Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundstück. Rückgabe. Restitutionsausschluss. Siedlung. Siedlungsbau. komplexer Siedlungsbau. Einfamilienhäuser. städtebauliche Einheit
Leitsatz (amtlich)
Allein die einheitliche Planung und Errichtung einer “kompletten” Siedlung stellt keinen komplexen Siedlungsbau im Sinne von § 5 Abs. 1 Buchst. c VermG dar. Können die einzelnen Grundstücke individuell veräußert werden, so wird die städtebauliche Einheit nicht durch die Rückgabe des Grundstücks an den früheren Eigentümer gefährdet (Bestätigung und Fortführung des Urteils vom 10. Juni 1998 – BVerwG 7 C 27.97 – Buchholz 428 § 5 VermG Nr. 16).
Normenkette
VermG § 5 Abs. 1 Buchst. c
Verfahrensgang
VG Potsdam (Urteil vom 10.03.2005; Aktenzeichen 1 K 149/03) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 10. März 2005 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 150 000 € festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Der Rechtssache kommt weder die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung zu (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) noch macht die Beschwerde einen Verfahrensmangel geltend, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
1. Grundsätzlich bedeutsam im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache nur dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden klärungsbedürftigen Rechtsfrage des revisiblen Rechts zu erwarten ist. Daran fehlt es hier.
a) Die Beschwerde hält für grundsätzlich bedeutsam die Frage,
ist die Vermutung des § 1 Abs. 6 Satz 2 VermG i.V.m. § 3 Abs. 1 REAO nach § 3 Abs. 2 REAO widerlegt, wenn der ehemalige Eigentümer ein Grundstück an eine Gesellschaft verkaufte, deren alleiniger Anteilseigner er war oder an der er die überwiegende Mehrheit der Gesellschaftsanteile hielt?
Diese Frage, mit der die Beschwerde die Feststellung des Verwaltungsgerichts, dass das streitgegenständliche Grundstück zu einem nicht angemessenen Kaufpreis veräußert worden sei, widerlegen will, weil der Verkäufer über die Gesellschaftsanteile wirtschaftlich einen vollen Ausgleich für den Eigentumsverlust an dem Grundstück erhalten habe, würde sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Denn sie geht von einem Sachverhalt aus, der nicht den – von der Beschwerde nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen – tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts entspricht. Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts war die Siedlungsgesellschaft, an die A… S… das Grundstück am 16. November 1934 verkaufte, spätestens zum 21. April 1933 faktisch arisiert. Denn Geschäftsführer der Siedlungsgesellschaft war seit April 1933 das NSDAP- und SS-Mitglied W… Sch… Darüber hinaus war mit Verfügung des Finanzamtes Steglitz vom 29. September 1933 das gesamte inländische Vermögen des A… S… einschließlich der ihm gehörenden Konzerngesellschaften beschlagnahmt worden. Es kann deshalb nicht davon ausgegangen werden, dass A… S… mit dem Verkauf des Grundstücks an die Siedlungsgesellschaft am 16. November 1934 als – nur noch formaler – Mehrheitsgesellschafter der Siedlungsgesellschaft einen vollen wirtschaftlichen Ausgleich für den Verlust des Eigentums an dem Grundstück erhalten hat. Vielmehr floss das Grundstück einer nationalsozialistisch beherrschten Gesellschaft zu, deren Anteile dem A… S… faktisch entzogen waren und die er am 18. November 1934, also in engem zeitlichen Zusammenhang mit dem Vertrag vom 16. November 1934, auch förmlich auf die NSDAP übertragen musste.
Auf die weiteren Ausführungen der Beschwerde zur Widerlegung der Vermutung des § 3 Abs. 1 REAO kommt es somit nicht an.
