Entscheidungsstichwort (Thema)
Nachbarklage. heranrückende Wohnbebauung. Außenbereich. unbeplanter Innenbereich. Rücksichtnahmegebot. Schädliche Umwelteinwirkungen. Kleinfeuerungsanlage. Emissionsgrenzwerte. erhebliche Belästigung der Nachbarschaft
Leitsatz (amtlich)
Der Inhaber eines im Außenbereich gemäß § 35 Abs. 1 BauGB privilegiert ansässigen Betriebs hat weder einen – allgemeinen – Abwehranspruch gegen im Außenbereich unzulässige Nachbarvorhaben noch einen Anspruch auf Bewahrung der Außenbereichsqualität seines Betriebsgrundstücks.
Eine Kleinfeuerungsanlage kann auch bei Einhaltung der Emissionsgrenzwerte der 1. BImSchV im Einzelfall aufgrund der konkreten örtlichen Verhältnisse zu erheblichen Belästigungen der Nachbarschaft führen und damit auch das in § 35 Abs. 3 Nr. 3 BauGB enthaltene – baurechtliche – Rücksichtnahmegebot verletzen.
Normenkette
BauGB § 34 Abs. 1, § 35 Abs. 1-2, 3 Nr. 3; BImSchG §§ 22-24; 1. BImSchV
Verfahrensgang
OVG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 18.01.1999; Aktenzeichen 1 A 12767/97) |
VG Koblenz (Entscheidung vom 24.06.1997; Aktenzeichen 7 K 4151/94.Ko) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom 28. Januar 1999 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen trägt der Kläger.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 DM festgesetzt.
Tatbestand
I.
Der Kläger wendet sich gegen eine dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für ein Einfamilienwohnhaus. Er ist Inhaber eines Gartenbaubetriebs; sein Betriebsgrundstück wird lediglich durch einen Wirtschaftsweg von dem Baugrundstück des Beigeladenen getrennt. Beide Grundstücke liegen in Ortsrandlage; das Berufungsgericht hat offengelassen, ob sich eines der Grundstücke oder beide im Außenbereich oder im Innenbereich befinden. Der Kläger beheizt seine Gewächshäuser in der Übergangszeit mit einer Feuerungsanlage, die mit Holz betrieben wird. Er macht geltend, das Grundstück des Beigeladenen sei Emissionen der Feuerungsanlage ausgesetzt; wenn das Grundstück mit einem Wohnhaus bebaut werde, müsse er befürchten, daß ihm das Verbrennen von Holz verboten werde.
Klage und Berufung blieben erfolglos. Nach der Rechtsauffassung der Vorinstanzen steht dem Kläger ein Abwehranspruch gegen das Vorhaben des Beigeladenen nicht zu. Insbesondere werde das Gebot der Rücksichtnahme nicht verletzt.
Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich der Kläger mit der auf § 132 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 VwGO gestützten Beschwerde.
Entscheidungsgründe
II.
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ist zulässig, aber unbegründet. Aus dem Beschwerdevorbringen ergibt sich kein Grund für eine Zulassung der Revision.
1. Nicht klärungsbedürftig ist, ob ein im Außenbereich gemäß § 35 Abs. 1 BauGB privilegierter Betrieb einen Abwehranspruch gegen im Außenbereich unzulässige Nachbarvorhaben hat, ob er also „einen grundsätzlichen Anspruch auf Bewahrung des Außenbereichs für privilegierte Betriebe” besitzt. Einen derartigen Anspruch gibt es nach allgemeiner Rechtsauffassung nicht. Die Ausführungen der Beschwerde sind auch nicht geeignet, die bisherige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts hierzu ernsthaft in Zweifel zu ziehen. Zwar hat der Senat mit Urteil vom 16. September 1993 – BVerwG 4 C 28.91 – (BVerwGE 94, 151) entschieden, daß die Festsetzung von Baugebieten durch Bebauungspläne drittschützende Wirkung besitzt und dem Nachbarn einen Rechtsanspruch auf die Bewahrung der Gebietsart vermittelt; derselbe Nachbarschutz besteht im unbeplanten Innenbereich, wenn die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete der Baunutzungsverordnung entspricht (§ 34 Abs. 2 BauGB). Diese Rechtsprechung beruht jedoch auf der Erwägung, daß die Gebietsfestsetzungen nach der Baunutzungsverordnung die