Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 30.04.2019; Aktenzeichen 3d A 1816/17.O) |
VG Düsseldorf (Entscheidung vom 29.05.2017; Aktenzeichen 31 K 6358/15.O) |
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 30. April 2019 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
Rz. 1
1. Der... geborene Beklagte ist Lehrer (Besoldungsgruppe A 12) an einer Realschule. Er ist unverheiratet und kinderlos. Mit Strafbefehl vom 28. Mai 2014 wurde er wegen des Verbreitens kinderpornografischer Schriften nach § 184b Abs. 4 und § 74 StGB zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen verurteilt. Der Verurteilung zugrunde lag, dass anlässlich einer Hausdurchsuchung beim Beklagten auf seinem privaten Laptop 355 Bilddateien kinderpornografischen Inhalts - u.a. auch mit der Darstellung des Geschlechts-, Oral- und Analverkehrs zwischen Erwachsenen und Kindern - und 12 kinderpornografische Videodateien gefunden worden waren, die zwischen Februar 2010 und Dezember 2012 hochgeladen worden waren. Auf seinen auf das Strafmaß beschränkten Einspruch reduzierte das Amtsgericht die Geldstrafe auf 90 Tagessätze.
Rz. 2
Im sachgleichen Disziplinarverfahren ist der Beklagte erstinstanzlich aus dem Beamtenverhältnis entfernt worden. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen und zur Begründung u.a. ausgeführt: Der Beklagte habe seine Pflicht zu achtungswürdigem Verhalten verletzt und ein schweres außerdienstliches Dienstvergehen begangen, das bei ihm als Lehrer einen engen dienstlichen Bezug aufweise. Bei der Gesamtwürdigung aller Gesichtspunkte sei die Entfernung aus dem Beamtenverhältnis geboten. Von einer erheblich verminderten Schuldfähigkeit sei nicht auszugehen, weil nach der Diagnose sowohl des den Beklagten behandelnden Arztes als auch des gerichtlich beauftragten Sachverständigen es keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass eines der in § 20 StGB genannten Eingangsmerkmale vorgelegen haben könnte. Auch der Milderungsgrund der "Entgleisung während einer inzwischen überwundenen negativen Lebensphase" sei nicht gegeben. Die vom Beklagten angeführten Belastungen aufgrund einer konfliktbeladenen Beziehung zu einer Frau genügten insoweit nicht, zumal er bereits im Jahr 2013 in der Lage gewesen sei, eine neue Beziehung einzugehen und sich auf eine Affäre einzulassen.
Rz. 3
2. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 67 LDG NRW i.V.m. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
Rz. 4
Grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine - vom Beschwerdeführer zu bezeichnende - grundsätzliche, bisher höchstrichterlich nicht beantwortete Rechtsfrage aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder einer Weiterentwicklung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf und die für die Entscheidung des Revisionsgerichts erheblich sein wird (stRspr, BVerwG, Beschluss vom 2. Oktober 1961 - 8 B 78.61 - BVerwGE 13, 90 ≪91 f.≫). Ein Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt ist oder auf der Grundlage der bestehenden bundesgerichtlichen Rechtsprechung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregelungen auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens eindeutig beantwortet werden kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24. Januar 2011 - 2 B 2.11 - NVwZ-RR 2011, 329 Rn. 4, vom 9. April 2014 - 2 B 107.13 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 20 Rn. 9 und vom 20. Juni 2017 - 2 B 84.16 - juris Rn. 9).
Rz. 5
Die von der Beschwerde für grundsätzlich klärungsbedürftig gehaltene Frage
"Kann der Milderungsgrund der Entgleisung während einer inzwischen überwundenen negativen Lebensphase auch dann angenommen werden, wenn der Zeitraum der negativen Lebensphase mehrere Jahre beträgt?"
rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht.
Rz. 6
Dies ergibt sich bereits daraus, dass sich die aufgeworfene Frage in einem Revisionsverfahren nicht stellen würde. Zum einen hat das Berufungsgericht das Vorliegen des Milderungsgrundes der Entgleisung während einer inzwischen überwundenen negativen Lebensphase nicht deshalb verneint, weil die Lebensphase mehrere Jahre angedauert hat, sondern u.a. deshalb, weil die Belastungen in dieser Phase nicht gravierend genug waren, um eine "negative Lebensphase" annehmen zu können. Zum anderen geht die Rüge - wie sich aus den Ausführungen zu ihrer Begründung ergibt - von anderen als den vom Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegten Voraussetzungen aus: Sie meint, dass die negative Lebensphase nicht - wie vom Berufungsgericht angenommen - im Jahre 2010, sondern bereits im Jahre 2006 begonnen habe und greift deshalb letztlich die Einzelfallwürdigung des Berufungsgerichts an.
