Entscheidungsstichwort (Thema)
Klagebefugnis. Nachbarklage. Wohnungseigentum. Sondereigentum
Leitsatz (amtlich)
Für eine öffentlich-rechtliche Nachbarklage gegen eine Baugenehmigung, mit der bauliche Maßnahmen an Teilen des Gebäudes einer Wohnanlage, die im gemeinschaftlichen Eigentum der Wohnungseigentümer stehen, gestattet werden, fehlt dem einzelnen Wohnungseigentümer auch dann die Klagebefugnis, wenn die Genehmigung einem anderen Wohnungseigentümer oder einem der Wohnungseigentümergemeinschaft nicht angehörenden Dritten erteilt worden ist.
Normenkette
VwGO § 42 Abs. 2; WEG § 14 Nr. 1, § 15 Abs. 3, § 22 Abs. 1 S. 2, § 43 Abs. 1 Nr. 1
Verfahrensgang
OVG für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein (Beschluss vom 19.12.1989; Aktenzeichen 1 L 91/89) |
VG Schleswig-Holstein (Entscheidung vom 24.01.1989; Aktenzeichen 8 A 110/88) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Beschluß des Oberverwaltungsgerichts für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein vom 19. Dezember 1989 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 6 000 DM festgesetzt.
Gründe
Der Klägerin gehört eine Eigentumswohnung in einer Wohnanlage. Sie wendet sich gegen die den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für die Errichtung einer Balkonterrasse auf Dachflächen der Wohnanlage, die im gemeinschaftlichen Eigentum der Wohnungseigentümer stehen. Der Beigeladenen zu 2 gehören zwei andere Wohnungen der Wohnanlage; nur von diesen Wohnungen aus ist die genehmigte Terrasse zugänglich. Der Beigeladene zu 1 ist der Ehemann der Beigeladenen zu 2. Die Klage ist im ersten und im zweiten Rechtszug abgewiesen worden, weil sie unzulässig sei.
Die Beschwerde der Klägerin bleibt erfolglos. Aus dem Beschwerdevorbringen lassen sich Gründe für eine Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO nicht entnehmen.
Soweit die Beschwerde rügt, der angefochtene Beschluß des Berufungsgerichts weiche von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. Mai 1988 – BVerwG 4 C 20.85 – (DVB1. 1988, 851 = DÖV 1988, 837 = BRS 48 Nr. 154) ab, ist sie unzulässig. Denn ein Zulassungsgrund nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wird in der Beschwerdeschrift nicht dargelegt. Eine Abweichung im Sinne dieser Vorschrift ist nur gegeben, wenn das Berufungsgericht in einer Rechtsfrage anderer Auffassung ist als das Bundesverwaltungsgericht. Dies erfordert gemäß § 132 Abs. 3 Satz 3 VwGO, daß in der Beschwerde ein die Entscheidung des Berufungsgerichts tragender Rechtssatz bezeichnet wird, der mit einem Rechtssatz aus einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in Widerspruch steht (BVerwG, Beschluß vom 18. August 1982 – BVerwG 6 PB 3.81 – Buchholz 238.38 § 114 LPersVG Rheinland-Pfalz Nr. 1, ständige Rechtsprechung). Daran fehlt es hier. Die Beschwerde entnimmt dem Urteil des Senats vom 4. Mai 1988 sinngemäß den Rechtssatz, daß eine die öffentlich-rechtliche Nachbarklage ausschließende Teilidentität zwischen dem Inhaber einer Baugenehmigung und dem durch die Genehmigung möglicherweise Betroffenen dann bestehe, wenn die Baugenehmigung einer Wohnungseigentümergemeinschaft erteilt und ein Mitglied der Gemeinschaft durch sie beeinträchtigt werde. Demgegenüber vertrete das Berufungsgericht die Auffassung, Teilidentität im genannten Sinne bestehe, wenn sich die Baugenehmigung auf einen im Gemeinschaftseigentum stehenden Gebäudeteil beziehe und ein Mitglied der Gemeinschaft durch sie beeinträchtigt werde. Ob diese Interpretationen der beiden Entscheidungen zutreffen, kann offenbleiben. Jedenfalls ergibt sich aus ihnen kein Widerspruch zwischen der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts und der des Bundesverwaltungsgerichts. Unterschiedlich sind vielmehr die Sachverhalte. In der Entscheidung des Senats vom 4. Mai 1988 ging es um die Anfechtung einer das gemeinschaftliche Eigentum betreffenden Baugenehmigung, die der Gemeinschaft erteilt worden war. Im vorliegenden Rechtsstreit geht es um eine solche Genehmigung, die einem einzelnen Wohnungseigentümer und einem außenstehenden Dritten erteilt worden ist. Wenn das Berufungsgericht diesen Fall wie den erstgenannten beurteilt, setzt es sich nicht in Widerspruch zu der vom Bundesverwaltungsgericht in dem Urteil vom 4. Mai 1988 vertretenen Rechtsauffassung.
