Verfahrensgang
VG Berlin (Aktenzeichen 29 A 472.95) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerinnen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichts Berlin vom 30. Oktober 2000 wird zurückgewiesen.
Die Klägerinnen tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 1 Mio. DM festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Die Abweichung des Gerichtsbescheids von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) wird nicht prozessordnungsgemäß bezeichnet (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Soweit die Beschwerde eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) geltend macht, wird der Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) ebenfalls nicht prozessordnungsgemäß bezeichnet. Die geltend gemachte Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO) liegt nicht vor.
1. Der Zulassungsgrund der Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO ist nur dann hinreichend bezeichnet, wenn die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennnt, mit dem die Vorinstanz einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (stRspr, vgl. u.a. Beschluss vom 1. September 1997 – BVerwG 8 B 144.97 – Buchholz 406.11 § 128 BauGB Nr. 50 S. 7 ≪11≫). Die Beschwerde muss also die angeblich widersprüchlichen abstrakten Rechtssätze einander gegenüberstellen. Die Beschwerde benennt zwar in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellte Rechtssätze. Einen davon abweichenden vom Verwaltungsgericht aufgestellten Rechtssatz benennt sie jedoch nicht. Vielmehr macht sie allein geltend, das Verwaltungsgericht habe die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im Einzelfall unrichtig angewandt. Im Übrigen weicht der Gerichtsbescheid auch nicht von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ab. Vielmehr folgt er ihr ausdrücklich.
2. Eine Rüge der Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) setzt die Darlegung (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) voraus, welche Tatsachen auf der Grundlage der materiellrechtlichen Auffassung des Verwaltungsgerichts ermittlungsbedürftig gewesen wären, welche Beweismittel zu welchen Beweisthemen zur Verfügung gestanden hätten, welches Ergebnis diese Beweisaufnahme voraussichtlich gehabt hätte, inwiefern das verwaltungsgerichtliche Urteil unter Zugrundelegung der materiellrechtlichen Auffassung des Gerichts auf der unterbliebenen Sachaufklärung beruhen kann und dass die Nichterhebung der Beweise vor dem Tatsachengericht rechtzeitig gerügt worden ist oder aufgrund welcher Anhaltspunkte sich die unterbliebene Beweisaufnahme dem Gericht hätte aufdrängen müssen. Dem genügt die Beschwerde nicht. Sie legt nicht dar, aus welchen Gründen sich dem Verwaltungsgericht auch ohne einen Beweisantrag der bereits in erster Instanz anwaltlich vertretenen Klägerinnen die Notwendigkeit der nunmehr vermissten weiteren Beweisaufnahme hätte aufdrängen müssen. Nach den – nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen – Feststellungen des Verwaltungsgerichts wurde das streitgegenständliche Grundstück seit 1973 auf der Grundlage eines Mietvertrags zwischen der kommunalen Wohnungsverwaltung und Frau S. als Ledigenheim für Mitarbeiter der Abt. III des Ministeriums für Staatssicherheit genutzt. Mit einem Inanspruchnahmebescheid wurde das Grundstück unter Bezugnahme auf § 10 des Verteidigungsgesetzes in Volkseigentum überführt. Auf einem neu angelegten Liegenschaftsblatt wurde das Ministerium für Staatssicherheit als Rechtsträger eingetragen. Angesichts dieser Tatsachen hätte die Beschwerde darlegen müssen, wieso es sich dem Verwaltungsgericht aufdrängen musste, zu prüfen, ob das Grundstück in Wirklichkeit Frau S. zugewendet werden sollte. Der Hinweis auf das Schreiben des Ministeriums für Staatssicherheit, in dem es heißt, das fortgeschrittene Alter von Frau S. mache die Klärung der Rechtsträgerverhältnisse notwendig, genügt hierzu nicht; denn es enthält keinen Hinweis darauf, dass das Grundstück in Wirklichkeit zugunsten von Frau S. und nicht zugunsten des Ministeriums für Staatssicherheit enteignet werden sollte.
Das Verwaltungsgericht hat den Anspruch der Klägerinnen auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO) nicht verletzt. Bei seiner Entscheidung hat das Verwaltungsgericht den Inhalt der Streitakte sowie die vom Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge berücksichtigt. In diese Vorgänge hätten die Klägerinnen sowohl im Verwaltungsverfahren als auch im verwaltungsgerichtlichen Verfahren Einsicht nehmen können. Wenn sie dies nicht getan haben, können sie nicht geltend machen, der Inhalt eines dem Verwaltungsgericht vorliegenden Schreibens sei ihnen unbekannt. Das Schreiben des MfS vom 9. Januar 1978 befindet sich bei den Vorgängen des Widerspruchsausschusses (BA IV, Bl. 29) und wird in der Klageerwiderung vom 29. April 1996 (Gerichtsakte Bl. 26, 29) angeführt.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist auch keine Überraschungsentscheidung. Ein die § 104 Abs. 1, § 108 Abs. 2 und § 86 Abs. 3 VwGO verletzendes Überraschungsurteil ist nur gegeben, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht und damit dem Rechtsstreit eine Wende gegeben hat, mit der alle oder einzelne Beteiligte nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchten (vgl. Urteil vom 29. Juli 1977 – BVerwG 4 C 71.77 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 98). Daran fehlt es hier. Das Verwaltungsgericht hat das Schreiben des Ministeriums für Staatssicherheit vom 9. Januar 1978 im Tatbestand seiner Entscheidung erwähnt. Entscheidungserheblich war es für das Verwaltungsgericht aber nicht. Dies sieht wohl auch die Beschwerde, wenn sie vorträgt, aus dem Schreiben ergäbe sich, dass Frau S. eine zentrale Rolle gespielt habe. Das Urteil gehe aber mit keinem Wort hierauf ein. Der Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör verlangt aber nicht, dass ein Gericht die Beteiligten darauf hinweist, welche Umstände des Falls es für nicht entscheidungserheblich hält. Der weitere Vorwurf der Beschwerde, das Verwaltungsgericht habe dieses Schreiben des Ministeriums für Staatssicherheit als unter den Datenschutz fallendes Dokument behandelt, ist aus der Luft gegriffen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf den §§ 13 und 14 GKG.
Unterschriften
Dr. Müller, Krauß, Golze
Fundstellen