b) Die weitere von der Beschwerde für grundsätzlich bedeutsam gehaltene Rechtsfrage,
ob der Ausschlusstatbestand des § 3 Abs. 1 Satz 11 VermG anzuwenden ist, wenn der Eigentümer eines Grundstücks ein Grundstück (unter Zwang) an eine ihm gehörende oder zum überwiegenden Teil gehörende Gesellschaft verkaufte, wenige Tage später die Gesellschaftsanteile unter Zwang an die NSDAP übertragen musste und die Gesellschaft das Grundstück entsprechend dem Zweck der Gesellschaft im Rahmen des Siedlungsbaus vor dem 8. Mai 1945 an eine natürliche Person zum üblichen Preis veräußert hat,
rechtfertigt die Zulassung der Revision nicht. Denn in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass die Regelung des § 3 Abs. 1 Satz 11 VermG nur Veräußerungen durch Unternehmen und nicht den Verkauf durch Private erfasst. Auch eine analoge Anwendung kommt danach nicht in Betracht, weil das Vermögensgesetz generell zwischen der Unternehmensrestitution und der Einzelrestitution unterscheidet. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass Vorschriften, die im Zusammenhang mit Unternehmen stehen, auf Einzelrestitutionen übertragbar sind (vgl. Urteil vom 24. Februar 1999 – BVerwG 8 C 15.98 – BVerwGE 108, 301 ≪315≫ = Buchholz 428 § 1 Abs. 6 VermG Nr. 1). Nach den tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts war A… S… Privateigentümer des Grundstücks und hat dieses an die Siedlungsgesellschaft verkauft. Der verfolgungsbedingte Vermögensverlust betraf ihn deshalb als Privatperson, nicht als Mehrheitsgesellschafter der Siedlungsgesellschaft. Der Restitutionsanspruch beruht somit auf § 3 Abs. 1 Satz 1 VermG und nicht auf § 3 Abs. 1 Satz 4 VermG, der nur im Rahmen einer Unternehmensrestitution Anwendung findet. Für die von der Beschwerde mit der Rechtsfrage angesprochene erweiterte Auslegung des § 3 Abs. 1 Satz 11 VermG ist kein Raum. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist § 3 Abs. 1 Satz 11 VermG als Ausnahmeregelung eng auszulegen (Urteil vom 24. Februar 1999 – BVerwG 8 C 15.98 – a.a.O.).
c) Die weitere von der Beschwerde für grundsätzlich bedeutsam gehaltene Rechtsfrage,
ob ein Unternehmen des komplexen Siedlungsbaus i.S. des § 5 Abs. 1 Buchst. c VermG vorliegt, wenn eine einem Konzern angehörende Gesellschaft parzellierte Grundstücke an Privatpersonen verkauft und diese dann von einer anderen Gesellschaft mit Wohnhäusern bebaut werden, wenn so eine komplette Siedlung inklusive Verkehrs-, Grün- und Gemeinbedarfsflächen errichtet wird,
bedarf keiner Klärung in einem Revisionsverfahren. Zum einen stellt § 5 Abs. 1 Buchst. c VermG nicht darauf ab, ob die Verwendung von Grundstücken und Gebäuden im komplexen Wohnungs- oder Siedlungsbau durch einen Konzern oder verschiedene konzernangehörige Gesellschaften erfolgt. Zum anderen ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass nicht jede “komplette” Siedlung einen komplexen Siedlungsbau darstellt. Denn allein die einheitliche Planung und Durchführung von Baumaßnahmen reicht für die Anwendung des § 5 Abs. 1 Buchst. c VermG nicht aus. Erforderlich ist vielmehr die Entstehung eines gesteigerten städtebaulichen Zusammenhangs aus Wohnbauten und sonstiger, dem gemeinschaftlichen Wohnen dienender Grundstücksnutzung, der vernünftigerweise nicht trennbar ist. Das Grundstück oder Gebäude muss in eine planerische und städtebauliche, durch eine komplexe Vielfalt der Bebauung und Nutzung gebildete Einheit einbezogen sein, die nicht durch die Rückübertragung des in dieser Weise einbezogenen Anwesens gefährdet oder zerstört werden soll. Dafür reicht es nicht aus, dass eine Siedlung lediglich eine äußerlich abgegrenzte Mehrheit von Einfamilienhäusern mit den üblichen gemeinsamen Erschließungsmerkmalen, wie gemeinsame Ver- und Entsorgung oder Erschließung durch dieselbe Straße, darstellt. Solche Merkmale begründen keine engeren städtebaulichen Zusammenhänge als sie auch sonst häufig zwischen benachbarten Grundstücken mit gleicher Nutzungsart bestehen; sie können vielmehr ebenso gut auch durch eine sukzessive Bebauung der Grundstücke entstanden sein. Es fehlt daher an einem “komplexen” Siedlungsbau im Sinne des § 5 Abs. 1 Buchst. c VermG (Urteil vom 10. Juni 1998 – BVerwG 7 C 27.97 – Buchholz 428 § 5 VermG Nr. 16). Die Ausgestaltung der Verträge, die die Erwerber und Errichter der Gebäude mit der Siedlungsgesellschaft abgeschlossen haben, ist insoweit ohne Belang. Entscheidend für den Restitutionsausschluss ist, ob die städtebauliche Einheit eines besonderen Schutzes bedarf. Diese ist, da die einzelnen Grundstücke jeweils individuell auch veräußert werden können, durch die Rückgabe eines Grundstücks an den früheren Eigentümer nicht gefährdet.
d) Des weiteren hält die Beschwerde die Frage für rechtsgrundsätzlich,
ob eine § 3 Abs. 4 Satz 3 VermG unterfallende Verfügung vorliegt, wenn ein Grundstück von einem Elternteil auf ein Kind übertragen wurde und im Vertrag geregelt worden ist, dass dem verfügenden Eigentümer ein lebenslanges Wohnrecht zu gewähren war und die auf dem Grundstück liegenden Lasten vom Erwerber übernommen werden.
