Entscheidungsstichwort (Thema)
Planfeststellung Bundesstraße. Beiladung Landesbehörde
Leitsatz (amtlich)
Das Straßenbauamt, das die Planfeststellung beantragt hat, kann im Streit um den Planfeststellungsbeschluss auch dann nicht nach § 65 VwGO beigeladen werden, wenn die Klage oder der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nach dem einschlägigen Landesrecht in Anwendung des § 78 Abs. 1 Nr. 2 VwGO gegen die demselben Rechtsträger angehörende Planfeststellungsbehörde selbst zu richten ist (Aufgabe von BVerwGE 52, 226 ≪231≫ und 237 ≪242≫).
Normenkette
VwGO § 61 Nr. 3; VwGO 65 Abs. 1-2; VwGO § 78 Abs. 1 Nr. 2
Tenor
Der Antrag des Antragsgegners, das Straßenbauamt Halberstadt zum Verfahren beizuladen, wird abgelehnt.
Gründe
Die sachdienlich als Antrag auf Beiladung des Straßenbauamts Halberstadt zu verstehende Anregung des Regierungspräsidiums Magdeburg bleibt ohne Erfolg.
Das Straßenbauamt Halberstadt ist zwar grundsätzlich beiladungsfähig, da das Land Sachsen-Anhalt in § 8 Satz 1 AGVwGO LSA (vom 28. Januar 1992 GVBl LSA S. 36, zuletzt geändert durch Gesetz vom 27. April 1994 – GVBl LSA S. 549) in Ausübung der Ermächtigung des § 61 Nr. 3 VwGO bestimmt hat, dass auch Landesbehörden fähig sind, am Verfahren beteiligt zu sein. Es kann jedoch dann nicht nach § 65 VwGO – weder nach dessen Abs. 1 noch Abs. 2 – zu einem Verwaltungsstreitverfahren beigeladen werden, wenn darin eine andere Behörde desselben Rechtsträgers Hauptbeteiligter ist (Urteil vom 25. August 1988 – BVerwG 2 C 62.85 – BVerwGE 80, 127 ≪128≫; vgl. auch Beschluss vom 17. Oktober 1985 – BVerwG 2 C 25.82 – BVerwGE 72, 165 ≪167 f.≫).
So liegt der Fall hier. Das Regierungspräsidium Magdeburg, das den angefochtenen Planfeststellungsbeschluss erlassen hat und gegen das sich nach § 78 Abs. 1 Nr. 2 VwGO i.V.m. § 8 Satz 2 AGVwGO LSA der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes richtet, und das Straßenbauamt Halberstadt, das den Antrag auf Durchführung des Planfeststellungsverfahrens für den Bau der Bundesstraße gestellt hat, gehören demselben Rechtsträger an. Beide sind Behörden des Landes Sachsen-Anhalt.
Zweck der Beiladung ist es vor allem, im Interesse der Prozessökonomie durch die damit verbundene Rechtskrafterstreckung auf Dritte, die in der Sache betroffen sind, die Ergebnisse eines Rechtsstreits auch ihnen gegenüber zu sichern (Bier in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 65 Rn. 6). Außerdem soll dem beigeladenen Dritten die Möglichkeit gegeben werden, durch die Verfahrensbeteiligung seine Interessen in den Prozess der Hauptbeteiligten einzubringen und so auch zur umfassenden Sachaufklärung beizutragen (vgl. Bier, a.a.O., Rn. 4 f.). Eine Beiladung der in der Sache auch betroffenen Behörden neben der nach § 78 Abs. 1 Nr. 2 VwGO beklagten Behörde desselben Rechtsträgers ist zur Erreichung dieser Zwecke nicht geboten und auch nicht gerechtfertigt. Das gegenüber der beklagten Behörde ergangene Urteil erwächst gegenüber dem Land als dessen Rechtsträger in Rechtskraft und bindet damit auch alle seine Landesbehörden nach Maßgabe des § 121 VwGO (Clausing in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 121 Rn. 96; Rennert in: Eyermann, VwGO, § 121 Rn. 38). Es ändert nichts an dieser Reichweite der materiellen Rechtskraft, dass das Land Sachsen-Anhalt die Ermächtigungen in § 61 Nr. 3 und in § 78 Abs. 1 Nr. 2 VwGO in Anspruch genommen hat, wonach die Landesbehörden Beteiligte im Verwaltungsprozess sein können und Klagen gegen die Behörde selbst zu richten sind, die den angefochtenen Verwaltungsakt erlassen oder den beantragten Verwaltungsakt unterlassen hat. Der landesrechtliche Vorbehalt des § 78 Abs. 1 Nr. 2 VwGO schafft nur die Option, abweichend vom Grundsatz des § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO eine Parteibezeichnung einzuführen, die es dem Bürger erleichtern kann, im Falle der Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage (vgl. § 42 Abs. 1 VwGO) die Formalien der Klageerhebung (vgl. § 82 Abs. 1 Satz 1 VwGO) ordnungsgemäß zu erfüllen. Kann, wie hier, eine Behörde nach § 78 Abs. 1 Nr. 2 VwGO verklagt werden, handelt sie in Prozessstandschaft für das Land (Urteil vom 25. August 1988 – BVerwG 2 C 62.85 – a.a.O., S. 128; Meissner in: Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 78 Rn. 38), ohne indes selbst zum Rechtsträger zu werden. Allein das hinter der jeweils beklagten Behörde stehende Land wird aus dem rechtskräftigen Urteil berechtigt und verpflichtet.
