Leitsatz (amtlich)
Die Neubekanntmachung einer im Wortlaut unverändert gebliebenen untergesetzlichen Vorschrift löst nur dann erneut die Antragsfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO aus, wenn mit dieser Vorschrift eine neue Beschwer einhergeht. Das ist immer dann der Fall, wenn der Normgeber bei einem mit Fehlern behafteten Erlass der Vorgängerregelung den Geltungsanspruch der Vorschrift erneuern wollte, und hängt im Übrigen von einer Auslegung der Vorschrift ab.
Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Urteil vom 18.11.2020; Aktenzeichen 2 KN 644/19) |
Tenor
Die Beschwerde der Antragsteller gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 18. November 2020 wird zurückgewiesen.
Die Antragsteller tragen jeweils 1/3 der Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 15 000 € festgesetzt.
Gründe
I
Rz. 1
Mit ihren Normenkontrollanträgen wenden sich die Antragsteller gegen die in § 5 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung über die Lehrverpflichtung an Hochschulen (Lehrverpflichtungsverordnung - LVVO 2018) vom 3. September 2018 (Nds. GVBl. S. 181) auf 18 Lehrveranstaltungsstunden festgesetzte Regellehrverpflichtung für Fachhochschulprofessoren. Der Wortlaut der Vorschrift ist gegenüber den früheren Regelungen in § 5 Abs. 1 Nr. 1 LVVO vom 2. August 2007 (Nds. GVBl. S. 408), vom 11. Februar 2000 (Nds. GVBl. S. 18) und vom 18. Januar 1996 (Nds. GVBl. S. 20) unverändert geblieben.
Rz. 2
Das Oberverwaltungsgericht hat den Normenkontrollantrag mit Urteil vom 18. November 2020 (Nds. VBl. 2021, 274) als verfristet abgelehnt. Die Vorschrift entfalte für die Antragsteller keine neue Beschwer, so dass ihre Bekanntgabe die Frist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO nicht erneut in Gang gesetzt habe. Die Vorinstanz hat die Revision gegen das Urteil nicht zugelassen. Dagegen richtet sich die Beschwerde der Antragsteller.
II
Rz. 3
Die auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg.
Rz. 4
1. Grundsätzlich bedeutsam im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache nur, wenn für die angefochtene Entscheidung der Vorinstanz eine konkrete, fallübergreifende und bislang ungeklärte Rechtsfrage des revisiblen Rechts von Bedeutung war, deren Klärung in dem erstrebten Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zur Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 20. Juli 2016 - 6 B 35.16 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 425 Rn. 3, vom 21. Dezember 2017 - 6 B 43.17 - Buchholz 421.2 Hochschulrecht Nr. 198 Rn. 6 m.w.N. und vom 15. März 2021 - 6 BN 2.20 - juris Rn. 6). Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt für die Geltendmachung dieses Zulassungsgrundes die Bezeichnung einer konkreten Rechtsfrage, die für die erstrebte Revisionsentscheidung erheblich sein wird, und Ausführungen zu dem Grund, der ihre Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll. Die Beschwerde muss erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (BVerwG, Beschluss vom 8. Januar 2021 - 6 B 48.20 - NWVBl. 2021, 239 Rn. 7 m.w.N.). Ein derartiger Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage auf der Grundlage der höchstrichterlichen Rechtsprechung oder des Gesetzeswortlauts mit Hilfe der üblichen Auslegungsregeln eindeutig beantwortet werden kann und die Beschwerde keine neuen, bislang nicht behandelten Gesichtspunkte aufzeigt (stRspr, BVerwG, Beschlüsse vom 5. März 2020 - 6 B 1.20 - Buchholz 402.44 VersG Nr. 23 Rn. 5, vom 13. Dezember 2019 - 6 B 30.19 - Buchholz 402.41 Allgemeines Polizeirecht Nr. 117 Rn. 6 und vom 27. Januar 2015 - 6 B 43.14 - Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 421 Rn. 8).
Rz. 5
Die Beschwerde wirft als grundsätzlich bedeutsam die Fragen auf,
"... ob die Rechtsprechung zur Änderung von Rechtsvorschriften, die Antragsfrist gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO werde nur hinsichtlich geänderter Regelungen ausgelöst, auf den Erlass rechtswidriger Vorschriften übertragen werden kann (...)."
und für den Fall der Übertragbarkeit,
"... ob für eine dann erforderliche zusätzliche Beschwer der Antragsteller*innen allein auf den Wortlaut einer Vorschrift abzustellen ist oder dabei ein bei gleichem Wortlaut durch andere Änderungen - hier der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - veränderter Inhalt zu berücksichtigen ist."