Zur Beantwortung dieser Frage bedarf es nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens. Denn es ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, dass unentgeltliche Verfügungen über das Eigentum an dem restitutionsbefangenen Vermögenswert dessen Rückübertragung nicht hindern (Beschluss vom 23. Mai 2000 – BVerwG 8 B 31.00 – Buchholz 428 § 3 VermG Nr. 37). Insofern zielt die von der Beschwerde aufgeworfene Rechtsfrage darauf ab, ob es sich um eine unentgeltliche Verfügung handelt, wenn ein Elternteil Grundeigentum auf ein Kind überträgt unter Einräumung eines lebenslangen Wohnrechtes und Übernahme der auf dem Grundstück liegenden Lasten durch das Kind.
Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts wurde die Klägerin auf Grund Erbscheins und auf Grund der auf einer unentgeltlichen Übertragung vom 23. Oktober 1991 durch ihre Mutter beruhenden Auflassung als neue Eigentümerin im Grundbuch eingetragen. Der Vorbehalt eines lebenslangen Wohnrechts zugunsten ihrer Mutter kann dabei nicht als entgeltliche Gegenleistung der Klägerin beim Erwerb des Grundstücks angesehen werden. Vielmehr hat sich die frühere Eigentümerin in dem der Übertragung des Eigentums zugrunde liegenden Schenkungsvertrag eine bestimmte Nutzung des Grundstücks vorbehalten. Darin liegt keine Leistung der erwerbenden Klägerin, sondern eine nur eingeschränktes Eigentum übertragende Verfügung der Mutter. Die Klägerin hat durch die ausdrücklich so bezeichnete Schenkung nicht das lastenfreie Eigentum an dem Grundstück erworben, sondern nur ein mit einem Wohnrecht belastetes Grundstück. Sie selbst hat dafür aber keine Gegenleistung erbracht. Feststellungen über eine stillschweigende Verpflichtung zur Übernahme von Pflegeleistungen sind dem angefochtenen Urteil nicht zu entnehmen.
Auch die Übernahme der auf dem Grundstück noch lastenden Grundpfandrechte stellt allein keine entgeltliche Gegenleistung im Sinne des § 3 Abs. 4 Satz 3 VermG dar, die zur Rechtsbeständigkeit der Verfügung führt, sondern die zivilrechtliche Konsequenz des Wechsels der Eigentümerschaft. Als neue Eigentümerin wurde die Klägerin dingliche Schuldnerin der Belastungen. Mit deren Ablösung hat sie der Haftung des Grundstücks Rechnung getragen. Da § 3 Abs. 4 Satz 3 VermG als Ausnahmeregelung eng auszulegen ist (Beschluss vom 23. Mai 2000 – BVerwG 8 B 31.00 –, a.a.O.), kann in der vorliegenden Konstellation keine entgeltliche Verfügung über das Eigentum an dem Grundstück gesehen werden.
2. Schließlich liegt auch der gerügte Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 1 Nr. 3 VwGO) nicht vor. Dabei kann es dahinstehen, ob die behauptete Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 VwGO genügenden Weise dargelegt ist. Jedenfalls umfasst die Amtsermittlungspflicht nur solche Tatsachen, die auf der Grundlage der materiellrechtlichen Auffassung des Verwaltungsgerichts ermittlungsbedürftig sind. Da das Verwaltungsgericht davon ausgegangen ist, dass das lebenslange Wohnrecht den Wert des der Klägerin zugewandten Grundstückseigentums schmälert, aber keine Gegenleistung darstellt, hatte es auf Grund seiner Auffassung keine Veranlassung, die Höhe einer geldwerten Gegenleistung für ein lebenslanges Wohnrecht aufzuklären.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Es entsprach der Billigkeit, der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, weil sie sich mit der Stellung eines eigenen Antrags ihrerseits in das Kostenrisiko begeben hat. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus den §§ 47, 52 GKG.
Unterschriften
Gödel, Dr. von Heimburg, Postier
Fundstellen