Verfahrensgang
OVG Berlin-Brandenburg (Urteil vom 23.05.2013; Aktenzeichen 5 B 3.10) |
Tenor
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg vom 23. Mai 2013 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Streitwert wird auf 1 118 077,16 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Beschwerdevorbringen führt auf keinen Revisionszulassungsgrund im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO.
Rz. 2
1. Die Revision ist nicht wegen Divergenz gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen. Eine Divergenz ist nur gegeben, wenn das vorinstanzliche Gericht in Anwendung derselben Vorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden (abstrakten) Rechtssatz von einem in der Rechtsprechung des übergeordneten Gerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz abgewichen ist. Die Beschwerdebegründung muss darlegen, dass und inwiefern dies der Fall ist (stRspr, vgl. z.B. Beschlüsse vom 11. August 1999 – BVerwG 11 B 61.98 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 1 VwGO Nr. 19 S. 1 und vom 24. November 2009 – BVerwG 5 B 35.09 – juris). Eine solche Divergenz liegt jedenfalls in der Sache nicht vor.
Rz. 3
a) Die Beschwerde rügt eine Abweichung von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Juni 1985 (– BVerwG 2 C 56.82 – BVerwGE 71, 354 ≪356≫ = Buchholz 235 § 12 BBesG Nr. 8 S. 16 ≪18≫). Sie entnimmt der Entscheidung eine abschließende Aufzählung der Gründe für das Entfallen der Rechtswirkungen einer einstweiligen Anordnung. Der darin enthaltene abstrakte Rechtssatz, dass mit der (im Zweifel) rückwirkenden Aufhebung einer einstweiligen Anordnung durch das Rechtsmittelgericht der Rechtsgrund der Zahlung entfällt, enthält jedoch keinerlei Aussage darüber, ob der Rechtsgrund der Zahlung auch aus anderen Gründen entfallen kann. Die Annahme des Oberverwaltungsgerichts, dass auch mit der Rücknahme der Klage in der Hauptsache der Rechtsgrund für das Behaltendürfen der auf Grund einer einstweiligen Anordnung erhaltenen Leistungen wegfällt, weicht daher nicht von dem genannten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ab.
Rz. 4
b) Eine Divergenz liegt auch nicht in Bezug auf das von der Beschwerde ebenfalls angeführte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Februar 1964 (– BVerwG 6 C 8.61 – BVerwGE 18, 72 ≪74≫ = Buchholz 232 § 87 BBG Nr. 14 S. 64 ≪66≫) vor. Diese Entscheidung beschäftigt sich mit der Frage, ob sich ein Beamter, der während eines Rechtsstreits über seine Entlassung Bezüge erhalten hat, im Fall einer gerichtlichen Bestätigung der Entlassung und der anschließenden Rückforderung der vorübergehend geleisteten Bezüge nach den damals geltenden § 87 Abs. 2 BBG, §§ 812 ff. BGB auf den Wegfall der Bereicherung durch Verbrauch berufen konnte. Soweit das Bundesverwaltungsgericht in diesem Fall die Berufung auf den Wegfall der Bereicherung in Ausnahmefällen “nach den Regeln, die hierzu für beamtenrechtliche Überzahlungen entwickelt worden sind” (Urteil vom 21. Februar 1964 a.a.O. S. 77 bzw. S. 67), zugelassen hat, steht dieser abstrakte Rechtssatz erkennbar in einem rein beamtenrechtlichen Kontext. Es handelt sich nicht um einen Rechtssatz, der zu der hier einschlägigen Rückforderung von durch einstweilige Anordnung erwirkten Leistungen auf der Grundlage des § 945 ZPO bzw. des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs entwickelt worden wäre. Soweit das Oberverwaltungsgericht die Berufung auf den Wegfall der Bereicherung im vorliegenden Fall ausgeschlossen hat, kann eine Rechtssatzdivergenz schon deswegen nicht vorliegen, weil die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts nicht auf derselben Rechtsvorschrift wie das angeführte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts beruht.
