Verfahrensgang
Hessischer VGH (Urteil vom 12.07.2018; Aktenzeichen 2 A 1763/17) |
VG Kassel (Urteil vom 29.10.2015; Aktenzeichen 3 K 1517/14) |
Gründe
I
Rz. 1
Die Klägerin wendet sich gegen die Heranziehung zu Kosten einer Gewässersanierung.
Rz. 2
Die Klägerin ist eine Spedition und war Halterin eines Lkw, der im September 2011 auf einer Bundesautobahn einen Unfall hatte. Dabei rissen die beiden Treibstofftanks der Zugmaschine auf und Dieselkraftstoff trat aus. Er lief über die Autobahnentwässerung in ein Oberflächengewässer und versickerte dort im Bachbett. Die Schadensstelle liegt in einem Trinkwasserschutzgebiet der Schutzzone III/III A. Eine von der Unteren Wasserbehörde in Auftrag gegebene Gefährdungsabschätzung zu Verunreinigungen in dem Bachbett stellte eine Verschleppung des Dieselkraftstoffs im Bachbett über mehrere hundert Meter fest. Die Untere Wasserbehörde gab daraufhin Arbeiten zur Gewässersanierung durch Bodenaustausch zur unverzüglichen Ausführung in Auftrag. Der Beklagte setzte mit Bescheid vom 21. Dezember 2011 die von der Klägerin zu erstattenden Kosten für die Gefährdungsabschätzung und die anschließende Sanierungsmaßnahme sowie für Verwaltungskosten auf 126 201,78 € fest. Die Anfechtungsklage wies das Verwaltungsgericht insoweit ab, als ein über 11 186,80 € hinausgehender Betrag gefordert wurde. Die Forderung sei nur hinsichtlich der Kosten des Gefahrenerforschungseinsatzes und der darauf entfallenden Verwaltungskosten gerechtfertigt. Der Verwaltungsgerichtshof hat auf die Berufung des Beklagten das Urteil geändert und die Klage insgesamt abgewiesen.
Rz. 3
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin.
II
Rz. 4
Die auf die Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg.
Rz. 5
1. Die Revision ist nicht wegen eines Verfahrensfehlers (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zuzulassen.
Rz. 6
a) Die Beschwerde rügt zunächst eine Verletzung der Aufklärungspflicht gemäß § 86 Abs. 1 VwGO und des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO: Der Verwaltungsgerichtshof habe einerseits angenommen, dass es durch den Straßenverkehr zu Belastungen des von den Straßen abfließenden Niederschlagswassers mit organischen Schadstoffen komme, andererseits habe er die festgestellten Kontaminationen ausschließlich dem Unfall zugerechnet. Dies sei widersprüchlich und verstoße gegen Denkgesetze. Mit diesem Vorbringen hat die Beschwerde Verfahrensfehler nicht hinreichend dargelegt (vgl. § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).
Rz. 7
Der Verwaltungsgerichtshof hat weitere Tatsachenfeststellungen durch ein zusätzliches gerichtliches Sachverständigengutachten abgelehnt, weil es nach den Feststellungen des Sanierungsunternehmens und der Unteren Wasserbehörde zu den Dieselauflagerungen auf Wasserresten im Bachlauf und der Ausbreitung des Dieselgeruchs unmittelbar nach dem Unfall weiterer Ermittlungen nicht bedürfe. Dies ist verfahrensrechtlich nicht zu beanstanden.