Es ist Aufgabe der Landesorganisation, im Wege der internen Koordination sicherzustellen, dass möglicherweise divergierende Interessen betroffener Behörden mit der Behörde abgestimmt werden, die im Verwaltungsstreitverfahren das Land vertritt. Dies gilt auch, wenn die drittbetroffene Behörde, wie hier das den Planfeststellungsbeschluss beantragende Straßenbauamt Halberstadt, bei einem anderen Landesministerium ressortiert als das Regierungspräsidium Magdeburg, das den Verwaltungsrechtsstreit für das Land führt. In einem gerichtlichen Erörterungstermin oder einem Termin zur mündlichen Verhandlung ist die beklagte Behörde in prozessrechtlicher Hinsicht ohnehin nicht gehindert, zu ihrer Unterstützung Vertreter anderer Behörden, darunter auch der die Planfeststellung beantragenden Behörde, mitzubringen.
Für die Notwendigkeit und Möglichkeit der landesinternen Interessenabstimmung zwischen den verschiedenen Behörden kann in den Fällen des § 78 Abs. 1 Nr. 2 VwGO, in denen die einzelne Behörde selbst zu verklagen ist, nichts anderes gelten, als dann, wenn das Land nicht von dieser Ermächtigung Gebrauch gemacht hat. In diesen Fällen des § 78 Abs. 1 Nr. 1 VwGO ist es indes unstreitig, dass neben dem beklagten Land andere Behörden dieses Landes nicht beigeladen werden können (vgl. etwa Urteil vom 15. April 1977 – BVerwG 4 C 100.74 – BVerwGE 52, 237 ≪242≫). Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Behörde eines Rechtsträgers ausdrücklich durch das jeweilige Fachgesetz mit einer eigenständigen Verfahrens- oder materiellen Rechtsposition gegenüber anderen Behörden dieses Rechtsträgers oder gegenüber diesem Rechtsträger selbst ausgestattet ist und damit insoweit die Voraussetzungen eines zulässigen „In-Sich-Prozesses” vorliegen.
Soweit der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts in den Urteilen vom 15. April 1977 – BVerwG 4 C 3.74 und BVerwG 4 C 100.74 – (BVerwGE 52, 226 ≪231≫ und 52, 237 ≪242≫) und dem Urteil vom 9. März 1979 – BVerwG 4 C 100.77 – (Buchholz 407.4 § 17 FStrG Nr. 28) zur Frage der Beiladung einer Landesbehörde in den Fällen des § 78 Abs. 1 Nr. 2 VwGO eine gegenteilige Auffassung vertreten hat, hält er auf Anfrage des beschließenden Senats hieran – entsprechend seiner schon seit Jahren geänderten Beiladungspraxis – nicht fest.
Die vorstehend für das Klageverfahren dargelegten Grundsätze gelten in gleicher Weise für das Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, auch wenn die hierbei ergehenden gerichtlichen Entscheidungen nur in eingeschränkter Rechtskraft (vgl. etwa § 80 Abs. 7 VwGO) erwachsen.
Unterschriften
Hien, Vallendar, Dr. Eichberger
Fundstellen
NJW 2003, 1409 |
NVwZ 2003, 216 |
DÖV 2003, 332 |
NJ 2002, 667 |
BayVBl. 2003, 311 |
DVBl. 2003, 67 |
UPR 2003, 74 |
www.judicialis.de 2002 |