Rz. 5
c) Aus dem genannten Grund kann eine Divergenz auch nicht zu den von der Beschwerde ergänzend angeführten beamtenrechtlichen Entscheidungen (Urteile vom 25. November 1982 – BVerwG 2 C 12.81 – Buchholz 235 § 12 BBesG Nr. 2 S. 1, vom 13. Juni 1985 – BVerwG 2 C 56.82 – BVerwGE 71, 354 = Buchholz 235 § 12 BBesG Nr. 8 S. 16, vom 13. Juni 1985 – BVerwG 2 C 43.82 – DVBl 1986, 146 und vom 8. Oktober 1998 – BVerwG 2 C 21.97 – Buchholz 239.1 § 55 BeamtVG Nr. 25 S. 12) bestehen. Diese zu § 12 Abs. 2 Satz 3 BBesG oder § 52 Abs. 2 Satz 1 BeamtVG ergangenen Entscheidungen behandeln die Rückforderung von Bezügen und Versorgungsbezügen von Beamten und Pensionären. Im vorliegenden Fall geht es jedoch um die Rückforderung von Leistungen, die einem Wohnungsbauunternehmen auf Grund einer einstweiligen Anordnung vor dem Hintergrund eines umstrittenen wohnungsbaurechtlichen Förderungsanspruchs gewährt wurden. In diesem Rechtsstreit spielen weder die genannten beamtenrechtlichen Anspruchsgrundlagen noch deren Verweisung ins Bereicherungsrecht eine Rolle. Die Berufung auf den Wegfall der Bereicherung ist bei den im vorliegenden Fall einschlägigen Anspruchsgrundlagen weder im Rahmen des Schadenersatzanspruchs aus § 945 ZPO noch im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs vorgesehen. Dass § 818 Abs. 3 und 4 sowie § 819 BGB auf den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch nicht entsprechend anwendbar sind, wird im Übrigen in der von der Beklagten ergänzend zitierten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. März 1985 (– BVerwG 7 C 48.82 – BVerwGE 71, 85 ≪88 ff.≫ = Buchholz 442.041 PostG Nr. 6 S. 12 ≪15 ff.≫) ausführlich begründet.
Rz. 6
d) Eine Abweichung von dieser Entscheidung liegt entgegen der Ansicht der Beklagten ebenfalls nicht vor. Das Berufungsgericht hat vielmehr die dort genannten Grundsätze bei seiner Prüfung der Schutzwürdigkeit des Vertrauens zu Grunde gelegt. Ebenso hat es die Frage untersucht, ob die Geltendmachung des Rückforderungsanspruchs gegen Treu und Glauben verstößt (UA S. 23 f.). Für eine Rechtssatzdivergenz bestehen damit keine Anhaltspunkte. Dies gilt auch für das von der Beklagten angeführte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. Oktober 1998 (a.a.O.). Insoweit legt die Beklagte ebenfalls nicht dar, dass das Berufungsgericht mit einem seine Entscheidung tragenden Rechtssatz von einem Rechtssatz abgewichen ist, den das Bundesverwaltungsgericht in dem genannten Urteil in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellt hat.
Rz. 7
2. Die Revision ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen. Dies wäre nur dann zu bejahen, wenn für die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts eine konkrete und fallübergreifende Rechtsfrage von Bedeutung war, die auch für die Entscheidung im Revisionsverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht erheblich wäre und deren höchstrichterliche Klärung zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (stRspr, vgl. Beschluss vom 2. Juni 2008 – BVerwG 5 B 188.07 – juris). Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht seine Entscheidung selbstständig tragend darauf gestützt, dass der Kläger die Rückforderung des Betrages in Höhe von 787 254,07 €, aber auch des versehentlich gezahlten Betrages von 330 823,09 € nach den Grundsätzen des allgemeinen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs verlangen kann. Entgegen der Ansicht der Beklagten wirft diese rechtliche Begründung keine Fragen von rechtsgrundsätzlicher Bedeutung auf.