Für im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO grundsätzlich bedeutsam hält die Beschwerde sinngemäß die Frage, ob sich ein Wohnungseigentümer im Hinblick auf Beeinträchtigungen seines Sondereigentums mit der öffentlich-rechtlichen Nachbarklage gegen eine einem anderen Wohnungseigentümer oder einem Nichteigentümer erteilte Baugenehmigung, die einen im gemeinschaftlichen Eigentum stehenden Teil des Gebäudes betrifft, wenden könne. Auch diese Frage rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht, weil sie durch die Rechtsprechung des Senats bereits hinreichend geklärt ist.
Soweit sich die Rechtsfrage auf das Verhältnis zu einem anderen Wohnungseigentümer derselben Anlage – hier: die Beigeladene zu 2 – bezieht, ist durch das Urteil des Senats vom 14. Oktober 1988 – BVerwG 4 C 1.86 – (DVB1. 1989, 356 = BRS 48 Nr. 155) geklärt, daß die öffentlich-rechtliche Nachbarklage unzulässig ist. Der Ausschluß öffentlich-rechtlicher Schutzansprüche innerhalb der Miteigentümergemeinschaft ergibt sich aus der Ausgestaltung, die das Wohnungseigentum im Wohnungseigentumsgesetz gefunden hat. Gemäß § 15 Abs. 3 WEG kann jeder Wohnungseigentümer einen solchen Gebrauch sowohl der in Sondereigentum stehenden Gebäudeteile als auch des gemeinschaftlichen Eigentums verlangen, der dem Gesetz, den Vereinbarungen und Beschlüssen und, soweit sich die Regelung hieraus nicht ergibt, dem Interesse der Gesamtheit der Wohnungseigentümer nach billigem Ermessen entspricht. Gemäß § 43 Abs. 1 Nr. 1 WEG entscheidet das zuständige Amtsgericht im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit auf Antrag eines Wohnungseigentümers auch über die sich aus der Gemeinschaft der Wohnungseigentümer ergebenden Rechte und Pflichten der Wohnungseigentümer untereinander, also auch über die sich aus § 15 Abs. 3 WEG ergebenden Ansprüche. Der Inhalt dieser gegenseitigen Rechte und Pflichten bestimmt sich in erster Linie nach den zwischen den Wohnungseigentümern geltenden besonderen Vereinbarungen und Beschlüssen. Er wird durch die behördliche Gestattung einer bestimmten Nutzung des Sondereigentums nicht berührt; diese ergeht “unbeschadet der Rechte” des anderen Sondereigentümers und entfaltet ihm gegenüber keine öffentlich-rechtlichen Wirkungen. Soweit keine speziellen vertraglichen Regelungen bestehen, gelten ergänzend für das Rechtsverhältnis zwischen den Sondereigentümern auch die Normen des öffentlichen Baurechts. Auch diese hat der Amtsrichter bei der ihm übertragenen Entscheidung eines Streits zwischen den Sondereigentümern anzuwenden; dabei kommt es für seine Entscheidung nicht darauf an, ob diese Normen auch Nachbarschutz gewähren. Hiernach enthält das Wohnungseigentumsgesetz für das Verhältnis der einzelnen Sondereigentümer einer Wohnungseigentümergemeinschaft zueinander spezielle, den Inhalt des Sondereigentums bestimmende Regelungen sowohl materiellrechtlicher Art über die Abgrenzung der gegenseitig zustehenden Befugnisse als auch verfahrensrechtlicher Art darüber, wie diese Befugnisse durchzusetzen sind. Soweit sie greifen, ist für eine öffentlich-rechtliche Nachbarklage des Wohnungseigentümers kein Raum (BVerwG, Urteil vom 14. Oktober 1988, a.a.O.). Eine entsprechende Anwendung des öffentlich-rechtlichen Nachbarschaftsrechts kommt aus denselben Gründen nicht in Betracht.