Rz. 7
Außerdem sind die Anforderungen an den Milderungsgrund der Entgleisung in einer mittlerweile überwundenen negativen Lebensphase - soweit dies in verallgemeinerungsfähiger Form möglich ist - geklärt.
Rz. 8
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts setzt der - gesetzlich nicht bestimmte, sondern lediglich in der gerichtlichen Praxis entwickelte - Milderungsgrund der "Entgleisung während einer negativen, inzwischen überwundenen Lebensphase" außergewöhnliche Verhältnisse voraus, die den Beamten während des Tatzeitraums oder im Tatzeitpunkt "aus der Bahn geworfen" haben. Die mildernde Berücksichtigung liegt vor allem dann nahe, wenn sich der Pflichtenverstoß als Folge dieser Verhältnisse darstellt. Allerdings muss der Beamte diese Lebensphase in der Folgezeit überwunden haben. Dies ist anzunehmen, wenn sich seine Lebensverhältnisse wieder soweit stabilisiert haben, dass nicht mehr davon die Rede sein kann, er sei weiterhin "aus der Bahn" geworfen. Eine derartige Stabilisierung indiziert, dass weitere Pflichtenverstöße gleicher Art nicht zu besorgen sind (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. Juni 2016 - 2 B 49.15 - Buchholz 235.1 § 13 BDG Nr. 36 Rn. 10 m.w.N.). Es muss sich um eine persönlich besonders belastende Situation gehandelt haben, die so gravierend ist, dass die Pflichtverletzung des Beamten in einem milderen Licht erscheint, weil ein an normalen Maßstäben orientiertes Verhalten vom Beamten nicht mehr erwartet und damit nicht mehr vorausgesetzt werden kann. Wenn aber das Verhalten des Beamten zum Tatzeitpunkt in keiner Hinsicht auffällig gewesen ist, bestehen auch keine Anhaltspunkte für die Annahme, der Beamte sei aufgrund von außergewöhnlichen Umständen "zeitweilig aus der Bahn geworfen" (stRspr, vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 12. Juli 2018 - 2 B 1.18 - Buchholz 235.1 § 38 BDG Nr. 1 Rn. 14 ff. m.w.N.).
Rz. 9
Einen hierüber hinausgehenden Klärungsbedarf zeigt die Beschwerde nicht auf. Es ist nicht in verallgemeinerungsfähiger Form zu beantworten, sondern stets nach den Gegebenheiten des Einzelfalles zu beurteilen, welcher Zeitabschnitt im konkreten Fall als negative Lebensphase angesehen werden kann oder nicht.
Rz. 10
3. Die Revision ist auch nicht wegen des geltend gemachten Verfahrensfehlers (§ 67 Satz 1 LDG NRW, § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) der Verletzung der Sachaufklärungspflicht zuzulassen.
Rz. 11
Gemäß § 57 Abs. 1 Satz 1 LDG NRW erhebt das Gericht die erforderlichen Beweise. Demnach hat es grundsätzlich selbst und von Amts wegen diejenigen Tatsachen zu ermitteln und festzustellen, die für den Nachweis des Dienstvergehens und die Bemessung der Disziplinarmaßnahme von Bedeutung sind (vgl. BT-Drs. 14/4659 S. 49 zu § 58 BDG). Entsprechend § 86 Abs. 1 VwGO folgt daraus die Verpflichtung, diejenigen Maßnahmen der Sachaufklärung zu ergreifen, die sich nach Lage der Dinge aufdrängen. Dies gilt gemäß § 65 Abs. 1 Satz 1 LDG NRW auch für die Berufungsinstanz (BVerwG, Beschluss vom 28. Februar 2017 - 2 B 85.16 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 49 Rn. 5).
Rz. 12
Eine Aufklärungsrüge (§ 57 Abs. 1 Satz 1, § 65 Abs. 1 Satz 1 LDG NRW, § 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO; § 67 Satz 1, § 3 Abs. 1 LDG NRW i.V.m. § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) erfordert zum einen die substanziierte Darlegung, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände aus der materiell-rechtlichen Sicht des Berufungsgerichts Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern diese unter Zugrundelegung der materiell-rechtlichen Auffassung des Tatsachengerichts zu einer für den Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung hätten führen können. Zum anderen muss dargelegt werden, dass bereits im Berufungsverfahren, insbesondere in der mündlichen Berufungsverhandlung, auf die Sachverhaltsaufklärung, deren Unterlassen nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist, oder dass sich dem Berufungsgericht die Notwendigkeit der bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken hätte aufdrängen müssen. Die Aufklärungsrüge stellt kein Mittel dar, um Versäumnisse eines anwaltlich vertretenen Beteiligten in der Tatsacheninstanz zu kompensieren, vor allem wenn er es - wie hier - unterlassen hat, einen Beweisantrag zu stellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Januar 1969 - 6 C 52.65 - BVerwGE 31, 212 ≪217 f.≫; Beschlüsse vom 19. August 1997 - 7 B 261.97 - Buchholz 310 § 133 ≪n.F.≫ VwGO Nr. 26 S. 14, vom 29. März 2017 - 2 B 26.16 - Buchholz 235.1 § 58 BDG Nr. 13 Rn. 7 f. und vom 19. Februar 2018 - 2 B 51.17 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 56 Rn. 6).