Rz. 8
a) Nicht grundsätzlich klärungsbedürftig ist die von der Beklagten aufgeworfene Frage, ob eine nicht durch Beschluss aufgehobene einstweilige Anordnung ein fortbestehender Rechtsgrund zum Behalten der auf ihrer Grundlage gezahlten Mittel darstellt und ob dies auch dann noch gilt, wenn die Hauptsacheklage – wie hier – zurückgenommen, ein Antrag nach § 80 Abs. 7 VwGO oder § 926 ZPO aber nicht gestellt worden ist. Im Hinblick auf die Rücknahme hat das Bundesverwaltungsgericht bereits entschieden, dass die durch eine einstweilige Verfügung nach § 123 VwGO vorläufig eingeräumte Rechtsposition rückwirkend entfällt, wenn der Kläger im Hauptsacheverfahren verliert (Urteil vom 15. Dezember 1993 – BVerwG 6 C 20.92 – BVerwGE 94, 352 ≪356≫ = Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 232 S. 312 ≪314 f.≫). Die einstweilige Anordnung wird nämlich im Verhältnis zwischen den Parteien automatisch wirkungslos, wenn sie rechtskräftig mit der Bindungswirkung des § 121 VwGO durch eine endgültige Entscheidung über den Streitgegenstand ersetzt wird. Es ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz, dass nichts anderes gelten kann, wenn sich der Kläger durch die Rücknahme der Klage (§ 92 VwGO) freiwillig in die Position des Verlierers begibt. Wird die Klage zurückgenommen, ist der Rechtsstreit als nicht anhängig geworden anzusehen (§ 173 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 ZPO). Wegen dieser Rückwirkungsfiktion werden in Bezug auf den Streitgegenstand ergangene einstweilige Anordnungen ebenso wie die in § 269 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 ZPO ausdrücklich erwähnten, nicht rechtskräftigen Urteile kraft Gesetzes wirkungslos. Ist dem Verwaltungsprozess – wie hier – ein ablehnender Verwaltungsakt vorausgegangen, gilt dessen Regelung zwischen den Parteien als unangefochten und ist daher für die Beteiligten in späteren Verfahren bindend.
Rz. 9
b) Keine grundsätzliche Bedeutung hat auch die Frage, ob Leistungen, die auf der Grundlage einer einstweiligen Anordnung gezahlt werden, durch Verwaltungsakt gewährt sind oder ob jedenfalls die Regelungen oder Begrenzungen, die bei Rückforderungen von auf Grundlage von Verwaltungsakten gewährten Leistungen gelten, sinngemäß anzuwenden sind. Es liegt zunächst auf der Hand, dass eine Behörde, die wie der Kläger eine Förderung durch Verwaltungsakt abgelehnt hat und die vom Verwaltungsgericht durch einstweilige Anordnung nach § 123 VwGO zu Zahlungen verpflichtet worden ist, nicht auf Grund eines Verwaltungsakts leistet. Es bedarf auch keiner Klärung in einem Revisionsverfahren, dass in diesem Fall die besonderen Vorschriften über Rücknahme und Widerruf von Verwaltungsakten und Rückforderung darauf basierender Leistungen keine Anwendung finden. Für eine analoge Anwendung dieser Vorschriften fehlt es im vorliegenden Fall bereits an einer Regelungslücke, weil das Verwaltungsprozessrecht Vorschriften und allgemein anerkannte Regelungen über die Aufhebung einstweiliger Anordnungen und den Ausgleich von Vollziehungsfolgen enthält. Darüber hinaus zeigt der vorliegende Fall, dass auch die Interessenlage nicht vergleichbar ist. Wird die Gewährung einer Subvention von der Behörde ausdrücklich abgelehnt, fehlt es gerade an dem durch einen Förderbescheid gesetzten Vertrauenstatbestand auf das endgültige Behaltendürfen einer Leistung. Die mit einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO begründete Leistungsverpflichtung hat nach ihrem klaren Inhalt hingegen nur vorläufigen Charakter und steht unter dem Vorbehalt der Abänderung durch die endgültige Gerichtsentscheidung.
Rz. 10
c) Nicht grundsätzlich klärungsbedürftig sind auch die weiteren von der Beklagten im Rahmen des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs erhobenen Grundsatzrügen:
“Schließt die Formulierung eines Vorbehaltes bei Gewährung einer Leistung ohne Ansehung des Einzelfalls jegliches schutzwürdiges Vertrauen in das Behalten der Leistung und jegliche Rückforderungssperren aus dem Gesichtspunkt der Entreicherung (§ 49a Abs. 2 VwVfG), des Vertrauensschutzes und aus Treu und Glauben aus?