Rz. 6
Die Fragestellung rechtfertigt die Zulassung der Revision schon deshalb nicht, weil sie sich dem Oberverwaltungsgericht weder gestellt hat noch stellen musste und sich deshalb in einem Revisionsverfahren nicht als klärungsfähig erweist. Denn in dem mit der Beschwerde angegriffenen Prozessurteil hatte sich die Vorinstanz nicht mit der Rechtmäßigkeitsbeurteilung der angegriffenen Vorschrift zu befassen. Diese Beurteilung ist vielmehr der gerichtlichen Normprüfung in der Begründetheitsstation vorbehalten, in die das Normenkontrollgericht erst auf einen zulässigerweise erhobenen Normenkontrollantrag eintreten darf (vgl. BVerwG, Beschluss vom 14. Dezember 2018 - 6 B 133.18 - Buchholz 442.066 § 47 TKG Nr. 5 Rn. 20).
Rz. 7
Auch wenn man bei rechtsschutzfreundlicher Betrachtung in der von der Beschwerde gewählten Formulierung die Fragestellung enthalten sehen will, ob die zur (Nicht-)Auslösung der Antragsfrist bei Änderung von Rechtsvorschriften ergangene Rechtsprechung auf den Neuerlass von Rechtsvorschriften übertragen werden könne, und für eine dann erforderliche zusätzliche Beschwer der Antragsteller allein auf den Wortlaut einer Vorschrift abzustellen oder bei gleichem Wortlaut durch andere Änderungen - hier der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts - veränderter Inhalt zu berücksichtigen sei, verhilft das der Beschwerde nicht zum Erfolg. Denn die Fragen zur Auslösung der Antragsfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO sind, soweit sie das revisible Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO) betreffen und der Beurteilung durch das Bundesverwaltungsgericht unterliegen, in der höchstrichterlichen Rechtsprechung geklärt.
Rz. 8
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts löst die Bekanntmachung der Änderung einer Rechtsvorschrift durch eine neu eingefügte Norm nur für diese erneut eine Antragsfrist aus (BVerwG, Urteil vom 21. Januar 2004 - 8 CN 1.02 - BVerwGE 120, 82 ≪84≫) und dies auch nur dann, wenn mit der Änderung für den Antragsteller eine neue Beschwer einhergeht (BVerwG, Beschluss vom 14. März 2018 - 6 BN 3.17 - juris Rn. 13). Für eine unverändert gebliebene Regelung beginnt die Antragsfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO grundsätzlich nur dann neu zu laufen, wenn sie ausnahmsweise eine neue belastende Wirkung entfaltet. Wird die unveränderte Regelung bei Gelegenheit der Änderung nur (mit-)veröffentlicht, handelt es sich - hinsichtlich der unveränderten Regelung - lediglich um eine schlicht deklaratorische Neubekanntmachung, die die Antragsfrist nicht erneut anlaufen lässt (BVerwG, Beschluss vom 20. September 2007 - 4 BN 20.07 - BRS 71 Nr. 47 Rn. 9).
Rz. 9
Entsprechend kann nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bei Änderungsgesetzen eine Verfassungsbeschwerde in der Jahresfrist des § 93 Abs. 3 BVerfGG grundsätzlich nur gegen die geänderten Vorschriften erhoben werden. Die Ausschlussfrist wird nicht neu eröffnet, wenn eine unverändert gebliebene oder nur redaktionell veränderte Norm lediglich vom Gesetzgeber neu in seinen Willen aufgenommen wird und keinen neuen oder erweiterten Inhalt erlangt (BVerfG, Beschluss vom 12. Oktober 2011 - 2 BvR 236, 237, 422/08 - BVerfGE 129, 208 ≪234≫ m.w.N.). Etwas anderes gilt nur, wenn sich für den Beschwerdeführer aus dem Zusammenwirken der unveränderten mit einer veränderten Norm eine neue, stärkere als die bisherige Beschwer ergibt (BVerfG, Kammerbeschluss vom 10. September 2009 - 1 BvR 2054/09 - NVwZ 2010, 38 Rn. 11). Denn § 93 Abs. 3 BVerfGG dient - wie § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO - der Rechtssicherheit; die Ausschlussfristen sollen die zu einer prozessualen Handlung Berechtigten veranlassen, diese Handlung nicht beliebig lange hinauszuschieben. Es ist kein Grund vorhanden, den Lauf dieser Fristen für eine unverändert gebliebene Bestimmung deshalb erneut beginnen zu lassen, weil der Normgeber sie gelegentlich der Änderung anderer Bestimmungen desselben Regelungswerks erneut in seinen Willen aufgenommen hat (BVerfG, Kammerbeschluss vom 30. Juli 2003 - 1 BvR 646/02 - NVwZ 2004, 96).