Planbetroffenen oder die Grundstückseigentümer in einem unbeplanten Bereich nach § 34 Abs. 2 BauGB zu einer Gemeinschaft verbindet, in der die Beschränkung der Nutzungsmöglichkeiten dadurch ausgeglichen wird, daß auch die anderen Eigentümer denselben Beschränkungen unterworfen sind. Der auf die Erhaltung der Gebietsart gerichtete Nachbarschutz setzt also Gebiete voraus, die – wie die Baugebiete der Baunutzungsverordnung – durch eine einheitliche bauliche Nutzung gekennzeichnet sind. Daran fehlt es schon im unbeplanten Innenbereich nach § 34 Abs. 1 BauGB, erst recht aber im Außenbereich. Der Außenbereich ist kein Baugebiet, sondern soll tendenziell von Bebauung freigehalten werden. Vorhaben gemäß § 35 Abs. 1 BauGB sind zwar im Außenbereich privilegiert, zulässig aber nur dann, wenn öffentliche Belange nicht entgegenstehen. Wegen der unterschiedlichen Privilegierungstatbestände des § 35 Abs. 1 BauGB fehlt dem Außenbereich ein bestimmter Gebietscharakter, dessen Erhaltung gerade das Ziel des Nachbarschutzes in den Baugebieten der Baunutzungsverordnung ist. Zum Schutze eines im Außenbereich privilegierten Betriebes ist deshalb das in § 35 BauGB enthaltene drittschützende Rücksichtnahmegebot ausreichend.
Ohne weiteres zu verneinen ist deshalb auch die weitere Frage, ob sich ein im Außenbereich am Ortsrand liegender Betrieb nach § 35 Abs. 1 BauGB schon deshalb mit Erfolg gegen eine für das Nachbargrundstück erteilte objektiv rechtswidrige Baugenehmigung wehren kann, weil der Betrieb nach Errichtung des Vorhabens dem Innenbereich zuzuordnen sein wird. Einen Anspruch auf Erhaltung der Außenbereichsqualität gibt es nicht. Die mit einer Änderung möglicherweise verbundene Verschärfung der Immissionsanforderungen kann nur dann einen Abwehranspruch begründen, wenn die Baugenehmigung gegen das in § 35 BauGB, speziell in dessen Absatz 3 Nr. 3, enthaltene Rücksichtnahmegebot verstößt.
2. Nicht entscheidungserheblich ist die Frage, ob „die 1. BImSchV deswegen nichtig ist, weil sie im Planungsstadium keine verläßliche Prognose darüber zuläßt, ob die Nachbarschaft vor schädlichen Umwelteinwirkungen ausreichend geschützt werden kann, vielmehr es erforderlich ist, die Anlage entsprechend den Bestimmungen der 1. BImSchV zu errichten und dann erst zu ermitteln, ob die Anlage die Nachbarschaft gefährdet oder nicht”.
Die Frage knüpft an die Ausführungen des Berufungsgerichts an, es habe gutachterlich nicht geklärt werden können, ob bei sachgerechtem Betrieb der Holzfeuerungsanlage unter Beachtung der 1. BImSchV mit unzumutbaren Immissionsbelastungen für die Wohnbebauung des Beigeladenen in bezug auf die Stoffe Benzol, Benzo(a)pyren und Ruß zu rechnen sei, weil die Anlage zur Zeit die Grenzwerte der 1. BImSchV nicht einhalte (BU S. 12). Gleichwohl kommt es auf ihre Beantwortung nicht an, weil das Berufungsgericht zur Ermittlung der „unzumutbaren Immissionsbelastungen für die Wohnbebauung” gerade nicht darauf abgestellt hat, ob die Grenzwerte der 1. BImSchV eingehalten werden können. Vielmehr ist es – in Übereinstimmung mit der Rechtsauffassung der Beschwerde ≪Beschwerdebegründung S. 7≫) – von der Möglichkeit ausgegangen, daß eine Feuerungsanlage, die unter Einhaltung der Pflichten nach der 1. BImSchV betrieben wird, dennoch im Einzelfall zu unzumutbaren Immissionsbelastungen führen kann. Für den vorliegenden Fall hat es allerdings „bei fehlender gutachterlicher Klärung im Rahmen des Freibeweises anhand von Indizien” angenommen, daß bei Einhaltung der 1. BImSchV keine unzumutbaren Belästigungen für den Beigeladenen zu erwarten seien (BU S. 16 bis 18). Da das Berufungsgericht also nicht die 1. BImSchV, sondern die konkreten örtlichen Verhältnisse zum Maßstab für seine Beurteilung der Zumutbarkeit genommen hat, hätte es nicht anders entschieden, wenn die Verordnung nichtig wäre.