Wenn nicht: Hängt die Existenz des Rückforderungsanspruchs nach bestimmungsgemäßem Verbrauch der Mittel davon ab, ob der Empfänger hinsichtlich der Kenntnis der Gründe, die zur späteren Rückforderung führte, vorsätzlich oder (grob) fahrlässig gewesen ist? Gehört zur Kenntnis der Gründe in diesem Sinne bei kontrovers diskutierten, noch nicht höchstrichterlich entschiedenen Rechtsfragen auch die Kenntnis der Rechtslage? Gilt dies insbesondere dann, wenn Organe des Rückforderungsgläubigers in der Vergangenheit selbst Erklärungen abgegeben haben, wonach sie die Existenz eines Anordnungsanspruchs für wahrscheinlich oder jedenfalls möglich halten? Schließt die Existenz einer zum Zeitpunkt der Gewährung der Leistung weit verbreiteten Rechtsansicht, wonach ein Anordnungsanspruch bestehe, den Vorwurf des Vorsatzes oder der groben Fahrlässigkeit im Sinne des Vertrauensschutzes im Falle des Ausgebens der vorläufig gewährten Mittel aus bzw. führt dazu, dass eine Rückforderung nach bestimmungsgemäßem Verbrauch der Mittel gegen Treu und Glauben verstößt?
Liegt begrifflich eine Entreicherung bzw. eine Situation, in der das private Vertrauensschutzinteresse des Bürgers das öffentliche Interesse an der Wiederherstellung einer dem Gesetz entsprechenden Vermögenslage überwiegt bei der bestimmungsgemäßen Verwendung von vorläufig gewährten Mitteln (hier: Tilgung von Darlehen) vor, wenn ohne Erhalt der Leistung Insolvenz einträte oder von Dritten besondere Opfer erbracht worden wären und daher vom Empfänger der Mittel durch deren Verwendung tatsächlich keine Aufwendungen eingespart wurden?”
Rz. 11
Der erste Fragenkomplex nach der Bedeutung eines Vorbehalts bei der Leistungsgewährung für den Vertrauensschutz ist im vorliegenden Fall schon deswegen nicht klärungsfähig, weil der Kläger nach den im Revisionsverfahren grundsätzlich bindenden tatrichterlichen Feststellungen keinen Förderbescheid unter Vorbehalt erlassen hat, sondern die Gewährung der Förderung abgelehnt und lediglich auf Grund einer einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO mit dem ausdrücklichen Hinweis geleistet hat, im Falle eines Obsiegens die einstweilen erbrachten Leistungen zurückzufordern. Im Übrigen ist es grundsätzlich eine Frage des Einzelfalls, wie Vorbehaltserklärungen im Zusammenhang mit Zahlungen auszulegen sind und inwiefern dadurch schutzwürdiges Vertrauen entstehen oder ausgeschlossen werden kann.
Rz. 12
Der zweite Fragenkomplex nach der Bedeutung der Kenntnis oder grob fahrlässigen Unkenntnis der die Rückforderung begründenden Umstände, bedarf ebenfalls keiner grundsätzlichen Klärung. In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass es beim öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch für die Frage der Schutzwürdigkeit des Vertrauens keinen Unterschied macht, ob der Betroffene die Rechtsgrundlosigkeit der Leistung kennt oder aus grober Fahrlässigkeit nicht kennt (vgl. Urteil vom 12. März 1985 a.a.O. S. 91 ff. bzw. S. 17 f.). Denn auch die grob fahrlässige Unkenntnis verdient keinen Vertrauensschutz. Hinsichtlich der weiteren Fragen, ob die Kenntnis in diesem Sinne auch die Kenntnis der Rechtslage erfordere, welchen Einfluss eine insoweit bestehende Rechtsunklarheit, diesbezügliche Äußerungen von Organen des Rückforderungsgläubigers oder weit verbreitete Rechtsansichten hätten, legt die Beschwerde die Entscheidungserheblichkeit nicht dar. Nach den tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts hatte die Beklagte hinsichtlich des Umstandes Kenntnis, dass der Kläger die Zahlungen nur auf Grund einer einstweiligen Anordnung und nur unter dem Vorbehalt der Rückforderung bei einer ihm günstigen endgültigen Entscheidung leistete. Mit Blick auf die Vorläufigkeit der erbrachten Leistungen bestanden danach weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht entscheidungserhebliche Unklarheiten. Es ist geklärt, dass bereits die Kenntnis von der Vorläufigkeit einer Leistung und dem damit verbundenen Rückforderungsrisiko Vertrauensschutz ausschließt. Denn es liegt gerade im Wesen der Vorläufigkeit, dass Vertrauen in die Endgültigkeit der Regelung nicht entstehen kann (Urteil vom 19. November 2009 – BVerwG 3 C 7.09 – BVerwGE 135, 238 Rn. 25 = Buchholz 316 § 49a VwVfG Nr. 8).