Rz. 8
Liegt zu einer erheblichen Tatsache bereits ein Gutachten vor, richtet sich die Entscheidung über einen Antrag auf Einholung eines weiteren Gutachtens nach § 98 VwGO i.V.m. § 412 Abs. 1 ZPO. Das dem Gericht dabei zur Bestimmung von Art und Anzahl einzuholender Sachverständigengutachten zustehende Ermessen wird nur dann verfahrensfehlerhaft ausgeübt, wenn das Gericht von der Einholung weiterer Gutachten oder gutachterlicher Stellungnahmen absieht, obwohl die Notwendigkeit dieser weiteren Beweiserhebung sich ihm hätte aufdrängen müssen (BVerwG, Urteil vom 15. Oktober 1985 - 9 C 3.85 - Buchholz 402.25 § 1 AsylVfG Nr. 38 und Beschluss vom 6. Oktober 1987 - 9 C 12.87 - Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 31 S. 1 f.). Hiernach ist es nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht die Einholung eines weiteren Gutachtens abgelehnt hat. Die Beschwerde legt in keiner Weise dar, dass das Gutachten des Baugrund-Instituts vom 14. November 2011, das die unfallbedingten Verunreinigungen durch den ausgelaufenen Dieselkraftstoff eingehend darstellt, ungenügend war. Nach den im Berufungsurteil wiedergegebenen Feststellungen des Gutachtens bestand nicht einmal eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass die konkreten Verunreinigungen von anderen Verkehrsteilnehmern verursacht worden waren. Mithin bestand auch nicht der von der Beschwerde geltend gemachte Widerspruch in den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs. Ein Verstoß bei der Überzeugungsbildung des Verwaltungsgerichtshofs und damit eine Verletzung von § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO scheidet daher ebenfalls aus.
Rz. 9
b) Soweit die Beschwerde eine unzureichende Sachverhaltsermittlung im Hinblick auf eine Grundwassergefährdung moniert, führt auch diese Rüge nicht zum Erfolg. Die Darlegung der Beschwerde, dem Verwaltungsgerichtshof hätte sich die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens aufdrängen müssen, weil das von dem Beklagten beauftragte Unternehmen den im Gefahrenerforschungsbericht angenommenen Gefahrenverdacht nach Durchführung der von ihr selbst empfohlenen Sanierung nachträglich nicht mehr revidieren werde, ist eine bloße Behauptung ins Blaue hinein. Zwar hatte sich der erste Grundwasserleiter entgegen der ursprünglichen Annahme nicht in einer Tiefe von 4 bis 6 m befunden, sondern es war mit ihm nach den Erkenntnissen aus den Sanierungsarbeiten in einer Tiefe von ca. 30 m unter Geländeoberkante zu rechnen. Der Verwaltungsgerichtshof führt aber im Weiteren aus, dass die Gefahr eines Übertritts der Schadstoffe in das Grundwasser möglicherweise geringer geworden, die Besorgnis aufgrund der geologischen Beschreibung des Sanierungsgebiets aber nicht ausgeschlossen sei. Damit musste sich dem Verwaltungsgerichtshof eine weitere Sachverständigenbegutachtung nicht aufdrängen.
Rz. 10
c) Wenn die Beschwerde ferner beanstandet, dass der Verwaltungsgerichtshof verfahrensfehlerhaft vier Beweisfragen zur geologischen Situation und zur weiteren Ausbreitung von Schadstoffen wie Dieselkraftstoff mangels Entscheidungserheblichkeit abgelehnt hat, ist ein Aufklärungsmangel ebenfalls nicht dargelegt. Der Verwaltungsgerichtshof hat darauf abgehoben, dass die Fragestellungen in ihrer Allgemeinheit zu bejahen sein dürften, aber nicht zur Klärung beitragen könnten, ob in der konkreten Konstellation eine Verunreinigung des Grundwassers zu besorgen gewesen sei. Diese Annahme begegnet keinen durchgreifenden Bedenken. Soweit der vom Verwaltungsgerichtshof akzeptierte Sanierungszielwert von der Beschwerde beanstandet wird, moniert sie die Anwendung sachlichen Rechts und nicht die Verletzung von Verfahrensrecht.