Übrigens bestehen auch keine Bedenken gegen den rechtlichen Ansatz des Berufungsgerichts. Zwar dienen die nach § 23 BImSchG erlassenen Rechtsverordnungen der Konkretisierung der immissionsschutzrechtlichen Betreiberpflichten gemäß § 22 BImSchG. Eine den Anforderungen der 1. BImSchV entsprechende Feuerungsanlage ist demgemäß grundsätzlich nicht mit schädlichen Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen verbunden und mit dem baurechtlichen Rücksichtnahmegebot vereinbar (so auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 5. September 1989 – 10 S 1712/88 – NJW 1990, 1930, 1931≫). Das gilt jedoch nur für den Regelfall. Denn weil die Verordnung die von Feuerungsanlagen ausgehenden Emissionen begrenzt, die Zumutbarkeit von Immissionen jedoch davon abhängt, in welcher Konzentration sie beim Schutzobjekt in der Nachbarschaft ankommen, sind Fallgestaltungen denkbar, in denen auf einem Nachbargrundstück trotz Einhaltung der Grenzwerte der 1. BImSchV schädliche Umwelteinwirkungen im Sinne von § 3 Abs. 1 BImSchG auftreten können. Darin unterscheidet sich die 1. BImSchV von der 18. BImSchV (Sportanlagenlärmschutzverordnung), die in ihrem § 2 für Immissionsorte Immissionsrichtwerte aufstellt und damit zugleich die Zumutbarkeitsschwelle im Sinne des § 3 Abs. 1 BImSchG normativ festlegt (BVerwG, Beschluß vom 8. November 1994 – BVerwG 7 B 73.94 – NVwZ 1995, 993 – Buchholz 406.25 § 3 BImSchG Nr. 10). Auch aus § 19 der 1. BImSchV, nach dem die Befugnis der zuständigen Behörde unberührt bleibt, weitergehende Anordnungen (nach den §§ 22, 24 BImSchG) zu treffen, ergibt sich, daß die 1. BImSchV keine abschließende Regelung zum Schutz der Nachbarschaft darstellt.
3. Das Berufungsurteil beruht auch nicht auf einem Aufklärungsmangel.
Die Beschwerde trägt vor, der Kläger habe in der mündlichen Verhandlung angeregt, durch einen anderen Sachverständigen klären zu lassen, ob es bei ordnungsgemäßem Betrieb der Holzverbrennungsanlage zu einer unzumutbaren Immissionsbelastung des Beigeladenen komme. Dieser Anregung mußte das Berufungsgericht nicht folgen. Aus dem Berufungsurteil ergibt sich, daß schon das Verwaltungsgericht einen Sachverständigen des TÜV zu der Frage angehört hat, ob bei sachgerechtem Betrieb der Anlage mit unzumutbaren Immissionsbelastungen in Bezug auf Benzol, Benzo(a)pyren und Ruß zu rechnen sei, und daß vom Berufungsgericht ergänzende Stellungnahmen vom TÜV und einem weiteren Sachverständigen eingeholt worden sind. Beide Sachverständigen haben übereinstimmend angegeben, daß sich eine Beeinträchtigung durch die genannten Stoffe durch theoretische Berechnungen nicht ausschließen lasse. Dementsprechend ist das Berufungsgericht zu der Überzeugung gelangt, daß ohne konkrete Messungen durch Sachverständige nicht aufklärbar sei, ob der Beigeladene bei Vorhandensein einer der 1.BImSchV entsprechenden Feuerungsanlage noch unzumutbaren Immissionen ausgesetzt sein würde. Unter diesen Umständen durfte das Berufungsgericht von der Zuziehung eines weiteren Sachverständigen absehen. Nach § 98 VwGO in Verbindung mit § 404 Abs. 1 Satz 2 ZPO kann sich das Gericht nämlich grundsätzlich auf die Ernennung eines einzigen Sachverständigen beschränken. Die Entscheidung darüber, ob ein weiteres Gutachten eingeholt werden soll, steht im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 108 Abs. 1 VwGO) im pflichtgemäßen Ermessen des Tatsachengerichts (stRspr, vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 6. Februar 1985 – BVerwG 8 C 15.84 – BVerwGE 71, 38 ≪41≫). Die Notwendigkeit der Beauftragung eines dritten Sachverständigen mußte sich hier dem Berufungsgericht nicht aufdrängen, weil keine Anhaltspunkte bestanden (und bestehen), daß ein dritter Sachverständiger über bessere Erkenntnisquellen verfügen könnte als die beiden bereits angehörten und weil die Möglichkeit einer Messung im Zeitpunkt der Entscheidung des Berufungsgerichts nicht bestand, da die Feuerungsanlage nicht den Anforderungen der 1. BImSchV genügte.