Rz. 13
Der dritte Fragenkomplex nach der Bedeutung von Treu und Glauben beim öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch ist gleichfalls rechtsgrundsätzlich geklärt. Wie die Beschwerde zutreffend ausführt, ist bereits entschieden, dass der Grundsatz von Treu und Glauben als allgemeiner Gedanke auch im Verwaltungsrecht gilt und dass dementsprechend auch die Ausübung des öffentlichrechtlichen Erstattungsanspruchs durch das Prinzip von Treu und Glauben begrenzt ist (Urteil vom 18. Dezember 1973 – BVerwG 1 C 34.72 – Buchholz 451.52 § 19 MuFG Nr. 2 S. 9 ≪12≫ = NJW 1974, 2247 = juris Rn. 126). Davon ist auch das Berufungsgericht ausgegangen. Es bedarf nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens um festzustellen, dass die Geltendmachung von bestehenden Geldforderungen nicht allein deswegen treuwidrig ist, weil dies zur Insolvenz des Schuldners führen kann oder weil Dritte zur finanziellen Rettung des Schuldners besondere Opfer erbringen müssten. Denn einen allgemeinen Grundsatz, dass Gläubiger zur Vermeidung von Insolvenzgefahren auf ihre Forderungen verzichten müssten, gibt es nicht.
Rz. 14
d) Nicht grundsätzlich klärungsbedürftig sind ferner die von der Beklagten aufgeworfenen Fragen:
“Ist § 814 BGB beim öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch anwendbar? Gilt dies insbesondere dann, wenn Leistungen nach der Aufhebung einer einstweiligen Anordnung, von der die Mitarbeiter der Behörde Kenntnis hatten, unter dem Vorbehalt einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache weiter gewährt werden? Ist von Kenntnis im Sinne des § 814 BGB auszugehen, wenn das Wissen von der Rechtsgrundlosigkeit in der Behörde und/oder bei den sie vertretenden Anwälten vorhanden ist? Gilt dies insbesondere, wenn jeder mit der Sache befasste Mitarbeiter in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht wusste, dass die Klägerin nichts mehr zahlen musste?”
Rz. 15
Die ersten beiden Fragen haben sich in dem angegriffenen Urteil insofern nicht entscheidungserheblich gestellt, als das Oberverwaltungsgericht (UA S. 25) seine Entscheidung darüber, ob die Regelung des § 814 BGB einschlägig ist, auf zwei selbstständig tragende Begründungen gestützt hat. Es hat zum einen ausgeführt, dass diese Vorschrift auf den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch nicht anwendbar sei, und zum anderen angenommen, dass die Voraussetzungen des § 814 BGB nicht erfüllt seien. Mithin ist das Oberverwaltungsgericht im zweiten Teil der Begründung von der Anwendbarkeit des § 814 BGB ausgegangen, hat aber dessen tatbestandliche Einschlägigkeit im Ergebnis verneint. Im Hinblick auf diese zweite selbstständig tragende Begründung bringt die Beschwerde einen Zulassungsgrund nicht in einer den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise vor. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann aber in Fällen, in denen ein Urteil auf mehrere die Entscheidung selbstständig tragende Begründungen gestützt ist, die Revision gegen dieses Urteil nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jedes dieser tragenden Gründe ein Zulassungsgrund vorliegt (vgl. Beschlüsse vom 17. April 1985 – BVerwG 3 B 26.85 – Buchholz 451.90 EWG-Recht Nr. 53 S. 93, vom 24. Mai 2007 – BVerwG 4 BN 16.07 u.a. – BauR 2007, 2041 und vom 8. Juli 2011 – BVerwG 5 B 4.11 – juris Rn. 2).
Rz. 16
Den letzten beiden von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen mangelt es ebenfalls an der Entscheidungserheblichkeit. Das Oberverwaltungsgericht hat das angefochtene Urteil (UA S. 26) insoweit tragend darauf gestützt, dass § 814 BGB “nur die freiwillig in Kenntnis der Nichtschuld erbrachten Leistungen” erfasse und diese Voraussetzung der Freiwilligkeit hier nicht erfüllt sei. Diesen entscheidungserheblichen Aspekt greift die Beschwerde mit den genannten Fragen, die sich (allein) auf den Begriff der Kenntnis beziehen, nicht in substantiierter Weise an. Auch ihr allgemeines Vorbringen dazu, warum das Oberverwaltungsgericht § 814 BGB falsch ausgelegt bzw. mit fehlerhafter Begründung angewandt habe, genügt den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO an die Darlegung einer (Grundsatz-)Rüge nicht.