Rz. 13
Diesen Anforderungen genügt das Beschwerdevorbringen im vorliegenden Fall nicht. Die Beschwerde ist der Ansicht, das Berufungsgericht hätte hinsichtlich der vom Sachverständigen angesprochenen weiteren psychosexuellen Problemkreise nachfragen müssen und der Beklagte hätte weiter exploriert werden müssen. Das Beschwerdevorbringen verhält sich jedoch nicht dazu, welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der als fehlend gerügten Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären und inwiefern diese unter Zugrundelegung der materiell-rechtlichen Auffassung des Tatsachengerichts zu einer für den Beschwerdeführer günstigeren Entscheidung hätten führen können.
Rz. 14
Im Übrigen ist - unabhängig davon, dass der anwaltlich vertretene Beklagte in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht keinen entsprechenden Beweisantrag gestellt hat - dieser Aspekt im Berufungsverfahren aufgeklärt worden, soweit dies möglich war: Ausweislich der Sitzungsniederschrift des Berufungsgerichts ist der medizinische Sachverständige von einer im fraglichen Zeitpunkt gestörten Persönlichkeit des Beklagten ausgegangen, die psychotherapeutischer Behandlung bedurft habe. Es sei aber trotz aller Bemühungen nicht zu explorieren gewesen, ob bei dem Beklagten eine pädophile Nebenströmung oder eine Erscheinung im Zusammenhang mit einer Lebenskrise vorgelegen habe. Allerdings gebe die drei Jahre dauernde Befassung mit Kinderpornografie einen dringenden Hinweis in Richtung einer psychosexuellen Problematik. In jedem Fall sei seine Steuerungsfähigkeit im Tatzeitraum nicht beeinträchtigt gewesen. Die Explorierung einer möglichen Nebenstrompädophilie sei nur möglich, wenn die Probanden nicht "mauerten". Damit hat das Berufungsgericht alles an Aufklärungsbemühungen unternommen, was der Sache nach möglich und notwendig war.
Rz. 15
Insoweit unterscheidet sich dieser Fall von demjenigen, in dem der Senat eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht angenommen hat, weil das Disziplinargericht die Frage, ob bei dem Beamten eine bestimmte Störung vorlag, offengelassen hat, weil eine solche Störung jedenfalls nicht ein Eingangsmerkmal im Sinne der §§ 20, 21 StGB erfülle. Die Frage, ob die Verminderung der Steuerungsfähigkeit aufgrund einer krankhaften seelischen Störung "erheblich" gewesen sei, sei zwar eine von den Verwaltungsgerichten in eigener Verantwortung zu beantwortende Rechtsfrage. Als Vorfrage müsse indes geklärt werden, ob der Beamte im Tatzeitraum an einer Krankheit gelitten hat, die seine Fähigkeit, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, vermindert hat. Erst wenn die seelische Störung und ihr Schweregrad feststünden oder nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" nicht ausgeschlossen werden könnten, könne beurteilt werden, ob die Voraussetzungen für eine erheblich geminderte Schuldfähigkeit vorliegen (BVerwG, Beschluss vom 28. Februar 2017 - 2 B 85.16 - Buchholz 235.2 LDisziplinarG Nr. 49).
Rz. 16
Im vorliegenden Fall hingegen hat das Berufungsgericht alle Aufklärungsbemühungen unternommen. Die Sachaufklärungsmöglichkeit und damit auch -notwendigkeit findet dort ihre Grenze, wo eine weitere Exploration wegen "Mauerns" des zu Explorierenden nicht möglich ist. Es sind weder konkrete Anhaltspunkte dargetan noch erkennbar, aufgrund derer sich dem Berufungsgericht im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung in dieser Situation eine weitere Aufklärung hätte aufdrängen müssen.
Rz. 17
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 74 Abs. 1 LDG NRW, § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts bedarf es nicht, weil für das Beschwerdeverfahren Festgebühren nach dem Gebührenverzeichnis der Anlage zu § 75 LDG NRW erhoben werden.
Fundstellen
Dokument-Index HI13709017 |