Rz. 10
Eine neue Beschwer geht mit der Bekanntmachung einer im Wortlaut unverändert gebliebenen Vorschrift - unabhängig von einer materiell-rechtlichen Vergleichsbetrachtung mit der früheren Rechtslage - immer dann einher, wenn der Normgeber bei einem mit Fehlern behafteten Erlass der Vorgängerregelung den Geltungsanspruch der Vorschrift erneuern wollte (BVerwG, Urteile vom 21. Januar 2004 - 8 CN 1.02 - BVerwGE 120, 82 ≪84≫; vom 27. Oktober 2010 - 8 CN 2.09 - Buchholz 430.4 Berufsständisches Versorgungsrecht Nr. 53 Rn. 17 und vom 18. August 2015 - 4 CN 10.14 - BVerwGE 152, 379 Rn. 7).
Rz. 11
Im Übrigen hängt es von der Auslegung der angegriffenen Satzungs- oder Verordnungsbestimmung ab, ob diese eine neue Beschwer auslöst. Das ist auch bei deren unverändertem Wortlaut der Fall, wenn der Normgeber bei einem Neuerlass des gesamten Regelungswerks selbst davon ausgeht, die angegriffene Norm im Wege konstitutiver Ersetzung neu gestaltet zu haben (BVerwG, Urteile vom 21. Januar 2004 - 8 CN 1.02 - BVerwGE 120, 82 ≪85≫; vom 26. September 2012 - 6 CN 1.11 - BVerwGE 144, 195 Rn. 11 und vom 22. Januar 2020 - 8 CN 2.19 - BVerwGE 167, 267 Rn. 8). Ansonsten ist es eine Frage der systematischen Auslegung, ob eine selbst unverändert gebliebene Regelung im Kontext mit geänderten anderen Vorschriften des ursprünglichen Regelwerks eine neue belastende Wirkung entfaltet. Schließlich führt die klarstellende Änderung einer Vorschrift dann zu einer neuen Beschwer für die Betroffenen, wenn die Modifikation deren Anwendungsbereich eindeutiger zum Ausdruck bringt und damit präzisiert (BVerwG, Urteil vom 30. September 2009 - 8 CN 1.08 - Buchholz 310 § 47 VwGO Nr. 177 Rn. 24).
Rz. 12
Den zuletzt genannten drei Fallgruppen ist gemein, dass die für den Anlauf der Antragsfrist des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO notwendige neue Beschwer des Antragstellers sich nur durch Auslegung der angegriffenen Rechtsnorm selbst oder der im Kontext stehenden geänderten Vorschriften ermitteln lässt. Hat das Oberverwaltungsgericht die angegriffene landesrechtliche Vorschrift dahingehend ausgelegt und ist es - wie im vorliegenden Fall - zu dem Ergebnis gelangt, dass diese für die Antragsteller keine neue Beschwer auslöst, ist das Bundesverwaltungsgericht in dem erstrebten Revisionsverfahren an die Auslegung des irrevisiblen Rechts durch die Vorinstanz gebunden (§ 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 560 ZPO).
Rz. 13
Die Antragsteller treten dem Auslegungsergebnis des Normenkontrollgerichts unter Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entgegen, das zur Bestimmung des Schutzbereichs der in Art. 5 Abs. 3 GG garantierten Wissenschaftsfreiheit auf den Wandel der den Fachhochschullehrern von den Landesgesetzgebern zugewiesenen Aufgaben hingewiesen hat (BVerfG, Beschluss vom 13. April 2010 - 1 BvR 216/07 - BVerfGE 126, 1 ≪19 ff.≫). Abgesehen davon, dass die von der Beschwerde angeführte Passage aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts lediglich die hochschul- und dienstrechtliche Rechtsentwicklung ohne maßstäbliche Rechtssätze für die Auslegung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 LVVO 2018 nachzeichnet, können die Antragsteller mit dieser im Gewande der Grundsatzrüge vorgebrachten Kritik an der Auslegung irrevisiblen Rechts durch die Vorinstanz die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht erreichen.
Rz. 14
2. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1 VwGO i.V.m. § 100 Abs. 1 ZPO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.
Fundstellen
DÖV 2022, 92 |
VR 2022, 108 |
BayVBl. 2022, 101 |