Rz. 17
e) Im vorliegenden Fall können auch die von der Beklagten gestellten Fragenkataloge zur Verjährung des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs nicht grundsätzlich geklärt werden, weil nach allen ernstlich in Betracht kommenden Auslegungsvarianten der Anspruch nicht verjährt ist. Es kann insbesondere offenbleiben, ob der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch im vorliegenden Fall der 30jährigen Verjährungsfrist (vgl. Urteile vom 11. Dezember 2008 – BVerwG 3 C 37.07 – BVerwGE 132, 324 Rn. 10 = Buchholz 428.2 § 8 VZOG Nr. 11 S. 24 und vom 22. März 2012 – BVerwG 3 C 21.11 – BVerwGE 142, 219 Rn. 38 = Buchholz 428.2 § 8 VZOG Nr. 14 S. 1 ≪10≫), oder der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren analog § 195 BGB unterliegt (vgl. Urteile vom 15. Juni 2006 – BVerwG 2 C 10.05 – Buchholz 232 § 78 BBG Nr. 45 S. 1 = NJW 2006, 3225 = juris Rn. 19 f. und vom 15. Mai 2008 – BVerwG 5 C 25.07 – BVerwGE 131, 153 Rn. 27 = Buchholz 11 Art. 104a GG Nr. 22 S. 23). Legt man – wie das Berufungsgericht – die für die Beklagte günstigere regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren zu Grunde, dann ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz, dass der Beginn dieser Frist neben der Entstehung des Anspruchs gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB grundsätzlich auch die Kenntnis der anspruchsbegründenden Umstände voraussetzt. Überzeugende Gründe bei der entsprechenden Anwendung der Norm im Öffentlichen Recht auf das subjektive Element der Kenntnis oder des Kennenmüssens zu verzichten, sind nicht ersichtlich. Auch der 3. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat die Ermittlungsschwierigkeiten in Bezug auf diese subjektive Voraussetzung nur als Argument für den Lauf der 30jährigen Verjährungsfrist verwendet (Urteil vom 11. Dezember 2008 a.a.O. Rn. 16), nicht aber im Fall der entsprechenden Anwendung der regulären dreijährigen Verjährung eine nur partielle Analogie zu § 199 BGB befürwortet. Daher kann es im vorliegenden Fall auch offenbleiben, ob der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch – wie die Beklagte meint – objektiv betrachtet bereits mit Auszahlung der Leistungen entstanden ist. Denn der Kläger als Gläubiger konnte die für den Fristbeginn erforderliche subjektive Kenntnis von dem anspruchsbegründenden Umstand der Rechtsgrundlosigkeit der Leistung frühestens mit der am 7. Februar 2005 erfolgten Aufhebung der einstweiligen Anordnung erlangen. Zuvor konnte und musste der Kläger davon ausgehen, dass die einstweilige Verfügung den Rechtsgrund der Leistung bildete (vgl. Urteil vom 13. Juni 1985 – BVerwG 2 C 56.82 – BVerwGE 71, 354 Rn. 22 = Buchholz 235 § 12 BBesG Nr. 8 S. 16 ≪17 f.≫). Begann am Schluss dieses Jahres die dreijährige Verjährungsfrist, so war der Anspruch bei Klageerhebung am 30. Dezember 2008 nicht verjährt. Die von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen zum genauen Inhalt der subjektiven Kenntnis und zur Kenntnis von Urteilen in Parallelverfahren sind erkennbar nicht entscheidungserheblich und können daher die grundsätzliche Bedeutung des Falles nicht begründen.
Rz. 18
3. Ist somit die Auslegung des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs im vorliegenden Fall nicht grundsätzlich klärungsbedürftig, kommt es auf die gegen die Anwendung des § 945 ZPO vorgetragenen Rügen nicht mehr an. Denn in Fällen, in denen ein Urteil auf mehrere die Entscheidung selbstständig tragende Begründungen gestützt ist, kann – wie oben bereits dargelegt – die Revision gegen dieses Urteil nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder dieser tragenden Begründungen ein Zulassungsgrund vorliegt.
Rz. 19
4. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbs. 2 VwGO).
Rz. 20
5. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 1 und 3 GKG.
Unterschriften
Vormeier, Dr. Störmer, Dr. Häußler
Fundstellen