Der vorliegende Fall zeigt allerdings, daß ein Wohnungseigentümer gleichwohl ein Interesse daran haben kann, die einem anderen Wohnungseigentümer erteilte Baugenehmigung zu Fall zu bringen. Die hier streitige Baugenehmigung ist nämlich erst beantragt und erteilt worden, nachdem das Landgericht Lübeck als Beschwerdegericht in einem vorangegangenen Rechtsstreit nach § 43 WEG zwischen der Klägerin und der Beigeladenen zu 2 die Auffassung vertreten hatte, ein Wohnungseigentümerbeschluß müsse von einem überstimmten Wohnungseigentümer nach den §§ 22 Abs. 1 Satz 2, 14 Nr. 1 WEG nicht hingenommen werden, wenn der Beschluß eine formell baurechtswidrige Veränderung des gemeinschaftlichen Eigentums billige (Landgericht Lübeck, Beschluß vom 19. Februar 1988 – 7 I 500/87 –). Auch auf der Grundlage dieser Rechtsprechung ist jedoch ein schutzwürdiges Interesse des durch die Baugenehmigung in seinen Rechten berührten Wohnungseigentümers, gegen die Genehmigung mit der öffentlich-rechtlichen Nachbarklage vorgehen zu können, zu verneinen. Da die Genehmigung ihm gegenüber keine öffentlich-rechtlichen Wirkungen entfaltet, wird er durch sie nicht gebunden. Er kann insbesondere die materielle Baurechtswidrigkeit der Baugenehmigung im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit geltend machen. Damit bleibt ein umfassender Rechtsschutz des betroffenen Wohnungseigentümers gewährleistet.
Ob der in seinem Sondereigentum betroffene Wohnungseigentümer auf den Rechtsschutz der freiwilligen Gerichtsbarkeit auch dann verwiesen werden kann, wenn die Baugenehmigung nicht einem anderen Mitglied der Wohnungseigentümergemeinschaft, sondern einem außenstehenden Dritten – hier: dem Beigeladenen zu 1, dem Ehemann der Beigeladenen zu 2 – erteilt worden ist, mag dagegen zweifelhaft sein. Dieser Rechtsschutz ist auf das Verhältnis der Miteigentümer untereinander beschränkt, so daß hinreichender Rechtsschutz allenfalls im Falle des Zusammenwirkens des Dritten mit einem anderen Miteigentümer – was bei Eheleuten allerdings anzunehmen sein dürfte – über das Verfahren nach § 43 WEG zu erlangen wäre.