Rz. 11
d) Die Beschwerde kann sich auch nicht auf einen Verstoß gegen § 86 Abs. 3 VwGO wegen der Ablehnung des Beweisantrags ohne vorherigen richterlichen Hinweis berufen. Das Gericht war nicht nach dieser Vorschrift, wonach der Vorsitzende darauf hinzuwirken hat, dass sachdienliche Anträge gestellt werden, verpflichtet, vor der Entscheidung über die Beweisanträge auf ihre mangelnde Erheblichkeit hinzuweisen oder ordnungsgemäße Beweisanträge vorzuformulieren. Nach dieser Verfahrensbestimmung soll verhindert werden, dass die Durchsetzung von Rechten an der Unerfahrenheit, Unbeholfenheit oder der mangelnden Rechtskenntnis eines Beteiligten scheitert. Die Pflicht gemäß § 86 Abs. 3 VwGO darf nicht mit Rechtsberatung verwechselt werden. Das gilt insbesondere dann, wenn ein Beteiligter anwaltlich vertreten wird (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 6. Juli 2001 - 4 B 50.01 - juris Rn. 11 und vom 23. Oktober 2008 - 4 B 30.08 - juris Rn. 14).
Rz. 12
2. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen.
Rz. 13
Grundsätzlich bedeutsam ist eine Rechtssache nur dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Januar 2017 - 7 B 3.16 - Buchholz 445.4 § 33 WHG Nr. 2 Rn. 8). Die Rechtsfrage und der Klärungsbedarf müssen in der Beschwerdebegründung dargelegt werden (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO).
Rz. 14
a) Die Frage,
"Ist es gemäß § 37 VwVfG generell unzulässig, in einer wasserrechtlichen Anordnung im Hinblick auf die vom Bescheidadressaten vorzunehmenden Sicherungs- oder Sanierungsmaßnahmen auf ein Sachverständigengutachten zu verweisen, das bei Bescheiderlass noch nicht vorliegt?",
ist nicht rechtsgrundsätzlich bedeutsam, weil sie sich auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung beantworten lässt. Der Verwaltungsgerichtshof vertritt in Übereinstimmung mit dem Oberverwaltungsgericht Münster (Urteil vom 11. Juni 1992 - 20 A 2480/89 - NVwZ 1993, 1000) die Auffassung, dass eine Sanierungsanordnung den Anforderungen an die hinreichende Bestimmtheit eines Verwaltungsakts nach § 37 Abs. 1 VwVfG HE zu entsprechen habe und daher eine wasserrechtliche Verfügung konkret bezeichnen müsse, welche Maßnahmen von den Verantwortlichen verlangt würden. Diese Auffassung zur Bestimmtheit eines Verwaltungsakts entspricht derjenigen des Bundesverwaltungsgerichts. Das Bestimmtheitsgebot in § 37 Abs. 1 VwVfG bedeutet zum einen, dass der Adressat des Verwaltungsakts in der Lage sein muss, das von ihm Geforderte zu erkennen. Zum anderen muss der Verwaltungsakt eine geeignete Grundlage für seine zwangsweise Durchsetzung bilden. Im Einzelnen richten sich die Anforderungen an die notwendige Bestimmtheit nach den Besonderheiten des jeweils anzuwendenden materiellen Rechts (stRspr, etwa BVerwG, Urteile vom 15. Februar 1990 - 4 C 41.87 - BVerwGE 84, 335 ≪338≫ und vom 20. April 2005 - 4 C 18.03 - BVerwGE 123, 261 ≪283≫). Vor diesem Hintergrund liegt es auf der Hand, dass eine wasserrechtliche Sanierungsmaßnahme erst angeordnet werden kann, nachdem der Schaden und die geeignete Abhilfemaßnahme bestimmt wurden. Dem diente hier das angeforderte Sachverständigengutachten. Weiteren Klärungsbedarf macht die Beschwerde nicht substantiiert geltend; er ist auch nicht ersichtlich.
Rz. 15
b) Die weitere Frage,
"Stellt der wasserrechtliche 'Besorgnisgrundsatz' bei Maßnahmen der Gewässeraufsicht das maßgebliche wasserrechtliche Schutzniveau dar? Falls ja: Gilt dies auch auf der der Gefahrenabwehr nachgelagerten Kosten- bzw. Sekundärebene?",
rechtfertigt ebenfalls nicht die Zulassung der Revision.
Rz. 16
Die Antwort auf den ersten Teil der Rechtsfrage ergibt sich entgegen der Auffassung der Beschwerde anhand der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.