Das Berufungsgericht hat seine Aufklärungspflicht auch nicht dadurch verletzt, daß es nicht die vom Kläger angekündigte Umrüstung der Feuerungsanlage abgewartet und dann eine Messung der Schadstoffimmissionen hat vornehmen lassen. Aus § 356 ZPO folgt eine derartige Pflicht nicht, weil diese – in § 98 VwGO nicht aufgeführte – Vorschrift im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht anwendbar ist (BVerwG, Urteil vom 26. August 1983 – BVerwG 8 C 76.80 – Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 147). Dahinstehen kann, ob der Grundsatz des fairen Verfahrens dazu führen kann, daß einem Beteiligten Gelegenheit zu geben ist, ein vorübergend bestehendes Beweishindernis zu beheben. Denn ein solcher Fall lag hier nicht vor. Schon im erstinstanzlichen Urteil ist erörtert worden, daß der Kläger allenfalls dann Abwehrrechte besitzen könne, wenn das Grundstück des Beigeladenen auch bei ordnungsgemäßem Betrieb der Feuerungsanlage unzumutbaren Immissionen ausgesetzt sein sollte. Es wäre deshalb Sache des Klägers gewesen, seine Feuerungsanlage in Ordnung zu bringen, wenn er aus den auch bei ordnungsgemäßem Betrieb auftretenden Luftverunreinigungen Rechte gegen das Vorhaben des Beigeladenen ableiten wollte. Hierzu hatte er bis zur mündlichen Verhandlung im Berufungsverfahren eineinhalb Jahre Zeit. Nachdem der Kläger während dieses Zeitraums untätig geblieben war, mußte das Berufungsgericht von der Entscheidungsreife des Verfahrens ausgehen und nach der im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bestehenden Sachlage entscheiden. Eine Aussetzung der Entscheidung hätte sogar umgekehrt dem Grundsatz eines fairen Verfahrens widersprochen, weil eine weitere Verzögerung dem Beigeladenen nicht zumutbar gewesen wäre. Eines besonderen Hinweises mit Fristsetzung durch das Gericht bedurfte es nicht. Denn ein Fall des § 87 b VwGO ist nicht gegeben; und Umstände, die ein schutzwürdiges Vertrauen des Klägers begründen könnten, daß das Berufungsgericht ihm immer noch Gelegenheit zur Umrüstung seiner Feuerungsanlage geben würde, sind nicht ersichtlich.
Ob andere Wohnhäuser in der Nachbarschaft schädlichen Umwelteinwirkungen der Feuerungsanlage ausgesetzt sind, mußte schon deshalb nicht aufgeklärt werden, weil das Berufungsgericht eine derartige Beeinträchtigung des Beigeladenen verneint hat. Wenn aber der Beigeladene mangels einer unzumutbaren Beeinträchtigung durch die – unterstellt: ordnungsgemäß betriebene – Feuerungsanlage keinen Abwehranspruch gegen den Kläger besitzt, kann dieser das Wohnbauvorhaben des Beigeladenen nicht verhindern, und zwar unabhängig von der Frage, ob er beim Betrieb der Feuerungsanlage auf andere Nachbarn Rücksicht nehmen muß oder nicht.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Den Wert des Streitgegenstandes setzt der Senat gemäß § 14 Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG fest.
Unterschriften
Gaentzsch, Lemmel, Rojah
Fundstellen
BauR 1999, 1439 |
NVwZ 2000, 552 |
IBR 2000, 92 |
DÖV 2000, 81 |
GewArch 1999, 494 |
NuR 1999, 694 |
ZUR 2000, 165 |
ZfBR 1999, 351 |
BRS 2000, 764 |
GV/RP 2000, 536 |
KomVerw 2000, 202 |
UPR 2000, 37 |
FSt 2000, 613 |
FuBW 2000, 422 |
FuHe 2000, 468 |
LL 2000, 659 |