Die Frage kann aber offenbleiben. Denn durch eine – wie hier – allein das gemeinschaftliche Eigentum betreffende Baugenehmigung kann ein Wohnungseigentümer keinen die Zulässigkeit der öffentlichen Nachbarklage rechtfertigenden Nachteil erleiden. Die Baugenehmigung als solche kann seine Rechte als Miteigentümer nicht verletzen. Sie ist im Hinblick auf alle Miteigentümer ein ausschließlich begünstigender Verwaltungsakt; denn sie erschöpft sich in der Feststellung, daß die bauliche Maßnahme mit dem öffentlichen Recht übereinstimmt, und gibt den Bau insoweit frei. Negative Folgen können erst durch die Verwirklichung der Baugenehmigung eintreten, nämlich wenn dadurch private Rechte verletzt werden (vgl. BVerwG, Beschluß vom 27. April 1988 – BVerwG 4 B 67.88 – BRS 48 Nr. 153). Insoweit ist es unerheblich, wem die Baugenehmigung erteilt worden ist. Insbesondere kommt es nicht darauf an, ob Inhaber der Baugenehmigung ein Mitglied der Wohnungseigentümergemeinschaft oder ein Außenstehender ist. Rechtswidrige Eingriffe in sein Miteigentum kann der Wohnungseigentümer mit den Mitteln des bürgerlichen Rechts abwehren. Die Baugenehmigungsbehörde ist auch nicht verpflichtet, die privatrechtliche Berechtigung des Antragstellers zu überprüfen; die Baugenehmigung ergeht unbeschadet privater Rechte und läßt diese unberührt. Die Behörde ist zwar berechtigt, die Baugenehmigung zu versagen, wenn dem Antragsteller infolge fehlender und auch nicht erreichbarer privatrechtlicher Berechtigung ein Antrags- oder Sachbescheidungsinteresse fehlt. Diese verfahrensrechtliche Befugnis hat aber keine drittschützende Wirkung (BVerwG, Urteil vom 26. März 1976 – BVerwG 4 C 7.74 – BVerwGE 50, 282 ≪285≫; vgl. auch Beschluß des Senats vom 27. April 1988, a.a.O., und Urteil vom 4. Mai 1988, a.a.O.).
Die Rechtslage ist nicht anders, wenn der betroffene Wohnungseigentümer auch Störungen von seinem Sondereigentum abwehren will. Da das Sondereigentum und der Miteigentumsanteil an dem gemeinschaftlichen Eigentum nicht voneinander getrennt werden können (vgl. § 6 Abs. 1 WEG), kann er als Miteigentümer alle Veränderungen an den im gemeinschaftlichen Eigentum stehenden Gebäudeteilen verhindern, soweit er sie nicht nach den Sondervorschriften des Wohnungseigentumsgesetzes hinzunehmen hat. Eines besonderen öffentlich-rechtlichen Schutzes seines Sondereigentums bedarf es insoweit nicht.
Unerheblich ist schließlich, ob tatsächlich nicht die Gemeinschaft, sondern nur ein anderer Wohnungseigentümer durch die Baugenehmigung begünstigt wird. An den privatrechtlichen Verhältnissen innerhalb der Wohnanlage kann eine Baugenehmigung nichts ändern. Das Landgericht Lübeck hat (a.a.O.) im übrigen ausgeführt, daß die Zuweisung der im gemeinschaftlichen Eigentum stehenden Balkonfläche an die Beigeladene zu 2 zur alleinigen Nutzung wegen des damit verbundenen Eingriffs in das Miteigentumsrecht der anderen Wohnungseigentümer aus § 13 Abs. 2 WEG der Zustimmung aller Wohnungseigentümer – hier also auch der Klägerin – bedarf.
Die von der Beschwerde als grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichnete Frage, ob § 63 Abs. 4 Satz 3 LBO Schleswig-Holstein außer dem Schutz der Verwaltung vor unberechtigter Inanspruchnahme auch den Schutz des Eigentümers vor einer sich aus der einem Dritten erteilten Baugenehmigung ergebenden Eigentumsgefährdung dient, rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht, weil sie nach irrevisiblem Landesrecht zu beurteilen und damit der rechtsgrundsätzlichen Klärung in einem Revisionsverfahren nicht zugänglich ist (§§ 137 Abs. 1 Nr. 1, 173 VwGO, § 562 ZPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO, die Festsetzung des Streitwertes auf den §§ 13 Abs. 1 Satz 1, 14 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Prof. Dr. Schlichter, Dr. Niehues, Dr. Lemmel
Fundstellen
MDR 1990, 671 |
DVBl. 1990, 789 |