004 a.a.O. Rn. 16). Die Beschwerde legt auch keine besonderen Umstände dar, die in Verbindung mit dem Zeitablauf darauf schließen ließen, dass die schriftlichen Urteilsgründe und die für die richterliche Urteilsfindung am 11. Juni 2013 tatsächlich leitend gewordenen Gründe auseinander fallen. Allein dass die Maximalfrist von fünf Monaten nur um wenige Tage eingehalten ist, rechtfertigt einen solchen Schluss nicht. Zusätzliche, über den bloßen Zeitablauf hinausgehende Gesichtspunkte werden weder von der Klägerin angeführt, noch bestehen sonst Anhaltspunkte, dass der Zusammenhang zwischen richterlicher Überzeugungsbildung und schriftlicher Urteilsbegründung nicht mehr gewahrt ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.
Unterschriften
Kley, Dr. Wysk, Dr. Kuhlmann
Fundstellen