Rz. 17
Der Besorgnisgrundsatz in § 32 Abs. 2, § 45 Abs. 2 und § 48 Abs. 1 und 2 WHG gebietet umfassend, jeder auch noch so wenig nahe liegenden Wahrscheinlichkeit einer schädlichen Veränderung der Gewässerbeschaffenheit vorzubeugen (BVerwG, Urteile vom 16. Juli 1965 - 4 C 54.65 - Buchholz 445.4 § 34 WHG Nr. 1 und vom 26. Juni 1970 - 4 C 99.67 - Buchholz 445.4 § 34 WHG Nr. 2). Wird eine nach diesen Maßstäben mit dem Wasserhaushaltsgesetz unvereinbare Gefährdung oder Beeinträchtigung der Wasserwirtschaft verursacht, so ist dadurch die öffentliche Sicherheit und Ordnung auch dann betroffen, wenn die abstrakt-typischen Voraussetzungen eines speziellen Tatbestandes des Wasserhaushaltsgesetzes nicht erfüllt sind (BVerwG, Urteil vom 16. November 1973 - 4 C 44.69 - Buchholz 445.4 § 3 WHG Nr. 3; Gößl, in: Siedler/Zeitler/Dahme/Knopp, WHG - AbwAG, Stand Juni 2018, § 100 WHG Rn. 81; Böhme, in: Berendes/Frenz/Müggenborg, WHG, 2. Aufl. 2017, § 48 Rn. 6). Eine schädliche Verunreinigung des Grundwassers oder eine sonstige nachhaltige Veränderung seiner Eigenschaften ist daher immer schon dann zu besorgen, wenn die Möglichkeit eines entsprechenden Schadenseintritts nach den gegebenen Umständen und im Rahmen einer sachlich vertretbaren, auf konkreten Feststellungen beruhenden Prognose nicht von der Hand zu weisen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. September 1980 - 4 C 89.77 - Buchholz 445.4 § 31 WHG Nr. 5). Dieser Maßstab hat wegen der allgemeinen Geltung des Besorgnisgrundsatzes im Wasserhaushaltsgesetz auch Bedeutung für die wasserrechtliche Generalklausel des § 100 Abs. 1 Satz 2 WHG (vgl. Gößl, in: Siedler/Zeitler/Dahme/Knopp, WHG - AbwAG, Stand Juni 2018, § 100 WHG Rn. 81; Czychowski/Reinhardt, WHG, 12. Aufl. 2018, § 100 Rn. 37). Soweit die Beschwerde zwischen dem Vorsorgeprinzip, dem der Besorgnisgrundsatz zuzuordnen sei, und der Gewässeraufsicht im Sinne von § 100 Abs. 1 WHG, die der Gefahrenabwehr zuzuordnen sei, unterscheiden und daraus die Grundsatzfrage eines unterschiedlichen Wahrscheinlichkeitsmaßstabs ableiten will, geht diese Annahme daher fehl.
Rz. 18
Der zweite Teil der Rechtsfrage ist nicht klärungsfähig. Die Darlegungen der Beschwerde zu dem von dem Beklagten angewandten Sanierungszielwert, den er aus nicht unmittelbar einschlägigen Vorsorgewerten abgeleitet und der Verwaltungsgerichtshof akzeptiert habe, betreffen hingegen die Art und Weise der Anwendung des wasserrechtlichen Besorgnisgrundsatzes im vorliegenden Verfahren. Dies gilt auch für den Beschwerdevortrag, der Beklagte hätte einen oberhalb des Vorsorgewerts liegenden Sanierungszielwert festlegen müssen oder es hätte zumindest auf der streitgegenständlichen Kosten- und Sekundärebene Rechnung getragen werden müssen. Ob und inwieweit der Kostenersatz für die unmittelbare Ausführung einer Maßnahme in voller Höhe zu leisten ist, ist eine Frage des Einzelfalls und des Hessischen Landesrechts (vgl. § 8 Abs. 2 SOG HE), mithin irrevisiblen Rechts. Der wasserrechtliche Besorgnisgrundsatz ist insoweit nicht einschlägig.
Rz. 19
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG und § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG.
Fundstellen
Dokument-Index HI13371409 |